[Das Gericht vertagt sich bis
20. März 1946, 10.00 Uhr.]
Sechsundachtzigster Tag.
Mittwoch, 20. März 1946.
Vormittagssitzung.
JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Die letzte Frage, die ich gestern Abend in Bezug auf die Vorbereitungen zur Mobilmachung im Rheinland stellte, lautete, wie aus dem amtlichen Protokoll zu ersehen ist, folgendermaßen: »Aber sie waren solcher Art, daß sie absolut dem Ausland gegenüber geheimgehalten werden mußten?« Und die Antwort lautete: »Ich glaube mich nicht zu erinnern, die Veröffentlichung der Mobilmachungsvorbereitungen der Vereinigten Staaten jemals vorher gelesen zu haben.«
Als Vertreter der Vereinigten Staaten stehe ich vor der Wahl, diese Bemerkung entweder zu ignorieren und sie als einen Beweis dafür anzusehen, daß diese Leute unser System nicht verstehen, oder aber unter großem Zeitverlust die Unrichtigkeit der Bemerkung darzulegen oder sie zu widerlegen. Die Schwierigkeit, Herr Vorsitzender, liegt in folgendem: Wenn es dem Zeugen erlaubt ist, von sich aus Erklärungen im Kreuzverhör abzugeben, besteht keine Möglichkeit, Einspruch dagegen zu erheben, bevor diese Erklärungen nicht in das Protokoll aufgenommen werden. Wenn natürlich eine derartige Antwort durch eine Frage des Verteidigers veranlaßt worden wäre, was, wie ich mir zu bemerken gestatte, das ordnungsgemäße Verfahren gewesen wäre, hätte man Einspruch erhoben. Der Gerichtshof wäre in der Lage gewesen, seine Pflicht gemäß den Statuten zu erfüllen, und ich hätte die Verhandlung abkürzen können, da dann diese Bemerkung überhaupt nicht gemacht worden wäre.
Artikel 18 des Statuts sieht vor, daß der Gerichtshof unerhebliche Fragen und Erklärungen irgendwelcher Art ablehnen kann. Einer solchen Frage sehen wir uns hier gegenübergestellt. Wir können diese Pflichten nicht erfüllen, wenn der Angeklagte von sich aus immer solche Erklärungen abgibt, ohne daß entsprechende Fragen gestellt worden sind. Ich gestatte mir folgendes vorzubringen: Wenn der Gerichtshof dem Angeklagten weiterhin ermöglicht, selbst derartige Fragen zu stellen, wird die Kontrolle der Prozeßführung in die Hände des Angeklagten gelegt und den Vereinigten Staaten das im Statut verbürgte Recht des Kreuzverhörs im wesentlichen abgesprochen. Denn ein Kreuzverhör kann in dieser Art des Verfahrens nicht wirksam durchgeführt werden. Da wir nicht voraussehen können, können wir nicht...
VORSITZENDER: Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß jede Bemerkung über Geheimhaltung der Mobilisierung in den Vereinigten Staaten vollkommen unerheblich ist, und daß diese Antwort nicht hätte gegeben werden sollen. Aber die einzige Vorschrift, die der Gerichtshof als allgemeine Regel festsetzen kann, ist die bereits festgelegte Regel, daß der Zeuge, wenn irgend möglich, mit Ja oder Nein antworten soll, und daß er, erst wenn er die Fragen auf diese Art und Weise direkt beantwortet hat, vielleicht noch notwendige Erklärungen abgeben kann. Derartige Erklärungen sollen kurz sein und keine Reden darstellen. Was nun diese Antwort betrifft, so ist sie meiner Meinung nach vollkommen unerheblich.
JUSTICE JACKSON: Ich muß mich natürlich den Vorschriften des Gerichtshofs fügen. Ich entsinne mich genau der Ermahnung des Gerichtshofs, daß mit Ja oder Nein geantwortet werden soll. Dieser Zeuge hat natürlich nicht im geringsten darauf geachtet. Ich kann ihm auch daraus keinen Vorwurf machen; er vertritt seine eigenen Interessen. Aber wir haben keine Möglichkeit, dem zuvorzukommen. Wir finden diese Erklärung im Protokoll, denn, wenn diese nicht verlangten Aussagen gemacht werden, erscheinen sie auch im Protokoll, bevor der Gerichtshof eine Entscheidung treffen kann. Ich habe dann auch keine Gelegenheit, Einwände zu erheben, und der Gerichtshof kann über sie nicht entscheiden. Er legt also, wie ich schon erwähnte, die Kontrolle der Prozeßführung in die Hände des Angeklagten, wenn dieser als erster Behauptungen aufstellt und es dann uns überläßt, sie zu ignorieren, oder durch ein langes Kreuzverhör zu widerlegen. Ich bin der Meinung, daß dieser besondere Vorwurf, der jetzt vom Zeugenstand aus gegen die Vereinigten Staaten erhoben worden ist, einen derartigen Fall darstellt.
Sie, Herr Vorsitzender, teilen jetzt der Amerikanischen Anklagevertretung mit, daß dies eine unpassende Antwort ist. Sie steht aber im Protokoll, und wir müssen auf sie eingehen. Ich gestatte mir...
VORSITZENDER: Welchen Einwand erheben Sie jetzt? Wollen Sie den Gerichtshof bitten, die Antwort aus dem Protokoll zu streichen?
JUSTICE JACKSON: Nein, in einem Prozeß dieser Art, in dem Propaganda eines der Ziele des Angeklagten ist, nützt eine Streichung nichts, nachdem die Antwort gegeben wurde, und Göring weiß das so gut wie ich. Es wurde gegen die Vereinigten Staaten eine Anschuldigung vorgebracht und in das Protokoll aufgenommen. Ich beantrage nun, daß der Zeuge angewiesen wird, auf meine Fragen, wenn eine Antwort nötig ist, mit Ja oder Nein zu antworten. Ferner sollen die Erklärungen durch seinen Anwalt so vorgebracht werden, daß wir, falls sie unerheblich sind, imstande sind, Einwände geltend zu machen, und eine Entscheidung des Gerichtshofs herbeigeführt werden kann, und dieser somit sein Recht, unerhebliche Probleme und Erklärungen aller Art abzulehnen, auszuüben vermag. Wir können diesen Prozeß nicht zu einem kleinlichen Streit zwischen Anklagevertretung und Zeugen ausarten lassen. Die Vereinigten Staaten erwarten von mir etwas anderes. Ich erlaube mir, vorzuschlagen, daß, wenn er irgendwie Einwendungen erheben kann...
VORSITZENDER: Wollen Sie dem Gerichtshof vorschlagen, daß der Zeuge jede Frage mit Ja oder Nein zu beantworten und dann zu warten hat, bis er nochmal verhört wird, bevor er überhaupt irgendwelche Erklärungen abgeben kann?
JUSTICE JACKSON: Ich glaube, das entspricht den Regeln des Kreuzverhörs unter gewöhnlichen Verhältnissen. Der Zeuge muß, wenn es die Frage zuläßt, antworten. Wenn erhebliche Erklärungen abzugeben sind, müssen diese bis zu einem späteren Zeitpunkt zurückgestellt werden.
Lassen Sie mich nun auf das besondere Problem zurückkommen, das heute Morgen hier behandelt wurde. Es ist eine Antwort gegeben worden, die nach der soeben gefällten Entscheidung des Gerichtshofs unerheblich ist. Wir haben aber keine Gelegenheit, dagegen Einspruch zu erheben, und der Gerichtshof hatte keine Gelegenheit, darüber zu entscheiden. Der Zeuge fragt: »Haben Sie jemals gehört, daß die Mobilisierungspläne der Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden?« Wir hätten selbstverständlich gegen diese Frage Einspruch erhoben. Die Schwierigkeit liegt darin, daß das Gericht die Kontrolle über die Verhandlungen verliert, wenn dem Angeklagten in einem Prozeß dieser Art erlaubt wird, seine Propaganda anzubringen, und wir erst später darauf erwidern sollen zumal allen die Propaganda als eines der Ziele dieses Angeklagten bekannt ist. Ich habe tatsächlich den Eindruck, daß den Vereinigten Staaten bei dieser Art des Verfahrens die Gelegenheit zum Kreuzverhör genommen wird.
VORSITZENDER: Ich glaube, Sie legen dem von dem Zeugen gesprochenen Satz zu viel Gewicht bei. Ob Amerika seine Mobilisierungspläne bekanntgibt oder nicht, ist bestimmt nicht von sehr großer Wichtigkeit. Jedes Land hält gewisse Dinge geheim, und es wäre sicherlich viel besser, eine derartige Bemerkung zu ignorieren. Der Gerichtshof wird sich jedoch auf Grund der allgemeinen Verfahrensvorschriften jetzt damit befassen. Ich habe bereits festgestellt, was ich als Vorschrift betrachte, und zwar – wie ich glaube – in Übereinstimmung mit dem Gerichtshof, möchte jedoch feststellen...
JUSTICE JACKSON: Ich stimme mit dem Gerichtshof darin überein, daß wir uns, soweit es sich um die Vereinigten Staaten handelt, durch keine mögliche Äußerung des Zeugen über sie stören lassen, und wir sind auf allerhand gefaßt. Es handelt sich lediglich darum, ob wir auf diese Dinge antworten oder sie außer acht lassen und sie damit der Kontrolle des Verfahrens entziehen. Und es scheint mir, daß diese Kontrolle des Verfahrens uns aus den Händen zu gleiten beginnt, wenn wir – ich darf wohl so sagen – dieser Situation nicht Herr werden. Ich bitte den Gerichtshof zu entschuldigen, wenn ich in so ernster Weise an ihn appelliere, aber ich halte diese Sache für sehr wichtig.
VORSITZENDER: Ich habe noch nie gehört, daß der Anklagevertreter jede unerhebliche Bemerkung, die im Kreuzverhör gemacht wird, beantworten muß.
JUSTICE JACKSON: Das mag für einen Zivilprozeß zutreffen, aber ich glaube, es ist dem Gerichtshof nicht unbekannt, daß außerhalb dieses Gerichtssaales die Wiederbelebung des Nazismus als große soziale Fragestellung zu finden ist, und daß als eines der Ziele des Angeklagten Göring im gegenwärtigen Prozeß – was er selbst meines Erachtens als erster zugeben würde – die Wiederbelebung und Verewigung dieses Nazismus durch Propaganda anzusehen ist.
VORSITZENDER: Bitte, Herr Dr. Stahmer?
DR. STAHMER: Ich wollte nur folgendes erklären: Es wurde hier der Vorwurf erhoben, als ob etwa Propaganda gemacht werden würde für den Nazismus oder für eine andere Richtung. Dieser Vorwurf ist, glaube ich, nicht berechtigt. Ich glaube auch nicht, daß der Angeklagte einen Vorwurf gegen Amerika hat erheben wollen. Ich glaube, man muß zurückgehen auf die Frage, die an ihn gerichtet war. Es wurde nämlich seitens der Anklagebehörde darauf hingewiesen, daß dieses Dokument, das vorgelegt wurde, als »Geheim« bezeichnet war. Dann sagte er, daß er niemals gehört hätte, daß eine solche Geheimsache in Amerika veröffentlicht wurde. Wenn er statt Amerika, »in einem fremden Staate« gesagt hätte, dann wäre, glaube ich, die Sache völlig harmlos und unbedenklich gewesen. Im übrigen war nach meiner Auffassung dies durchaus sachlich begründet, denn dem Zeugen muß die Möglichkeit gegeben werden, nicht nur mit Ja oder Nein zu antworten, sondern seine Antworten, wie es das Gericht schon gesagt, kurz begründen können.
VORSITZENDER: Justice Jackson! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß die bestehende Regel die einzig mögliche ist, und daß der Zeuge sich auf die direkte Beantwortung der Frage beschränken muß, falls eine direkte Antwort möglich ist, und daß er ferner keine Erklärung abgeben darf, bevor er eine direkte Antwort gegeben hat. Er darf jedoch nach einer direkten Antwort auf eine Frage, die eine direkte Antwort zuläßt, eine kurze Erläuterung geben und soll nicht darauf beschränkt sein, nur direkt mit Ja oder Nein antworten zu müssen und die Erklärung zu unterlassen, bis sie von seinem Verteidiger in einem weiteren Verhör verlangt wird.
Der Zeuge hätte in seiner Aussage nicht auf die Vereinigten Staaten Bezug nehmen sollen. Diese Sache ist meiner Ansicht nach aber am besten ganz zu ignorieren.
JUSTICE JACKSON: Ich füge mich natürlich den Vorschriften des Gerichtshofs.
Ich möchte nun dem Gerichtshof eine Erklärung über eines der Dokumente abgeben. Am Schluß der gestrigen Sitzung sprachen wir über Dokument EC- 405. Der Angeklagte Göring erhob Einspruch gegen die Verwendung eines Wortes, das als »Freimachung« und nicht als »Befreiung« hätte übersetzt werden sollen. Wir haben inzwischen die Übersetzung geprüft und sind der Ansicht, daß der Angeklagte recht hat. Dieses Dokument ist als GB-160 am 9. Januar vorgelegt worden. Es ist in Band 5, Seite 37/38 des Gerichtsprotokolls zu finden. Da es dem Gericht bereits als Beweismaterial vorliegt, glauben wir, daß die Anklagebehörde verpflichtet ist, im Protokoll jetzt diese Korrektur vorzunehmen.