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[Zu Göring gewandt:]

Ich habe eine andere Frage. Im Laufe Ihres Verhörs haben Sie zu gewissen Vorwürfen erklärt, daß Sie dafür die Verantwortung übernehmen wollen. Wie ist das zu verstehen?

GÖRING: Bei der Verantwortung müßte die formelle und tatsächliche unterschieden werden. Formell trage ich die Verantwortung für das, was die Ämter und Dienststellen getan haben, die unter meinem Befehl standen; wenn ich auch unmöglich alles, was dort herausgegeben oder besprochen wurde, vorher gesehen oder gekannt habe, so muß ich doch die formelle Verantwortung übernehmen, besonders, soweit es sich um Ausführungen von Richtlinien handelt, die ich generell gegeben habe. Die tatsächliche Verantwortung sehe ich dort, wo Befehle, Weisungen, Richtlinien unmittelbar von mir ausgegangen sind, vor allem für alle Taten und facta, die ich selbst unterschrieben und beweiskräftig gegeben habe, aber nur für diese Tatsachen, weniger für allgemeine Worte und Äußerungen, die innerhalb der 25 Jahre da und dort in engeren Kreisen gesprochen worden sind. Im einzelnen möchte ich zur Verantwortung der Dinge klar aussprechen: Der Führer Adolf Hitler ist tot. Ich galt als sein Nachfolger in der Führung des Deutschen Reiches. Daher muß ich zu meiner Verantwortung erklären: Mein Bestreben war...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht, daß Sie keine Reden halten. Der Gerichtshof ist vollkommen in der Lage, den Unterschied zwischen formaler Verantwortung und tatsächlicher Verantwortung für Befehle, die Sie gegeben haben, zu verstehen.

GÖRING: Ich bekenne mich zu der Verantwortung, alles getan zu haben, die Vorbereitung zur Machtergreifung ausgeführt und die Macht gefestigt zu haben, um Deutschland frei und groß zu machen. Ich habe alles getan, um den Krieg zu vermeiden. Nachdem er aber eingetreten war, mußte ich pflichtgemäß alles tun, um ihn zu gewinnen.

VORSITZENDER: Wir haben das schon mehr als einmal von Ihnen gehört, und wir wünschen es nicht noch einmal zu hören.

GÖRING: Zur Arbeiterfrage: Im Laufe des Krieges sind Einwohner der besetzten Gebiete zur Arbeit nach Deutschland herangezogen und ihre Länder sind wirtschaftlich ausgenützt worden.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, angeblich stellen Sie Fragen an den Zeugen. Auf welche Frage ist das die Antwort?

DR. STAHMER: Ich hatte ihn nach seiner Verantwortung gefragt...

VORSITZENDER: Sie können Fragen an ihn stellen, aber nicht allgemeine Fragen, die ihn dazu veranlassen, Reden zu halten. Wenn Sie irgendwelche besondere Fragen zu stellen haben, die sich aus dem Kreuzverhör ergeben, so ist jetzt der geeignete Zeitpunkt dazu.

DR. STAHMER: Ich stelle die Frage, in welchem Umfang er sich verantwortlich hält für die im Kreuzverhör hier zur Sprache gebrachten Fragen über die Deportation von Arbeitern.

JUSTICE JACKSON: Ich erhebe Einspruch gegen diese Frage.

VORSITZENDER: Er hat uns darüber schon erzählt. Er hat diese Frage schon mehr als einmal beantwortet.

DR. STAHMER: Dann habe ich dazu keine Fragen zu stellen.

VORSITZENDER: Gut. Dann kann sich der Angeklagte zurückziehen.

[Der Angeklagte verläßt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Ja, Dr. Stahmer.

DR. STAHMER: Darf ich zuvor kurz eine Übersicht zur Prozeßlage geben, damit der Gerichtshof sieht, wie es mit der Zeugenliste steht, die mir noch gestattet ist? Ich will auf Dr. Lohse verzichten.

VORSITZENDER: Dr. Lohse sagten Sie?

DR. STAHMER: Jawohl, auf Dr. Lohse verzichte ich, weil der Angeklagte schon ausreichende Erklärung gegeben hat. Es war mir noch als Zeuge gestattet der Gesandte Dr. Paul Schmidt. Diesen Zeugen, an den ich nur einige Fragen zu stellen habe, möchte ich erst im Anschluß hören, wenn er für den Angeklagten Ribbentrop vernommen wird, weil er dort einen umfangreichen Fragenkomplex beantworten soll und es mir zweckmäßig erscheint, ich entspreche hier auch dem Wunsche Dr. Horns, ihn dann im Anschluß zu hören, wenn der Gerichtshof damit einverstanden ist. Der Zeuge Koller...

VORSITZENDER: Sicherlich.

DR. STAHMER: Der Zeuge Koller befindet sich, wie jetzt festgestellt ist, in Belgien, also nicht in Deutschland. Seine Vernehmung vor Gericht war, falls er sich in Deutschland aufhält, vorgesehen. Ich muß also bezüglich dieses Zeugen einen Fragebogen einreichen. Das ist geschehen, der Fragebogen ist noch nicht zurück.

VORSITZENDER: Ja.

DR. STAHMER: Ich habe ferner noch die Erlaubnis erhalten, an die Zeugen Ondarza, Freiherrn von Hammerstein, Kammhuber Student und Bunjes Fragebogen einzureichen. Die Fragebogen sind eingereicht, sind aber noch nicht zurück. Die Adressen der zwei ersten sind inzwischen ermittelt worden. Ermittlungen sind bezüglich der übrigen drei Zeugen noch im Gange, so daß ich sie noch nicht vorlegen kann. Dann die Fragebogen an Uiberreither, Lord Halifax und Forbes. Die Fragebogen von Lord Halifax und Forbes liegen vor; ich lese sie jetzt vor. Von Uiberreither liegt außerdem eine schriftliche Erklärung vor. Dann handelt es sich...

VORSITZENDER: Was verstehen Sie unter »außerdem eine schriftliche Erklärung«? Sie sagten, es sind die Fragebogen von Lord Halifax und Sir George Ogilvie Forbes.

DR. STAHMER: Von Lord Halifax und Forbes liegen Fragebogen vor; von Uiberreither liegt eine schriftliche eidesstattliche Erklärung vor, und ich nehme an, daß sie an Stelle des Fragebogens treten kann.

VORSITZENDER: Jawohl, ich verstehe.

DR. STAHMER: Ferner noch der Fall Katyn, Herr Präsident. Hier handelt es sich um fünf Zeugen. Über die Anschriften dieser Zeugen laufen noch Ermittlungen. Ich bin also nicht in der Lage, die Zeugen hier bei Gericht aufzurufen.

VORSITZENDER: Ja. Dr. Stahmer. War das alles, was Sie in diesem Zeitpunkt sagen wollten?

DR. STAHMER: Ja, zu diesen Zeugen; nun habe ich aber noch das vorzutragen, was ich an Dokumenten habe; dann bin ich einstweilen bezüglich meines Falles fertig. Ich habe das, was ich zu den Dokumenten zu sagen habe, schriftlich zusammengefaßt.

VORSITZENDER: Einen Augenblick.

DR. STAHMER: Jawohl.

VORSITZENDER: Ja, Dr. Stahmer, der Gerichtshof billigt das Verfahren, das Sie vorschlagen.

JUSTICE JACKSON: Darf ich im Interesse der Zeit einen Vorschlag machen, Herr Vorsitzender? Diese Dokumente, die Dr. Stahmer jetzt vorlegen will, sind nach meiner Information in alle vier Sprachen übersetzt worden, so daß kein Grund vorliegt, sie in offener Sitzung zu verlesen. Ich kann nicht für meine Kollegen sprechen, da ich mich noch nicht mit ihnen beraten habe; aber soweit die Vereinigten Staaten in Frage kommen, wollen wir die Frage der Erheblichkeit nicht aufwerfen; wir wollen keine Zeit damit verlieren, über die Erheblichkeit zu streiten. Ich möchte zu erwägen geben, daß das Verlesen eines ganzen Dokumentenbuches einen Zeitverlust für den Gerichtshof bedeutet, da die Dokumente in allen vier Sprachen zur Verfügung stehen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Bevor wir über das Verfahren beraten, das Herr Jackson jetzt vorgeschlagen hat, möchten wir gerne hören, ob noch andere Hauptanklagevertreter dem etwas hinzuzufügen haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich darf ergebenst bemerken, daß dies ein ausgezeichneter Vorschlag ist; ich möchte dem Verteidiger klarlegen, daß es kein großes Geschenk ist. Ich glaube, daß damit einerseits Argumente über die Erheblichkeit von verhältnismäßig unbedeutenden Punkten vermieden werden; andererseits können die Verteidiger jeden Auszug bei ihren Schlußplädoyers mit größerer Wirkung und wahrscheinlich mit einer größeren Unterstützung für den Gerichtshof verwenden als wenn sie sie in diesem Stadium bloß verlesen. Ich unterstütze den Vorschlag und glaube, daß er die allgemeine Lage verbessern wird.

VORSITZENDER: Danke, Sir David. Dr. Stahmer, wir werden Sie gleich hören. Gehen Sie bitte nicht weg; ich möchte gerne, daß Sie zuhören.

Ich möchte auch General Rudenko anhören.

GENERAL RUDENKO: Ich bin mit dem Vorschlag Herrn Jacksons und dem von Sir David Maxwell-Fyfe vollkommen einverstanden. Wenn der Gerichtshof die in alle vier Sprachen übersetzten Beweisstücke annimmt, so schließt das nicht aus, daß die Verteidigung nicht das Recht hat, Beweisstücke vorzulegen, die mit dem gegenwärtigen Fall nichts zu tun haben. Insbesondere erhebe ich Einspruch dagegen, daß als Beweisstücke Auszüge aus dem sogenannten »Weiß- Buch« eingeführt werden, die von Dr. Stahmer in das Dokumentenbuch aufgenommen sind. Diese Auszüge haben mit dem gegenwärtigen Fall nichts zu tun und dürfen deswegen nicht vorgelegt werden.

VORSITZENDER: Wünscht der französische Hauptanklagevertreter zu dem Besagten noch etwas hinzuzufügen?

M. CHAMPETIER DE RIBES: Die Französische Anklagevertretung hat dem Gerichtshof eine Note über die Zurückweisung des Dokuments 26 vorgelegt. Es handelt sich um den Auszug aus einer Note der Deutschen Regierung an die Französische Regierung über die Behandlung deutscher Kriegsgefangener in Frankreich. Dieser Auszug spricht von einem Geheimbefehl des Stabes des Kommandierenden Generals der 9. französischen Armee. Nach diesem Auszug soll der Oberkommandierende der 9. französischen Armee einen Befehl erlassen haben. Dieser Befehl wurde uns nicht gegeben. Es handelt sich also nur um eine Behauptung der Deutschen Regierung, das heißt der Regierung des Angeklagten. Der Auszug, der uns vorliegt, ist daher nicht erheblich, und wir bitten den Gerichtshof, ihn zurückzuweisen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof prüft im Augenblick nicht die Frage der Erheblichkeit bestimmter Dokumente. Wir prüfen nur die allgemeine Frage des Verfahrens, ob alle diese Dokumente vor dem Gerichtshof verlesen werden müssen, oder ob sie dem Gerichtshof zur Erwägung vorgelegt werden können.

Wenn sie vollständig verlesen werden müssen, so wird das eine sehr beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen; deswegen hat Herr Jackson zu erwägen gegeben, daß, da diese Dokumente übersetzt worden sind – anders die von der Anklage vorgelegten Dokumente, die nicht übersetzt worden sind – kein Grund mehr vorliegt, sie vollständig zu verlesen, was eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen würde. Aber das heißt nicht, daß die Frage der Erheblichkeit einzelner Dokumente oder besonderer Dokumentenauszüge dadurch entschieden ist, daß das Dokumentenbuch dem Gerichtshof zur Erwägung vorgelegt wird. Über solche Fragen wird in wichtigen Fällen nach einer Erörterung zu beraten sein, aber als allgemeine Regel und um eine Verzögerung zu vermeiden scheint der Vorschlag von Herrn Jackson sehr viel für sich zu haben.

M. CHAMPETIER DE RIBES: Bei der Frage, die heute hier aufgerollt wird, handelte es sich darum, ob alle vorgelegten Dokumente als erheblich anzusehen sind. Ich habe den Gerichtshof deshalb gebeten, eines dieser Dokumente als unerheblich zurückzuweisen. Sollte diese Frage wieder aufgerollt werden, wenn die Dokumente vorgelegt werden, dann habe ich nichts dagegen einzuwenden, daß ich meine Bedenken später geltend mache. Ich wollte nur zu Dokument 26 sagen, daß der von Dr. Stahmer zitierte Auszug verstümmelt ist, und ich werde den Gerichtshof bitten, dieses Dokument voll verlesen zu lassen.

VORSITZENDER: Wir möchten darüber beraten; zuvor aber möchten wir wissen, ob Sie, Dr. Stahmer, gegen den Vorschlag von Herrn Jackson etwas einzuwenden haben; Sie haben ihn doch verstanden?

DR. STAHMER: Jawohl, Herr Präsident, ich verstehe, es berührt eine grundsätzliche Frage der Verteidigung, und ich möchte diese Frage mit den anderen Herren kurz besprechen. Ich würde vorschlagen, daß der Gerichtshof jetzt eine kurze Pause macht; es besteht dann Gelegenheit, diese Sache zu besprechen. Ich würde dann nachher meine Erklärung abgeben. Ich wollte jetzt schon darauf hinweisen, daß wir damals auf die Verlesung der Anklageschrift verzichten wollten und daß es nicht an unserem Widerstand scheiterte. Grundsätzlich werden wahrscheinlich die Herren auf dem Standpunkt stehen, daß sie verlesen werden mußte. Ich werde diese Frage klären und dann sofort berichten.

VORSITZENDER: Was sagen Sie da über die Verlesung der Anklageschrift? Beschweren Sie sich darüber, daß die Anklageschrift vorgelesen wurde?

DR. STAHMER: Nein, nein, nein!

VORSITZENDER: Diese Angelegenheit liegt anders. Das Statut ist die Urkunde, die die Tätigkeit des Gerichtshofs regelt, und das Statut bestimmte, daß die Anklageschrift verlesen werden muß. Daraus ergibt sich aber nicht, daß das, was jetzt vorgeschlagen wird, nicht im Statut vorgesehen ist. Die Entscheidung, daß jedes Dokument, auf das sich die Anklagebehörde zu beziehen wünschte, in offener Sitzung verlesen werden mußte, haben wir aus dem alleinigen Grund getroffen, daß die Anklagebehörde zu jener Zeit noch nicht die Möglichkeit gefunden hatte, jedes Dokument, das sie als Beweis vorbringen wollte, in die vier verschiedenen Sprachen zu übersetzen. Aus Zweckmäßigkeit und aus Billigkeit für die Angeklagten und ihre Verteidiger haben wir, wie erinnerlich sein wird, zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens angeordnet, daß jeder Satz in einem Dokument, auf den sich die Anklagevertretung stützt, und den wir als Beweismaterial betrachten könnten, über das Lautsprechersystem verlesen werden sollte, so daß Sie ihn auf deutsch hörten und er in der Niederschrift aufgenommen werden konnte. Dieses Prinzip findet aber keine Anwendung mehr auf die Dokumente, die jetzt vorgelegt werden, weil sie durch die Übersetzungsabteilung der Anklagebehörde in die vier verschiedenen Sprachen übersetzt worden sind. Im Interesse der Zeit, die beinahe ebenso wichtig für die Verteidiger wie für alle anderen Beteiligten sein muß, ist daher der Gerichtshof der Ansicht, daß Herrn Jacksons Vorschlag sehr vernünftig ist. Sie werden selbstverständlich in Ihren Plädoyers in jeder Ihnen angemessen erscheinenden Weise in der Lage sein, zu den Dokumenten, auf die Sie sich stützen, Stellung zu nehmen, vorbehaltlich der Frage der Erheblichkeit, wenn diese etwa von wirklicher Bedeutung wäre. Es mag sein, daß die Anklagevertretung gegen irgendwelche Dokumente Einwände zu erheben haben wird; aber wie Herr Jackson sagte, will er jetzt die Frage der Erheblichkeit nicht anschneiden und willigt ein, daß alle in Ihrem Dokumentenbuch erwähnten Urkunden vom Gerichtshof erwogen werden sollen. Bedenken Sie auch, daß wir, als wir Ihre Dokumente genehmigten, uns die Frage der Erheblichkeit von besonderen Stellen in diesen Dokumenten, die Sie etwa benutzen wollten, ausdrücklich vorbehalten haben.

Vielleicht wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt zur Vertagung; inzwischen können Sie diese Frage mit Ihren Kollegen beraten.