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[Pause von 10 Minuten.]

DR. STAHMER: Wollen Sie bitte fortfahren?

GÖRING: Ich wurde dann kurzfristig nach Berlin zurückgerufen. Ich traf am Morgen desselben Tages in Berlin ein, als Präsident Hacha am Abend in Berlin eingetroffen ist. Ich trug dem Führer noch einmal mündlich das Gleiche vor, was ich vorhin betonte, ich ihm geschrieben hatte. Der Führer wies mich auf Unterlagen hin, die er besaß, daß doch die Situation in der Tschechoslowakei sich ernster entwickelt habe. Einmal sei der Staat sowieso zerfallen durch die Loslösung der Slowakei. Aber das sei nicht das Entscheidende. Sodann zeigte er mir Dokumente des Nachrichtendienstes, daß sich auf den Flugplätzen oder einem Teil der Flugplätze der Tschechoslowakei russische Fliegerkommissionen befunden haben, dort Ausbildung trieben und so weiter, was nicht in Übereinstimmung mit dem Abkommen von München sei und er fürchte, daß nach wie vor die Tschechoslowakei, wenn die Slowakei weg sei besonders, als nunmehr russische Flugzeugbasis ausgenützt werde. Er sei fest entschlossen, diese Gefahr zu beseitigen. Der Präsident Hacha hätte um eine Unterredung ersucht, so sagte er mir damals, und treffe am Abend ein und er wünschte, daß ich ebenfalls in der Reichskanzlei wäre.

Präsident Hacha kam an und sprach zuerst mit dem Reichsaußenminister. In der Nacht kam er zum Führer; wir begrüßten ihn kurz; er sprach zunächst mit dem Führer allein, dann wurden wir wieder zugezogen. Dann sprach ich mit ihm in Gegenwart seines Gesandten und drang auf ihn, daß die Forderung des Führers, die Truppen mögen sich beim Einmarsch der Deutschen zurückhalten, damit kein Blutvergießen käme, raschestens durchgeführt würde. Ich sagte ihm, daß das ja doch nichts nütze, der Führer sei entschlossen, hielte es für notwendig und es könne sich nur um unnützes Blutvergießen handeln, denn Widerstand sei ja auf die Dauer in keiner Weise möglich.

Ich habe dabei auch die Äußerung getan, daß es mir leid täte, wenn ich das schöne Prag bombardieren müßte. Die Absicht, Prag zu bombardieren, bestand nicht, es war auch kein diesbezüglicher Befehl gegeben, denn selbst bei einem Widerstand wäre das nicht notwendig gewesen, der Widerstand sei jederzeit leichter ohne dieses Bombardement zu brechen. Aber ein solcher Hinweis, glaubte ich, daß er als Argument mitwirken würde, die Sache zu beschleunigen. Es gelang mir dann, zwischen ihm und seiner Regierung in Prag die Telephonverbindung heranzuschaffen, und er gab den Befehl, und es kam somit am nächsten Tag zur Besetzung und zum Einmarsch in Prag.

DR. STAHMER: Sind Sie mit dem Führer nach Prag gefahren?

GÖRING: Nein, ich bin nicht mit dem Führer nach Prag gefahren. Ich war etwas verstimmt. Ich habe die Tschechoslowakei oder Sudetendeutschland in der ganzen Zeit seit diesem Vorfall überhaupt nicht betreten, mit Ausnahme vom 21. April 1945, wo ich durch einen Teil der Tschechoslowakei kurz durchgefahren bin.

DR. STAHMER: Weshalb waren Sie verstimmt?

GÖRING: Weil die Sache etwas über meinen Kopf hinweg gemacht worden ist.

DR. STAHMER: Haben sich andere Mächte an der Besetzung der Tschechoslowakei beteiligt?

GÖRING: Ja, Polen hat das Olsa-Gebiet seinerzeit genommen.

DR. STAHMER: Es ist von der Anklagebehörde ein Dokument vorgelegt worden, aus dem gefolgert wird, daß die Ermordung des Deutschen Gesandten im Anschluß an eine deutschfeindliche Demonstration in Prag erfolgen solle. Es ist dies so dargestellt worden, als ob die Ermordung des Deutschen Gesandten vorgenommen werden sollte, um auf diese Weise einen Anlaß zu schaffen für die Annektion.

GÖRING: Dieser Fall liegt aber vor der Lösung der Sudetendeutschen Frage, und ich habe diesem Punkt sehr aufmerksam zugehört. Ich erinnere mich auch, wie die Zusammenhänge tatsächlich waren. Es wurde nicht in dem Sinne gesprochen und kann auch nicht in dem Sinn ausgelegt werden, als wollten wir unsere eigenen Gesandten ermorden oder hätten diese Möglichkeit in Betracht gezogen, um einen Anlaß zur Lösung der Frage zu haben, sondern unter den Möglichkeiten, die zu einem raschen Zusammenstoß führen konnten, war bei den Spannungen, die zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland wegen Sudetenland bestanden, auch die Möglichkeit in Betracht gezogen worden, daß tatsächlich der Deutsche Gesandte in Prag ermordet werden könnte von tschechoslowakischer Seite, und daß dies zu einem sofortigen Handeln Deutschlands unter allen Umständen und unter Außerachtlassung politischer Verhandlungen führen müßte.

Diese Möglichkeit kam aus der Situation, daß vor der Deutschen Gesandtschaft in Prag es zu außerordentlichen und nicht abstreitbaren Demonstrationen gekommen war, so daß von seiten Deutschlands der Gesandtschaft zur Verteidigung ihrer Gesandtschaft Waffen geschickt worden waren. So bedrohlich hielt man diese Situation, und aus diesen Gedankengängen heraus hat man von dieser Möglichkeit gesprochen. Das ist hier falsch verstanden. Nicht wir wollten den Gesandten als Anlaß oder Eventualanlaß ermorden, sondern wir sahen die Möglichkeit, daß dies von anderer Seite geschehen könnte, unter Umständen als gegeben an, und daraufhin würde allerdings der Führer augenblicklich gehandelt haben.

DR. STAHMER: In welchem Umfange haben Sie Beschlagnahmen in der Tschechoslowakei vorgenommen?

GÖRING: Vor dem Kriege wurde in der Tschechoslowakei keine Beschlagnahme vorgenommen in dem Sinn, daß Wirtschaftsgüter abgefahren wurden. Im Gegenteil, die große und starke Wirtschaftskapazität der Tschechoslowakei wurde in vollem Umfang in die Wirtschaftskapazität Deutschlands mit eingereiht. Das heißt vor allem, daß wir Wert darauf legten, nachdem nun mal das Protektorat erklärt worden war und damit eine Aktion abgeschlossen, daß selbstverständlich die Skoda-Werke, Brünner Waffenwerke, also sehr bedeutende Rüstungswerke, mit in das Rüstungspotential Deutschlands eingeschleust wurden. Das heißt, Aufträge und Bestellungen wurden zunächst in großem Ausmaß dorthin verlegt. Darüber hinaus wurden sogar neue Industrien errichtet und Unterstützungen in dieser Richtung gegeben.

Es ist zum Vorwurf gemacht worden, daß wir unter anderem neue Schienen dort abgebaut hätten und alte Schienen aus Deutschland dort aufmontierten. Ich glaube, daß hier ein absoluter Irrtum vorliegen muß, denn das Verkehrsnetz der Tschechoslowakei, des Protektorats, war eines der wichtigsten für Deutschland; der gesamte Südostverkehr aus dem Balkan lief durch das Protektorat einmal Richtung Wien-Prag- Dresden-Berlin, zweite Hauptlinie Wien-Lundenburg- Oderberg-Breslau. Der ganze, da der Kanal noch nicht fertig war, Verkehr überhaupt aller Wirtschaftsgüter ging ja nun nicht mehr außen herum, sondern ging den kürzesten Weg. Wir wären ja wahnsinnig gewesen, dieses Verkehrsnetz zu schwächen. Ich kann nur folgendes als Grund annehmen: daß beim Ausbau, zusätzlichen Ausbau des vorhandenen Verkehrsnetzes aus deutschen Schienenbeständen vielleicht manche Schiene mit verwandt worden ist, die nachher im Regierungsbericht als »alt« erschien; aber neue dafür abmontiert, das ist absoluter Unsinn.

Weiter war es selbstverständlich, daß, als das Sudetenland angeschlossen wurde, der Vorwurf, daß die staatlichen Domänen und Forste in den deutschen Staatsbesitz übergingen, nicht zutrifft, denn es ist ja selbstverständlich, daß mit Abtretung eines Landes der dortige Staatsbesitz auch in den Besitz des neuen Staates übergeht. Auch der Vorwurf, soweit es das Sudetenland betrifft, daß die dortigen Bankinstitute an deutsche Banken angeschlossen wurden, ist selbstverständlich nicht berechtigt, denn für dieses Land wurde ja die deutsche Währung eingeführt, folgedessen mußten auch die Filialbankinstitute darauf umgestellt werden.

Soweit es sich um das spätere Protektorat handelt, habe ich schon betont, daß bereits vor der Schaffung dieses Protektorats von meiner Seite eine starke wirtschaftliche Durchdringung der Tschechoslowakei angebahnt war und zwar dadurch, daß einerseits wir Aktien erworben hatten aus anderem Besitz, der uns Anteil an tschechischen und slowakischen Unternehmungen gab, weiter dadurch, daß, glaube ich, gewisse Darlehen von westlicher Seite, soweit ich mich erinnere, zurückgezogen und uns dafür gegeben wurden. Damit hängt auch zusammen, daß die Reichswerke Hermann Göring dort auftauchten, weil sie einen größeren Aktienbesitz der Skoda-Werke erworben hatten, um diese als verarbeitende Industrie für ihre Walzwerk- und Stahlwerkprodukte mit einzuschalten, ebenso wie andere Industrien in Deutschland. Es ist also selbstverständlich, daß, nachdem das Protektorat geschaffen worden war, die gesamte Wirtschaftskapazität des Protektorats mit in die Gesamtwirtschaftskapazität Deutschlands eingeschleust worden ist.

DR. STAHMER: Am 5. November 1937 hat in der Reichskanzlei eine Besprechung mit dem Führer stattgefunden, über die von einem Oberst Hoßbach eine Niederschrift angefertigt ist, die als Hitlers Testament bezeichnet ist. Sie ist hier wiederholt schon Gegenstand der Verhandlung gewesen und ich bitte um eine kurze Erklärung, welche Bedeutung diese Besprechung hatte? Ich lasse Ihnen dieses Dokument mal vorlegen, vielleicht, daß Sie sich es eben mal ansehen und Ihre Erinnerung danach auffrischen, Dokument 386-PS.

GÖRING: Dies Dokument ist mir hier bereits vorgelegt worden und ich kenne es ungefähr dem Inhalt nach. Dieses Dokument spielt ja in der Anklage eine bedeutende Rolle, da es unter dem Begriff »Testament des Führers« läuft: Es ist auch tatsächlich an einer Stelle dieses Wort – ich finde sie jetzt nicht so schnell – »Testament« angeführt, von Hoßbach. Zum technischen Teil der Niederschrift folgendes: Hoßbach war Adjutant des Führers, Chefadjutant. Als solcher war er bei der Sitzung zugegen und machte sich darüber Notizen. Fünf Tage später, wie ich festgestellt habe, hat er dann auf Grund dieser Notizen die Niederschrift gemacht. Es ist also eine Niederschrift, die alle Fehler auch enthält, die bei solchen durch wechselnde Stenographen nicht laufend aufgenommenen Niederschriften leicht erfolgen und die auch unter Umständen subjektive Meinungen des Betreffenden, oder Meinungen, wie er sie verstanden, wiedergibt. Es ist eine ganze Reihe von Punkten drin, das sagte ich seinerzeit schon, die absolut mit dem übereinstimmen, was der Führer wiederholt geäußert hat. Es sind andere Punkte drin, von denen ich sagen könnte, oder Formulierungen, daß sie dem Führer so gar nicht gelegen haben.

Ich habe zuviel, in den letzten Monaten, Niederschriften von Verhören und so weiter gesehen, die zum Teil gar nichts mit dem zu tun hatten oder mit dem Sinn, den man ausgeführt hatte, so daß ich auf diese Fehlerquellen auch hier voll hinweise.

Soweit das Wort »Testament« gebraucht ist, widerspricht dieses völlig der Auffassung des Führers. Denn wenn überhaupt jemand über diese Auffassung Bescheid weiß, so bin ich es.

Die Nachfolgeschaft für meine Person war nicht erst seit dem 1. September 1939 bestimmt, sondern bereits im Spätherbst 1934. Ich hatte Gelegenheit, mit dem Führer oft über ein sogenanntes politisches Testament zu sprechen. Er lehnte dies mit der Begründung ab, daß man niemals einen Nachfolger durch ein politisches Testament festlegen könnte, denn die Entwicklung und die politischen Ereignisse mußten ihm zu jeder Stunde und zu jeder Zeit völlige Handlungsfreiheit geben. Es könne wohl jemand politische Wünsche oder Auffassungen niederlegen, aber niemals bindende Formen eines Testaments. Das war damals und, solange ich überhaupt mit im Vertrauensverhältnis stand, jederzeit seine Auffassung.

Nun, was wollte er mit diesen Ausführungen hier bezwecken? Es waren zusammengerufen der Kriegsminister, der Oberbefehlshaber des Heeres, der Oberbefehlshaber der Marine, der Luftwaffe und der damalige Reichsaußenminister. Der Führer hat mich kurz vorher, weil ich früher da war, informiert, daß er diese Sitzung mache, um vor allen Dingen dem Generalobersten von Fritsch, wie er sich ausdrückte, Dampf zu machen, weil er mit der Aufrüstung des Heeres in keiner Weise zufrieden sei, und es könne auch nichts schaden, wenn Herr Blomberg dabei auch einen gewissen Nachdruck dann auf Fritsch ausüben würde.

Ich erwähnte, warum Herr von Neurath dabei sein sollte. Ja, er wolle das nicht so rein militärisch, sondern er wolle den Oberbefehlshabern – bei mir nicht notwendig –, aber gerade Fritsch klarmachen, daß die außenpolitische Lage ein derartig forciertes Tempo der Rüstung benötige, und aus diesem Grunde hätte er den Außenminister hinzugezogen, der davon nichts wußte.

Die Ausführungen waren dann so gehalten, wie sie der Führer in solchen Fällen gerne bevorzugte. Er holte weit aus, stellte die Dinge im großen politischen Rahmen hin und sprach von der gesamten Weltlage, von allen Ecken und Enden, und für jeden Eingeweihten, der ihn so genau kannte wie ich, war der Zweck sehr bald immer abzusehen. Der ging hier ganz eindeutig und ganz klar darauf hinaus, daß er große Absichten habe, daß die Lage politisch so und so sei, und das Ganze endete zum Schluß in der Richtung einer starken Rüstung. Ich möchte behaupten, daß, wenn der Führer zwei Stunden oder eine Stunde später in einem anderen Kreis gesprochen hätte, zum Beispiel zu Diplomaten des Auswärtigen Amtes oder vielleicht zu Funktionären der Partei, er die Dinge vielleicht anders, ganz anders dargestellt hätte.

Trotzdem enthält natürlich ein Teil der ganzen Ausführungen grundsätzliche Einstellungen des Führers, aber von dem Ausmaß und Bedeutung, wie heute dieses Dokument betrachtet wird, dieses Ausmaß an Bedeutung kann ich diesem Dokument mit bestem Willen nicht geben.

DR. STAHMER: Sie sprachen davon, daß Sie zum Nachfolger des Führers vorgesehen waren. Wurden Sie in dieser Eigenschaft von Hitler in alle politischen Fragen eingeweiht?

GÖRING: Ich spreche jetzt von der Zeit meines guten Verhältnisses, das noch weit in den Krieg hineinreichte. Ich wurde selbstverständlich von ihm in alle großen politischen und militärischen Fragen eingeweiht, eingeschaltet, und zwar geschah dies meist in sehr vielen und langen Besprechungen, die ich oft stundenlang, Tag für Tag mit ihm hatte, und manchmal in den außenpolitischen Fragen wurde ich allerdings überrascht, und schaltete mich dann aber möglichst selbst ein, und er äußerte sich auch mal an anderer Stelle, daß ich außenpolitisch eine sehr eigene Meinung hätte und es für ihn nicht immer leicht sei, mit mir konform zu gehen. Aber ich mochte betonen, in allen großen politischen Fragen war ich selbstverständlich eingeschaltet.

DR. STAHMER: Am 23. Mai 1939 hat eine Besprechung beim Führer stattgefunden, über die hier kürzlich auch bei der Vernehmung des Zeugen Milch gesprochen wurde. Darüber ist ebenfalls eine Niederschrift angefertigt, Dokument L-79.

Nach der Fassung des Protokolls haben Sie an dieser Sitzung teilgenommen. Der Zeuge Milch erklärte, Sie seien nicht anwesend gewesen.

GÖRING: Ich bin tatsächlich nicht anwesend gewesen. Aber..., denn der Milch ist im letzten Moment für mich rübergerufen worden... Aber selbstverständlich, wenn der Zeuge Milch aussagt, er habe keine Erlaubnis vom Führer bekommen, mich zu unterrichten, so ist das so zu verstehen, daß der Führer einen solchen Punkt mir nicht, oder solche Ausführung nicht durch meinen Staatssekretär machen lassen wollte, sondern sie mir selbst geben wollte. Auch diese Sache,... nein, ich bin bei dieser Sitzung sogar dabei gewesen. Ich sehe das jetzt erst aus einem anderen Punkt. Aber selbst, wenn ich nicht dabei gewesen wäre, Milch muß da eine andere Sitzung noch im Auge haben, würde das gar keine Rolle spielen, denn es ist ausgeschlossen, daß der Führer mit solchen Herren eine Besprechung abhält und sie mir nicht vorher oder nachher mitteilt, wenn ich nicht dabei gewesen sein sollte. Das spielt also gar keine Rolle. Es ist ganz selbstverständlich, daß mir in solchen Fällen entweder schon vorher oder, wenn ich nicht dabei war, hinterher vom Führer ausführlich darüber gesagt worden wäre. Aber ich ersehe, daß sich Milch hier geirrt hat und eine andere Sitzung meint, denn ich habe ja zum Schluß noch bezüglich der Rüstungsprogramme Fragen gestellt, und an die erinnere ich mich ganz genau.

DR. STAHMER: Welche Bedeutung hatte diese Besprechung?

GÖRING: Es war eine Besprechung, die der Führer abgehalten hat, wo er wiederum seine Ausführungen machte über die Darstellung der Lage und der Stellung der sich aus dieser Lage für die Wehrmacht ergebenden Aufgaben. Und auch hier wieder kam es in erster Linie darauf an, die Wehrmacht rüstungsmäßig und bereitstellungsmäßig darauf hinzuweisen, daß er mit allen möglichen politischen Entwicklungen rechnet und sich selbst damit volle Freiheit der Entschließungen seinerseits vorbehalten wollte.

Es ist zum Teil rückschauend über die Ereignisse, die sich bis dahin abgespielt haben –, und ich brauche nicht zu betonen, wie leicht man Dinge, die man rückschauend betrachtet, in einem anderen Licht der Entwicklung und des Ablaufes sieht und auch darstellt, als wie sie vorher tatsächlich de facto gewesen sind. Ich kann leicht hinterher sagen, ich habe damals schon das gewollt und dies gewollt, jenes gewollt, weil ich es mittlerweile erreicht habe, und kann auch sagen, es ist dies unwillkürlich naheliegend, daß dies immer meine Absicht gewesen sei, während man genau weiß, daß es vorher doch sehr von andern Faktoren abgehangen hat, ob es so werden würde, und daß damals die Absichten noch ganz anders, unter Umständen, gewesen sind.

Im allgemeinen ist es auch hier wieder so, daß Fehler der nicht richtigen Auffassung des Adjutanten unterlaufen sind, daß im großen ganzen aber das eine jener typischen Besprechungen ist, wie sie der Führer gehalten hat, wenn er irgendeinen ganz bestimmten Zweck erreichen wollte und diesem Zweck den notwendigen Nachdruck zu geben die Absicht hatte.

DR. STAHMER: In der Zeit von 1935 bis 1938 haben Sie wiederholt Staatsbesuche in Polen gemacht? Zu welchem Zweck erfolgten diese Besuche?

GÖRING: Nach der Klärung des Verhältnisses Deutschland-Polen 1934 wünschte der Führer eine Untermauerung dieses damaligen Abkommens und die Schaffung einer persönlich besseren Atmosphäre. Er bat mich, diese Aufgabe zu übernehmen, und zwar deshalb, weil er glaubte, daß ich mit den polnischen Herren leicht ins Gespräch kommen könnte, was auch der Fall war. Der Staatspräsident hatte mich eingeladen, das war 1935, und von da ab 1935, 1936, 1937 war ich jedes Jahr ein bis zwei Wochen in Polen. Ich hatte eine lange Unterredung mit dem damaligen Marschall Pilsudski und später stets mit dem Außenminister und Marschall Rydz-Smygly.

Der Führer hatte damals mir als ernsten Auftrag, nicht als Täuschungsauftrag, gegeben, neben einer fortlaufenden Besserung der Beziehungen Polen zu sagen, daß er an einem starken Polen interessiert sei, und zwar deshalb, weil ein starkes Polen zwischen Deutschland und Rußland eine gute Barriere darstellen würde. Die Lösung der Danzig- und Korridorfrage hat der Führer mir gegenüber auch damals betont, daß die bei Gelegenheit kommen würde, oder daß eben bis dahin sich irgendeine Gelegenheit geben würde, mit Polen hierbei zu einer Absprache zu kommen. Es spielte das litauische Problem da hinein und jedenfalls, das ist das Entscheidende: er hat nicht gesagt: »Lullen Sie Polen ein, ich beabsichtige, dann über Polen herzufallen«; wie überhaupt es nicht so war, daß von Anfang an – wie hier manchmal dargestellt wurde – wir zusammensaßen und verschwörend nun für die ganzen nächsten Jahrzehnte diesen Punkt dieser Absichten festlegten, sondern es ergab sich das Ganze aus dem Spiel der politischen Kräfte, der Interessen, wie das überall in der ganzen Welt in der Staatspolitik immer gewesen ist. Ich hatte diesen Auftrag und habe bewußt diesen Auftrag ernst genommen und ehrlichen Glaubens durchgeführt. Es war für mich deshalb, als es nachher zum Zusammenstoß mit Polen kam, eine nicht sehr erfreuliche Situation.

DR. STAHMER: Wie war Ihre Stellung zu der Frage Memel, Danzig, Polnischer Korridor?

GÖRING: Diese meine Stellung war immer eindeutig und klar, daß Danzig und der Freistaat als rein deutsches Gebiet in irgendeinem absehbaren Zeitpunkt wieder zu Deutschland zurück sollten. Andererseits wurde von uns durchaus anerkannt, daß Polen einen Zugang zum Meer haben müsse und auch einen Hafen und es war deshalb der erste Gedanke der: Danzig und den Freistaat zurück und durch den polnischen Korridor einen deutschen Verkehrskorridor. Das war die mindeste und bescheidenste Forderung, die lange Zeit als die absolut notwendige gelaufen ist, und sie erschien uns auch durchaus tragbar.

DR. STAHMER: Eine weitere Besprechung bei dem Führer hat am 23. November 1939 stattgefunden. Das Protokoll über diese Besprechung ist als Dokument 789-PS dem Gerichtshof vorgelegt. Bitte in dieses Dokument Einsicht zu nehmen und mir dann kurz anzugeben, wie Sie sich zu dem Inhalt dieser Besprechung stellen.

GÖRING: Hierzu kann ich mich verhältnismäßig kurz fassen. Es ist eine Ansprache an die Oberbefehlshaber und an die Befehlshaber jener Formationen und Armeen, die für den Westangriff nach der Erledigung Polens bereitgestellt wurden. Es ist ja ganz selbstverständlich und bedarf wohl keiner Erörterung, daß, wenn ein Oberster Befehlshaber einer Wehrmacht, der diese Wehrmacht selbst aktiv führt, sich entschließt, eine strategische oder umfangreich taktische Operation zu unternehmen, das heißt wie in diesem Falle nach Beendigung des Polenfeldzuges wollte der Führer ja unter allen Umständen, was absolut richtig war, noch im Herbst, im Spätherbst, die Truppen herumwerfen und den Stoß nach Frankreich durchführen, um noch im Herbst und Winter 1939 zum Abschluß dieser Operation zu kommen. Was ihn daran gehindert hat, war das Wetter. Weil er ohne Einsatz der Luftwaffe diese Operation, besonders Durchstoß auch durch die Maginot-Linie bei Sedan, nicht ausführen konnte, und das Wetter brauchte er mindestens vier bis fünf Tage bei Angriffsbeginn sogenanntes Flugwetter. Nur weil dies ihm Woche um Woche nicht zugesagt werden konnte, kam die Sache in den Winter hinein und wurde schließlich nach Weihnachten oder Neujahr auf Beginn des Frühjahrs verschoben.

Hier war aber der Zeitpunkt so, daß er glaubte, noch antreten zu können. Er nahm also die Oberbefehlshaber zusammen, denen er die Angriffsdispositionen klar bekanntgab. Es war eine seiner Ansprachen in diesem Falle, wie sie üblich war, und selbstverständlich, da der Führer ja nicht nur reiner Militär war, sondern in erster Linie Politiker, so kam es immer wieder, daß er diese militärischen Ansprachen, die vielleicht ein reiner Soldat ausschließlich auf das Militärisch-Strategische beschränkt haben würde, immer mit seinen politischen Grundanschauungen oder politischen Tendenzen oder Absichten sehr stark vermischte.

Man darf nie vergessen, daß bei diesen Ansprachen nicht allein der Oberbefehlshaber oder Oberste Befehlshaber der Wehrmacht sprach, sondern das Staatsoberhaupt, der Staatsmann Deutschlands sprach hier, und dadurch lag so häufig, auch bei militärischen Ansprachen, ein außerordentliches politisches Moment in diesen Ansprachen.

Hier wurde aber kein General etwa nun um seine Meinung gefragt, ob er die Grundtendenzen der Politik für richtig oder für nicht richtig hielt. Hier bei diesen Ansprachen wurde nicht einmal gefragt, ob er den militärischen Ansatz für richtig oder nicht richtig hielt; das geschah zu anderem Zeitpunkt. Wenn nun eine Sache abgeschlossen war, daß er mit den einzelnen Befehlshabern das rein Strategisch-Taktische durchexerziert hatte, dann kam noch eine Zusammenfassung, noch politisch stark ausgebaut, zum Vortrag, was den Generalen nur noch große, letzte, abschließende Gedanken des Führers geben sollte. Wenn nun, ich betone dies, weil so häufig dies hier eine Rolle gespielt hat, ein General hätte sagen können: »Mein Führer, ich halte Ihre Ausführungen für nicht ganz richtig, sie stimmen nicht mit unseren abgeschlossenen Verträgen überein« oder: »Es ist dies keine Politik, die wir billigen können«, dann wäre das unverständlich gewesen und nicht aus dem Grunde, weil dieser betreffende General deshalb nun erschossen worden wäre; ich hätte am Verstand dieses Generals gezweifelt, denn wie kann man sich vorstellen, daß überhaupt ein Staat geführt wird, wenn in einem Krieg oder vor einem Krieg sich die politische Leitung dazu entschlossen hat, sei es zu Recht oder Unrecht, und nun der einzelne General abstimmen könnte: »Ich mache mit« oder: »Ich mache nicht mit, mein Armeekorps bleibt zu Hause, ich muß aber erst meine Division fragen; vielleicht geht die eine dann mit, bleibt nur die andere zu Hause«. Dieses Recht muß ich dann letzten Endes auch dem kleinen Soldaten zubilligen. Vielleicht wäre dies der Weg, in Zukunft Kriege zu vermeiden, wenn man jeden Soldaten fragt, ob er nach Hause gehen will. Gut, möglich, aber nicht im Führerstaat, das möchte ich betonen. In jedem Staat der Welt existiert militärisch eine ganz klare Formulierung. Ist Krieg, oder entschließt sich die Staatsführung zum Krieg, so bekommt die militärische Leitung ihre militärischen Aufgaben. Dazu kann sie Stellung nehmen, da kann sie Vorschläge machen, ob sie den Angriff auf dem rechten oder linken Flügel vorantreiben will oder in der Mitte durchstoßen will; alles andere, ob hierbei durch ein neutrales Land marschiert wird oder nicht, geht die militärische Führung nichts an. Das hat ausschließlich die politische Staatsführung zu verantworten, und so auch hier konnte gar keine Möglichkeit bestehen, daß hier ein allgemeines Gespräch über Recht oder Unrecht sich daran anschließen konnte, sondern die Generale hatten ihre Befehle vorher bekommen. Der Oberste Kriegsherr hatte entschieden, und darüber war nicht mehr zu diskutieren für einen Soldaten. Sowohl für einen Feldmarschall wie für einen gewöhnlichen Soldaten gilt hier das gleiche.

DR. STAHMER: Ein Führererlaß vom 7. Oktober 1939 trägt Ihre Unterschrift. In diesem Erlaß wird Himmler der Auftrag gegeben zur Germanisierung. Der Erlaß ist als Dokument 686-PS vorgelegt. Nehmen Sie bitte Einsicht und sagen Sie mir, welche Bedeutung dieser Erlaß hatte.