[Pause von 10 Minuten.]
JUSTICE JACKSON: Meine Herren Richter! Ich glaube, wir werden Wiederholungen und vielleicht auch Zeit sparen, wenn ich jetzt meinen Platz Sir David Maxwell-Fyfe übergebe, der über einige Dinge, die ich gerade zur Sprache bringen wollte, den Zeugen befragen will. Ich glaube, er wird das Verhör besser führen können als ich.
VORSITZENDER: Wie Sie wünschen, Herr Jackson.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Herr Zeuge, ist Ihnen gesagt worden, warum Dr. Stahmer Ihre Aussage wünscht? Ist Ihnen von Dr. Stahmer gesagt worden, was Sie aussagen sollen?
KESSELRING: Die einzelnen Punkte sind mir mitgeteilt worden, ohne damit alle Fragen klar umrissen zu haben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Ihnen einen Satz aus Dr. Stahmers Erklärung vorlesen, damit Sie sich dann erinnern können:
»Als Rotterdam im Mai 1940 Kampfzone wurde, wurde es zur militärischen Notwendigkeit, Bombenflugzeuge zu verwenden, da die umzingelten Fallschirmtruppen, die keine Artilleriehilfe hatten, dringend um Hilfe von Bombenflugzeugen gebeten hatten.«
Erinnern Sie sich an diesen Vorfall? Ich möchte, daß Sie sich an ihn erinnern.
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich, daß Sie über diesen Vorfall in Ihrem Verhör am 28. Juni durch die United-States-Kommission zur Untersuchung der Bombenangriffe befragt wurden? Erinnern Sie sich?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie auf die Frage: »Wie war es mit Rotterdam?« folgendes geantwortet:
»Zuerst wurde Rotterdam verteidigt in den Stadtteilen, die später angegriffen wurden. Zweitens: in diesem Fall konnte man feststellen, daß eine feste Haltung eingenommen werden mußte. Dieser eine Angriff hat sofort Frieden für Holland gebracht. Er wurde von Model verlangt und vom OKW gebilligt. Es war ein sehr kleiner Teil im Herzen Rotterdams.« Erinnern Sie sich daran, das gesagt zu haben?
KESSELRING: Ja, ich habe ungefähr das gesagt. Ich habe gestern diese Ausdrücke wiederholt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte zuerst die strategischen Möglichkeiten behandeln und mich dann den taktischen Fragen zuwenden. Ihre strategische Absicht und Ihr wirkliches Ziel war, eine feste Haltung einzunehmen, um sofortigen Frieden zu erreichen. Ist das richtig?
KESSELRING: Diese weitgehende Aufgabe war mir nicht gestellt, sondern, wie ich gestern sagte, hat General Wenninger mir als Ergebnis des Angriffes gemeldet, daß anschließend an den Angriff auch die totale Übergabe Hollands erfolgt ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber ich möchte, daß Sie sich an Ihre eigenen Worte erinnern. Es war vom OKW gebilligt worden, daß eine feste Haltung eingenommen werden mußte. War es nicht Ihr Ziel, bei diesem Angriff durch Terrorisierung der Bevölkerung Rotterdams einen strategischen Vorteil zu erlangen?
KESSELRING: Dies muß ich aus reinstem Gewissen zurückweisen. Ich habe auch nicht seinerzeit in Mondorf gesagt, daß ich eine feste Haltung einnehmen muß, sondern ich habe auch nur zum Ausdruck gebracht, daß die von Student verlangte Unterstützung vollzogen werden müsse. Wir hatten nur diese eine Aufgabe, eine Artillerieunterstützung für Student zu leisten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was meinten Sie, wenn Sie sagten, daß eine »feste Haltung« eingenommen werden mußte, wenn Sie damit nicht meinten, daß die Bevölkerung Hollands möglicherweise durch Terror bewogen werden sollte, Frieden zu schließen?
KESSELRING: Darf ich dazu nochmals wiederholen, daß der Begriff »feste Haltung« im Widerspruch steht mit der ganzen Diktion von mir, so daß ich dieses Wort aus der Niederschrift nicht anerkennen kann. Es ist mir auch seinerzeit nicht vorgelesen worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was glauben Sie, haben Sie gesagt statt »feste Haltung«, wenn Sie es nicht gesagt haben?
KESSELRING: Ich habe zum Ausdruck gebracht, daß scharfes Durchgreifen zum raschen Erfolg führt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist genau, was ich behaupte, Herr Zeuge, »Scharfes Durchgreifen«.
KESSELRING: Aber nur zum Zweck der taktischen Handlung. Darf ich noch einmal ausdrücklich sagen, daß ich als Soldat kein Politiker bin und nicht politisch gehandelt habe, und in diesem Moment ausschließlich und allein den Anordnungen des Generals Student gerecht geworden bin.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor ich mich den taktischen Fragen zuwende, was ich gerne tun will, noch die Frage: Hatten Sie mit dem Angeklagten Raeder zu tun? Haben Sie überhaupt mit dem Angeklagten Raeder arbeiten müssen?
KESSELRING: Großadmiral Raeder? Nur im großen, soweit es maritime Verhältnisse in ihrer Mitwirkung betroffen hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich die Ansichten anhören, die der Angeklagte Raeder zum Ausdruck gebracht hat, und dem Gerichtshof mitteilen, ob Sie damit übereinstimmen. Es ist das englische Beweisstück GB-224, C-157, und ist im Protokoll (Band V, Seite 311) zu finden. Nun hören Sie genau zu, bitte:
»Eine Stützung der getroffenen militärischen Maßnahmen auf das bestehende Völkerrecht bleibt erwünscht; militärisch als notwendig erkannte Maßnahmen müssen aber, sofern sie kriegsentscheidende Erfolge erwarten lassen, auch dann durchgeführt werden, wenn das geltende Völkerrecht nicht auf sie Anwendung finden kann.«
Stimmen Sie damit überein?
KESSELRING: Ich kann nicht vollkommen übereinstimmen mit dieser Auffassung. Im Falle Rotterdam liegen die Verhältnisse vollkommen konträr. Es ist gerade auf den Kopf gestellt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Augenblick wollen wir uns mit den Worten des Angeklagten Raeder beschäftigen. Stimmen Sie mit denen überein?
KESSELRING: Nein.
DR. LATERNSER: Ich habe eine Einwendung. Ich widerspreche der vorigen und der jetzt an den Zeugen gestellten Frage, weil die Frage erstens unerheblich, und zweitens sich nicht auf Tatsachen bezieht, sondern auf Meinungen. Der Zeuge ist dazu da, Tatsachen zu bekunden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Präsident! Der Zeuge ist hier, wie ich schon hervorgehoben habe, um über militärische Notwendigkeiten auszusagen.
VORSITZENDER: Sir David, der Gerichtshof ist der Meinung, daß die Frage in der Form, in der Sie sie stellten, zu einem Einspruch Anlaß geben könnte, da Sie die Ansichten des Angeklagten Raeder anführen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich füge mich selbstverständlich der Entscheidung des Gerichtshofs, aber dieser Zeuge wurde geladen, um auszusagen, daß diese Haltung durch militärische Notwendigkeiten bedingt war. Ich habe ihn nun gefragt, ob er mit den Ansichten eines seiner Kollegen über den Begriff der militärischen Notwendigkeit übereinstimmt. Wenn der Gerichtshof irgendeinen Zweifel hat, dann würde ich lieber darüber hinweggehen. Aber der Gerichtshof wird sich mit dem Problem der militärischen Notwendigkeit noch auf verschiedenen Gebieten zu befassen haben. Mit Ihrer Erlaubnis will ich daher diese Angelegenheit nicht fallen lassen, da sie noch im Zusammenhang mit anderen Dingen, über die ich Fragen zu stellen habe, eine Rolle spielen wird.
Ich komme nun zur taktischen Lage in Rotterdam. Wollen Sie dem Gerichtshof mitteilen, wer die beteiligten Offiziere waren? Da war ein Generalleutnant Schmidt und mit ihm Generalmajor Student, die den Befehl über die Truppen hatten, die Rotterdam angriffen. Erinnern Sie sich daran?
KESSELRING: General Student. General Schmidt ist mir nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, den Beweisen zufolge, die in diesem Fall vorliegen, wurden die Verhandlungen von Generalleutnant Schmidt in einer Käserei in der Nähe von Rotterdam geführt, und dort wurden auch die Bedingungen der Übergabe schriftlich niedergelegt. Ich glaube, daß es sich um den Vorgesetzen des Generals Student handelte, nicht wahr?
KESSELRING: General Student war der höchste deutsche Offizier in diesem Raum Rotterdam und der verantwortliche Befehlshaber. General Schmidt ist mir nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So muß General Schmidt General Students Untergebener gewesen sein, nicht wahr?
KESSELRING: Er muß vielleicht zu dem besonderen Zweck herangeholt worden sein; mir ist er nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich an die Zeit erinnern. Wissen Sie, zu welcher Tageszeit die Bombardierung Rotterdams begann?
KESSELRING: Meines Wissens in den frühen Mittagsstunden, so um 14.00 Uhr, glaube ich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich wollte Ihnen 13.30 Uhr sagen.
KESSELRING: Ja, das ist gut möglich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß seit 10.30 Uhr morgens Verhandlungen über die Kapitulation im Gange waren?
KESSELRING: Nein, wie ich gestern schon gesagt habe, habe ich darüber keine Kenntnis.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und wußten Sie, daß um 12.15 Uhr ein holländischer Offizier, Hauptmann Bakker, zu den deutschen Linien hinüberging und mit General Schmidt und General Student zusammentraf, und daß General Schmidt die vorgeschlagenen Bedingungen der Kapitulation um 12.35 Uhr schriftlich niederlegte?
KESSELRING: Nein, unbekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das wurde Ihnen niemals mitgeteilt?
KESSELRING: Nicht mitgeteilt, zumindest mir nicht in Erinnerung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sehen, Zeuge, es sind 55 Minuten vor dem Beginn des Bombardements und...
KESSELRING: Das Wesentliche wäre gewesen, daß von seiten des Generals Student der Angriff als solcher abgesagt worden wäre. Das ist aber nicht eingetreten. Diese Absage des Angriffs ist an mich nicht gekommen, auch nicht an den Verband.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich will nur, daß Sie sich die Geschehnisse vergegenwärtigen, und dann werde ich Ihnen einige Fragen stellen. Die Bedingungen, die um 12.35 Uhr erörtert worden waren, sollten noch andauern. Der Termin für die Antwort war auf 16.20 Uhr festgesetzt worden. Nachdem Hauptmann Bakker mit den Bedingungen um 13.22 Uhr zurückgegangen war, wurden um 13.25 Uhr von den deutschen Bodentruppen unter General Student zwei rote Leuchtkugeln abgeschossen. Haben Sie jemals davon gehört?
KESSELRING: Von dieser Tatsache an sich habe ich auch nichts gehört. Zwei rote Leuchtkugeln würden natürlich für diesen Zweck auch nicht genügt haben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, aber außerdem haben Ihre Bodentruppen ausgezeichnete Funkverbindung mit Ihren Flugzeugen gehabt, nicht wahr? Wollen Sie diese Frage beantworten?
KESSELRING: Ich habe gestern erklärt...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie, bitte, die Frage beantworten.
KESSELRING: Ja und nein, denn es ist meines Wissens gar keine unmittelbare Verbindung von der Bodenstation zu den Flugzeugen da, sondern, wie ich gestern sagte, von der taktischen Stelle über die Bodenstelle zum Flugverband.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn man diese Mitteilung an die Flugzeuge weiterleiten und die Bombardierung hätte aufhalten wollen, hätte dies doch leicht durch Funkverkehr geschehen können, abgesehen von den zwei Leuchtkugeln?
KESSELRING: Meines Erachtens, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun behaupte ich, daß jedermann diese Bombenflugzeuge herüberfliegen sah, Sie wissen dies. Student sah die Bomber herüberfliegen. Sie wissen das doch, nicht wahr?
KESSELRING: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn dieser Angriff irgendeine taktische Bedeutung zur Unterstützung Ihrer Truppen gehabt hatte, hätte er abgeblasen werden können, nicht wahr?
KESSELRING: Der letzte Satz ist von mir nicht aufgenommen worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das Ziel dieses Angriffs ein rein taktisches gewesen wäre, um den Angriff auf Rotterdam zu unterstützen, so hätte er leicht durch eine Funkmeldung des Generals Student an die Flugzeuge abgeblasen werden können, nicht wahr?
KESSELRING: Jawohl, wenn die taktische Lage hier bekannt gewesen wäre oder die Lage unmittelbar dem Verband mitgeteilt worden wäre, dann hätte gar kein Zweifel entstehen können.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber wenn in ehrlich gemeinten Verhandlungen Kapitulationsbedingungen vereinbart worden sind, die erst drei Stunden später ablaufen sollen, kann man von einem Soldaten erwarten, daß er den Angriff abbläst, nicht wahr?
KESSELRING: Wenn keine anderen Bestimmungen vereinbart waren, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn er aber die Möglichkeit hatte, den Angriff abzublasen, wäre nichts leichter gewesen, als dies tatsächlich durchzuführen. Ich möchte mit meiner Behauptung ganz klar zum Ausdruck bringen, daß diese taktische Maßnahme nichts mit dem Angriff auf Rotterdam zu tun hatte, und daß der Angriff auf Rotterdam nach Ihren eigenen Worten den Zweck verfolgte, eine feste Haltung zu zeigen und die Holländer durch Terror zur Kapitulation zu zwingen.
KESSELRING: Ich darf nochmals wiederholen, daß ich ausdrücklich gesagt habe, daß dieser Angriff einzig und allein den taktischen Erfordernissen Rechnung getragen hat, und daß ich diese politischen Erwägungen radikal ablehne.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wissen wohl, daß General Student sich später für diesen Angriff entschuldigte, das wissen Sie doch? Er entschuldigte sich bei dem holländischen Kommandanten für den Angriff.
KESSELRING: Ich weiß es nicht und wie ich Ihnen gestern schon auseinandersetzte, ist General Student schwer gehirnverletzt gewesen und ich konnte mit ihm nicht einmal sprechen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nicht mehr Zeit dafür verwenden. Ich hoffe, meinen Standpunkt ganz klar dargelegt zu haben, und möchte nun eine Frage über eine andere Sache stellen, über die Sie gestern im Zusammenhang mit Bombardements sprachen. Sie sagten, daß der Angriff auf Warschau am 1. September 1939 unternommen wurde, weil Sie Warschau als verteidigte Festung mit Luftabwehr angesehen haben. Ist das richtig?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Sie wissen, daß zur selben Zeit, am Freitag, den 1. September, um 5.00 Uhr morgens, die deutsche Luftwaffe folgende Städte angriff, Augustówo, Nowy Dwor, Ostrów, Mazowiecki, Dirschau, Putzig, Zambrów, Radomsko, Thorn, Kutno, Tunel, Krakau, Grodno, Trzebinia und Gdingen, das in einer anderen Gegend liegt. Die deutsche Luftwaffe griff alle diese Städte an, nicht wahr?
KESSELRING: Meine Kameraden, ja... Die Städte nicht. Ich wiederhole, die Städte nicht, die Städte nicht!
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: All diese Angriffe wurden am 1. September um 5 Uhr früh durchgeführt. Stimmt das?
KESSELRING: Die Angriffe wurden am Morgen unternommen, aber nicht, wie Sie sagten, Herr Generalstaatsanwalt, die Städte, sondern die militärischen Ziele, Flugplätze und Stabsquartiere und Verkehrsanlagen wurden angegriffen. Wie ich schon auseinandergesetzt habe, sind ganz eingehende Anordnungen vom OKW erlassen worden, daß nur diese militärischen Ziele bekämpft werden dürfen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie behaupten, daß alle diese Städte, deren Namen ich verlesen habe, militärische Ziele waren?
KESSELRING: Soweit sie in meinem Streifen lagen, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie hatten keine Zeit, ein einziges Aufklärungsflugzeug über Polen zu schicken, ehe dieser Angriff unternommen wurde, nicht wahr?
KESSELRING: Das stimmt; auf der anderen Seite ist uns durch Agenten und so weiter genügend Kenntnis über die Lage mitgeteilt worden, und außerdem war dieser ganze Plan einer operativen Überlegung der Luftkriegsführung schlechthin unterworfen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich, der ganze Plan war im April 1939 als Fall »Weiß« ausgearbeitet worden.
KESSELRING: Zu diesem Zeitpunkt wußte ich überhaupt noch nicht, daß ich eingeteilt wurde, und daß Krieg geführt wird.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge, wußten Sie nach Ihrer Ernennung nicht, daß der Fall »Weiß« im April 1939 ausgearbeitet worden war? Wurde Ihnen das nie gesagt?
KESSELRING: Das wurde nicht gesagt, aber andererseits darf ich als Soldat sagen, daß ein Generalplan, der im April aufgestellt wird, derartig vielen Änderungen bis zum September unterliegt und in der letzten Stunde sogar noch entscheidende Änderungen vorgenommen werden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich möchte, daß Sie noch einen anderen Punkt ins Auge fassen. Erinnern Sie sich, daß im deutschen Radio am Abend vorher, also am 31. August um 9.00 Uhr das Ultimatum an Polen durchgesagt wurde? Erinnern Sie sich daran?
KESSELRING: Ich glaube, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war acht Stunden vor Ihrem Angriff, und Sie wissen doch, nicht wahr, daß der Angeklagte Göring sich vorher eine ganze Woche lang in seinem geheimen Hauptquartier zur Erörterung dieser Angelegenheit aufgehalten hat.
KESSELRING: Das kann ich mir vorstellen, wenn am...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich behaupte nun, daß dieser allgemeine Angriff auf polnische Städte wiederum ein wohlgeplanter Anschlag war, mit dem Versuch, den nationalen Widerstand gegen Ihren Angriff niederzubrechen.
KESSELRING: Darf ich dazu folgendes sagen: Wenn meine Aussagen als Feldmarschall und als Zeuge unter Eid so wenig berücksichtigt werden, wie sie von Ihnen, Herr Generalstaatsanwalt, berücksichtigt werden, dann hat eine weitere Aussage von mir keinen Zweck. Ich habe betont, daß es sich nicht um einen Angriff auf Städte handelte, sondern um einen Angriff auf militärische Ziele, und das müssen Sie mir als altem Soldaten letzten Endes glauben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, der Gerichtshof wird entscheiden, was Ihre Aussage für einen Wert hat. Ich werde das nicht erörtern. Ich möchte Sie nur noch über ein oder zwei andere Dinge befragen, um zu erfahren, was Sie als militärische Notwendigkeit ansehen. Erinnern Sie sich an die Befehle über Partisanen in Italien, zur Zeit, als Sie das Kommando dort hatten? Die Befehle über Partisanen.
KESSELRING: Gewiß.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte es ganz genau festlegen. Sagen Sie mir, wenn ich mich irre, aber ich glaube, die Lage war folgende: Der Angeklagte Keitel hat am 16. Dezember 1942 einen allgemeinen Befehl über Partisanen erlassen. Ein Exemplar wurde in Ihrem Hauptquartier, in Ihrem früheren Hauptquartier, gefunden, und Sie erinnern sich, daß er Ihnen später zur Kenntnis kam, aber Sie sind nicht ganz sicher, wann. Ist das richtig? Sind Sie nicht ganz sicher über das Datum?
KESSELRING: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie versuchen, sich daran zu erinnern. Sie haben Zeit gehabt, es sich zu überlegen. Glauben Sie, daß Keitels Befehl vom Dezember 1942 Ihnen bekannt wurde, bevor Sie Ihren eigenen Befehl vom 17. Juni 1944 ausgaben? Vielleicht möchten Sie Ihren eigenen Befehl sehen?
KESSELRING: Er wurde einmal verlesen, ich habe aber im November und dann wiederholt im Dezember und anschließend im Januar gebeten, daß ich zu diesen Fragen und zu diesen Verordnungen nochmals gehört werde, weil ich Bedenken hatte, über die Ausgabe, über den Verteiler, den Adressatenkreis und über den Zeitpunkt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Ihnen, Zeuge, die Befehle, die Sie sehen sollen, um Ihrem Erinnerungsvermögen nachhelfen zu können, gleich aushändigen lassen. Ich glaube nicht, daß sie schon vorher vorgelegt worden sind. Wir wollen erst den Befehl des Angeklagten Keitel vom 16. Dezember 1942 vornehmen.