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[Das Gericht vertagt sich bis

22. März 1946, 10.00 Uhr.]

Achtundachtzigster Tag.

Freitag, 22. März 1946.

Vormittagssitzung.

DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Mir ist gestern die Übersetzung von Dokument D-728 zugegangen; das ist das Dokument, das gestern als unrichtig beanstandet wurde.

VORSITZENDER: Ja.

DR. SERVATIUS: Ich bitte zu veranlassen, daß dieses Dokument neu übersetzt wird, denn diese Übersetzung ist erheblich verschieden vom ursprünglichen Text, läßt vor allem nicht erkennen, worin die Fehler liegen, die zur Beanstandung des Dokuments führten. Es sind etwa auf der ersten Seite des Dokuments zwanzig bis dreißig Einwände zu machen. Der Übersetzer hat, da er die Tragweite des Dokuments nicht übersehen konnte, schnell übersetzt, ohne die entscheidenden Punkte hervorzuheben. Es müßte eine sorgfältige Übersetzung angefertigt werden, die es ermöglichen kann, einen Begriff vom Originaldokument zu bekommen. Ich bin mir über die Schwierigkeiten vollkommen klar.

VORSITZENDER: Gewiß, die Übersetzung wird von einem anderen Übersetzer geprüft werden, oder, wenn Sie wünschen, von zwei verschiedenen Übersetzern.

DR. SERVATIUS: Ich würde bitten, zum Vergleich eine neue Übersetzung anzufertigen, denn diese hier vorliegende Form ist zugleich ein Beweis dafür, daß das Original bereits erhebliche Fehler enthält.

VORSITZENDER: Es wird bestimmt überprüft und neu übersetzt werden.

DR. SERVATIUS: Dann bitte ich weiter, das Gutachten eines Sachverständigen der deutschen Sprache einzuholen. Dieses Gutachten soll feststellen, daß der Verfasser dieses Schreibens die deutsche Sprache nicht völlig beherrscht, und daß es jemand gemacht haben muß, der ein Ausländer war. Ich möchte das im einzelnen nicht ausführen, möchte aber zu diesem Antrag ein Schriftstück einbringen.

VORSITZENDER: Ich denke, daß Sie darüber unbedingt einen schriftlichen Antrag einreichen müssen.

DR. SERVATIUS: Ich werde ihn schriftlich einreichen.

GENERAL RUDENKO: Angeklagter Göring, in Ihrer Aussage haben Sie erklärt, daß der Angriff auf Polen nach den blutigen Ereignissen in der Stadt Bromberg ausgeführt wurde.

GÖRING: Ich habe gesagt, daß der Angriffstermin durch blutige Ereignisse ausgelöst wurde, die neben vielen anderen Dingen auch den Blutsonntag in Bromberg enthielten.

GENERAL RUDENKO: Es ist Ihnen bekannt, daß diese Ereignisse am 3. September 1939 stattfanden?

GÖRING: Ich mag mich vielleicht im Datum von Bromberg geirrt haben, dazu müßte ich die Unterlagen haben; ich habe das nur als Beispiel unter vielen anderen vorgeführt.

GENERAL RUDENKO: Selbstverständlich. Der Angriff wurde am 1. September begonnen, und die von Ihnen gerade erwähnten Ereignisse in der Stadt Bromberg geschahen am 3. September 1939. Ich lege dem Gerichtshof ein Beweisstück vor. Es handelt sich um ein Dokument der Außerordentlichen Kommission zur Untersuchung der deutschen Verbrechen in Polen, welches gemäß Artikel 21 des Statuts beglaubigt ist. Daraus geht hervor, daß die soeben erwähnten Ereignisse am 3. September 1939 stattfanden, das heißt am dritten Tage nach Beginn des deutschen Angriffs auf Polen.

VORSITZENDER: Wenn Sie wollen, können Sie das Dokument dem Zeugen vorlegen.

GENERAL RUDENKO: Ich besitze keinen deutschen Text. Ich habe nur den englischen und den russischen Text bei mir. Dieses Dokument habe ich soeben erhalten. Es ist vom 19. März datiert, und ich lege es dem Gerichtshof als überzeugendes Beweisstück für diese Tatsache vor.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß dies der geeignete Zeitpunkt ist, Dokumente auf diese Weise vorzulegen.

Gut, wenn Sie wollen, können Sie das Dokument jetzt überreichen.

GENERAL RUDENKO: Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender!

VORSITZENDER: Es muß aber natürlich in die deutsche Sprache übersetzt werden.

GENERAL RUDENKO: Ich besitze keine deutsche Übersetzung dieses Dokuments.

VORSITZENDER: Es muß ins Deutsche übersetzt werden, damit der Verteidiger Einsicht nehmen kann.

GENERAL RUDENKO: Jawohl, Herr Vorsitzender, das wird ganz gewiß geschehen.

DR. STAHMER: Darf ich bitten, zu veranlassen, daß das Dokument jetzt verlesen wird, es handelt sich nur um eine kurze Denkschrift, damit wir sofort erfahren können, was in diesem Dokument enthalten ist.

VORSITZENDER: Sehr wohl, wollen Sie es in das Sitzungsprotokoll verlesen, General Rudenko.

GENERAL RUDENKO: Bitte sehr, es ist nicht sehr lang:

»Bescheinigung auf Grund der Untersuchungen der polnischen Gerichtsbehörden. Die Außerordentliche Kommission zur Untersuchung der deutschen Verbrechen in Polen bestätigt, daß der sogenannte ›Blutsonntag‹ in der Stadt Bromberg am 3. September 1939 stattfand, das heißt, drei Tage nach Beginn des deutschen Überfalls auf Polen.

Am 3. September 1939, 10.15 Uhr vormittags, griffen die deutschen Streitkräfte die polnische Armee an, die sich aus Bromberg zurückzog. Während dieser Kämpfe wurden 238 polnische Soldaten und 223 Mitglieder der deutschen Fünften Kolonne getötet. Nach dem Eindringen der deutschen Truppen in die Stadt Bromberg begannen auf Grund dieser Zwischenfälle Massenhinrichtungen, Verhaftungen und Verschleppungen polnischer Bürger in Konzentrationslager. Dies wurde alles von den deutschen Behörden, der SS und der Gestapo durchgeführt. 10500 Menschen wurden getötet und 13000 kamen in den Lagern um.

Diese Bescheinigung ist ein offizielles Dokument der Polnischen Regierung und wird dem Internationalen Militärgerichtshof gemäß Artikel 21 des Statuts vom 8. August 1945 vorgelegt.

Stephan Kurovski, Mitglied der Hohen Kommission zur Untersuchung deutscher Verbrechen in Polen.«

Ich wollte mit diesem Schriftstück beweisen, daß die Ereignisse, über die der Angeklagte Göring hier aussagte, nach dem Überfall der Deutschen auf Polen stattfanden.

GÖRING: Ich weiß nicht, ob wir hier dieselben Ereignisse meinen.

GENERAL RUDENKO: Ich spreche über die Ereignisse in der Stadt Bromberg. Sie sprachen darüber.

GÖRING: Vielleicht haben in Bromberg zwei verschiedene Ereignisse stattgefunden.

GENERAL RUDENKO: Das ist möglich.

Ich möchte mich nunmehr folgender Frage zuwenden:

Ist Ihnen ein Befehl des OKW bekannt, daß sowjetrussische Kriegsgefangene mit einem Brandmal zu versehen seien? Was denken Sie darüber?

GÖRING: Dieser Befehl ist mir nicht bekannt; es ist auch kein Vertreter der Luftwaffe, wie ich hier festgestellt habe, bei dieser Vorbesprechung dabei gewesen.

GENERAL RUDENKO: Mich interessiert die Tatsache, ob Sie davon wußten oder nicht. Der Befehl an und für sich ist ganz klar und eindeutig.

GÖRING: Nein.

GENERAL RUDENKO: Ist Ihnen bekannt, daß das deutsche Oberkommando vorschrieb, russische Kriegsgefangene und Zivilpersonen zur Räumung von Minenfeldern, zum Transport von nicht explodierten Bomben und so weiter einzusetzen? Wissen Sie etwas darüber?

GÖRING: Davon ist mir bekannt, daß russische gefangene Pioniere die Minen zu räumen hatten, die sie gelegt haben. Wie weit Zivilbevölkerung dazu verwendet wurde, weiß ich nicht, aber möglich war es.

GENERAL RUDENKO: Das ist ganz klar.

Was wissen Sie von dem Befehl über die Vernichtung der Städte Leningrad, Moskau und anderer Städte der Sowjetunion?

GÖRING: In meiner Gegenwart wurde von einer Vernichtung Leningrads nur in dem Dokument, das gestern erwähnt wurde, in dem Sinne gesprochen, daß die Finnen, wenn sie Leningrad bekommen sollten, eine so große Stadt nicht brauchen könnten. Von einer Vernichtung Moskaus weiß ich nichts.

GENERAL RUDENKO: Sie erinnern sich an das Sitzungsprotokoll? Gestern ist Ihnen dieses Dokument vorgelegt worden, das heißt das Protokoll vom 16. Juli 1941. Sie haben dieser Sitzung beigewohnt. Dort steht, daß der Führer sagte...

GÖRING: Das habe ich eben erwähnt.

GENERAL RUDENKO: Sprachen Sie über dasselbe Dokument? Aber außer diesen Erklärungen gab es auch offizielle Befehle.

GÖRING: Wenn Sie mir diese vorlegen, dann kann ich feststellen, ob sie richtig sind, und ob ich sie gekannt habe.

GENERAL RUDENKO: Ich habe nicht die Absicht, Ihnen diese Dokumente vorzulegen; sie wurden bereits dem Gerichtshof übergeben. Ich will nur wissen, ob Ihnen diese Befehle bekannt sind oder nicht.

GÖRING: Ich habe keinen Befehl bekommen, Moskau in dem von Ihnen angedeuteten Sinne zu vernichten.

GENERAL RUDENKO: Sehr gut. Ihnen wurden nur sehr wichtige Geschehnisse mitgeteilt, während Befehle über die Vernichtung von Städten und die Ermordung von Millionen Menschen und so weiter den sogenannten üblichen Dienstweg genommen haben.

GÖRING: Wenn eine Stadt durch Bombenangriffe vernichtet hätte werden sollen, so wäre dieser Befehl von mir unmittelbar gegeben worden.

GENERAL RUDENKO: Am 8. März erklärte Ihr Zeuge Bodenschatz hier im Gerichtssaal, Sie hätten ihm im März 1945 gesagt, daß viele Juden getötet worden seien, und daß »dafür schwer bezahlt werden müsse«. Erinnern Sie sich an diese Aussage Ihres Zeugen?

GÖRING: An diese Aussage in dieser Form, wie sie mir eben übersetzt wurde, erinnere ich mich keineswegs. So hat es der Zeuge Bodenschatz nicht gesagt; bitte das Protokoll heranzuziehen.

GENERAL RUDENKO: Und wie hat sich der Zeuge Bodenschatz ausgedrückt? Erinnern Sie sich?

GÖRING: Daß, wenn wir den Krieg verlieren, es uns teuer zu stehen kommt.

GENERAL RUDENKO: Warum? Wegen der Morde, die Sie begangen haben?

GÖRING: Nein, ganz allgemein. Und wir haben das ja auch gesehen.

GENERAL RUDENKO: Ganz allgemein! Ich möchte nun noch einige wenige abschließende Fragen an Sie stellen.

Zunächst zur sogenannten Theorie der Herrenrasse; insoweit möchte ich an Sie nur eine einzige Frage stellen und möchte von Ihnen eine direkte Antwort darauf hören. Stimmten Sie mit den Grundsätzen der Herrenrassentheorie überein, und waren Sie mit der Erziehung des deutschen Volkes in diesem Sinne einverstanden, oder waren Sie dagegen?

GÖRING: Nein, ich habe auch ausgeführt, daß ich dieses Wort nie gebraucht habe, weder in Schrift noch in Wort. Die Verschiedenheit der Rassen erkenne ich absolut an.

GENERAL RUDENKO: Aber, verstehe ich Sie richtig, daß Sie dieser Theorie nicht zustimmen?

GÖRING: Ich habe nie mein Einverständnis zum Ausdruck gebracht, daß ich eine Rasse über die andere als Herrenrasse bezeichne, aber die Verschiedenheit der Rassen betont.

GENERAL RUDENKO: Aber Sie können mir die Frage doch beantworten: Sie sind also mit dieser Theorie nicht einverstanden?

GÖRING: Ich persönlich halte sie nicht für richtig.

GENERAL RUDENKO: Die nächste Frage: Sie haben hier vor dem Gerichtshof erklärt, daß Sie mit Hitler in der Frage der Tschechoslowakei, in der jüdischen Frage, in der Frage des Krieges mit der Sowjetunion, mit dem Werte der Theorie der Herrenrasse und in der Frage der Erschießungen britischer kriegsgefangener Flieger nicht übereinstimmten. Können Sie uns erklären, wieso Sie es trotz so schwerwiegender Differenzen für möglich hielten, mit Hitler zusammenzuarbeiten und seine Politik durchzuführen?

GÖRING: So habe ich meine Antworten nicht gegeben.

Wir müssen auch hier die verschiedenen Zeitphasen auseinanderhalten. Beim Angriff auf Rußland handelte es sich nicht um grundsätzliche Differenzen, sondern um zeitliche Differenzen.

GENERAL RUDENKO: Das haben Sie bereits gesagt. Entschuldigen Sie bitte, ich will nicht, daß Sie sich über dieses Thema langer verbreiten. Wollen Sie eine direkte Antwort geben?

GÖRING: Ja. Ich kann mit meinem obersten Führer verschiedener Meinung sein, kann diese Meinung auch klar zum Ausdruck bringen. Besteht der oberste Führer auf der seinigen, und habe ich ihm meinen Treueid geleistet, so hat die Diskussion ein Ende, so wie das auch bei anderen der Fall ist. Ich brauche nicht deutlicher zu werden.

GENERAL RUDENKO: Sie sind nicht nur ein einfacher Soldat, wie Sie hier sagten. Sie haben sich hier auch als Staatsmann dargestellt.

GÖRING: Sie haben hier recht. Ich bin nicht nur einfacher Soldat, und gerade weil ich nicht nur ein einfacher Soldat bin, sondern in so hervorragender Stellung war, hatte ich durch meine Haltung in absoluter Weise ein Beispiel eines Treueids für den einfachen Soldaten zu geben.

GENERAL RUDENKO: Mit anderen Worten: Sie fanden die Möglichkeit, mit Hitler trotz verschiedener Meinung zusammenzuarbeiten.

GÖRING: Ich habe das betont und halte das aufrecht; das ist richtig. Mein Eid hält nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Tagen, obgleich der Führer mich nicht bedroht hat und mir nie gesagt hat, daß er für meine Gesundheit fürchte.

GENERAL RUDENKO: Wenn Sie der Ansicht waren, daß es für Sie möglich war, mit Hitler zusammenzuarbeiten, sollten Sie nicht als der zweite Mann in Deutschland für die Organisierung der Ermordung von Millionen unschuldiger Menschen verantwortlich sein, unabhängig davon, ob Sie persönlich über diese Tatsachen unterrichtet waren oder nicht? Antworten Sie kurz ja oder nein.

GÖRING: Nein, weil ich von diesen nichts wußte und sie nicht veranlaßt habe.

GENERAL RUDENKO: Ich unterstreiche nochmals, »unabhängig davon, ob Sie über diese Tatsachen unterrichtet waren oder nicht«.

GÖRING: Wenn ich sie tatsächlich nicht weiß, kann ich nicht dafür verantwortlich gemacht werden.

GENERAL RUDENKO: Sie waren verpflichtet, diese Tatsachen zu kennen.

GÖRING: Das werde ich noch ausführen.

GENERAL RUDENKO: Ich vernehme Sie, antworten Sie auf meine Frage. Sie waren doch verpflichtet, diese Tatsachen zu kennen?

GÖRING: Wieso verpflichtet? Entweder ich kenne die Tatsache, oder ich kenne sie nicht. Sie können mich höchstens fragen, ob ich leichtfertig war, daß ich mir die Kenntnis nicht verschafft hatte.

GENERAL RUDENKO: Sie müssen sich selbst besser kennen. Millionen von Deutschen wußten von den Verbrechen, die begangen wurden. Sie wußten von ihnen nichts?

GÖRING: Es haben auch nicht Millionen von Deutschen davon gewußt. Das ist eine Behauptung, die keineswegs erwiesen ist.

GENERAL RUDENKO: Die letzten zwei Fragen: Sie haben vor Gericht ausgesagt, daß Hitlers Regierung Deutschland zum Aufblühen gebracht hat? Sind Sie auch jetzt noch dieser Meinung?

GÖRING: Bis zum Kriegsbeginn unter allen Umständen. Der Zusammenbruch ist nur durch den verlorenen Krieg gekommen.

GENERAL RUDENKO: Mit dem Ergebnis, daß Sie Deutschland dank Ihrer Politik zum politischen und militärischen Zusammenbruch gebracht haben.

Ich habe keine Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wünscht der französische Hauptanklagevertreter ein Kreuzverhör?

M. AUGUSTE CHAMPETIER DE RIBES, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Ich bitte den Gerichtshof um Erlaubnis, eine kurze Erklärung abzugeben.

Ich möchte dem Wunsch des Gerichtshofs, die Erörterungen in diesem Verfahren soweit als möglich abzukürzen, entgegenkommen. Die Französische Anklagevertretung hat sich mit Herrn Jackson und Sir David geeinigt, daß an Göring als Zeugen nur Fragen gestellt werden sollen, die wichtig sind.

Diese Fragen wurden gestellt, und wir haben die Antworten des Angeklagten gehört, soweit es überhaupt möglich war, etwas anderes als Propagandareden von ihm zu hören. Ich glaube, die Verteidigung kann sich nicht darüber beklagen, daß ihre Freiheit beschränkt wurde. Während der letzten zwölf Sitzungen hat sie reichlich davon Gebrauch gemacht, konnte aber keineswegs die ungeheuren Anklagen abschwächen; sie war auch, wie deutlich bemerkt werden konnte, nicht in der Lage, irgend jemanden davon zu überzeugen, daß der zweite Mann im Deutschen Reich für die Entfesselung des Krieges nicht verantwortlich war, oder daß er von den Greueltaten nicht wußte, die von Leuten begangen waren, auf deren Befehligung er so stolz war.

VORSITZENDER: Sie werden ohne Zweifel später noch Gelegenheit haben, Erläuterungen abzugeben. Ich möchte Sie aber fragen, ob Sie an den Zeugen bestimmte Fragen stellen wollen?

M. CHAMPETIER DE RIBES: Herr Präsident, ich bin fertig. Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte; nach diesen langen Verhandlungen ist die Französische Anklagebehörde der Meinung, daß sich an der ungeheueren Anklage, die wir erhoben haben, nichts geändert hat. Ich habe daher keine weiteren Fragen an den Angeklagten zu richten.

DR. STAHMER: Die Englische Anklagebehörde hat vorgetragen, daß Sie der Division »Hermann Göring« während des Einsatzes in Italien unmittelbare Befehle erteilt haben, die sich auf die Bandenbekämpfung bezogen. Ist diese Behauptung richtig?

GÖRING: Nein, die Division »Hermann Göring« war eine Erddivision und stand im taktischen Verband einer Armee und Heeresgruppe. Sie hat deshalb für ihren Einsatz niemals von mir aus, von Berlin, meinem Hauptquartier, das sich nicht an Ort und Stelle befand, taktische Einsatzbefehle bekommen können. Ich habe ihr deshalb auch keine Befehle geben können, ob sie in den Bandenkrieg eingesetzt wird und wie. Es handelt sich nur um solche Befehle, die auf rein personellem und Ausrüstungsgebiet lagen und die das interne Gerichtswesen der Offiziere anbetrafen.

Die Division machte mir auch nicht tägliche Meldungen, sondern...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe das nicht verstanden. Verzeihung, Herr Vorsitzender, ich hätte vorher sprechen sollen. Ich glaube, daß sich diese Fragen auf die Hermann-Göring-Division beziehen. Der Angeklagte hat sich bei seiner Hauptvernehmung mit diesen nie beschäftigt; daher habe ich mich niemals im Kreuzverhör damit abgegeben, da dieser Punkt nicht aufgebracht wurde. Daher ist es meine Ansicht, daß es vollkommen unzulässig ist, diese Angelegenheit im nochmaligen Verhör zu erörtern.

VORSITZENDER: Sie müssen sich daran erinnern, Sir David, daß das Verfahren in fremden Ländern nicht dasselbe ist, wie das in den Vereinigten Staaten und in England; obwohl es vollkommen richtig ist, daß Dr. Stahmer jedenfalls nach den Regeln des englischen Prozesses diesen Punkt im Wiederverhör nicht berühren dürfte, sind wir durch das Statut gehalten, uns in der Beweisführung nicht durch technische Rücksichten leiten zu lassen. Es kann sein, daß Sie ihm nachher einige Fragen im Kreuzverhör zu stellen haben, obwohl ich hoffe, daß das mit Rücksicht auf die Aussage des Zeugen Kesselring nicht notwendig sein wird.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe das berücksichtigt, ich wollte jedoch nur klar herausstellen, daß die Anklagebehörde diesen Punkt überhaupt nicht erörtert hat, da er vorher nicht behandelt wurde.

VORSITZENDER: Nein, weder im Verhör noch im Kreuzverhör.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Noch im Kreuzverhör.

VORSITZENDER: Sir David, ich hatte schon bemerkt, daß die Frage im Verlauf der Zeugenaussage Hermann Görings nicht erörtert worden war.

DR. STAHMER: Darf ich hierzu erklären, daß ich das Dokument erst gestern erhielt und daher zu dieser Frage, die von der Anklagebehörde schon behandelt worden war, früher gar nicht Stellung nehmen konnte?

VORSITZENDER: Aber wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, hat der Zeuge Feldmarschall Kesselring gerade diesen Punkt selbst vorgebracht. Er lag daher klar zutage und hätte in der Hauptvernehmung berührt werden können; in diesem Falle hätte er durch den Angeklagten Göring behandelt werden müssen. Die Frage hängt nicht von irgendeinem Dokument, sondern von der Aussage des Feldmarschalls Kesselring ab, der sagte – ich glaube, das Wort, wie es übersetzt wurde, lautete –, er sei von dem Angeklagten Göring und der Division »Hermann Göring« übergangen worden, obwohl die Division Hermann Göring unter seinem Kommando stand. So hat es nichts mit einem Dokument zu tun.

DR. STAHMER: Darf der Zeuge fortfahren, Herr Vorsitzender?

VORSITZENDER: Ja.

GÖRING: Die Division stand unter meinem Kommando nur betreffend ihres Personals, Ernennung von Offizieren und Ausrüstung, aber nicht wegen ihres Einsatzes. Meldungen habe ich nicht täglich bekommen, sondern in Zeitabständen über gewisse Ereignisse, Verluste und Nachforderungen. Das war im großen und ganzen alles, was ich mit der Division zu tun hatte. Für den Einsatz konnte ich nicht Befehle geben, weil sie Teilen des Heeres unterstand.

DR. STAHMER: Haben Sie Meldungen über die Vorgänge in Civitella erhalten?

GÖRING: Nein, diese Meldungen habe ich nicht erhalten. Ich habe sie erst hier aus den eidesstattlichen Versicherungen eines Generals des Heeres erfahren, dem die Division unterstanden hat, und der für diese Sache auch verantwortlich war und jetzt scheinbar die Verantwortung auf die Division und über die Division auf mich abwälzen wollte.

DR. STAHMER: Ihr Verhältnis zu Hitler und Ihr Einfluß auf ihn ist während des Kreuzverhörs wieder berührt worden. Geben Sie dem Gerichtshof doch kurz zusammenfassend für die einzelnen Zeitabschnitte die Tatsachen bekannt, die für die Beurteilung dieser Beziehung notwendig sind.

GÖRING: Ich habe schon während des Kreuzverhörs darauf hingewiesen, daß man hier über einen großen Zeitabschnitt gehen muß. 1923 war ich als SA-Führer in einem normalen Verhältnis. Dann kommt eine lange Pause, 1931.

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Es scheint mir im Interesse der Zeit nicht angebracht, dem Zeugen zu gestatten, jetzt Zusammenfassungen zu bringen. Er hat den Vorteil gehabt, jede Frage, die er wollte, zu beantworten. Es scheint mir, daß, wenn er ein Thema mindestens einmal behandelt hat, und über dieses Thema hat er tatsächlich vier- oder fünfmal bei fast jeder Frage, die es zuließ, eine Rede gehalten, so daß uns das wenigstens zum Ende des Themas führen sollte. Das war erschöpft.

Die Frage der Zeit ist hier eine ernste Angelegenheit. Nach unserer Berechnung, einer sorgfältigen Berechnung nach den Zeugen, die genehmigt wurden, wird das Verfahren jetzt bis in den August hinein dauern. Daher sollten wir ihm nicht erlauben, dieses Spiel nach beiden Seiten zu spielen, seine Reden während des Kreuzverhörs zu halten und sie dann nochmal hinterher zusammenzufassen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof hat Ihnen gestattet, Fragen zu stellen, die, genau genommen, in einem Wiederverhör nicht zulässig sind; ich möchte Ihnen genau erklären, welche Fragen in dem Wiederverhör zulässig sind, nämlich nur solche, die sich aus dem Kreuzverhör ergeben. Was diese spezielle Frage anlangt, so wurde dem Angeklagten Göring gestattet, während seines Hauptverhörs geradezu Reden zu halten, und zwar ohne jede Unterbrechung. Und er hat die gesamte Geschichte des nationalsozialistischen Regimes vom Anfang bis zum Ende des Krieges dargestellt. Der Gerichtshof ist nicht der Ansicht, daß ihm erlaubt werden sollte, dies im Verlauf des Wiederverhörs zu wiederholen.

DR. STAHMER: Herr Präsident! Ich hatte die Frage nur gestellt, weil sie bisher nicht zusammenfassend behandelt war und ich gerade für die Beurteilung des Angeklagten und seines Verhaltens während dieser Zeit es für notwendig erachtete, daß man eine umfassende und vor allen Dingen einheitliche Darstellung für diese für die Entscheidung des Gerichtshofs so wichtige Frage erhält. Wenn der Gerichtshof diese Frage aber beanstandet, so muß ich mich dem fügen und diese Frage zurückstellen.