[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich bitte auf den Text nach dem Bombenanschlag in Rom am 23. März 1944 konzentrieren. Wissen Sie, was ich meine? Den Bombenanschlag in Rom am 23. März 1944. Erinnern Sie sich? Damals war General Westphal Ihr Stabschef. Er meldete dieses Komplott direkt an General Buettler. Wie sprechen Sie den Namen aus?
KESSELRING: Winter.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Welcher General?
KESSELRING: General Winter.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat er nicht General Buettler Meldung erstattet?
[Buchstabiert Buettler.]
KESSELRING: Von Buttlar.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General von Buttlar?
KESSELRING: Dieser war sein Vorgänger.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General von Buttlar informierte Ihren Stabschef, daß er dem Führer darüber Bericht zu erstatten habe. Stimmt das?
KESSELRING: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und er setzte sich mit dem Angeklagten Jodl in Verbindung? Und die Angeklagten Jodl und Keitel meldeten den Vorfall dem Führer?
KESSELRING: Es wird wahrscheinlich so sein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und der Führer gab einen Befehl, daß entweder zwanzig oder zehn – Sie sind nicht ganz sicher, glauben aber eher zwanzig – Italiener getötet werden sollten?
KESSELRING: Ich glaube, das ist eine Meldung von Westphal, die ich als stimmend annehmen muß.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich daran erinnern, Herr Zeuge, ob es sich nun um zwanzig oder zehn handelte?
KESSELRING: Ich nehme an, zehn; ich weiß es nicht mehr genau.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie kennen die genaue Zahl nicht?
KESSELRING: Ich nehme an, zehn.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also lassen wir es einmal bei der Zahl zehn. Die zuständige Autorität für Rom war General Mackensen. Stimmt das?
KESSELRING: Generaloberst von Mackensen war Oberbefehlshaber der 14. Armee, dem der Kommandant von Rom unterstanden hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und der Mann, der, um Ihren Ausdruck anzuwenden, ihn in diesem Falle beriet, war ein Mann namens Kappler. Stimmt das?
KESSELRING: Kappler vom Sicherheitsdienst?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was war er, Obergruppenführer oder etwas ähnliches?
KESSELRING: Obersturmbannführer.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich, daß Sie nach einigen Kommentaren im »Osservatore Romano« eine Untersuchung dieses Zwischenfalls einleiteten, und zwar durch Ihren Abwehroffizier Zolling? Stimmt das?
KESSELRING: Ja, das stimmt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie ließen sich ebenfalls von Kappler selbst Bericht erstatten. Stimmt das?
KESSELRING: Kappler hat mir nur telephonisch eine kurze Ermittlung zugehen lassen, daß er eine entsprechende Zahl von verurteilten Männern zur Stelle hätte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat Kappler Ihnen nicht erklärt, daß er 382 Personen hätte hinrichten lassen?
KESSELRING: Die Ausführung war in den Händen der 14. Armee und ich habe letzten Endes nur den Vollzug erhalten, ohne irgendwelche nähere Erläuterung, und habe keine unmittelbare Aussprache mit Kappler gehabt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sind Sie dessen sicher?
KESSELRING: Ich betone ausdrücklich nochmals: ich habe mit Kappler telephonisch kurz gesprochen, nachdem ich auf meinem Gefechtsstand eingetroffen war und mir diese Meldung, wie ich vorhin gesagt habe, gegeben worden war. Ich habe sonst keinen weiteren unmittelbaren Verkehr in Erinnerung; ich weiß nur noch, daß ich vielleicht acht oder zehn Tage später bei einem Zusammentreffen mit ihm gesagt habe, daß ich ihm bis zu einem gewissen Grade danken muß, daß diese sehr unangenehme Sache eine Erledigung finden konnte, die sowohl rechtlich wie moralisch einwandfrei war.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen doch einen Augenblick nochmals nachprüfen, wofür Sie eigentlich zur Dankbarkeit Anlaß hatten. Sie sind über diesen Vorfall am 8. Januar vernommen worden. Können Sie sich erinnern, daß man Ihnen folgende Frage vorgelegt hat: »Hat Ihnen Zolling nicht gesagt, daß alle, die hingerichtet wurden, vorher wegen verschiedener anderer Verbrechen, die mit dem Tode bestraft werden, abgeurteilt waren?« Und Sie antworteten: »Ja, ich habe das schon gesagt, ja, er sagte das. Sogar Kappler hat mir das erzählt.«
KESSELRING: Ja, das stimmt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit anderen Worten, die Erklärung, die man Ihnen Ihrer Aussage nach gab, war, daß man eine Anzahl von Leuten nahm, und zwar unterstelle ich 382, die sich anderer Verbrechen schuldig gemacht hatten, und sie als Vergeltung für den Bombenanschlag hinrichtete. Stimmt das?
KESSELRING: Das stimmt unter der Annahme, daß die Leute zum Tode verurteilt waren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sind schon einmal darüber befragt worden. Nach Kapplers Bericht hatten von diesen 382 Menschen 176 Verbrechen ausgeübt, die mit dem Tode bestraft werden, 22 waren Leute, deren Fall als »abgeschlossen« bezeichnet worden war, 17 waren zur Zwangsarbeit verurteilt, vier waren tatsächlich schon zum Tode verurteilt, und vier waren in der Nähe des Tatortes verhaftet worden; das macht 223.
Hat Kappler Ihnen nicht gesagt: »Später stieg die Zahl der Opfer auf 325, und ich entschied, 57 Juden dazu zu tun.«
Hat Ihnen Kappler diese Zahlen nicht gemeldet?
KESSELRING: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie geben doch zu, daß eine große Anzahl von Personen hingerichtet wurde, und zwar auf Grund eines Befehls, nach welchem zehn oder vielleicht zwanzig Italiener für jeden einzelnen getöteten Deutschen hinzurichten seien.
KESSELRING: Das gebe ich zu, aber unter der Annahme, wie ich vorhin gesagt habe, daß es sich hier um bereits abgeurteilte Menschen handelte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber es machte Ihnen nichts aus, ob die Leute wegen des Bombenanschlags verurteilt worden waren, oder wegen eines anderen Vergehens?
KESSELRING: Herr Generalstaatsanwalt, die Situation war folgende: Der Garigliano-Kampf an der Südfront hatte mit aller Heftigkeit begonnen. In dieser Zeit kommt ein Bombenangriff gegen eine Polizeikompanie von römischen Kreisen, die bis dorthin in einer unerhört milden Weise behandelt worden sind. Die Erregung auf der deutschen Seite war derartig, daß sowohl ich, wie meine nachgeordneten Vorgesetzten, einschließlich des Botschaftsrats Möllhausen, alles zu tun hatten, um diese Erregung zu dämpfen. Es mußte also etwas geschehen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite mußte etwas geschehen, etwas, was mir überhaupt als die zweckentsprechendste Maßnahme zur Verhinderung derartiger Sachen dünkt, nämlich eine Brandmarkung in der Öffentlichkeit, eine Bekanntgabe, daß gegen die deutsche Armee nicht etwas passieren kann, ohne daß nicht die Konsequenzen gezogen werden. Für mich war das das Wesentliche; ob nun der X oder der Y an diesem Attentat beteiligt war, war für mich eine Frage untergeordneter Bedeutung; von übergeordneter Bedeutung war nur das, daß die öffentliche Meinung innerhalb der kürzesten Zeit sowohl auf der römischen wie auf der deutschen Seite beruhigt werden konnte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vorhin haben Sie sich auf einen dritten Standpunkt gestellt, manche Leute könnten sagen, »terrorisiert« die Bevölkerung, damit sie nicht nochmals etwas gegen die deutsche Armee unternimmt.
KESSELRING: Ich weiß nicht, dieser Ausdruck stammt von dem Verhör über Rotterdam. Ich habe diesen Ausdruck meines Erachtens und Wissens nicht gebraucht. Ich habe zu wiederholen, daß ich in einem, wenn ich das sagen darf, geradezu idealem Freundschaftsverhältnis zu den Italienern gestanden habe, deswegen bin ich ja auch nach Italien berufen worden, und daß ich allergrößte Veranlassung hatte, für die Freundschaft zu werben und nicht die Feindschaft zu säen, und daß ich nur da eingegriffen habe, und zwar sicher in der entschiedenen Form, wenn es sich darum handelte, innerhalb kurzer Zeit dieses Pestgewächs zu kupieren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Ihnen heute Morgen verschiedene Fragen über Ihre Freundschaftstaten gegenüber Italien vorgelegt und will nicht darauf zurückkommen. Ich möchte Sie nun nur noch über einen anderen Punkt befragen, dessen Klärung mich interessieren würde: Waren Sie am 2. November 1943 der Kommandierende General in Italien, das heißt, nachdem...
KESSELRING: Darf ich zum ersten Punkt noch etwas sagen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie müssen auf diesen Punkt antworten, und ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie am 2. November 1943 der Kommandierende General in Italien waren. Also waren Sie es?
KESSELRING: Seit November, seit dem 2. November 1943?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich daran erinnern, daß Sie ein Telegramm an das OKW schickten, nach welchem drei britische Kommandos, die bei Pescara gefangengenommen worden waren, einer Sonderbehandlung unterzogen werden sollten? Sonderbehandlung heißt Mord; das heißt, sie wurden von der SS getötet?
KESSELRING: Nein, verzeihen Sie...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was verstehen Sie unter Sonderbehandlung?
KESSELRING: Daß diese Leute von Pescara nicht, wie ich heute schon einmal sagte, erschossen worden sind, sondern eher, wenn sie verwundet waren, ins Lazarett eingeliefert wurden und, soweit ich mich erinnere, in ein Kriegsgefangenenlager kamen, wenn sie unverletzt waren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Neun andere sind noch ins Krankenhaus gebracht worden, und drei von ihnen erhielten auf Grund Ihres Telegramms die Sonderbehandlung. Neun andere wurden ins Lazarett gebracht. Ich war im Begriff, Sie über diejenigen, die ins Lazarett gebracht worden waren, noch etwas zu fragen. Was haben Sie mit den Leuten gemacht, die unter den Kommandobefehl fielen, und die in ein Lazarett geschafft wurden?
KESSELRING: Wie ich vorhin bereits gesagt habe, sind diese nach den allgemein üblichen Grundsätzen der Haager Konvention behandelt worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will mit Ihnen nicht darüber streiten, ob der Kommandobefehl mit dem Haager Abkommen übereinstimmt. Wir wissen, was der Kommandobefehl bedeutete, nämlich, daß Leute, die als Kommandos gefangengenommen wurden, zu erschießen waren. Angenommen, eine Kommandogruppe ist unglücklicherweise verwundet worden. Was ist ihr dann passiert?
KESSELRING: Auf Grund des Wortlautes dieses Befehls mußten sie erschossen werden. Ich habe vorhin bereits gesagt, daß dieser Befehl in diesem Fall, ich nehme an, unter Mitwirkung von Generaloberst Jodl, seine Erledigung in normaler Form gefunden hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben hier im Gerichtshof Beweise dafür gehört, daß in Wilna die SS regelmäßig neugeborene jüdische Kinder in den Hospitälern einfach umbrachte. Können Sie mir versichern, daß Kommandotruppen, die verletzt waren und in Lazarette verbracht wurden, nicht einfach ermordet wurden?
KESSELRING: Ich versichere, daß ich über eine derartige Exekution nicht unterrichtet bin und sie auch nicht geduldet hätte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danke.
VORSITZENDER: Wünscht die Anklagebehörde ein weiteres Kreuzverhör?
Dr. Stahmer, wollen Sie ein Rückkreuzverhör vornehmen?
DR. STAHMER: Von der Englischen Anklagebehörde sind soeben neue, bisher nicht bekanntgewordene Tatsachen vorgetragen worden, vor allem die Erschießung von Geiseln, die von der Division Hermann Göring in Italien bei der Bandenbekämpfung durchgeführt wurden, und für die der Angeklagte Göring offenbar verantwortlich gemacht werden soll. Zu diesem Vorbringen sind auch neue Dokumente vorgelegt worden. Zur Zeit bin ich nicht in der Lage, zu diesen Tatsachen sowie zu den schweren Vorwürfen Stellung zu nehmen und sachlich Fragen an die Zeugen zu stellen.
Nach sorgfältiger Prüfung des Materials werde ich entsprechende Anträge stellen und bitte, mir Gelegenheit zu geben zu einer Erklärung, ob ich noch weitere Zeugen benötige und auf den Zeugen Kesselring zurückgreifen muß.
Selbstverständlich werde ich mich darauf beschränken, nur unbedingt notwendige Beweisanträge im Rahmen der erhobenen Vorwürfe zu stellen, um eine unnötige weitere Ausweitung des Prozesses zu vermeiden.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie den Zeugen sogleich verhören müssen, und daß Sie, wenn Sie später eine Wiedervorladung des Zeugen beantragen wollen, wirklich schwerwiegende Gründe vorbringen müßten. Sie dürfen einen schriftlichen Antrag auf Wiedervorladung des Zeugen stellen, ich muß Sie jedoch darauf hinweisen, daß das Kreuzverhör dieses Zeugen nicht ausschließlich für den Fall Göring erheblich ist. Er gehört dem Generalstab an, und wie ihm schon bei Beginn des Kreuzverhörs mitgeteilt wurde, ist er selbst einer der Angeklagten. Das Beweismaterial mag daher für Göring, oder für den Generalstab erheblich sein. Ist Ihnen das klar?
DR. STAHMER: Ja, es ist schon klar. Aber ich kann natürlich einem Zeugen nur Fragen stellen, wenn ich vorher das Tatsachenmaterial beherrsche. Und das ist mir bei dem heutigen Vortrag nicht klar geworden, weil hier auf Urkunden Bezug genommen wurde, die mir gänzlich unbekannt sind und, soviel ich weiß, hat die Anklage mir in Aussicht gestellt, uns dieses Material zugänglich zu machen.
VORSITZENDER: Die Dokumente sind dem Zeugen vorgelegt worden, und der Gerichtshof, wie ich schon sagte, wird einen späteren Antrag zur Rückberufung des Zeugen in Betracht ziehen. Sie können aber jetzt das Wiederverhör des Zeugen zum Abschluß bringen.
DR. STAHMER: Zur Zeit habe ich keine weiteren Fragen an den Zeugen.
VORSITZENDER: Dann kann der Zeuge gehen.