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[Dem Angeklagten wird ein Dokument überreicht.]

GÖRING: Kenne ich.

DR. STAHMER: Wollen Sie sich bitte dazu äußern?

GÖRING: Nachdem der Reichsverteidigungsrat vorher bestand, war für den Fall einer Mobilmachung ein Reichsverteidigungsgesetz im Jahre 1935 vorgesehen worden. Die Zustimmung, also der Beschluß, besser gesagt, war im Reichskabinett gefaßt und dieses Gesetz galt dann für den Fall einer Mobilmachung, es sollte dann in Kraft treten. Tatsächlich ist es aber abgelöst worden, als die Mobilmachung eintrat, durch das eben erwähnte Gesetz über den Ministerrat für die Reichsverteidigung. In diesem Gesetz, das ja vor dem Vierjahresplan lag, nämlich 1935, wurde nun ein Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft geschaffen, für den Mobilmachungsfall zunächst, und ein Generalbevollmächtigter für die Verwaltung; das heißt also, wenn es zum Kriege kommt, sollten die Ressorts der gesamten Verwaltung durch einen Minister zusammengefaßt werden und die ganzen Ressorts, die mit Wirtschaft und Rüstung zu tun hatten, ebenfalls durch einen Minister. Der eine, der Generalbevollmächtigte für die Verwaltung, trat vor der Mobilmachung überhaupt nicht in Erscheinung. Der Generalbevollmächtigte für die Wirtschaft hingegen, der sollte, ohne daß dieser Titel in die Öffentlichkeit kam, schon mit seinen Aufgaben sofort beginnen. Das war auch notwendig. Daraus vielleicht erklärt sich am klarsten, daß es bei Schaffung des Vierjahresplanes zu zwangsläufigen Reibungen zwischen dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft und dem Beauftragten für den Vierjahresplan kommen mußte, weil beide, mehr oder weniger, ähnliche oder dieselben Aufgaben hatten. Als ich deshalb 1936 beauftragt wurde für den Vierjahresplan, hörte praktisch die Tätigkeit des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft auf.

DR. STAHMER: Herr Präsident, soll ich jetzt aufhören mit dem Fragen?

VORSITZENDER: Ja, ich glaube, daß dies ein günstiger Zeitpunkt wäre.

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. STAHMER: Hier ist wiederholt eine Bezeichnung aufgetaucht »Reichsforschungsrat«. Um welche Einrichtung handelte es sich dabei?

GÖRING: Ich glaube, es war im Jahre 1943, als ich den Auftrag erhielt, die gesamte deutsche Forschung, insonderheit, soweit sie für die Kriegsführung dringend notwendig war, zusammenzufassen. Leider geschah diese Zusammenfassung viel zu spät. Es sollten Parallelforschungen vermieden und ebenso unnötige Forschungen ausgeschaltet werden, Konzentration der gesamten Forschung auf die kriegswichtigsten Probleme. Ich selbst wurde Präsident des Reichsforschungsrates und stellte die Richtlinien für diese Forschung auf und faßte diese Forschung in dem eben angedeuteten Sinne zusammen.

DR. STAHMER: Hing damit im Zusammenhang das Forschungsamt der Luftwaffe?

GÖRING: Nein, das Forschungsamt der Luftwaffe war etwas absolut anderes, hatte mit Forschung einerseits und mit der Luftwaffe andererseits nicht das geringste zu tun. Der Ausdruck war eine Art Camouflage, denn, als wir an die Macht kamen, war ein ziemliches Durcheinander in dem technischen Teil der Überwachung wichtiger Nachrichten. Ich habe deshalb zunächst das Forschungsamt gegründet, das heißt eine Stelle, wo alle technischen Einrichtungen zur Überwachung des Funkbetriebes, der Telegraphie, der Telephonie und aller sonstigen technischen Einrichtungen möglich war. Da ich damals nur Reichsluftfahrtminister war, konnte ich diese Apparatur nur bei mir unterbringen und wählte diesen Camouflage- Ausdruck. Der Apparat diente dazu, vor allen Dingen die auswärtigen Missionen, die wichtigen Persönlichkeiten, die mit dem Ausland telephonierten, telegraphierten und funkten, wie das überall und in allen Staaten üblich ist, zu überwachen, zu dechiffrieren und den einzelnen Ressorts dann die Auswertung zuzustellen. Das Amt hatte keinen Agentendienst, keinen Nachrichtendienst, sondern war eine rein technische Stelle, erfaßte Funkspruch, erfaßte Telephongespräche, wo es befohlen war zu überwachen, erfaßte die Telegramme und gab die Auswertung an die interessierten Stellen.

In diesem Zusammenhang kann ich betonen, daß ich auch viel über die Meldungen des Herrn Messersmith, die hier eine Rolle spielten, gelesen habe. Er war zeitweise der Hauptlieferant für derartige Meldungen.

DR. STAHMER: Welchen Zweck, welche Bedeutung hatte der Geheime Kabinettsrat, der einige Zeit nach der Machtübernahme geschaffen wurde?

GÖRING: Im Februar 1938 kam es zum Rücktritt des Kriegsministers Feldmarschall von Blomberg. Gleichzeitig, durch besondere Umstände, trat der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Fritsch, zurück oder, besser gesagt, verabschiedete ihn der Führer. Dieser Zusammenfall dieser beiden Ausscheidungen oder Verabschiedungen belasteten in den Augen des Führers nach außen hin etwas stark die Wehrmacht. Er wollte nun eine gewisse Ablenkung und von dieser Änderung in der Wehrmacht durch ein Gesamtrevirement nach außen hin von dem einzigen Punkt, der Wehrmacht, ablenken. Er sagte dabei, er wollte vor allem daran denken, das Außenministerium zu wechseln, da nur dieser Wechsel stark im Ausland notifiziert würde und das Augenmerk von den militärischen Dingen abzulenken geeignet sei. Ich habe damals dem Führer auf das lebhafteste widersprochen; in persönlichen, langwierigen, langstündigen Unterredungen habe ich ihn dringend gebeten, von einem Wechsel des Außenministeriums Abstand zu nehmen. Er glaubte aber, darauf bestehen zu müssen.

Nun tauchte die Frage auf, was nach dem Rücktritt, oder dem Wechsel besser gesagt, von Herrn von Neurath zu geschehen habe. Der Führer wollte Herrn von Neurath, den er persönlich sehr hoch schätzte, absolut im Kabinett behalten. Ich selbst habe immer meiner Verehrung für Herrn von Neurath Ausdruck gegeben. Um nun nach außen hin kein Absinken im Prestige des Herrn von Neurath herbeizuführen, kam ein Vorschlag, der ausschließlich von mir selber und allein ausging, an den Führer. Ich sagte ihm, um auch nach außen noch wenigstens erscheinen zu lassen, als ob Herr von Neurath nicht völlig von der Außenpolitik zurückgezogen sei, schlüge ich vor, ihn zum Vorsitzenden des Geheimen Kabinettsrates zu machen. Einen solchen Rat gäbe es zwar nicht, aber der Ausdruck wäre sehr schön, und es könnte sich jeder darunter irgend etwas vorstellen. Der Führer sagte, wir können ihn aber nicht zum Vorsitzenden machen, wenn wir keinen Rat haben. Daraufhin sagte ich, dann machen wir einen, und schrieb aus dem Handgelenk einige Personen auf. Wie wenig ich diesem Rat Wert beilegte, mag daraus hervorgehen, daß ich, glaube ich selbst als einer der Letzten drin erscheine.

Die äußere Form nun wurde noch gegeben: Beratung in der Außenpolitik. Als ich zurückkam, sagte ich zu meinen Freunden, ich glaube, die Sache ist ganz gut gegangen, aber der Führer läßt sich schon von einem Außenminister wenig beraten, von einem Kabinettsrat in der Außenpolitik schon gar nicht; zu tun werden wir damit nichts haben.

Ich erkläre unter Eid, daß dieser Kabinettsrat nie, zu keinem Zeitpunkt, auch nur für eine Minute zusammengetreten ist, nicht mal zu seiner Konstitution. Von einem Teil dieser Mitglieder weiß ich nicht, ob sie überhaupt Kenntnis hatten, daß sie dazu gehörten.

DR. STAHMER: Wann hat das Reichskabinett zuletzt getagt?

GÖRING: Soweit ich mich erinnere, war die letzte Tagung des Reichskabinetts 1937 und, soweit ich mich erinnere, habe ich sogar den letzten Sitzungen bereits präsidiert, nachdem der Führer kurz nach Beginn weggegangen war. Der Führer hielt nichts von Kabinettssitzungen, es war ihm der Kreis zu groß, und es wurde ihm vielleicht auch zuviel dabei in seine Absichten gesprochen, und er wollte es da und dort anders haben. Von dann ab haben nurmehr Einzelbesprechungen, einzelne oder zusammengefaßte Besprechungen von interessierten Ressortministern stattgefunden; nachdem die Minister mit Recht dies als doch etwas für ihre Arbeit erschwert empfanden, wurde dadurch ein Ausgleich geschaffen, daß ich unter der Firma »Vierjahresplan« häufiger die Minister zusammenrief, um mit ihnen über die allgemeinen Dinge zu sprechen. Hingegen wurde niemals im Kabinett oder Ministerrat irgendeine politische Entscheidung von Tragweite, wie sie später im Anschluß Österreichs, Sudetenland, Tschechoslowakei, schließlich und endlich zum Kriege führte, im Kabinett besprochen oder erörtert.

Ich weiß, wie sehr der Führer Wert darauf legte, daß bei all diesen Dingen nur die Minister etwas ganz kurzfristig erfahren sollten, die unbedingt arbeitsmäßig einzuschalten waren. Ich kann daher auch hier unter meinem Eid bestätigen, daß eine Reihe von Ministern den Ausbruch des Krieges oder den Einmarsch in die Tschechoslowakei oder Sudetenland oder Österreich, genau so wie jeder andere deutsche Staatsbürger, erst am nächsten Morgen durch Radio oder Presse erfahren haben.

DR. STAHMER: Welchen Anteil hatten Sie an dem Zustandekommen des Münchener Abkommens im September 1938?

GÖRING: Der Anschluß der Sudetendeutschen, oder besser gesagt, die Lösung der sudetendeutschen Frage, war meinerseits stets und immer als notwendig betont worden. Ich habe auch dem Führer gegenüber nach dem Anschluß Österreichs gesagt, ich bedauere es, falls seine Auslassungen falsch verstanden würden, in der Richtung, als ob mit dem Anschluß Österreichs diese Frage abgeschlossen sei. Ich habe Lord Halifax November 1937 erklärt, der Anschluß Österreichs, die Lösung der sudetendeutschen Frage im Sinne der Rückkehr der Sudetendeutschen, und die Lösung der Danziger Frage und eines Korridors, seien integrierende Bestandteile der deutschen Politik; ob diese nun heute von Hitler, morgen von mir, oder von irgendeinem anderen geführt würde, sie blieben immer politische Ziele, die unter allen Umständen einmal erreicht werden müssen. Allerdings waren wir uns beide einig, daß dies... oder Versuche gemacht werden sollten, dies ohne Krieg zu erreichen.

Ich habe weiter in meinen Besprechungen mit Herrn Bullit genau diesen gleichen Standpunkt innegenommen. Ich habe auch jedem anderen, öffentlich und persönlich, immer erklärt, daß diese drei Punkte erledigt werden müßten, daß nicht durch Erledigung des einen die anderen damit hinfällig würden.

Ich möchte weiter unterstreichen, daß, wenn in dieser Richtung und auch in manch anderer, uns in der Anklage Vorwürfe gemacht wurden, wir hätten dieses und jenes, was Deutschland seinerzeit versprochen hätte, auch das Deutschland vor unserer Machtergreifung, nicht nachher gehalten, so möchte ich darauf hinweisen auf viele Reden, die sowohl der Führer – an die erinnere ich mich nicht mehr so genau – meine, weiß ich genau, wo ich gesagt habe, ich warne, oder wir warnen das Ausland auf die Zusicherung der heutigen Regierung irgendwelche und für die Zukunft basierende Grundlagen aufzubauen, wir werden sie nicht anerkennen, wenn wir an die Macht kommen. So war auch hier eine vollkommene Klarheit.

Als nun die Sudetenfrage in die Krise kam und die Lösung vom Führer beabsichtigt war, habe ich als Soldat, Oberbefehlshaber der Luftwaffe, pflichtgemäß die befohlenen Vorbereitungen für jeden Eventualfall getroffen. Als Politiker begrüßte ich außerordentlich die Versuche, die unternommen wurden, eine friedliche Lösung herbeizuführen. Ich erkenne durchaus an, daß ich damals sehr glücklich war, als ich sah, daß der britische Premier hier alle Anstrengung unternahm. Trotzdem war die Situation an jenem Tage vor dem Münchener Abkommen doch wieder recht kritisch geworden.

Es war halb sieben Uhr morgens oder sieben Uhr morgens, da rief der italienische Botschafter Attolico bei mir an, er müsse mich im Auftrage Mussolinis sofort sprechen, es handle sich um Lösung der Sudetenfrage. Ich sagte, er solle zum Außenminister gehen; er sagte, er habe speziellen Auftrag von Mussolini, zuerst und allein mit mir zu sprechen. Ich traf ihn, soviel ich weiß, neun Uhr vormittags, und da schlug er vor, daß Mussolini bereit sei zu vermitteln, daß möglichst rasch eine Zusammenkunft zwischen Deutschland – Adolf Hitler –, England – Premierminister Chamberlain –, Frankreich – Ministerpräsident Daladier – und Italien – Mussolini – stattfinden möchte, um die Frage friedlich zu lösen. Er sähe darin eine Möglichkeit und würde sofort alles unternehmen, er bäte mich persönlich – er, Mussolini – meinen ganzen Einfluß in dieser Richtung geltend zu machen. Ich nahm ihn, den Botschafter, sofort mit in die Reichskanzlei und auch Herrn von Neurath, obwohl damals nicht Außenminister, trug dem Führer dieses vor, sprach auf ihn ein, legte ihm die Vorteile klar, die sich daraus ergeben würden, und daß dieses überhaupt die Grundlage zu einer allgemeinen Entspannung sein könnte. Ob die anderen laufenden, politischen und diplomatischen Bestrebungen zum Ziele führten, könnte man nicht ohne weiteres übersehen, daß, wenn sich aber vier führende Männer der vier europäischen Großmächte des Westens in der Mitte treffen würden, so sei doch schon sehr viel gewonnen. Herr von Neurath unterstützte meine These und der Führer trat mir bei und sagte, man möge dem Duce telephonieren; draußen wartete Attolico, der dies sofort tat, worauf dann Mussolini offiziell beim Führer anrief und nun die Zusage und die Abmachung des Ortes München getroffen wurde. Gegen Spätnachmittag erfuhr ich dann von der Italienischen Botschaft, daß sowohl der Englische Premierminister, wie der Französische Ministerpräsident für den nächsten Tag München zugesagt haben. Ich habe darauf den Führer gefragt oder besser gesagt, ihm gesagt, ich würde unter allen Umständen mitfahren, er war einverstanden, und ich würde vorschlagen, daß ich in meinem Zuge auch Herrn von Neurath mitnehme. Er war auch damit einverstanden.

Ich habe dann zeitweise an den Besprechungen teilgenommen und habe, wenn notwendig, zum Ausgleich, manchmal zur Debatte beigetragen und vor allem mich bemüht, auf allen Seiten eine freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen, hatte persönlich Unterredungen mit Herrn Daladier und Herrn Chamberlain, und ich freute mich nachher aufrichtig, wie die Sache gut gegangen war.

DR. STAHMER: Zeitlich voran ging ja der Anschluß Österreichs an das Reich. Welche Gründe veranlaßten Hitler zu diesem Entschluß, und inwiefern waren Sie an diesen Maßnahmen beteiligt?

GÖRING: Ich habe gestern bei den Stichworten zu meinem Lebenslauf dem Gerichtshof bereits vorgetragen, daß ich persönlich mit Österreich mich aufs engste verbunden fühlte, daß ich dort die Hauptzeit meiner Jugend auf einem österreichischen Schloß verlebt habe, daß mein Vater schon zur Zeit des alten Kaiserreichs für eine enge Verknüpfung in Zukunft der deutschen Stammlande Österreichs mit dem Reich schon immer sprach, da er der Überzeugung war, daß dieses Reich nicht mehr lange zusammenhalten würde. 1918 erlebte ich, während ich zwei Tage mit dem Flugzeug in Österreich war, die dortige Revolution und den Zusammenbruch des Habsburger Reiches. Die deutschen Erblande einschließlich Sudeten-Deutschlands traten damals in Wien im Parlament zusammen, erklärten sich ebenfalls als frei von dem aufgelösten Habsburger Staat und erklärten, einschließlich der Abgeordneten des sudetendeutschen Teils, Österreich als einen Bestandteil des Deutschen Reiches, und zwar unter, so viel ich weiß, dem damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Renner. Diese Erklärung der Vertreter des österreichischen deutschen Volkes, ein Bestandteil Deutschlands in Zukunft zu sein, wurde im Frieden von St. Germain abgeändert und auf Diktat der Siegerstaaten verboten. Dies war weder für mich noch für einen anderen Deutschen irgendwie von Bedeutung.

Es war selbstverständlich, daß der Augenblick geschaffen werden mußte und die Voraussetzung, daß die Vereinigung der beiden Brudervölker rein deutschen Herkommens und Blutes stattfinden konnte. Als wir zur Macht kamen, war selbstverständlich dieses, wie ich vorhin ausführte, ein integrierender Bestandteil der deutschen Politik.

Die Versicherungen, die Hitler damals abgab bezüglich der Souveränität Österreichs, waren keine Täuschung, sondern ernst gemeint. Er sah wahrscheinlich zunächst keine Möglichkeit. Ich selbst war in dieser Richtung erheblich radikaler und bat ihn wiederholt, sich keinesfalls in der österreichischen Frage festzulegen. Er glaubte aber, eine weitgehende Rücksicht in Richtung Italien zunächst nehmen zu sollen.

Es war klar, daß, besonders nachdem die Nationalsozialistische Partei in Deutschland zur Macht kam, auch die Nationalsozialistische Partei Österreichs mehr und mehr zu wachsen begann. Sie war aber schon vorher, vor der Machtergreifung, auch schon in Österreich vorhanden, wie überhaupt der Ursprung der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei auf das Sudeten-Deutschland zurückgeht. Die Partei in Österreich war somit keineswegs eine Fünfte Kolonne für den Anschluß; denn den Anschluß wollte ja ursprünglich und immer das österreichische Volk selbst.

Wenn nun der Anschlußgedanke bei der damaligen österreichischen Regierung nicht mehr in der Klarheit und Stärke vorhanden war, so nicht deshalb, weil sie sich nicht mit Deutschland zusammenschließen wollte, sondern weil die Regierungsform des Nationalsozialismus mit der Regierungsform der damaligen österreichischen Regierung nicht konform, in keiner Weise konform ging.

Daraus ergaben sich nun die Spannungen, in erster Linie in Österreich selbst, die von der Anklagebehörde hier wiederholt und mehrfach zum Vortrag, und belastenden Vortrag gebracht wurden. Sie mußten sich ergeben, diese Spannungen, zwangsläufig, denn die einen nahmen den Anschlußgedanken an Deutschland als Nationalsozialisten ernster auf, wie die Regierung. So entstand der gegenseitige politische Kampf. Daß wir mit unseren Sympathien auf seiten der Nationalsozialisten standen, ist selbstverständlich, zumal die Partei in Österreich außerordentlich schwer verfolgt wurde. Sie wurden auch zahlreich in Lager gesperrt, die genau dasselbe wie die Konzentrationslager waren, sie hießen nur anders.

Der Leiter, Landesleiter, in der österreichischen Partei, war zu einem gewissen Zeitpunkt ein Mann namens Habicht aus Wiesbaden. Ich kannte ihn vorher nicht, habe ihn dann einmal gesehen. Dieser täuschte beim Führer vor, dem sogenannten Dollfuß-Fall, daß die österreichische Wehrmacht entschlossen sei, von sich aus etwas zu unternehmen, um die Regierung zum Anschluß zu bewegen oder zu stürzen. Wenn dies der Fall sei, ob sich die Partei in Österreich dem anschließen sollte? Wenn die Wehrmacht so etwas unternahm, so war die Auffassung des Führers, sollte sie in diesem Punkt politisch selbstverständlich von der Partei gestützt werden. Tatsächlich war das Ganze aber eine Irreführung insofern, als nicht die österreichische Wehrmacht gegen die österreichische Regierung vorzugehen beabsichtigte, sondern eine sogenannte Wehrmacht-Standarte, die aus ehemaligen Mitgliedern und ausgeschiedenen oder entlassenen Mitgliedern der österreichischen Wehrmacht bestand, und zur Partei über- oder bei der Partei eingetreten war.

Mit diesem Täuschungsversuch machte dann Herr Habicht dieses Unternehmen in Wien. Ich war damals mit dem Führer in Bayreuth. Er wurde sofort gerufen und der Führer machte ihm die allerschwersten Vorwürfe und sagte, daß er ihn falsch unterrichtet und hintergangen und betrogen hat.

Den Tod Dollfuß' bedauerte er sehr, weil das politisch für die Nationalsozialisten eine sehr schwer tragbare Angelegenheit war, besonders auch im Hinblick auf Italien. Italien ließ damals fünf Divisionen mobilisieren und an die Brennergrenze rücken. Der Führer wünschte eine rasche und möglichst durchgreifende Beruhigung. Das war der Grund, weshalb er Herrn von Papen gebeten hat, als außerordentlicher Botschafter nach Wien zu gehen und für eine möglichst rasche Beruhigung der Atmosphäre zu wirken.

Man darf nicht vergessen, daß folgende etwas absurde Lage sich schon im Laufe der Jahre ergeben hatte, nämlich, daß ein rein deutsches Land wie Österreich nicht etwa von der Seite des Deutschen Reiches am stärksten regierungsmäßig beeinflußt wurde, sondern von der Italienischen Regierung aus. Ich erinnere nur an den Ausspruch Mr. Churchills, daß Österreich praktisch eine Filiale Italiens wäre.

Nach dem Dollfuß-Unternehmen stand Italien in sehr starker und ablehnender Haltung gegenüber Deutschland und ließ durchblicken, daß gerade Italien das Land sein würde, das alles gegen diesen Anschluß tun würde. Der Führer hat deshalb neben der internen Beruhigung des Verhältnisses Deutschland zu Österreich durch Herrn von Papen seinerseits versucht, in der Einstellung Mussolinis zu dieser Frage eine Änderung herbeizuführen. Er ging aus diesem Grunde damals kurz darauf nach Venedig, kann auch sein, daß es vorher war; jedenfalls war er bemüht, hier eine andere Auffassung zu erreichen.

Ich hingegen stand auf dem Standpunkt, daß bei allem sonstigen Übereinstimmen auf – sagen wir mal – philosophischer Grundlage: Faschismus -Nationalsozialismus mir der Anschluß meines Brudervolkes erheblich wichtiger sei wie diese Übereinstimmung. Und wenn sie nicht mit Mussolini ginge, müßte es gegen Mussolini gehen.

Es kam dann der italienisch-abessinische Krieg, die Sanktionen gegen Italien; hierbei wurde auch unter der Hand so, nicht gerade greifbar, aber doch sichtbar, Deutschland in Aussicht gestellt, bei Beteiligung an den Sanktionen ihm in der österreichischen Frage allgemein gesehen entgegenzukommen. Es war dies für den Führer ein sehr schwerer Entschluß, sich endgültig contra Italien zu stellen und so den Anschluß zu erreichen oder sich Italien durch seine Haltung, pro-italienische Haltung, oder korrekte Haltung zu verpflichten, und damit Italien als Anschlußgegner auszuschalten.

Ich schlug ihm damals vor, bei der etwas vagen Anerbietung bezüglich Österreichs von englisch-französischer Seite erst mal festzustellen, wer hinter dem Angebot steht und ob wirklich beide Regierungen in diesem Punkt dann mit sich reden lassen und klare Zusicherung geben, und zwar Zusicherungen in der Richtung, daß dies eine interne deutsche Angelegenheit sei und nicht vage Zusicherungen von allgemeinem Zusammengehen usw.

Es bestätigte sich mein Verdacht, daß wir keine ganz klipp und klare Zusicherung bekamen, und unter diesen Umständen war es zweckmäßiger, Italien als Hauptanschlußgegner klar und eindeutig dadurch auszuschalten, daß man sich nicht zu Maßnahmen gegen das faschistische Italien verleiten ließ, Sanktions- Maßnahmen, Lieferungs-Maßnahmen usw. Ich stand nun weiter auf dem Standpunkt, daß das große nationale Interesse an der Vereinigung dieser Deutschen über alle Bedenken der Differenzierung der beiden derzeitigen Regierungen hinweggehen müßte.

Nun konnte das nicht dadurch geschehen, daß die Regierung des großen Deutschen Reiches zurücktrat und vielleicht Deutschland an Österreich anschloß, sondern der Anschluß mußte früher oder später durchgeführt werden.

Es kam dann das Berchtesgadener Abkommen. Hier war ich nicht dabei; ich war auch nicht mit diesem Abkommen einverstanden, weil ich jede Festlegung, die wieder diesen Schwebezustand weiter hinausschiebt,... gegen jede derartige Festlegung bin ich gewesen; denn für mich war ja nur die volle und totale Vereinigung aller Deutschen die einzige denkbare Lösung.

Kurz nach Berchtesgaden kam dann die Wahl, die der damalige Bundeskanzler Schuschnigg ausschrieb. Diese Wahl war an sich eine Unmöglichkeit, ein Bruch des Berchtesgadener Abkommens. Darüber will ich hinwegsehen; aber wie diese Wahl gemacht werden sollte, das war einmalig in der Geschichte. Es konnte nur mit »Ja« gestimmt werden, jeder einzelne konnte stimmen, so oft er wollte, fünfmal, sechsmal, siebenmal. Zerriß er den Zettel, so galt der Zettel als »Ja«-Stimme, usw.; ist nicht weiter interessant. Auf diese Weise stand von vornherein fest, daß, selbst wenn nur wenige Anhänger des Systems Schuschnigg genügend diese Möglichkeiten ausnutzten, es nur eine positive Mehrheit für Herrn Schuschnigg geben konnte. Es war eine Farce, das Ganze.

Dem wurde widersprochen, und zwar zunächst dadurch, daß ein Mitglied der Österreichischen Regierung, das in diesem Augenblick sich in Deutschland befand, der General von Glaise-Horstenau, nach Wien geflogen wurde, um sofort Schuschnigg beziehungsweise Seyß-Inquart, der seit Berchtesgaden ja im Kabinett Schuschnigg war, klarzumachen, daß Deutschland diese Provokation nicht hinnehmen würde. Gleichzeitig wurden die in der Nähe der österreichischen Grenze liegenden Truppen in Bereitschaft, Abtransportbereitschaft gelegt. Das war am Freitag, glaube ich, den 11. Ich war an diesem Tage in der Reichskanzlei mit dem Führer allein im Zimmer. Ich hörte telephonisch dann die Mitteilung, daß Glaise- Horstenau angekommen und diese Aufforderung klar und unmißverständlich übergeben hätte, und daß die Dinge nun beraten würden. Es kam dann, soviel ich mich erinnere, die Antwort, daß die Wahl abgesagt würde, daß Schuschnigg dem zustimmte.

In diesem Augenblick hatte ich ein intuitives Gefühl, daß jetzt die Situation ins Rutschen kam und nunmehr endlich die lang und heiß ersehnte Möglichkeit bestand, die ganze und klare Lösung durchzuführen. Und von diesem Augenblick ab muß ich die Verantwortung für das weitere, was geschah, hundertprozentig auf mich nehmen, denn es war weniger der Führer als ich selbst, der hier Tempo angegeben hat und sogar über Bedenken des Führers hinwegschreitend die Dinge zur Entwicklung gebracht hat.

Meine Telephongespräche sind ja hier verlesen worden. Ich verlangte, ohne mich mit dem Führer eigentlich noch darüber auszusprechen, spontan den sofortigen Rücktritt des Kanzlers Schuschnigg. Als auch dieser zugebilligt wurde, stellte ich die nächste Forderung, so daß nunmehr die ganze Angelegenheit zum Anschluß reif war und wie bekannt sich abspielte.

Das einzige – ich sage es nicht, weil das irgendeine Rolle für mich in der Verantwortung spielt – was ich nicht persönlich veranlaßt habe, und zwar deshalb, weil ich die Persönlichkeiten gar nicht kannte, aber es hat in den letzten Tagen seitens der Anklage eine Rolle gespielt, war folgendes:

Ich habe eine Ministerliste durchgegeben, das heißt, besser gesagt, die Mitglieder benannt, die zunächst in eine Österreichische Regierung als erwünscht von unserer Seite eintreten sollten. Ich kannte Seyß-Inquart. Es war klar von vornherein, er sollte die Bundeskanzlerschaft übernehmen. Ich habe dann Kaltenbrunner genannt für die Sicherheit. Ich kannte Kaltenbrunner nicht. Der Name war, das ist das einzige oder eins von den zwei Sachen, wo der Führer eingegriffen hatte, indem er mir einige Namen gab. Auch Fischböck – nebensächlich – Wirtschaftsministerium, gab ich durch, ohne ihn zu kennen. Den einzigen, den ich persönlich in dieses Kabinett hineinbrachte, war mein Schwager Dr. Hüber als Justizminister, aber nicht weil er mein Schwager war, denn er war bereits österreichischer Justizminister in dem Kabinett des Prälaten Seipel, gehörte nicht der Partei an damals, sondern kam von seiten der Heimwehr, und ich wollte auch von diesem Teil, mit dem wir anfangs zusammen, dann wieder gegeneinander gestanden hatten, jemand im Kabinett haben und wollte auch meinen Einfluß über diese Person gesichert haben, daß die Dinge nun tatsächlich sich weiter im Sinne des totalen Anschlusses entwickeln würden.

Es tauchten nämlich schon wieder Pläne auf, daß der Führer nur als deutsches Staatsoberhaupt gleichzeitig Staatsoberhaupt Deutsch-Österreichs werden sollte, und sonst aber eine Trennung blieb. Das sah ich alles als untragbar an. Die Stunde war gekommen. Sie mußte ausgenutzt werden.

In dem Gespräch, das ich mit dem Reichsaußenminister von Ribbentrop gehabt habe, der damals in London war, betonte ich, daß das Ultimatum nicht von uns gestellt ist, sondern von Seyß-Inquart. Das war auch absolut richtig, de jure; de facto war es natürlich von mir gestellt. Aber dieses Telephongespräch wurde ja abgehört auf englischer Seite, und ich hatte ja ein diplomatisches Gespräch zu führen, und ich habe noch nie erlebt, daß die Diplomaten in solchen Fällen dann sagen, wie es de facto war, sondern sie sagen es immer, wie es de jure ist. Und warum sollte ich hier eine mögliche Ausnahme machen. Ich forderte in diesem Telephongespräch Herrn von Ribbentrop auf, die Englische Regierung zu bitten, sie möchte Persönlichkeiten benennen, zu denen sie vollstes Vertrauen hätte, englische. Ich würde alles zur Verfügung stellen, daß diese Personen frei und an allen Stellen in Österreich herumfahren könnten, um sich davon zu überzeugen, daß das österreichische Volk in seiner gewaltigen Mehrheit diesen Anschluß wünschte und begeistert aufnahm. Es ist hier während der Behandlung der österreichischen Frage niemals davon gesprochen worden, daß ja bereits – diese Ereignisse waren am Freitag – am Sonntag vorher, in der Steiermark, einem Hauptteile der Erblande, praktisch schon ein interner Teilanschluß erfolgt war, daß dort bereits die Bevölkerung sich für den Anschluß erklärt und mehr oder weniger der Wiener Regierung die Gefolgschaft aufgesagt hat.

DR. STAHMER: Ich habe Ihnen da ein Protokoll über dieses Gespräch vorlegen lassen. Es ist von der Anklage eingereicht. Der eine Teil ist noch nicht verlesen, aber inhaltlich haben Sie es schon wiedergegeben. Möchten Sie es bitte einsehen!

GÖRING: Ja; ich lege nur Wert darauf, daß, was vielleicht in den Dokumenten besser gebracht wird, nur die Stellen verlesen werden, – ich finde sie so schnell nicht, – wo ich darauf hinweise, daß ich größten Wert darauf lege, daß die Englische Regierung Persönlichkeiten ihres Vertrauens möglichst rasch zur Feststellung des tatsächlichen Sachverhaltes nach Österreich schickt; zum zweiten, daß wir eine Abstimmung machen werden nach dem Statut der Saar- Abstimmung, und daß wir absolut, wie sie auch ausfallen würde, dies anerkennen.

Ich konnte das ja um so besser zusagen, als mir persönlich bekannt und klar war, daß eine überwältigende Mehrheit für den Anschluß stimmen würde.

Ich komme nun zum entscheidenden Teil des Einmarsches der Truppen. Das war der zweite Punkt, wo der Führer eingriff und wir nicht einer Meinung waren.

Der Führer wollte den Einmarsch auf Grund eines Wunsches der neuen, sprich von uns gewünschten Regierung Seyß-Inquart, daß sie die Truppen für innere Beruhigung anfordern sollte. Ich war dagegen; wohlverstanden nicht gegen den Einmarsch; für den Einmarsch war ich unter allen Umständen. Nur die Begründung, hier waren die Differenzen. Gewiß, es konnte an einem Punkt, nämlich Wien und Wiener- Neustadt, eventuell zu Unruhen kommen, da ein Teil der Austro-Marxisten, die schon einmal einen bewaffneten Aufstand gemacht hatten, tatsächlich bewaffnet war. Dieses aber war nicht von so entscheidender Bedeutung. Hingegen war von ausschlaggebender Bedeutung, daß sofort und in ausreichendem Maße Truppen, deutsche Truppen nach Österreich marschieren mußten, um jedem Gelüst eines Nachbarn, bei dieser Gelegenheit auch nur ein einziges österreichisches Dorf zu erben, einen Riegel vorzuschieben.

Ich gebe zu bedenken, zu dem Zeitpunkt war die Stellungnahme Mussolinis noch nicht endgültig zur österreichischen Frage gegeben, obgleich ich ihn im Jahr vorher in dieser Richtung stark bearbeitet habe. Die Italiener äugten immer noch etwas nach Ost- Tirol. Die fünf Divisionen am Brenner damals hatte ich ihnen noch nicht vergessen. Die Ungarn sprachen mir zuviel vom Burgenland. Die Jugoslawen haben einmal etwas von Kärnten erwähnt, aber ich glaube, daß ich ihnen damals klargemacht habe, daß das irrsinnig wäre.

Also um all diesen Hoffnungen ein für allemal vorzubeugen, die sich bei solchen Dingen leicht ergeben, wünschte ich ganz klar den Einmarsch der deutschen Truppen unter der Parole: Der Anschluß ist vollzogen, Österreich ein Teil Deutschlands und damit in seinem ganzen Umfang automatisch und vollkommen unter den Schutz des Deutschen Reiches und seiner Wehrmacht gestellt.

Der Führer wollte diese außenpolitische Demonstration so stark nicht betont und veranlaßte mich schließlich, doch Seyß zu veranlassen, ein solches Telegramm zu schicken. Da in dem entscheidenden Punkt »Einmarsch« Einigkeit bestand, erklärt sich dieses Telephongespräch, wo ich Seyß sagen ließ, er brauche es gar nicht abzuschicken, er solle es nur telephonisch durchgeben, dann wäre das für mich genügend. Das war der Grund. Die Zustimmung Mussolinis traf erst um halb zwölf Uhr nachts ein. Die Zustimmung ist ja bekannt, die Erleichterung für den Führer brachte. Am Abend desselben Tages, nachdem alles klar war, und der Ablauf vorauszusehen war, begab ich mich in den Flieger-Club, wo ich lange Wochen vorher schon zu einem Ball eingeladen war. Ich erwähne das, weil auch hier dieses als eine Art Täuschungsmanöver damals bezeichnet wurde. Die Einladungen hierzu waren aber herausgegangen zu einem Zeitpunkt, als noch nicht einmal – glaube ich – Berchtesgaden stattgefunden hatte. Dort traf ich fast alle Diplomaten. Ich zog mich sofort mit dem Englischen Botschafter, Sir Henderson, zurück. Ich sprach zwei Stunden mit ihm und setzte ihm alle Gründe noch einmal auseinander und legte alles klar, und sagte ihm auch, er möge mir sagen, welcher Staat, was ich nachher auch Ribbentrop sagte, in der ganzen Welt durch unsere Vereinigung geschädigt wird: Wem wir etwas wegnähmen und wem wir damit etwas zuleide tun? Es sei dies eine absolute Wiedergutmachung, denn beide Teile haben durch Jahrhunderte im Deutschen Reich zusammengehört und nur durch die politischen Konstruktionen, die spätere Monarchie und Ausscheiden Österreichs seien sie getrennt worden.

Als der Führer am nächsten Morgen nach Österreich abflog, übernahm ich, wie bekannt, die Geschäftsführung des Reiches während der Abwesenheit. Ich habe hierbei auch verboten, daß die sogenannte österreichische Legion – es handelte sich um die während der Vorzeit der Kampfperiode aus Österreich Ausgeschiedenen, weil sie belastet waren – daß sie zunächst zurückkehrten, weil ich keinerlei Unruhe haben wollte.

Zum zweiten aber habe ich auch veranlaßt, daß nördlich der Donau, also zwischen der tschechoslowakischen Grenze und der Donau, nur ein Bataillon durch die Ortschaften marschiert, so daß die Tschechoslowakei daraus klar erkennen konnte, daß es sich hier ausschließlich um eine deutsch-österreichische Angelegenheit handelte. Dieses Bataillon mußte dort marschieren, damit auch die Städte nördlich der Donau am Jubel teilnehmen konnten.

In diesem Zusammenhang möchte ich abschließend zwei Dinge noch betonen: Wenn Herr Messersmith in seinem langen Affidavit zum Ausdruck bringt, ich hätte vor diesem Anschluß mehrere Besuche in Jugoslawien und Ungarn unternommen, um beide Staaten für den Anschluß zu gewinnen, und ich hätte Jugoslawien einen Teil von Kärnten zugesagt, so fehlt mir diesen Aussagen gegenüber jedes Verständnis. Meine Besuche in Jugoslawien und in den übrigen Balkanländern galten den weiteren Verbesserungen der Beziehungen, besonders der Handelsbeziehungen, an denen mir für den Vierjahresplan sehr lag, und wenn jemals Jugoslawien auch nur ein einziges Kärtner Dorf gefordert hätte, so würde ich gesagt haben, daß ich da überhaupt nicht einmal antworten kann, denn wenn überhaupt ein Land kerndeutsch ist, war und ist, so ist dies Kärnten.

Zum zweiten: Es ist hier in der Anklage von einem Angriffskrieg gegen Österreich gesprochen. Einen Angriffskrieg führt man, wenn man schießt, Bomben wirft und so weiter. Hier wurde aber nur eins geworfen, und das waren Blumen. Aber vielleicht meint die Anklage das anders, und da könnte ich ihr zustimmen. Ich persönlich habe immer erklärt, daß ich alles tun werde, daß der Anschluß zu keiner Erschütterung des Friedens führt, daß aber auf die Dauer gesehen, wenn uns dieser für immer verweigert werden sollte, ich persönlich um dieses Ziel, daß hier diese Deutschen in ihr Vaterland zurückkommen, auch unter Umständen um Österreich, nicht gegen Österreich, einen Krieg führen könnte. Somit glaube ich, in Kürze eine Darstellung über die österreichischen Ereignisse gegeben zu haben, und ich schließe sie mit der Betonung, daß hier nicht so sehr der Führer, wie ich persönlich, die volle und ganze Verantwortung für das, was darauf geschehen ist, trage.

DR. STAHMER: An dem Abend vor dem Einmarsch der Truppen in Österreich haben Sie auch ein Gespräch mit dem Dr. Mastny, mit dem Gesandten der Tschechoslowakei gehabt. Sie sollen bei dieser Gelegenheit eine Erklärung abgegeben haben mit Ihrem Ehrenwort. Wie verhält es sich mit diesem Gespräch?

GÖRING: Ich bin besonders dankbar, daß ich nun endlich zu diesem Ehrenwort, das während der vergangenen Monate so oft vorgebracht wurde, das mich sehr belastet hat, eine klare Darstellung geben kann.

Ich erwähnte, daß an diesem Abend fast alle Diplomaten auf diesem Fest waren. Nachdem ich mit Sir Nevile Henderson gesprochen hatte, und wieder in den Saal zurücktrat, kam der Tschechoslowakische Gesandte, Dr. Mastny, außerordentlich aufgeregt auf mich zu, zitterte und fragte, was in dieser Nacht geschehe, und ob wir auch in die Tschechoslowakei einmarschieren wollten. Ich gab ihm eine kurze Darstellung und sagte: »Nein, es handelt sich ausschließlich um den Anschluß Österreichs, hat mit Ihrem Land gar nichts zu tun, besonders dann nicht, wenn Sie sich völlig aus den Dingen draußen halten.« Er dankte mir und ging scheinbar zum Telephon.

Aber schon nach kurzem kam er noch aufgeregter zurück. Ich hatte das Gefühl, daß er mich in seiner Aufregung kaum mehr richtig verstand. Ich habe ihm daraufhin in Gegenwart anderer gesagt: »Exzellenz, hören Sie jetzt gut zu. Ich gebe Ihnen mein persönliches Ehrenwort, daß es sich hier ausschließlich um den Anschluß Österreichs handelt, und daß kein deutscher Soldat sich Ihrer, der tschechoslowakischen Grenze nähern wird. Sorgen Sie dafür, daß auch seitens der Tschechoslowakei keine Mobilmachung und dadurch Erschwerung vielleicht in diesem Augenblick entsteht.« Da sagte er zu.

Ich habe ihm zu keinem Augenblick gesagt »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß wir für Zeit und Ewigkeit niemals mit der Tschechei etwas zu tun haben wollen«, sondern er verlangte nur eine Aufklärung für dieses Ereignis, für diesen Zeitpunkt, und ich habe sie ihm für diesen Zeitpunkt gegeben, denn ich hatte ja vorher schon klar zum Ausdruck gebracht, daß ich die Lösung der sudetendeutschen Frage für irgendwie und irgendwann notwendig hielt. Eine ehrenwörtliche Erklärung für eine endgültige Bindung hätte ich ihm nicht gegeben, und wäre für mich auch nicht möglich gewesen, denn ich hatte ja schon vorher eine Erklärung in anderer Richtung abgegeben. Sie war verlangt für den Augenblick, sie war verlangt im Zusammenhang mit den österreichischen Ereignissen, daß bei dieser Gelegenheit die Tschechoslowakei nicht tangiert würde, das konnte ich mit gutem Gewissen ehrenwörtlich versichern, weil zu diesem Augenblick weder bezüglich der Tschechoslowakei noch bezüglich der Lösung der Sudetenfrage irgendein Beschluß bei uns zeitlich gefaßt war.

DR. STAHMER: Am 15. März 39 hat eine Unterredung zwischen Hitler und dem Präsidenten Hacha stattgehabt. Sind Sie bei dieser Besprechung zugegen gewesen, und in welcher Form haben Sie hier mitgewirkt?

GÖRING: Es handelt sich hierbei um den Beginn der Errichtung des Protektorats in der Tschechoslowakei. Nach München, nach dem Münchener Abkommen und der Lösung der sudetendeutschen Frage war lediglich zwischen dem Führer und einigen seiner Mitarbeiter eine Festlegung militärisch dahin geschehen, daß, wenn nach dem Münchener Abkommen sich neue Schwierigkeiten, oder aus der Besetzung der Zonen ergeben würden, gewisse Vorsichtsmaßnahmen jederzeit von militärischer Seite durchführbar sein müßten, denn nach Besetzung der Zonen waren die Truppen, die für den Fall »Grün«, Anklage »großer Schmundt«, bereitgestellt worden waren, demobil gemacht. Es konnte aber eine Entwicklung eintreten, die jeden Augenblick von äußerster Gefahr für Deutschland werden konnte, denn man braucht sich nur erinnern, in welcher Form damals zum Beispiel die russische Presse, der russische Rundfunk zum Münchener Abkommen und zur Besetzung des Sudetenlands Stellung genommen hat. Schärfer konnte man kaum noch sprechen.

Eine Verbindung zwischen Prag und Moskau bestand schon vor längerer Zeit. Prag, enttäuscht durch das Münchener Abkommen, konnte nun verstärkten Anschluß nach Moskau nehmen. Solche Anzeichen sah man besonders im tschechischen Offizierskorps und wurden gemeldet. Für diesen Fall, daß sich hieraus für Deutschland Gefahrenmomente ergeben sollten, war eine Anweisung an die militärischen Dienststellen gegangen, Vorkehrungen, wie das Pflicht gewesen ist, zu treffen. Doch hat dieser Befehl mit einer Absicht, nach kurzem die Rest-Tschechoslowakei zu besetzen, nichts zu tun.

Ich selbst fuhr Ende Januar nun zum erstenmal auf einen längeren Urlaub an die Riviera, und während dieser Zeit schied ich aus all meinen Geschäften bewußt aus. Anfang März kam überraschend ein Kurier des Führers mit einem Brief an mich, in dem er mir mitteilte, daß die Entwicklung in der Tschechoslowakei eine derartige sei, daß es für ihn sträflich gehandelt wäre, würde er dieser Entwicklung weiteren Lauf lassen. Sie würde zu einer drohenden Gefahr für Deutschland, und er sei deshalb entschlossen, die Frage nunmehr so zu lösen, daß er die Tschechoslowakei als weiteren Gefahrenherd inmitten Deutschlands ausschließe und daß er deshalb zunächst an eine Besetzung denke.

In dieser Zeit war ich in San Remo sehr viel mit Engländern zusammen gewesen. Ich hatte erkannt, daß man dort nach München an sich, sich damit abgefunden hatte, und das auch befriedigend fand, aber ein weiteres Rühren an der Tschechoslowakei sehr große Erregung hervorrufen würde.

Ich gab dem Kurier einen Brief mit – vielleicht befindet er sich unter den mehreren Hundert Tonnen Papier, das die Anklagebehörde besitzt, ich würde auch verstehen, wenn sie ihn nicht vorlegt, es wäre für mich eine Entlastung. – In diesem Brief teilte ich dem Führer diesen Standpunkt mit, und schrieb ihm ungefähr dem Sinne nach: Daß, wenn jetzt dieses geschehe, das eine sehr starke Desavouierung des Englischen Premierministers Chamberlain wäre. Ich glaube kaum, daß er das durchstehen konnte, und es würde dann vielleicht Mr. Churchill kommen, und seine Einstellung zu Deutschland kenne er ja. Zum zweiten würde man das nicht verstehen, weil man gerade erst die Angelegenheit zur allgemeinen Befriedigung geklärt habe. Drittens glaubte ich, ihn beruhigen zu können in folgendem: Ich glaubte, daß das, was er jetzt durch Besetzung und Gefahrenmomente ausschalten wollte, auf etwas längerem Weg gehen könnte, unter völliger Schonung all der Momente, die sowohl die Tschechoslowakei als auch die anderen in Erregung bringen könnte; nämlich ich war davon überzeugt, daß, nachdem das Sudetenland abgetrennt war, und Österreich auch ein Bestandteil Deutschlands war, eine wirtschaftliche Durchdringung der Tschechoslowakei nur ein Problem der Zeit sein würde, das heißt, meine Hoffnung ging dahin, durch stärkste Bindung der wirtschaftlichen Interessen schließlich zu einer Verkehrs-, Zoll- und Währungsunion und zwar aus gegenseitigem gemeinsamem Interesse der Wirtschaft heraus zu gelangen. Sei dies aber der Fall, so sei auch politisch eine souveräne Tschechoslowakei so stark an Deutschland und mit Deutschland interessiert, daß ich glaubte, daß ein Gefahrenmoment dann nicht mehr auftreten könnte. Wenn aber die Slowakei die Selbständigkeitsbestrebungen in starkem Maße zum Ausdruck bringt, so brauchten wir dem ja keineswegs entgegentreten, im Gegenteil, man könne dies unterstützen; denn selbstverständlich sei dann eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft und damit Durchdringung noch sehr viel näher herangerückt, wie im umgekehrten Fall, weil, wenn die Slowakei sich trennte, dann beide Länder wirtschaftlich so stark auf Deutschland angewiesen seien, daß man beide Länder wirtschaftlich aufs engste an Deutschland interessieren und fesseln könnte.

Mit diesem Brief – ich habe ihn sinngemäß zusammengefaßt – ging der Kurier zurück.

Ich hörte dann einige Tage nichts.

VORSITZENDER: Wäre das eine günstige Zeit, einen Augenblick zu unterbrechen?