[Das Schriftstück wird dem Zeugen ausgehändigt.]
Sie sehen also, daß sein Gedächtnis gar nicht so schlecht war. Wir kommen jetzt ziemlich hoch hinauf. Dieser Offizier, General Grosch, unterzeichnet als Generalleutnant. Vielleicht können Sie mir helfen – das letztemal waren Sie mir sehr behilflich – diese Stelle zu finden. Es ist die Erklärung von Generalleutnant Walter Grosch.
GÖRING: Ich bitte, daß ich zuerst dieses Dokument lesen kann, um zu sehen, ob nicht ähnliche Einschränkungen vorliegen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie den ersten Satz lesen. Ich möchte nicht, daß die ganze Sache verlesen wird. Es heißt:
»In meiner Vernehmung am 7. Dezember 1945 wurde ich beauftragt, niederzuschreiben, was ich über den Fall Sagan weiß.«
Und dann hat er es niedergeschrieben. Wenn Sie sich Nummer 1 auf der ersten Seite ansehen, sehen Sie unten auf der ersten Seite eine Darstellung über den Aufbau Ihres Ministeriums. Es steht unten auf der ersten Seite. Zeuge, können Sie das unten auf der ersten Seite sehen? Die Pyramide innerhalb Ihrer Organisation?
GÖRING: Ich sehe es, aber ich... ich bin jetzt an der Stelle, von der Sie sprachen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie vier Absätze weiter nachsehen.
GÖRING: Ich sehe es; aber ich möchte gern das andere zuerst lesen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also vier Abschnitte weiter heißt es: »Einige Tage nach dem Fluchttage, Datum nicht mehr erinnerlich, meldete mir Oberst Walde, daß eine Sitzung vom OKW nach Berlin...«
Haben Sie das gesehen?
Ich habe nichts dagegen, wenn Sie das Dokument überfliegen, aber Sie dürfen mir glauben, auf den ersten beiden Seiten stehen, wie ich gesagt habe, nur Angaben über die Verwaltung Ihres Ministeriums.
GÖRING: Ja, ich habe es gefunden. Welcher Paragraph bitte?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: »Einige Tage nach dem Fluchttage...« Haben Sie das gefunden? Es ist Teil C, der vierte Absatz, der Sagan-Fall.
GÖRING: Ich habe es jetzt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danke.
»Einige Tage nach dem Fluchttage, Datum nicht mehr erinnerlich, meldete mir Oberst Walde, daß eine Sitzung vom OKW nach Berlin, ich glaube in die Räume einer hohen SS- und Polizeidienststelle einberufen sei, zu der L. In. 17 Vertreter zu entsenden hätte.
Ich wäre selbst gern hingefahren, mußte aber zu einer anderen Besprechung in Berlin und bat Oberst Walde, sich als Vertreter L. In. 17 dorthin zu begeben. Nach seiner Rückkehr meldete nur Oberst Walde, daß der Vertreter des OKW mitgeteilt habe, daß eine Füh rerentscheidung vorliege, daß die entflohenen britischen Flieger nach Ergreifen nicht wieder der Luftwaffe zurückgegeben, sondern erschossen werden würden.«
Wir lassen dann einen Absatz aus und gehen auf die letzte Zeile des Absatzes über:
»Sicher war aber die Gefahr des Erschießens klar zu erkennen.
Ich fragte Oberst Walde, ob eine so schwerwiegende Entscheidung dem Oberkommando der Luftwaffe oder dem RLM. durch ein Schreiben noch mitgeteilt werden würde, oder ob er etwas Schriftliches mitbekommen habe. Oberst Walde bedeutete mir, daß der Vertreter des OKW den Versammelten mitgeteilt habe, daß in dieser Angelegenheit nichts Schriftliches erteilt wurde und auch kein Schriftwechsel zu erfolgen haben würde; der Personenkreis der Mitwissenden sei so klein wie möglich zu halten. Ich fragte Oberst Walde, ob der Vertreter OKW irgend etwas geäußert habe, daß der Reichsmarschall oder das OKL über die Sache unterrichtet sei. Oberst Walde bestätigte mir, daß OKW-Vertreter mitgeteilt habe, daß der Reichsmarschall unterrichtet sei.«
Im Augenblick will ich Ihnen darüber keine Frage stellen. Ich will Ihnen nur zeigen, was Ihr General getan hat. Er sagt:
»Bis zu dem Zeitpunkt dieser Meldung des Obersten Walde habe ich von keiner Seite auch nur eine Andeutung erhalten, daß geflohene Kriegsgefangene anders behandelt werden sollten wie in der Genfer Konvention vorgesehen.
Noch am gleichen Spätnachmittag ließ ich mich mit meiner vorgesetzten Dienststelle, dem Chef der Luftwehr, verbinden, um die Zeit für einen dringenden Vortrag beim General der Flieger Förster zu erhalten. Der Vortrag wurde auf den nächsten Vormittag festgelegt.
Bei meiner Meldung traf ich General Förster mit seinem Ia an. Ich bat den General Förster, ihn allein sprechen zu dürfen und trug den Sachverhalt vor. Abschließend gab ich die Beurteilung, daß bei einem Erschießen der britischen Flieger a) ein Bruch der Genfer Konvention vorliege, b) mit Ergreifen von Repressalien zu rechnen sei, die das Leben deutscher in britischer Kriegsgefangenschaft befindlicher Flieger bedrohten.
Ich bat General Förster, noch in letzter Stunde die Sache unter Darlegung beider Punkte an den Herrn Reichsmarschall heranzutragen.
General Förster war hierzu sofort bereit. Bei der Wahl des Weges, auf dem die Sache an den Reichsmarschall gebracht werden konnte, wurde der Vortrag beim Staatssekretär Generalfeldmarschall Milch gewählt.
General Förster rief in meiner Gegenwart im Büro des Staatssekretärs an und erhielt den Vortrag sofort. General Förster verließ das Zimmer und gab mir dabei die Weisung, ihn in seinem Arbeitszimmer zurückzuerwarten. Nach einer gewissen Zeit kehrte General Förster zurück und teilte mir mit, daß er dem Staatssekretär die Angelegenheit vorgetragen habe und Feldmarschall Milch die notwendigen Notizen gemacht habe.«
Sehen Sie bitte jetzt den letzten Absatz an:
»Über die Sitzung beim OKW befahl ich Oberst Walde trotz des Verbotes des OKW, eine ausführliche Aktennotiz zu machen. Dies ist meines Wissens auch erfolgt.«
DR. STAHMER: Es werden hier eine Reihe von Affidavits vorgelegt von Zeugen, die hier in Nürnberg sind, und die meines Erachtens hier also als Zeugen vorgeführt werden können. Mit Rücksicht auf die Wichtigkeit, die diese Angelegenheit nicht nur für den Angeklagten Göring, sondern auch für andere Angeklagte hat, habe ich diesem Verfahren zu widersprechen in der Annahme, daß für das Kreuzverhör dieselben Regeln zu gelten haben wie für das Verhör, das heißt, daß man sich nicht mit einem Affidavit begnügen und auf das Affidavit berufen soll, wenn die Möglichkeit besteht, daß die Anklagebehörde ohne Schwierigkeit den Zeugen vorführt und im Gerichtssaal vernehmen läßt, damit die Verteidigung in der Lage ist, diese Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, was Sie sagten, ist völlig unrichtig. Für das Kreuzverhör gelten nicht die gleichen Regeln wie für die direkte Vernehmung. Im Augenblick wird der Angeklagte Göring im Kreuzverhör auf seine Glaubwürdigkeit hin vernommen. Er sagte, daß er über die Sache nichts gewußt habe. Das Kreuzverhör findet ja statt, um zu beweisen, daß er gelogen hat als er das sagte.
DR. STAHMER: Herr Präsident! Nach meiner Ansicht muß dies in der Form geschehen, daß man den Zeugen persönlich vorführt. Das ändert nichts an der Tatsache, daß nach unserer Auffassung die Bezugnahme auf ein Affidavit ein weniger geeignetes Mittel ist zu diesem Nachweis, als die persönliche Vernehmung des Zeugen, bei der die Verteidigung in der Lage ist, den Beweis zu führen.
VORSITZENDER: Herr Dr. Stahmer! Wie ich Ihnen schon gesagt habe, Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß die Regeln für das Kreuzverhör die gleichen sind wie für die Hauptvernehmung. Im Augenblick findet ein Kreuzverhör des Zeugen auf seine Glaubwürdigkeit hin statt, mit anderen Worten, ob er die Wahrheit spricht oder nicht. Was diesen Zeugen betrifft, ich glaube sein Name ist Grosch, so können Sie den Antrag auf seine Vorladung stellen, wenn Sie wünschen. Das hat damit gar nichts zu tun.
DR. STAHMER: Ich habe das wohl verstanden. Aber ich müßte die Möglichkeit haben, mich auf das Zeugnis dieser im Affidavit bezeichneten Personen zu berufen, falls ich es für nötig halte.
VORSITZENDER: Sie können diesen Antrag stellen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie, was ich hier hervorheben will, ist folgendes: es handelt sich um eine Angelegenheit, die nicht nur dem OKW, der Gestapo und der Kripo, sondern Ihrem eigenen Chef für Operationen, General Förster, bekannt war, der General Grosch erklärte, daß er Feldmarschall Milch unterrichtet habe. Ich sage jetzt, daß es absolut unmöglich und unwahr ist, daß Sie unter solchen Umständen nichts darüber gewußt hätten.
GÖRING: Ich darf zuerst etwas ganz anderes feststellen. Es ist mir in der deutschen Übersetzung seitens des Gerichtshofs auf den ersten Einspruch von Dr. Stahmer deutsch folgendes durchgegeben worden:
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Gerichtshof wünscht nicht, daß Sie juristische Einwendungen diskutieren.
VORSITZENDER: Wollen Sie bitte die an Sie gerichtete Frage beantworten. Es ist Ihnen schon einmal gesagt worden, daß Sie eine Frage direkt beantworten und Erklärungen hinterher geben müssen, und zwar kurz.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Behaupten Sie noch immer auf Grund dieses Beweismaterials und der vorgelegten Erklärungen von Offizieren Ihres eigenen Ministeriums, daß Sie nichts darüber gewußt hätten?
GÖRING: Gerade diese Ausführungen bestätigen dies, und ich darf jetzt eine kurze Erklärung geben. Sie haben ein Datum festgelegt und sagen, das war am 27., während hier in den Ausführungen General Groschs ein solches Datum nicht, zunächst nicht festgelegt ist, sondern es heißt: »Einige Tage nach der Flucht, Datum nicht mehr erinnerlich, meldete mir Oberst Walde...«
Zum zweiten heißt es hier, daß der General Förster, der nicht Chef meiner Operationsabteilung, sondern ein Chef einer Abteilung im Ministerium war, dem Staatssekretär Generalfeldmarschall Milch die Sache vorgetragen habe, ohne wiederum auf das Datum Bezug zu nehmen. Der Generalfeldmarschall Milch war als Zeuge hier und ist leider zu diesem Punkt, ob er mir diese Meldung und zu welchem Zeitpunkt und ob mir direkt weitergegeben hat, nicht befragt worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: O ja, er ist gefragt worden und Generalfeldmarschall Milch hat denselben Standpunkt vertreten, daß er über die ganze Sache nichts gewußt habe und Förster nie mit ihm darüber gesprochen habe. Mein Kollege Mr. Roberts hat ihn gefragt: »Hat General Förster nicht mit Ihnen darüber gesprochen?«
Ich behaupte, daß sowohl Sie als auch Feldmarschall Milch sagen, Sie hätten nichts davon gewußt, obwohl Sie es wußten und die Verantwortung auf die Schultern Ihrer untergebenen Offiziere abwälzen wollen. Das behaupte ich und das möchte ich Ihnen klar machen.
GÖRING: Nein, ich wälze die Angelegenheit nicht auf die Schultern meiner Untergebenen ab; ich stelle fest, und das allein ist für mich wichtig, daß Feldmarschall Milch nicht gesagt hat, daß er mir das weitergegeben hat; und zum zweiten, daß das Datum, zu welchem Zeitpunkt Förster Milch Bescheid gegeben hat, hier nicht festgelegt ist. Es ist durchaus möglich, daß zu diesem Datum, wo das tatsächlich stattfand, der Generalstabschef der Luftwaffe mir unter Umständen schon darüber Vortrag gehalten hat. Entscheidend ist, und dabei bleibe ich, daß ich bei der Befehlsgebung des Führers nicht zugegen gewesen bin, und als ich es erfahren habe, aufs schärfste Widerspruch erhoben habe. Es war zum größten Teile, wie mir gesagt wurde, zu spät. Daß einzelne später erschossen wurden, war damals noch nicht bekannt, und es ist mir auch im einzelnen zu der Zeit nicht bekannt geworden. Die Hauptzahl war damals schon erschossen worden.
Zum dritten, diejenigen Entflohenen, die in der unmittelbaren Umgebung des Lagers von unseren Wachmannschaften ergriffen wurden, sind in das Lager gebracht worden und wurden nicht ausgeliefert. Diejenigen Gefangenen, die von der Polizei und Großfahndung festgenommen wurden und vor dem Befehl des Führers ins Lager zurückgebracht wurden, sind ebenfalls nicht ausgeliefert und nicht erschossen worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß nach Wieland, der später aussagen wird, die Auswahl der zu erschießenden Offiziere, eine Liste für die Auswahl von der Lagerleitung auf Wunsch der Abteilung 5, das heißt der RSHA-Kripo-Abteilung angefertigt wurde, in der diese Offiziere besonders erwähnt und als störende Elemente, Verschwörer und Fluchtanführer bezeichnet wurden. Die Namen wurden entweder von dem Lagerkommandanten oder einem seiner Offiziere ausgewählt. Dann wurde die Erschießung der namentlich genannten Offiziere von Abteilung 4 des RSHA angeordnet und der Staatspolizei entsprechende Weisungen erteilt.
Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, Sie hätten nicht gewußt, daß Ihre eigenen Offiziere die zu erschießenden Leute danach auswählten, ob sie Anstifter und Anführer bei dem Ausbruch waren? Auf der ganzen Welt wird der Versuch, zu entkommen, als Pflicht eines Offiziers angesehen, wenn er in Kriegsgefangenschaft ist, nicht wahr?
GÖRING: Das ist richtig, und ich habe es auch betont. Zu Ihrer ersten Frage möchte ich in aller Klarheit feststellen, daß es sich hier um die Aussage eines Mannes handelt, der noch als Zeuge vernommen wird. Ob er tatsächlich eine solche Liste angefordert und gesehen hat, ist in dieser Aussage unlogisch, denn es wurde nicht nach einer Auswahl erschossen, sondern erschossen wurden diejenigen, die von der Polizei festgenommen waren, ausnahmslos, und die noch nicht in das Lager zurückgebracht waren. Es erfolgte also keine Auswahl im Hinblick auf Störenfriede, sondern diejenigen, die in das Lager zurückgekommen waren, wurden nicht erschossen und diejenigen, die außerhalb des Lagers von der Polizei ergriffen wurden, wurden auf Befehl des Führers ohne Ausnahme erschossen. Deshalb erscheint diese Aussage vollkommen unlogisch und nicht den Tatsachen entsprechend.
Mir selbst ist weder von der Anforderung einer solchen Liste noch von der Erfüllung dieses Wunsches das geringste bekannt. Ich habe selbst den Führer aufmerksam gemacht, wiederholt, daß es die Pflicht dieser Offiziere sei, auszubrechen, und daß sie nach ihrer Rückkehr nach dem Kriege diesen Versuch, soweit ich mich erinnere in England sogar dreimaligen Versuch, nachweisen müßten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie sich daran erinnern, daß die Deutsche Regierung eine amtliche Note über diesen Vorfall veröffentlichte, des Inhalts, daß sie erschossen wurden, weil sie sich der Verhaftung widersetzten, als sie zu entfliehen versuchten? Erinnern Sie sich daran?
GÖRING: Ich habe erst bei der Beantwortung dieser Note gehört, daß eine Note in diesem Sinne abgegeben worden ist. Bei der Abfassung der Note bin ich nicht beteiligt worden. Ich kenne ihren Inhalt nur durch die Rückantwort, weil ich sicherlich dabei war, wie diese vorgetragen wurde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Augenblick interessiert mich die Tatsache nicht, daß jeder jetzt zugibt, daß diese Note eine vollständige Lüge war. Wohl aber möchte ich auf die Wichtigkeit dieser Angelegenheit eingehen. Wissen Sie, daß General Westhoff in seiner Erklärung sagt: Dann, als wir die Note an England in den Zeitungen lasen, waren wir alle bestürzt. Wir haben uns an den Kopf gegriffen, verrückt.
Gemäß Herrn Wieland, der noch kommen wird, trug das dazu bei, daß General Nebe von der Kripo nächtelang nicht zu Bett gehen konnte, sondern die Nacht in seinem Büro verbringen mußte. Sie geben also zu, daß dies eine ernste und schwierige Angelegenheit war? Alle Offiziere, die damit zu tun hatten, hielten es für eine ernste und schwierige Angelegenheit, nicht wahr?
GÖRING: Es fanden nicht nur diese Offiziere die Sache seriös und schlimm, sondern ich selbst habe dies als die schlimmste Sache während des ganzen Krieges angesehen und dies eindeutig und klar zum Ausdruck gebracht und habe, als ich später von der Note Kenntnis bekommen habe, auch gewußt, daß diese Note nicht der Wahrheit entsprochen hat. Dieser meiner Empörung habe ich gerade dadurch Ausdruck gegeben, daß ich daraufhin meinen Generalquartiermeister veranlaßt habe, ein Schreiben an das OKW zu richten, daß wir nunmehr die Gefangenenlager abgeben wollten, weil wir unter diesen Umständen nichts mehr damit zu tun haben wollten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, nach Ihrer direkten Aussage haben Sie sich an Himmler gewandt, haben ihn gefragt, ob er den Befehl erhalten habe, und dann sagten Sie: »Ich habe ihm dann gesagt, daß dies zu schwerster Erregung in meiner Luftwaffe führen würde, da wir für solche Maßnahmen kein Verständnis hätten, und er, wenn er solche Befehle bekommen hätte, dann könnte er zumindest mich vorher unterrichten, bevor er sie durchführte, um mir Möglichkeit zu geben, derartige Befehle, wenn möglich, zu verhindern.« Und dann sagten Sie: »Ich habe mit dem Führer gesprochen, und er hat bestätigt, daß er den Befehl erteilt habe und sagte mir auch, warum.« Nach diesen Aussagen hatten Sie immer noch genügend Einfluß in Deutschland, Ihrer eigenen Ansicht nach, um sogar bei Himmler selbst die Herausgabe solcher Befehle aufzuhalten, oder – entschuldigen Sie bitte, ich sagte »Herausgabe« – die Durchführung solcher Befehle zu verhindern.
GÖRING: Sie geben meinen Ausführungen eine vollkommen falsche Deutung. Ich habe dem Himmler klar gesagt, es wäre seine Pflicht gewesen, mich vor der Durchführung anzurufen, um mir die Möglichkeit zu geben, selbst zu dieser Zeit meines weitaus abgeschwächten Einflusses alles zu tun, um den Führer daran zu hindern, daß dieser Befehl durchgeführt würde. Ich habe damit nicht unterstellt, daß ich hiermit einen absoluten Erfolg hätte haben können, aber es war selbstverständlich, daß ich mich als Oberbefehlshaber der Luftwaffe Himmler gegenüber in dieser Richtung klar aussprach, daß es seine Pflicht gewesen wäre, mich, der am stärksten davon betroffen wurde, vorher anzurufen, und ich habe auch dem Führer in sehr klaren Worten meine Auffassung kundgegeben und habe aus seinen Antworten erkannt, daß ich voraussichtlich nicht einmal, wenn ich es vorher gewußt hätte, diesen Befehl hätte verhindern können, wobei zur Ausführung und Klärung festgehalten werden muß, daß es sich hier um zwei verschiedene Instanzenwege handelt. Der Befehl ist nicht an die Luftwaffe gegeben worden, durch Luftwaffensoldaten die Leute zu erschießen, sondern an die Polizei. Wenn also der Führer mir gesagt haben würde: Ich beharre auf meinem Befehl, den ich der Polizei gegeben habe, so hätte ich nicht der Polizei befehlen können: Ihr habt den Befehl des Führers nicht auszuführen. Nur wenn er durch meine Leute hätte ausgeführt werden müssen, hätte ich Möglichkeiten gehabt, vielleicht den Befehl zu umgehen. Darauf möchte ich besonders aufmerksam machen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das mag Ihre Ansicht gewesen sein, daß Sie bei dem Führer nichts hätten erreichen können. Ich behaupte aber, daß auch Sie davon wußten, wenn all diese Offiziere, die ich erwähnt habe, davon gewußt haben; und Sie haben nichts getan, um die Erschießung dieser Leute zu verhindern, sondern haben an dieser widerwärtigen Mordserie mitgearbeitet.
VORSITZENDER: Sir David, gehen Sie zu etwas anderem über?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.
VORSITZENDER: Haben Sie diese beiden Dokumente als Beweismittel eingereicht?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich reiche sie ein. Ich habe sie dem Zeugen vorgelegt, D-731 wird GB-278 und D-730 wird GB-279 sein.
VORSITZENDER: Und sollten Sie nicht vielleicht den zweiten Absatz in D-731 erwähnen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.
VORSITZENDER: Daraus ist zu entnehmen, daß in den frühen Stunden des 25. März diese Tatsache der Adjutantur des Reichsmarschalls mitgeteilt wurde – der zweite Absatz, der mit »Die Flucht« anfängt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.
»Die Flucht von etwa dreißig bis vierzig Gefangenen, die genaue Zahl mußte erst durch einen Zählappell festgestellt werden, wurde der Inspektion in den frühen Dienststunden des 25. März, ich glaube es war der Sonnabendvormittag, telephonisch aus dem Lager Sagan vorgemeldet und von ihr weisungsgemäß auf dem gleichen Wege an die für Fälle von Massenflucht zu unterrichtenden höheren Dienststellen weitergegeben; das waren:
1. Die Adjutantur des Reichsmarschalls,
2. Das Oberkommando der Wehrmacht, Chef des Kriegsgefangenenwesens (OKW Chef Kgf),
3. Der Generalinspekteur des Kriegsgefangenenwesens,
4. Chef der Luftfahrt im Reichsluftfahrtministerium.«
Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Der Gerichtshof wird sich daran zu erinnern haben, daß der Zeuge gestern nachmittag nicht zugegeben hat, daß die Nachricht von der Flucht dem Büro seines Adjutanten überbracht worden war.
VORSITZENDER: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielen Dank, Herr Vorsitzender.
GÖRING: Diese Flucht wurde jedesmal verhältnismäßig rasch uns mitgeteilt. Zu Ihrer davor geäußerten Ausführung möchte ich nun Stellung nehmen, daß es sich um Behauptungen von Ihnen handelt, aber daß ich nach wie vor darauf bestehen bleibe, daß ich erst von dem Vorfall rückwirkend erfahren habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe meine Fragen zu diesem Punkt beendet und möchte auf ein anderes Thema übergehen. Ich möchte Ihnen nur zwei oder drei Fragen über die Aussagen stellen, die Sie vor zwei Tagen bezüglich der Aussagen Ihres eigenen Zeugen, Herrn Dahlerus, gemacht haben. Herr Dahlerus machte seinen ersten Besuch in London am 25. August 1939, nachdem er am 24. mit Ihnen erst persönlich und dann telephonisch gesprochen hatte. Ich möchte nur das Datum festhalten, denn manchmal ist es schwer, sich an diese Daten zu erinnern. Zu dem Zeitpunkt lag Ihnen sehr viel daran, daß er die Britische Regierung veranlasse, eine Zusammenkunft von Bevollmächtigten zwecks Behandlung der Danzig- und der Korridorfrage zu arrangieren. Stimmt das?
GÖRING: Das ist richtig.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wußten ganz genau, nicht wahr, daß, was den Führer betraf, Danzig und der Korridor gar nicht die wirkliche Frage war, die vor allem seinen Geist beschäftigte. Darf ich Sie daran erinnern, was er am 23. Mai sagte:
»Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung. Aufrollen des Ostsee- und Baltikumproblems.«
Das wußten Sie doch, nicht wahr?
GÖRING: Ich wußte, daß er das damals geäußert hatte, aber ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, wie derartige Besprechungen zu werten und in Zusammenhang mit der politischen Lage und Situation zu bringen waren. In dem Augenblick dieser Verhandlungen mit England handelte es sich tatsächlich ausschließlich um Danzig und den Korridor.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Trotz der Behauptungen Hitlers vom 23. Mai halten Sie aufrecht, daß Hitler zu dem Zeitpunkt nur an Danzig und dem Korridor interessiert war. Wollen Sie das allen Ernstes behaupten?
GÖRING: Das will ich allen Ernstes behaupten, daß dies in der damaligen Situation tatsächlich der Fall war. Man könnte sonst überhaupt keine Hitlersche Aktion verstehen, denn dann könnte man ja sein Buch »Mein Kampf« als Grundlage nehmen und daraus alles und seine gesamten Handlungen rückschließen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Augenblick interessiert mich nur die letzte Woche des August. Wollen Sie bitte zwei Punkte Ihrer Aussage, soweit sie sich auf den 25. früh und Herrn Dahlerus beziehen, festhalten. Entsinnen Sie sich, daß Sie um 11.30 Uhr am 24. mit ihm eine telephonische Unterredung hatten? Besaßen Sie damals, am 25., das Vertrauen Hitlers so weit, um zu wissen, daß er Sir Nevile Henderson, dem Britischen Botschafter, am 25. eine Verbalnote überreichen würde? Wußten Sie das?
GÖRING: Selbstverständlich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zu dem Zeitpunkt, als Sie Herrn Dahlerus entsandten und die Verbalnote dem Britischen Botschafter überreicht wurde, war alles doch so arrangiert, daß Polen am Morgen des 26. angegriffen werden sollte, nicht wahr?
GÖRING: Es scheint eine Störung in der Leitung zu sein.
VORSITZENDER: Ich glaube, es ist irgendeine technische Störung. Vielleicht ist es jetzt angebracht, für einige Minuten zu unterbrechen.