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[Das Gericht vertagt sich bis

12. März 1946, 10.00 Uhr.]

Neunundsiebzigster Tag.

Dienstag, 12. März 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: General Rudenko, haben Sie Ihr Verhör abgeschlossen?

GENERAL RUDENKO: Jawohl.

VORSITZENDER: Wünscht die Französische Anklagevertretung an den Zeugen Fragen zu stellen?

Dr. Stahmer, wünschen Sie weitere Fragen zu stellen?

DR. STAHMER: Nein.

VORSITZENDER: Dann kann sich der Zeuge entfernen.

[Der Zeuge Milch verläßt den Zeugenstand.]

DR. STAHMER: Ich rufe als nächsten Zeugen Oberst der Luftwaffe Bernd von Brauchitsch.

[Der Zeuge Oberst Bernd von Brauchitsch betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE BERND VON BRAUCHITSCH: Bernd von Brauchitsch.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den Eid nach: Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.

[Der Zeuge spricht den Eid nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wünschen.

DR. STAHMER: Herr Zeuge, welche Stellung hatten Sie im Stabe des Oberbefehlshabers der Luftwaffe?

VON BRAUCHITSCH: Ich war erster militärischer Adjutant des Oberbefehlshabers der Luftwaffe mit der Dienstbezeichnung Chefadjutant. Mir oblag die Einrichtung des vom Oberbefehlshaber angeordneten Tagesablaufes und die Regelung des Adjutantendienstes. Täglich war die militärische Lage vorzutragen, militärische Berichte und Meldungen soweit, als sie von den Dienststellen selbst nicht vorgetragen wurden. Befehlsbefugnisse standen mir nicht zu.

DR. STAHMER: Haben Sie in Ihrer Tätigkeit erfahren, daß am 25. März 1944 aus dem Gefangenenlager in Sagan, Stalag Luft III, 75 englische Fliegeroffiziere geflohen sind?

VON BRAUCHITSCH: Mir ist es als besonderes Vorkommnis bekannt, und es ist seinerzeit gemeldet worden, daß eine Anzahl Fliegeroffiziere geflohen sind.

DR. STAHMER: Können Sie Angaben machen über das Schicksal dieser Fliegeroffiziere nach ihrer Flucht?

VON BRAUCHITSCH: Mir ist das Schicksal dieser Fliegeroffiziere nicht bekannt.

DR. STAHMER: Haben Sie nicht erfahren, daß 50 dieser englischen Fliegeroffiziere angeblich auf der Flucht erschossen wurden?

VON BRAUCHITSCH: Ich habe erst sehr viel später erfahren, daß eine Anzahl dieser Fliegeroffiziere erschossen worden sein soll.

DR. STAHMER: Können Sie angeben, unter welchen Umständen diese Erschießung erfolgte?

VON BRAUCHITSCH: Das ist mir nicht bekannt.

DR. STAHMER: Hat der Reichsmarschall Göring die Erschießung befohlen oder in irgendeiner Weise bei diesen Maßnahmen mitgewirkt?

VON BRAUCHITSCH: Mir ist weder eine Mitwirkung noch ein Befehl des Reichsmarschalls darüber bekannt.

DR. STAHMER: Ist Ihnen die Einstellung Hitlers zu der Behandlung abgeschossener sogenannter feindlicher Terrorflieger bekannt?

VON BRAUCHITSCH: Im Frühjahr 1944 stiegen die Verluste der Zivilbevölkerung durch Bordwaffenangriffe plötzlich an. Diese Angriffe richteten sich gegen auf den Feldern arbeitende Zivilisten, gegen Nebenbahnen und Bahnhöfe ohne jede militärische Bedeutung, gegen Fußgänger und Radfahrer, alles im Innern des Heimatkriegsgebietes. Dies muß Hitler veranlaßt haben, neben Abwehrbefehlen auch Befehle zu Maßnahmen gegen diese Flieger selbst zu geben. Soweit mir bekannt, vertrat Hitler die schärfsten Maßnahmen. Der Lynchjustiz sollte freier Lauf gelassen werden.

DR. STAHMER: Wie war die Einstellung des Reichsmarschalls der Luftwaffe zu diesem Befehl?

VON BRAUCHITSCH: Der Oberbefehlshaber und der Chef des Generalstabs haben mir ihre Auffassung dahingehend ausgesprochen, daß diese ausschließlich gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Angriffe aufs schärfste zu verurteilen sind. Ungeachtet dessen sollten aber keine besonderen Maßnahmen gegen diese Flieger durchgeführt werden. Lynchjustiz und Nichtschutz abspringender Besatzung sei abzulehnen. Durch die Anordnungen Hitlers war die Luftwaffe gezwungen, sich mit dieser Frage zu befassen. Das Bestreben ging dahin, die nicht gebilligten Auffassungen Hitlers zu verhindern. Hierzu mußte ein Weg gesucht werden. Der Ausweg wurde darin gesehen, daß nach obenhin Maßnahmen vorgetäuscht wurden, die aber nicht durchgeführt werden sollten.

Ich erhielt dann den außerhalb meines Aufgabengebietes liegenden Auftrag, mit dem Oberkommando der Wehrmacht über die Festlegung des Begriffes der Terrorflieger zu sprechen. In den anschließenden Besprechungen und im Schriftverkehr wurden die Fälle erörtert, die völkerrechtswidrige Verstöße darstellen und als verbrecherische Handlungen anzusehen sind. Durch diese Festlegung sollte eine Lynchjustiz verhindert werden. Der sich über einen längeren Zeitraum hinziehende Schriftverkehr zeigt auch die Tendenz der Dienststelle, diese Angelegenheit auf die lange Bank zu schieben. Ende Juni 1944 waren dann die Begriffe Terrorflieger festgelegt. Das Stalag wurde angewiesen, ihm bekanntwerdende Verstöße gegen diese Fälle zu melden, aber nichts zu veranlassen. Durch diese Maßnahme war, eine Anordnung im Sinne Hitlers zu geben, verhindert worden.

DR. STAHMER: Kann demnach Ihrer Ansicht nach festgestellt werden, daß die von Hitler angeordneten Maßnahmen von der Luftwaffe nicht durchgeführt wurden?

VON BRAUCHITSCH: Jawohl, es ist festzustellen, daß die von Hitler angeordneten Maßnahmen nicht durchgeführt worden sind. Wie auch die Oberbefehlshaber der Luftflotten bestätigen, hat die Truppe keinen Befehl erhalten, feindliche Flieger zu erschießen oder sie dem SD zu übergeben.

DR. STAHMER: Ist Ihnen etwas bekannt geworden darüber, daß die Luftwaffe Anweisung erhalten hatte, Geiseln festzusetzen oder zu erschießen?

VON BRAUCHITSCH: Mir ist keine Anweisung und kein Befehl bekannt, der sich mit Geiseln befaßte.

DR. STAHMER: Nur noch eine letzte Frage: Können Sie Angaben machen über die Behandlung der fünf feindlichen Flieger, die im März 1945 in der Schorfheide abgesprungen und gefangengenommen worden sind?

VON BRAUCHITSCH: Im März 1945 wurde ein amerikanischer viermotoriger Bomber über der Schorfheide nach einem Angriff abgeschossen. Ein Teil der Besatzung rettete sich durch Absprung. Davon war ein Teil verwundet, bzw. verletzt. Die Verletzten wurden einem Krankenhaus zugeführt. Den Beobachter, einen amerikanischen Fliegerkapitän der Reserve, im Zivilberuf Filmdirektor in Hollywood, hat der Reichsmarschall am nächsten Tage über seinen Angriffsauftrag und über seinen Abschuß selbst gesprochen.

DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.

VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Verteidiger Fragen an den Zeugen zu stellen?

DR. LATERNSER: Ich habe nur wenige Fragen an den Zeugen.