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[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie den Paragraphen nunmehr ganz durchgelesen, Zeuge?

GÖRING: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe also recht, nicht wahr, wenn ich sage, daß flüchtige Sowjetkriegsgefangene nach ihrer Rückkehr ins Lager der Geheimen Staatspolizei und, falls sie ein Verbrechen begangen hatten, der Sicherheitspolizei zu übergeben waren. Ist das richtig?

GÖRING: Nicht ganz richtig. Ich darf Sie auf den dritten Satz im ersten Absatz aufmerksam machen. Dort steht: »Liegt ein Kriegsgefangenenlager in unmittelbarer Nähe, so ist der Ergriffene dorthin abzuliefern.«

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber lesen Sie den nächsten Satz: »Soweit... Sowjetkriegsgefangene in das Lager wieder eingeliefert werden« – also im Einklang mit dem Befehl, den Sie gerade gelesen haben –, »sind sie der nächstgelegenen Dienststelle der Geheimen Staatspolizei zu übergeben.« Ihr eigener Satz.

GÖRING: Jawohl, aber der zweite Absatz, der gleich daran anschließt, gibt eine Aufklärung: »Wegen der zur Zeit noch besonders häufig vorkommenden Straftaten sowjetischer Kriegsgefangener...« und so weiter. Das haben Sie selbst vorgelesen, das steht ja im Zusammenhang auch mit diesem Paragraphen 1. Aber, an sich ist dieser Befehl gegeben worden, er ist auch im Verteiler an Heer, Luftwaffe und Marine gegangen.

Und nun möchte ich die Erklärung zu dem Verteiler abgeben. Es sind in diesem Kriege nicht Hunderte, sondern viele Tausende laufender Befehle untergeordneter Stellen von Übergeordneten herausgegeben und im Verteiler weitergeleitet worden. Das bedeutet nicht, daß nun jeden dieser Tausende von Befehlen und Anordnungen der Oberbefehlshaber vorgelegt bekommen hat, sondern nur die entscheidendsten und wichtigsten, die anderen sind jeweilig von Ressort zu Ressort gegangen. So ist dieser Befehl vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht ja ebenfalls von einem untergeordneten Ressort unterzeichnet und nicht vom Chef des OKW selbst.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dieser Befehl sollte also durch die Kriegsgefangenenabteilung in Ihrem Ministerium behandelt werden, nicht wahr?

GÖRING: Dieses Ressort hat nach dem Dienstweg, den solche Befehle gingen, in solchem Falle den Befehl bekommen, und nicht ein anderes Ressort.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin der Ansicht, daß die Antwort auf meine Frage »ja« sein müßte. Die Sache wäre von der Kriegsgefangenenabteilung Ihres Ministeriums bearbeitet worden, nicht wahr?

GÖRING: Ich sage ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es geht doch viel schneller, wenn Sie von Anfang an gleich »ja« sagen. Verstehen Sie?

GÖRING: Nein, es ist doch hier ein Unterschied, ob ich den Befehl persönlich gelesen habe, oder nicht; dazu werde ich dann zu meiner Verantwortung noch Stellung nehmen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also... der Ausbruch...

VORSITZENDER: Sie sind nicht über Ihre Verantwortung gefragt worden. Sie sind gefragt worden, ob Ihre Abteilung für Kriegsgefangene sich damit befaßt hätte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, der Ausbruch, über den ich Sie befragte, fand in der Nacht vom 24. zum 25. März statt. Ich möchte, daß Sie sich das Datum merken. Der Entschluß, diese jungen Offiziere zu ermorden, muß sehr schnell gefaßt worden sein, denn der erste Mord fand tatsächlich am 26. März statt. Geben Sie das zu? Er muß schnell gefaßt worden sein.

GÖRING: Ich nehme an, daß der Befehl, so wie ich später gehört habe, sofort gegeben worden ist; er steht aber in keinem Zusammenhang mit diesem Dokument.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, nein, mit diesem Dokument sind wir fertig. Wir behandeln jetzt eingehender die Ermordung dieser jungen Leute. Eine Großfahndung wurde sofort befohlen, um diese Männer in Haft zu nehmen. Ist das richtig?

GÖRING: Das ist richtig, bei jedem Ausbruch, wo eine solche große Anzahl Gefangener ausgebrochen ist, trat automatisch im ganzen Reiche die Großfahndung ein. Das heißt, alle Dienststellen mußten darauf achten, um die Gefangenen wieder einzubringen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Um diesen Befehl zur Ermordung dieser Leute und für die Großfahndung zu geben, mußte doch Hitler auf jeden Fall mit Himmler oder Kaltenbrunner zusammengekommen sein, und auch um diesen Befehl ausführen zu lassen. Stimmt das?

GÖRING: Das ist richtig. Soviel ich gehört und berichtet habe, hat Himmler dem Führer ja auch den Ausbruch als erster gemeldet.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General Westhoff, der in der Abteilung für Kriegsgefangenenwesen des Angeklagten Keitel war, berichtet folgendes: An einem Tage, der wahrscheinlich der 26. gewesen ist, sagte Keitel zu ihm: Heute früh hat Göring mir in Gegenwart von Himmler Vorwürfe gemacht, weil ich noch weitere Gefangene habe ausbrechen lassen. Das ist unerhört.

Behaupten Sie, daß General Westhoff hier die Unwahrheit gesprochen hat?

GÖRING: Ja. Das entspricht nicht den Tatsachen. General Westhoff bezieht sich ja auf eine Äußerung des Generalfeldmarschalls Keitel. Diese Äußerung ist an sich unlogisch, denn ich konnte dem Feldmarschall Keitel Vorwürfe deshalb nicht machen, weil er mich nicht darauf aufmerksam machen konnte, weil die Bewachung seine Angelegenheit und nicht die meine war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einer der Offiziere des Angeklagten Keitel, der sich mit dieser Angelegenheit befaßte, war ein Generalinspektor, General Röttich. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen?

GÖRING: Nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General Westhoff, wie man verstehen kann, möchte sehr gerne jedem versichern, daß sein Vorgesetzter nichts mit der Sache zu tun gehabt habe, und er sagt weiter folgendes über General Röttich: Er hatte absolut nichts damit zu tun, da diese Angelegenheiten aus seinen Händen genommen wurden. Anscheinend bei dieser Konferenz mit dem Führer am Morgen, das heißt, bei der Konferenz zwischen Himmler, Feldmarschall Keitel und Göring, die in Gegenwart des Führers stattfand, nahm der Führer selbst, wie immer, solche Angelegenheiten in seine Hand, wo es sich um Flucht von Offizieren handelte.

Sie sagen, das stimmt nicht? Sie waren gar nicht bei einer solchen Konferenz anwesend?

GÖRING: Ich war bei dieser Konferenz nicht zugegen, auch General Westhoff nicht; er gibt hier also eine rein subjektive Auffassung und keinen Tatsachenbestand.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Mit anderen Worten, Sie sind der Ansicht, daß Westhoff sich irrt? Westhoff war damals, glaube ich, noch Oberst, und ist zum Schluß Generalmajor gewesen, und er bittet, daß höhere Offiziere darüber befragt werden. Er sagt folgendes: »Es sollte doch möglich sein, durch Göring, der bei der Konferenz anwesend war, herauszufinden, daß Himmler dem Führer diesen Vorschlag gemacht hat.«

Immer wieder sagt Westhoff, der ja schließlich nur ein Offizier von verhältnismäßig untergeordnetem Rang ist, daß die Wahrheit von seinen Vorgesetzten herausgefunden werden kann; und Sie sagen, das wäre nicht der Fall?

GÖRING: Das sage ich nicht. Ich sage nur, daß der General Westhoff selbst keinen Augenblick anwesend war. Er kann also nicht sagen, ich weiß es, oder ich habe es gesehen, daß der Reichsmarschall Göring anwesend war, sondern er spricht, er nimmt es an oder habe es gehört.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er sagt, Keitel habe ihm Vorwürfe gemacht, wie ich es Ihnen vorgelesen habe, und daß Keitel weiter zu ihm gesagt habe, bei General von Graevenitz: Meine Herren, diese Ausbrüche müssen aufhören. Wir müssen ein Exempel statuieren und werden sehr strenge Maßnahmen treffen. Ich sage Ihnen nur das, daß die Männer, die ausgebrochen sind, erschossen werden; wahrscheinlich sind die meisten von ihnen schon tot.

Haben Sie nie davon etwas gehört?

GÖRING: Ich war weder bei dem Gespräch Keitel- Westhoff-Graevenitz, noch bei dem Gespräch Führer- Himmler zugegen. Soviel ich weiß, wird General Westhoff ja hier als Zeuge vernommen. Im übrigen muß ja der Generalfeldmarschall Keitel aussagen können, ob ich dabei gewesen bin oder nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, dann muß ich Ihnen dieses vorlegen. Wir gehen nun zu Ihrem eigenen Ministerium über. Ich nehme an, daß Sie im allgemeinen doch die Verantwortung für die Handlungen der Offiziere in Ihrem Ministerium vom Rang eines Stabsoffiziers und aufwärts, nämlich Oberste, Generalmajore und Generalleutnants, tragen?

GÖRING: Wenn sie in meinen Richtlinien und nach meinen Weisungen etwas getan haben, ja; wenn sie etwas gegen meine Weisungen und Richtlinien getan haben, nein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun wollen wir einmal sehen, was in Ihrem eigenen Ministerium vorgekommen ist. Sie wissen, daß Oberst Walde eine persönliche Untersuchung dieser Angelegenheit im Lager vorgenommen hat? Wußten Sie das?

GÖRING: Die Einzelheiten über diese Untersuchungen, sagte ich gestern schon, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß Untersuchungen stattgefunden haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie gewußt, daß am 27. März, an einem Montag, in Berlin eine Zusammenkunft über diese Frage stattfand? Ich will Ihnen vorher sagen, wer anwesend war, bevor Sie sich damit befassen, damit Sie Bescheid wissen. Ihr Ministerium war durch Oberst Walde vertreten. Da Generalleutnant Grosch an einer anderen Konferenz teilnahm, ließ er sich durch seinen Bevollmächtigten vertreten. Die Organisation des Angeklagten Keitel wurde durch Oberst von Reurmont, die Gestapo durch Gruppenführer Müller und die Kripo durch Gruppenführer Nebe vertreten. Nun, alle diese Offiziere waren zwar nicht befugt, Richtlinien niederzulegen, aber sie waren hohe Exekutiv-Offiziere, die sich mit den Maßnahmen zu befassen hatten, die ausgeführt wurden. Stimmt das?

GÖRING: Das waren keine Exekutiv-Offiziere, soweit nicht Exekutive im Bereich eines Offiziers ausdrücklich festgelegt worden ist. Zu Ihrer ersten Frage, ob ich von dieser Zusammenkunft gewußt habe, sage ich nein. Den Oberst Walde kenne ich nicht einmal persönlich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wollen dem Gerichtshof sagen, daß Sie niemals über diese Sitzung unterrichtet worden sind?

GÖRING: Das sage ich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann werde ich Ihnen eine Erklärung unterbreiten lassen. Ich möchte bitten, daß Sie diese Erklärung eines Offiziers Ihrer eigenen Organisation hier ansehen, der dazu etwas zu sagen hat. Dies ist eine Erklärung, die Oberst Ernst Walde abgegeben hat. Ich habe jetzt leider keine weitere deutsche Kopie, aber ich werde bald eine bekommen. In meiner Ausfertigung, Herr Zeuge, steht unten auf Seite 2 der Anfang des Absatzes, den Sie ansehen wollen:

»Da nach einem mehrere Wochen vorher ergangenen Befehl des OKW Chef Kgf wieder ergriffene Gefangene nicht mehr in ihr Lager zurückgebracht...«

Haben Sie es gefunden?

GÖRING: Wo soll das stehen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In der englischen Übersetzung ist es in der Mitte auf der zweiten Seite, und ich möchte Sie gerne darüber befragen... Mitte des Absatzes. Ich weiß nicht, ob Sie da den Namen – er ist in meiner Ausfertigung hervorgehoben – Major Dr. Hühnemörder sehen; haben Sie ihn gefunden?

GÖRING: Ja, ich habe es gefunden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist der nächste Satz, nachdem der Name des Majors Dr. Hühnemörder erscheint: »An diesem Montag...« Haben Sie die Stelle?

GÖRING: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danke.

»An diesem Montag fand im Reichssicherheitshauptamt in Berlin, Albrechtstraße, eine Besprechung statt, die meiner Erinnerung nach vom OKW Chef Kgf einberufen war, und an der ich teilnahm als Vertreter der L. Inspektion 17, da General Grosch aus Gründen, die mir auch jetzt noch nicht ins Gedächtnis zurückkehren, verhindert war, selbst daran teilzunehmen; vom OKW Chef Kgf war meines Wissens Oberst von Reurmont anwesend, während das Reichssicherheitshauptamt vertreten war durch Gruppenführer Müller und Gruppenführer Nebe, den damaligen Leiter der Kriminalpolizei. Es ist mir nicht möglich, den Verlauf der Besprechung im Wortlaut wiederzugeben oder zu sagen, was von jedem einzelnen gesagt worden ist. Ich entsinne mich aber des Inhalts insoweit, als man uns unterrichtete von einer Besprechung im Führerhauptquartier, die am Tage zuvor, also wohl am Sonntag, wegen der Massenflucht in Sagan stattgefunden habe und wobei es zu erregten Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmern gekommen sei. Es wurden in diesem Zusammenhang die Namen Himmler, Göring und Keitel erwähnt; ob auch der Name Ribbentrop fiel, weiß ich nicht mehr, auch ist der Führer nicht genannt worden. In dieser Besprechung sollen dann Maßnahmen besprochen beziehungs weise getroffen worden sein, die geeignet seien, in Zukunft derartige Massenfluchten zu verhindern. Welcher Art diese Maßnahmen sind, wurde nicht gesagt, Gruppenführer Müller erklärte dann später und quasi abschließend, daß entsprechende Befehle bereits ergangen seien und die Aktion seit gestern früh bereits laufe. Über den Stand der Großfahndung konnte oder wollte er noch keine Mitteilung machen; er erklärte lediglich, daß nach bisher eingegangenen Meldungen an einigen Stellen Erschießungen bei Fluchtversuchen vorgekommen seien; ich glaube, er nannte dabei die Zahl 10 oder 15.

Nach diesen abschließenden Äußerungen des Gruppenführers Müller, deren ungeheuerliche Schockwirkung unverkennbar war, wurde es mir klar, daß eine Entscheidung von höchster Stelle vorlag, und daß damit jegliches Einschalten nachgeordneter Dienststellen ausgeschlossen und aussichtslos war.«

Es wurde also bei einer Sitzung von Leuten, die ich als Exekutiv-Offiziere bezeichnen möchte, bekanntgegeben, daß die Erschießungen bereits begonnen hatten. Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß diese Angelegenheit jenen Exekutiv-Offizieren, worunter sich einer Ihrer eigenen Offiziere befand, mitgeteilt worden war, ohne daß Sie jemals davon unterrichtet wurden. Behaupten Sie das noch immer?

GÖRING: Das sage ich immer noch. Von dieser Sitzung habe ich erstens nichts gehört, zweitens erwähnte auch dieser betreffende Offizier nur Mutmaßungen bei Nennung der Namen; er stellt keine Behauptung auf. Und zum dritten bitte ich den Eingang dieser Aussage ebenfalls erwähnen zu können; sie beginnt nämlich mit folgenden Worten:

»Zu der Angelegenheit der Massenflucht britischer kriegsgefangener Fliegeroffiziere aus dem Kriegsgefangenenlager Nr. 3 in Sagan am 24./25. März 1944 mache ich folgende Ausführungen, wobei ich darauf hinweise, daß ich infolge Fehlens jeglichen schriftlichen Unterlagenmaterials gezwungen bin, die Vorgänge, welche nun schon fast eindreiviertel Jahre zurückliegen, völlig aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Ich bitte deshalb, dieser Tatsache und der damit verbundenen Möglichkeit eines Gedankenirrtums Rechnung zu tragen und Verständnis zu haben...«

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Damit haben Sie vollkommen recht, und die Antwort darauf ist, daß ich Ihnen zeigen werde, was dieser Offizier damals seinem General berichtete.

Geben Sie dem Zeugen die Erklärung von General Grosch.