HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Verhandlungspause bis 15.35 Uhr.]

VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! Sie wollen Ihr Kreuzverhör nunmehr fortsetzen, nicht wahr?

JUSTICE JACKSON: Da die Aussagen Görings unterbrochen wurden, um Dahlerus zu vernehmen, mit der Begründung, daß dessen Aussagen eine Änderung in Görings Verhör herbeiführen könnten, habe ich angenommen, daß Dr. Stahmer das Verhör des Zeugen Dahlerus zu Ende führen würde, bevor ich mein Kreuzverhör abschließe.

VORSITZENDER: Ich bitte Sie um Entschuldigung, jawohl. Dr. Stahmer, wünschen Sie an den Angeklagten Göring im Zusammenhang mit den Aussagen des Zeugen Dahlerus Fragen zu stellen?

DR. STAHMER: Diese Frage kann ich erst an ihn richten, nachdem ich mit ihm gesprochen habe. Ich halte es daher für zweckmäßig, daß Herr Jackson zunächst sein Kreuzverhör weiter fortsetzt und ich im Anschluß an dieses Kreuzverhör auch diese Frage gleich mit erledige.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie in der Lage sein sollten, jetzt fortzufahren. Sie waren es, der zwecks Vernehmung des Zeugen Dahlerus um Unterbrechung ersucht hat, und Dahlerus war Ihr Zeuge und nicht Zeuge der Anklagebehörde. Aus diesem Grund ist anzunehmen, daß Sie vorher wußten, was Dahlerus aussagen würde.

DR. STAHMER: Ich bitte, mir dann Gelegenheit zu geben, die Sachlage mit dem Angeklagten besprechen zu können.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hatte gerade eine Pause von zehn Minuten eingeschaltet.

DR. STAHMER: In dieser kurzen Zeit wurde die Frage nicht erledigt.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie diese Fragen jetzt stellen und mit der Vernehmung fortfahren müssen. Falls Sie den Angeklagten Göring über diese Fragen vernehmen wollen, müssen Sie das jetzt tun.

DR. STAHMER: Jawohl.

[Zum Angeklagten Göring im Zeugenstand gewandt:]

Es wurde vorhin eine Karte erwähnt, die von Ihnen gezeichnet sein soll, und die auch in dem Buch des Herrn Dahlerus, dessen Richtigkeit er ja heute Morgen auf meine Frage bestätigt hat, enthalten ist.

Ich lasse Ihnen diese Karte, die sich auf Seite 53 seines Buches befindet, vorlegen, und bitte zu dieser Karte um Ihre Erklärung.

GÖRING: In der Besprechung, die in der Nacht vom 29. auf den 30. August zwischen Dahlerus und mir, ich glaube es war beim Führer, stattgefunden hat, habe ich aus einem Atlas spontan eine Karte herausgerissen und habe mit Grünstift und, glaube ich, Rot- oder Blaustift die Gebiete angezeichnet, nicht die wir verlangen würden, wie das vorhin hier von der Anklage ausgelegt wurde, sondern die Gebiete Polens, in denen Deutsche wohnen. Daß auch der Zeuge Dahlerus dieser Auffassung war, geht am klarsten daraus hervor, daß er auf einer Karte daneben dieselben Bezeichnungen wiederholt und dann folgendes schreibt:

Neben dem ersten gestrichelten Teil: »Deutsche Bevölkerung nach Göring« und bei dem zweiten punktierten Teil: »Polnische Bevölkerung nach Göring«.

Er schreibt dann weiter und zieht Grenzen: »Görings erster Grenzvorschlag« – der stimmt überein mit der Einzeichnung polnische Bevölkerung und deutsche Bevölkerung –, das war kein Grenzvorschlag, sondern das war die Auseinanderhaltung – und schreibt dann »Hitlers Vorschlag«, das ist der endgültige, der richtige und einzig übermittelte Vorschlag, der der Polnischen wie der Englischen Regierung zugestellt worden ist. Wenn man meine Karte vergleicht, so sieht man, daß hier ganz spontan in aller Schnelligkeit in Zweifarbenstift nur eine ganz oberflächliche Festlegung der ungefähren Bevölkerungsgebiete gegeben ist, nämlich in dem einen, wo sich in der Hauptsache die Deutschen aufhalten, und in dem anderen, wo ausschließlich Polen sind. Mitgegeben wurde Herrn Dahlerus von Annang an nur der Grenzvorschlag in großen Zügen, der nachher präzisiert wurde, und um den allein geht es; und das war auch derjenige, der veröffentlicht worden ist, der dem Botschafter Henderson vorgelesen wurde und den, weil er ihn nicht aufgefaßt und verstanden hat, ich in der Nacht durch Dahlerus an die Botschaft habe telephonieren und am nächsten Tag überprüfen lassen.

DR. STAHMER: Wollen Sie den letzten Satz nochmals wiederholen, das ist nicht durchgekommen.

GÖRING: Ich sage: der hier auf Hitlers Vorschlag eingezeichnete Verlauf des Korridors war der offizielle Vorschlag, den der Führer, der ja allein berechtigt war, endgültige Vorschläge zu machen, ausgearbeitet hat. Dieser Vorschlag ist es auch, der dem Botschafter Henderson verlesen wurde, und da er ihn nicht aufgefaßt hatte, wurde von mir in der Nacht dem Dahlerus diese, dem Botschafter Henderson vorgelesene Note überreicht, damit er sie durchdiktieren könnte und ich sicher war, daß der Englische Botschafter ihren ganzen Umfang kennen lernte. Dieses war, wie ich schon ausgeführt habe, tatsächlich ein außerordentliches Risiko, da der Führer die Auslieferung zunächst verboten hatte und, wie ich schon betonte, nur ich sie durchführen konnte oder nur ich dieses Risiko übernehmen konnte. Im übrigen aber, was meine Striche anbelangt, so geben sie klar und eindeutig auf der Karte an: »deutsche Bevölkerung nach Göring – polnische Bevölkerung nach Göring«. Das war aber ganz approximativ, schnell in der Nacht, auf einer herausgerissenen Atlaskarte eingezeichnet – nur für ihn zu seiner Orientierung.

DR. STAHMER: Herr Dahlerus hat gesagt, Sie hätten ihn am 23. August angerufen und ihn um sein sofortiges Kommen nach Berlin gebeten, weil die Lage inzwischen bedrohlich geworden sei. Worin sahen Sie die veränderte bedrohliche Lage?

GÖRING: Durch die Ausführungen des Führers an jenem 22. August auf dem Obersalzberg war es für mich klar, daß die Spannung auf das äußerste gestiegen war; der Führer hatte ausgeführt, daß er eine Lösung der Frage, wenn dies nicht diplomatisch möglich sei, nunmehr herbeiführen müßte. Ich habe mich damals, weil es eine reine Ansprache – ohne Diskussion – vor den höheren Offizieren der für den Fall eines Krieges in Frage kommenden Formationen war, als rangältester anwesender Offizier darauf beschränkt, zum Führer zum Schluß zu Sagen: »Die Wehrmacht wird ihre Pflicht tun. Ganz selbstverständlich; wenn sie aufgerufen wird, hat sie ihre Pflicht zu tun.« Gleichzeitig aber wollte ich die äußersten Anstrengungen machen, um in kürzester Frist – es handelte sich zunächst um Tage – ein bestimmtes Datum, der 25. oder 26., der zuerst vorgesehen war, wurde an diesem Tag noch nicht genannt, nunmehr noch einen Anlauf machen, um zu einer Verhandlung zu kommen und dem Führer sagen zu können, wenn eine solch erfolgreiche Verhandlung in Gang käme, daß hier noch Aussichten und Chancen einer diplomatisch-politischen Lösung bestehen würden.

Deshalb der zeitliche Zusammenhang am 22. nachmittags: die Ansprache des Führers und meine sofortige Reaktion, Dahlerus aus Stockholm heranzuholen. Ich habe ihm selbstverständlich nicht gesagt, und das konnte ich auch als Deutscher einem Ausländer ja nicht sagen – und schon ganz und gar nicht als Offizier –, daß der Grund für mich in diesen eben ausgeführten Gründen lag. Man stellt ja die Dinge jetzt so dar, als ob es in Deutschland einen Begriff, wie »militärische geheime Dienstsache«, oder »Geheime Kommandosache«, oder »Geheime Reichssache« in der deutschen Politik und im deutschen militärischen Leben gar nicht hätte geben dürfen; als ob wir verpflichtet gewesen seien, jeden militärischen und politischen Schritt immer vorher vielleicht der Auslandspresse bekanntzugeben. Ich verweise darauf, daß wir selbstverständlich hier dieselben Umgangsformen gehabt haben, wie sie in jedem anderen Land der Welt ihre Geltung besitzen.

DR. STAHMER: Wie kam es, daß Sie sich persönlich einschalteten und nicht die Verhandlungen über das Auswärtige Amt geführt wurden?

GÖRING: Mir war daran gelegen, soweit es irgend möglich sein könnte, auch diese Frage auf friedlichem Wege zu lösen. Die Arbeit des Auswärtigen Amtes ist eine offizielle. Hier wurde sowieso gearbeitet und zwar nach den Richtlinien des Führers. Meinen Einfluß konnte ich ja nur auf einem möglichst unmittelbaren und nicht ausgesprochen offiziellen Wege durchführen; denn für den offiziellen Weg hatte ich ja dem Ausland gegenüber nicht die offizielle Stellung eines Außenministers. Und ich war mir in diesem Augenblick klar darüber, daß es hier nicht auf Formalitäten ankommt, sondern auf die praktischste und rascheste Möglichkeit, irgend etwas zu erreichen. – Wollte ich aber auf den Führer einwirken, so war mir das nur möglich, wenn ich etwas in der Hand hatte, das heißt, ihm sagen konnte: »Ich führe hier, ohne Sie und Ihre Reichspolitik festzulegen, auf eigene Verantwortung, aber doch mit Ihrer Kenntnis Verhandlungen, um unter Umständen hier eine Atmosphäre zu schaffen, die dann die offiziellen Verhandlungen in der Richtung einer friedlichen Lösung erleichtern kann.« Außerdem geht das rascher.

DR. STAHMER: War es auch der Englischen Regierung klar, daß es sich um einen persönlichen Schritt von Ihnen handelte, der neben den offiziellen diplomatischen Verhandlungen lief?

GÖRING: Es mußte ihr aus der ganzen Aktion klar sein, daß es sich hier um einen inoffiziellen Weg gehandelt hat, der nur an ein oder zwei Stellen mit den offiziellen Verhandlungen gekoppelt wurde beziehungsweise sich überschnitt. Nämlich einmal die Phase, wo der Botschafter Henderson, statt sofort nach Berlin zurückzukehren, ein oder zwei Tage in London zurückblieb, um durch den inoffiziellen Unterhändler Dahlerus zuerst das Terrain für diese Absichten oder für die Verhandlungen oder die Note, wie ich es nennen will, der Englischen Regierung zu klären, und als das geschehen war, war die Vorbereitung für die Aufnahme dieser Besprechungen eine sehr viel bessere. Und daß an diesem Tage nicht nur ich der ehrlichen Überzeugung war, daß ein erheblicher Schritt zu diesem Zeitpunkt – ich glaube, es war der 28. – in Richtung auf eine friedliche Lösung getan worden war, geht daraus hervor, daß dieselbe Auffassung in diesem Augenblick auf seiten der Englischen Botschaft geherrscht hat, wie der Botschaftsrat, Sir Ogilvy Forbes, dies ganz klar zum Ausdruck brachte. Die Verschlechterung trat erst wieder am 29. ein.

Bei diesen ganzen Verhandlungen hat es sich nicht darum gehandelt, von meiner Seite aus Polen zu isolieren und England draußen zu halten, sondern es hat sich darum gehandelt, nachdem nun die Frage Korridor und Danzig auf der Plattform war, sie möglichst wieder im Sinne einer Münchener Lösung friedlich zu erledigen. Das war mein Bestreben bis zum letzten Augenblick. Wenn es sich nur um eine Ausschaltung Englands gehandelt haben würde, dann hätte erstens die englische Diplomatie das sofort erkennen müssen, dazu ist sie ja geschult genug. Sie ist aber auf diese Verhandlungen eingegangen. Und zweitens hätte ich dann voraussichtlich eine total andere Taktik angewendet.

Es ist nicht so, daß ich jetzt rückschauend Dinge konstruiere, sondern ich sage das, was damals tatsächlich in diesem Augenblick geschah, gedacht und von mir gewollt war. Die Darstellungen des Zeugen Dahlerus in seinem Buche und heute über seine Besprechungen mit dem Führer, sie haben sich keineswegs so abgespielt; sie sind etwas subjektiv aufgefaßt; denn der Führer hätte sich eine solche Unterhaltung voraussichtlich nicht lange angehört.

Es sind auch andere subjektive Auffassungen, die vielleicht nur ganz unwesentlich sind, aber die hier von dem Anklagevertreter Sir David Maxwell-Fyfe vorgebracht aus dem Buch verlesen wurden, nämlich daß ich zwei Mitarbeitern in theatralischer Weise zwei Schwerter überreicht hätte, damit sie damit kühne Taten vollführen sollten. Der eine, der angeblich dieses Kriegsschwert von mir umgürtet bekam, war mein ziviler Staatssekretär Körner, kein Soldat. Dem hätte ich höchstens eine Feder geben können, denn er mußte die Vierjahresplanverordnung durchführen. Der zweite war der Chef meines Stabsamtes, ein Ministerialdirektor, der ebenfalls kein Soldat war und keine kriegerischen Lorbeeren ernten sollte, sondern dessen Hauptaufgaben während des Krieges ausschließlich darin bestanden, meinen zivilen Stab, nicht den militärischen, in Ordnung zu halten und das Funktionieren und den Ablauf dieser Arbeiten sicherzustellen. Für beide Angelegenheiten brauchten die Herren weder ein Schwert, noch die Aufmunterung, sich kriegerisch zu betätigen.

DR. STAHMER: Ist es richtig, daß zunächst vorgesehen war, den Angriff gegen Polen am 26. August zu eröffnen, und daß dieser Termin dann herausgeschoben wurde?

GÖRING: Es war vorgesehen, daß, wenn bis zu diesem Zeitpunkt – es liefen ja vorher schon Verhandlungen offizieller Art, das darf nicht vergessen werden – diese Verhandlungen nicht zu einer Klärung der Lage führten, infolge der ebenfalls stattgefundenen Generalmobilmachung Polens und seines Aufmarsches und infolge tatsächlich vorgekommener außerordentlich schwerer Grenzzwischenfälle – ich erinnere an den Blutsonntag von Bromberg, ich erinnere an die über 70000 geflohenen Deutschen und die erschlagenen Deutschen –, daß also zu diesem Zeitpunkt die Atmosphäre so war, daß der Führer eine Lösung auf kriegerischem Wege hätte herbeiführen wollen. Es kam dann zu diesem Aufschub gerade, weil man glaubte, doch noch eine diplomatische Lösung finden zu können, und es war deshalb für mich selbstverständlich, meinen bisher schon beschrittenen inoffiziellen Weg in meinen bisherigen Bemühungen unter äußerster Anspannung und Intensivierung zu gehen und durchzuführen; und daraus erklären sich die in diesen Tagen so häufig wechselnden Besprechungen von Dahlerus in London wie in Berlin und das häufige Hin- und Herfliegen.

Als dann der letzte Versuch von mir noch vorgeschlagen wurde, am 3. September, war folgende Grundlage gegeben, die auch vorhin nicht ganz korrekt wiedergegeben worden ist. Die Englische Regierung hat nach dem 1. September zunächst kein Ultimatum geschickt, sondern eine Note, in der sie gefordert hat, daß die Zurückziehung...

VORSITZENDER: Ich bitte den Dolmetscher, dem Gericht zu sagen, welches die letzte Frage war, die die Verteidigung gestellt hat. Vielleicht erinnert sich der Dolmetscher nicht daran. – Weiß der Stenograph, welche die letzte Frage war?