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[Kurze Pause.]

Ich lasse die Protokolle mittlerweile heraussuchen.

JUSTICE JACKSON: Ich betone, Herr Vorsitzender, daß ich General Rudenkos Einwendungen vollinhaltlich unterstütze. Ich hatte angenommen, daß, als diese Frage bereits vorher diskutiert wurde, die beiderseitigen Vertreter in dem einen Punkt übereinstimmten, nämlich daß keine Repressalien gegen Kriegsgefangene erlaubt waren. Sogar mein geschätzter Gegner, Dr. Exner, hat dem zugestimmt, daß dies geltendes Recht sei.

Zweitens müssen wir auch selbstverständlich wissen, um welche Verbrechen es sich hier handelt, die man zu entschuldigen sucht. Für welche Verbrechen sind dies die Motive? Die Anklagevertretung sagt, daß es überhaupt keine Motive gibt. Was ist der Grund, daß amerikanische und britische Flieger erschossen wurden? Indem behauptet wird, daß auf seiten der Russen einige Übertretungen vorgekommen sind? Der einzige Weg, Beweise solcher Art zuzulassen, wäre meiner Ansicht nach, sie ganz streng unter die Repressalienlehre zu bringen, indem unter Anführung bestimmter Vergehen folgendes behauptet wird: »Wir geben die Vergehen zu, aber wir haben sie als Repressalie gegen andere genau bestimmte Verletzungen begangen.«

Ich erkläre hiermit, daß allgemeine Beschuldigungen dieser Art in Bezug auf Kriegsgefangene anerkanntermaßen unzulässig sind und uns weit über den Rahmen dieses Verfahrens hinausführen.

DR. STAHMER: Ich darf noch auf eines hinweisen: Ich habe hier zum Beispiel ein Telegramm, das der Vertreter des Auswärtigen Amts beim Oberkommando des Heeres an das Auswärtige Amt richtet, vom 12. August 1941. Es handelt sich hier um ein amtliches Dokument. Bis jetzt sind von der Anklagebehörde im großen Umfange amtliche Dokumente vorgelegt worden, die als Beweis gegen die Angeklagten benutzt wurden. Es wird auch hier ein amtliches Dokument zur Entlastung der Angeklagten vorgelegt, und es scheint hier, daß man auch dieses Dokument zulassen müsse, in demselben Umfange, sofern es rechtlich möglich ist. Formal liegt die Sache so, daß es sich um ein Telegramm des Vertreters des Auswärtigen Amtes vom 21. August 1941 handelt. Da heißt es zum Beispiel:

»26. Division, Operationsakt Nr. 11, 1 Kilometer westlich von Schadenna im Walde Puschka: Auf dem Schlachtfelde ließ der Gegner ungefähr 400 Tote zurück.«

VORSITZENDER: Sie dürfen es nicht verlesen, da wir eben seine Zulässigkeit erörtern.

DR. STAHMER: Verzeihung, ich habe das mißverstanden, Herr Präsident. Sie haben mich gefragt, welche Urkunde...

VORSITZENDER: Das Datum des Weißbuches?

DR. STAHMER: Das Datum des Weißbuches, da habe ich Sie mißverstanden; es ist Berlin 1941.

VORSITZENDER: Das ist kein Datum, das ist eine Jahreszahl.

DR. STAHMER: Es heißt: »Bolschewistische Verbrechen gegen Kriegsrecht und Menschlichkeit, Dokumente zusammengestellt vom Auswärtigen Amt, Erste Folge, Berlin 194l.« So heißt das Dokument; unter welchem Tag es erschienen ist, läßt sich aus dem Buche selbst nicht ersehen. Es sind dann die einzelnen Urkunden und Ermittlungen in diesem Buche enthalten, und dann folgt eine große Anzahl von Protokollen, die dann die einzelnen Daten tragen.

VORSITZENDER: Es gibt also nichts, woraus man ersehen könnte, wann jene Urkunde, sei es der Sowjetregierung, sei es Genf oder der Schutzmacht, wenn dies überhaupt geschah, übermittelt wurde?

DR. STAHMER: Es ist an Genf weitergeleitet worden. Es ist dem Genfer Roten Kreuz seinerzeit überreicht worden.

VORSITZENDER: Wann?

DR. STAHMER: Im Jahre 1941. Ich hatte beantragt, diese Bücher von Genf einzufordern und vom Genfer Roten Kreuz Auskunft einzuholen.

Darf ich noch einmal darauf hinweisen, es handelt sich um ein amtliches Dokument, herausgegeben vom Auswärtigen Amt. Es handelt sich um eine Reihe von Berichten, die amtlich zusammengestellt worden sind.

VORSITZENDER: Das ist nicht der eigentliche Punkt, der den Gerichtshof interessiert. Die Frage ist: Wie können Sie in einem Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher Deutschlands Beweise gegen Großbritannien oder gegen die Vereinigten Staaten oder gegen die Sowjetunion oder gegen Frankreich rechtfertigen? Wenn Sie die Handlungen der vier Signatarmächte, abgesehen von anderen Erwägungen, gerichtlich untersucht haben wollen, so würde das Verfahren hier überhaupt kein Ende nehmen. Das Vorgehen dieser Mächte ist für die Frage der Schuld der deutschen Hauptkriegsverbrecher unerheblich, es sei denn, daß das deutsche Verhalten unter Berücksichtigung der Lehre über die Repressalien gerechtfertigt werden kann, was aber nicht der Fall ist. Daher betrachtet der Gerichtshof dies Dokument als unerheblich.

DR. STAHMER: Ich komme nun zu der Frage des Luftkrieges, Beweis auf Seite 25 meines Schriftsatzes. Es ist hier für die Frage der Schuld die Feststellung wesentlich, ob die deutsche Luftwaffe erst dann zum Angriff auf offene Städte übergegangen ist, nachdem die englische Luftwaffe eine große Anzahl Angriffe gegen die Zivilbevölkerung unternommen hatte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Herren Richter! Ich widerspreche diesem Beweisvorbringen. Ich war nicht ganz sicher, ob Dr. Stahmer seine Ausführungen über das Beweismaterial bezüglich des Luftkrieges beendet hatte, oder ob er Beispiele dazu anführte. Ich möchte klarstellen, daß ich gegen den ersten Teil Einspruch erhebe, da der Gegenstand zu weit zurückliegt, nämlich das Beweismaterial über die verschiedenen stattgefundenen Konferenzen über die Regelung der Luftkriegführung.

Bezüglich des zweiten Teils des Beweisvorbringens erhebe ich Einspruch gegen die Dokumente, die beweisen sollen, daß Großbritannien nichtmilitärische Ziele angegriffen hat. Wo es mir möglich war, solche Behauptungen zu überprüfen, habe ich gefunden, daß völlige Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob die Ziele militärisch oder nichtmilitärisch waren; daher kann ich die deutschen amtlichen Berichte nicht als angeblich wertvolles Beweismaterial akzeptieren. Ich erlaube mir, zu beantragen, der Gerichtshof wolle den gleichen Standpunkt vertreten, es sei denn, daß das Statut anderweitig bestimmt.

Ich füge diese beiden Punkte den bereits von meinen geschätzten Kollegen General Rudenko und Herrn Jackson zur Hauptfrage geltend gemachten Punkten zu. Ich möchte für diese Frage und ihre Erörterung keine Zeit mehr aufwenden. Ich werde gerne dabei in jeder Richtung behilflich sein.

VORSITZENDER: Es scheint mir, Dr. Stahmer, daß diese Frage genau so liegt, wie die, über die wir gerade entschieden haben.

DR. STAHMER: Ich glaube, daß aus den vielen Dokumenten über den Luftkrieg ein Dokument nach meiner Auffassung von Bedeutung ist, das von mir auf Seite 27 zitiert ist. Es ist eine Äußerung des französischen Generals Armengaud, die sich damit befaßt, daß die deutsche Luftwaffe in Polen nach den Kriegsgesetzen vorgegangen ist und nur militärische Ziele angegriffen hat. Ich glaube, daß der Verlesung dieses Zitates irgendwelche Bedenken nicht entgegenstehen.

VORSITZENDER: Das ist die Seite 27 des Schriftsatzes?

DR. STAHMER: Hier habe ich ein Zitat von General Armengaud, des Französischen Luftattachés in Warschau, vom 14. September 1939.

VORSITZENDER: Ja.

DR. STAHMER: Es steht da, daß die deutsche Luftwaffe unter ihrem Oberbefehlshaber Göring auf Befehl Hitlers in Polen keine offenen Städte angegriffen hat; das ist bestätigt vom Britischen Unterstaatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Butler, am 6. September 1939, und vom Französischen Luftattaché in Warschau am 14. September 1939. Dokument 41 bis 46 des Weißbuchs. Letzterer, General Armengaud, sagt wörtlich:

»Ich muß unterstreichen, daß die deutsche Luftwaffe nach den Kriegsgesetzen gehandelt hat. Sie hat nur militärische Ziele angegriffen und, wenn Zivilisten getötet und verwundet worden sind, so nur, weil sie sich neben diesen militärischen Zielen befanden. Es ist wichtig, daß man dies in Frankreich und England erfährt, damit keine Repressalien unternommen werden, daß kein Anlaß zu Repressalien ist, so daß nicht von uns aus ein totaler Luftkrieg entfesselt wird.«

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, woher stammt das?

DR. STAHMER: Darf ich das mal sehen. Es befindet sich hier im Dokument über den Bombenkrieg, Nummer 46, Bericht des Französischen Attachés in Warschau, General Armengaud. Es ist datiert vom 14. September 1939, und dann kommt der Bericht, von dem ich bereits zitiert habe.

VORSITZENDER: Jawohl.

DR. STAHMER: Ich habe es vorgelegt.

VORSITZENDER: Ja.

DR. STAHMER: Und nun gehe ich über zu Seite 30 des Schriftsatzes. Unter Ziffer 10 beziehe ich mich auf die Schaffung der Geheimen Staatspolizei durch den Angeklagten Göring. Es ist im Dokument angeführt, ein Zitat aus dem Werke »Hermann Göring, Mensch und Werk«, Dokumentenbuch 2, Seite 53 und 54. Ich unterbreite es als Beweisstück Nummer 44 und zitiere daraus folgende Stelle:

»Rücksichtslos ist Göring, wie der große Stettiner Prozeß und auch andere zeigten, gegen Männer eingeschritten, die selbstmächtig gegen seine Anweisung gehandelt halben.

... Hunderten hat der Ministerpräsident Einblick gewährt in die Beaufsichtigung der politischen Häftlinge. Er hat nicht gewartet, bis man ihn darum bat, er hat dieses Angebot von sich aus gemacht.

... Anläßlich der Weihnachtsamnestie 1933 befiehlt er die Entlassung von nahezu 5000 Häftlingen aus den Konzentrationslagern. Auch ihnen muß eine Chance gegeben werden. Es wäre nur zu verständlich, wenn die Entlassenen überall, wohin sie sich wenden, Tür und Tor verschlossen fänden. Das aber entspräche nicht dem Sinne dieses Gnadenaktes. Es soll sich keiner als ausgeschlossen betrachten, deshalb verfügt Göring in einem eindeutigen Erlaß, daß den Entlassenen von den Behörden und auch in der Öffentlichkeit keine Schwierigkei ten bereitet werden dürfen. Wenn diese Aktion einen Sinn haben soll, dann muß alles versucht werden, die Menschen die gegen den Staat gesündigt haben, wieder als vollgültige Volksgenossen in die Gemeinschaft aufzunehmen.«

Und ich zitiere vom letzten Absatz, 2. Satz:

»Im September 1934 hat er in einem zweiten großen Gnadenerlaß die Entlassung von weiteren 2000 Häftlingen verfügt.«

In diesem Zusammenhang will ich noch ein Telegramm vorbringen, das mir vor einigen Tagen zugegangen ist, und ich bitte, es als Beweismittel zuzulassen. Es ist mir unaufgefordert zugegangen von einem Hermann Winter, Berlin W 20, Eisenach-Straße 118. Es steht in dem Dokumentenbuch, das ich überreiche. Ich glaube, es ist das letzte in meinem Dokumentenbuch.

JUSTICE JACKSON: Wenn wir unerbetene Korrespondenz oder Telegramme prüfen sollen, wenn so etwas zum Beweismittel werden soll, dann habe ich einen Waschkorb voll solcher Sachen in meinem Büro, die ich, falls solches Material ohne irgendwelche Beglaubigung als Beweis benutzt werden darf, als Gegenbeweis hierher bringen könnte. Wir sollten doch meiner Ansicht nach etwas mehr darüber wissen, mehr als nur, daß ein Telegramm von einer unbekannten Person eingetroffen ist, die nicht einmal der Unterzeichner zu sein braucht, die sich möglicherweise eines Pseudonyms bedient hat. Ich glaube, wir sind berechtigt, eine etwas bessere Unterlage als die vorliegende zu verlangen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, haben Sie eine andere Unterlage?

DR. STAHMER: Ich habe keine. Ich bitte zu entscheiden, ob dieses Telegramm als Beweismittel zugelassen werden soll.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß wir es einfach als ein Telegramm, welches Sie von einer unbekannten Person erhalten haben, zulassen können.

DR. STAHMER: Ich bitte um Ihre Entscheidung. – Ist es abgelehnt? – Ich komme nun zum Schluß, Seite 34.

VORSITZENDER: Des Schriftsatzes?

DR. STAHMER: Seite 34, Ziffer 12. Für die Frage, ob man den Angeklagten zur Last legen kann, daß sie Hitler Vertrauen geschenkt haben und ihm gefolgt sind, ist von Bedeutung die Stellung, die Churchill zu der Persönlichkeit Hitlers in seinem Buche »Schritt für Schritt« genommen hat, und ich zitiere hier zwei Stellen vom Dokumentenbuch 2, Seite 46.

JUSTICE JACKSON: Das war im Jahre 1937 vor den Vorgängen, mit denen wir uns hier hauptsächlich beschäftigten. Ich glaube nicht, daß es sehr wichtig ist. Herrn Churchills Reden sind sehr bekannt, und ich glaube, daß wir nur Zeit verlieren, wenn wir hier auf die Auffassung Churchills im Jahre 1937 – vor den Ereignissen – eingehen; er war damals ohne Zweifel hinsichtlich der Kenntnis der Vorgänge hinter den Kulissen in derselben Lage wie der Zeuge Dahlerus.

Sofern uns dies Buch bereits vorliegt, können Sie einige Stellen daraus anführen.

DR. STAHMER: Kann ich es verlesen? Ich danke Ihnen.

Es heißt auf Seite 187 in dem Artikel »Freundschaft mit Deutschland« vom 17. September 1937:

»Man kann das System des Herrn Hitler mißbilligen und dennoch seine patriotische Leistung bewundern. Wenn unser Land geschlagen würde, könnte ich nur wünschen, wir möchten einen ebenso unbeugsamen Vorkämpfer finden, der uns unseren Mut wiedergäbe und uns auf den Platz zurückführe...«

VORSITZENDER: Ich sagte nur, daß Sie verlesen könnten, weil Sie aus diesem Buch von Churchill bereits etwas verlesen hatten. Nichtsdestoweniger scheint es jedoch absolut unwichtig zu sein.

DR. STAHMER: Ich habe nicht... Ach so.

Ich bitte dann noch auf das Zitat auf Seite 323 Bezug zu nehmen, in dem ebenfalls die Persönlichkeit Hitlers geschildert wird. Ich halte es deswegen von Bedeutung, weil ich gerade auf das Urteil von Churchill ein erhebliches Gewicht lege. Es heißt dort: »Unsere Führung muß mindestens einen...«

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, glauben Sie denn nicht, daß wir bereits genügend über die Persönlichkeit Hitlers gehört haben?

DR. STAHMER: Aber nicht von dieser Seite. Wenn der Gerichtshof...

VORSITZENDER: Wahrscheinlich weiß der Angeklagte Göring mehr über Hitler als Churchill.

DR. STAHMER: Wenn der Gerichtshof die Verlesung nicht wünscht, werde ich selbstverständlich den Wunsch erfüllen.

VORSITZENDER: Ich glaube, daß es eine Wiederholung ist.

DR. STAHMER: Ja. Ich bin dann fertig.

Ich darf mir dann natürlich noch die Beweise vorbehalten, die ich bisher nicht vorbringen konnte, was ich heute Morgen gesagt habe. Ich habe ja heute Morgen gesagt, daß ich eine Reihe von Beweismitteln nicht vorbringen konnte, weil ich sie noch nicht erhalten habe.

VORSITZENDER: Sicherlich.

JUSTICE JACKSON: Wäre dies ein günstiger Zeitpunkt, Hoher Gerichtshof, die Dokumente ins Protokoll aufzunehmen, die ich nur formell zu den Gerichtsakten vorlegen möchte?

VORSITZENDER: Ich verstehe nicht ganz. Auf welche Dokumente beziehen Sie sich?

JUSTICE JACKSON: Auf diejenigen, die im Kreuzverhör gebraucht wurden.

VORSITZENDER: Ja, sicherlich.

JUSTICE JACKSON: Über die der Herr Vorsitzende mit mir gesprochen hat.

VORSITZENDER: Ja.

JUSTICE JACKSON: Ich habe erfahren, daß sie dem Sekretariat übergeben und gezeichnet worden sind.

Die eidesstattliche Erklärung von Halder ist US- 779 und ist bereits vorgelegt.

Dokument 3700-PS wird als US-780 vorgelegt.

,, 3575-PS ,, ,, US-781 ,,

,, 3787-PS ,, ,, US-782 ,,

,, 2523-PS ,, ,, US-783 ,,

,, 014-PS ,, ,, US-784 ,,

,, 1193-PS ,, ,, US-785 ,,

,, EC-317 ,, ,, US-786 ,,

,, 3786-PS ,, ,, US-787 ,,

,, 638-PS ,, ,, US-788 ,,

,, 1742-PS ,, ,, US-789 ,,

M. CHAMPETIER DE RIBES: Herr Vorsitzender! Herr Dr. Stahmer hat in seiner Rede nicht von Dokument Nummer 26 gesprochen. Es handelt sich um eine Note der Reichsregierung vom Jahre 1940 an die Französische Regierung über die Behandlung von deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich. Aus denselben Gründen, aus denen die Ablehnung des Weißbuchs erfolgt ist, muß auch dies Dokument zurückgewiesen werden. Ich nehme an, daß sich Dr. Stahmer dessen bewußt war und aus diesem Grunde dieses Dokument auch nicht mehr erwähnt hat. Ich möchte wissen, ob er es genau so verstanden hat.

DR. STAHMER: Ich habe das Dokument nicht erwähnt. Ich ziehe es zurück.

VORSITZENDER: Ich erteile nun dem Verteidiger des Angeklagten Heß das Wort.

DR. SEIDL: Herr Präsident, meine Herren Richter! Bevor ich in die Beweisaufnahme eingehe, habe ich auf Wunsch des Angeklagten Rudolf Heß folgendes vorauszuschicken. Der Angeklagte Rudolf Heß bestreitet die Zuständigkeit des Gerichtshofes, soweit andere Sachbestände als echte Kriegsverbrechen den Gegenstand des Verfahrens bilden. Er übernimmt jedoch ausdrücklich die volle Verantwortung für alle Gesetze und Verordnungen, die er unterschrieben hat. Er übernimmt weiter die Verantwortung für alle Befehle und Verfügungen, die er in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Führers und als Reichsminister erlassen hat. Aus diesem Grunde wünscht er keine Verteidigung gegenüber Anklagen, die die inneren Angelegenheiten Deutschlands als souveränen Staat betreffen. Das gilt insbesondere für das Verhältnis von Kirche und Staat und ähnliche Fragen. Ich werde daher nur Beweismittel in Bezug auf Fragen vorlegen, an deren Klarstellung die anderen Staaten ein berechtigtes Interesse haben können. Das gilt zum Beispiel für die Aufgaben und für die Tätigkeit der Auslandsorganisation der NSDAP. Darüber hinaus werden Beweismittel dem Gerichtshof nur insoweit unterbreitet werden, als dies zur Feststellung der historischen Wahrheit notwendig ist. Dies gilt unter anderem für die Beweggründe, die Rudolf Heß zu seinem Flug nach England veranlaßt haben und für die Absichten, die er damit verfolgt hat. Das von mir vorbereitete Beweismaterial ist zusammengefaßt in drei Dokumentenbüchern. Im Hinblick auf die vom Gerichtshof gewünschte Beschleunigung des Verfahrens werde ich darauf verzichten, aus dem ersten Band irgendwelche Dokumente vorzulesen und bitte den Gerichtshof, lediglich von den im Dokumentenbuch rot angestrichenen Stellen Kenntnis nehmen zu wollen. Verlesen werde ich lediglich die eidesstattliche Versicherung, die sich am Schluß des Dokumentenbuches befindet, und zwar die eidesstattliche Versicherung der früheren Sekretärin des Angeklagten Rudolf Heß, Hildegard Fath, und verlesen werde ich weiter...

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Wenn Sie von Ihren einleitenden Bemerkungen übergehen zur Behandlung der Dokumente, halte ich es für richtig, Sie darauf zu verweisen, daß die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs nicht angefochten werden kann. Artikel 3 sieht vor, daß der Gerichtshof weder von der Anklagelbehörde noch von den Angeklagten oder ihren Verteidigern abgelehnt werden kann, und der Gerichtshof kann daher keine Diskussion über diesen Gegenstand zulassen. Sie können nun mit Ihrer Erörterung von Dokumenten fortfahren.

DR. SEIDL: Verlesen wird weiter aus dem zweiten Band das Protokoll über die Unterredung zwischen dem Angeklagten Rudolf Heß und Lord Simon, die am 10. Juni 1941 in England stattgefunden hat. Um eine Zerreißung in der Verlesung des Beweismaterials zu vermeiden, werde ich heute lediglich die eidesstattliche Versicherung der Zeugin, Hildegard Fath, Seite 164 des Dokumentenbuches, verlesen. Die eidesstattliche Versicherung lautet:

»Belehrt über die Folgen einer falschen eidesstattlichen Erklärung, erkläre ich zum Zwecke der Vorlage beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg an Eides Statt wie folgt.«

Es folgen dann die Personalien und ich zitiere nun wörtlich unter Ziffer 2:

»Ich war vom 17. Oktober 1933 bis zu seinem Flug nach England am 10. Mai 1941 als Sekretärin des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, in München tätig.

Vom Sommer 1940 an, den genauen Zeitpunkt kann ich nicht mehr angeben, mußte ich im Auftrage von Heß geheime Wettermeldungen über die Wetterlage über der Britischen Insel und über der Nordsee einholen und an Heß weiterleiten. Die Meldungen bekam ich von einem Hauptmann Busch. Teilweise bekam ich auch Meldungen von Fräulein Sperr, der Sekretärin von Heß, bei dessen Verbindungsstab in Berlin.

Herr Heß hat bei seinem Abflug nach England einen Brief hinterlassen, der dem Führer zu einer Zeit ausgehändigt wurde, als Heß bereits in England gelandet war. Ich habe eine Abschrift dieses Briefes gelesen. Der Brief begann etwa mit den Worten: ›Mein Führer, wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich in England‹. Den ganzen Wortlaut dieses Briefes habe ich nicht mehr im Gedächtnis. In der Hauptsache beschäftigt sich Heß in dem Brief mit den Vorschlägen, die er in England unterbreiten wollte, um zu einem Frieden zu kommen. An die Einzelheiten der vorgeschlagenen Regelung kann ich mich nicht mehr entsinnen. Ich kann jedoch mit aller Bestimmtheit versichern, daß von der Sowjetunion oder davon, daß mit England ein Friedensvertrag geschlossen werden sollte, um an einer anderen Front den Rücken frei zu haben, mit keinem Wort gesprochen wurde. Wäre davon in dem Brief die Rede gewesen, dann hätte sich das bestimmt in meinem Gedächtnis eingeprägt. Aus dem Inhalt des Briefes mußte man den bestimmten Eindruck gewinnen, daß Heß diesen außergewöhnlichen Flug unternahm, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden und für einen Friedensschluß günstige Voraussetzungen zu schaffen.

Ich habe in meiner Eigenschaft als langjährige Sekretärin Rudolf Heß' dessen Einstellung zu bestimmten Fragen ziemlich genau kennengelernt. Wenn mir nun gesagt wird, daß in einem Brief des Reichsministers der Justiz an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, vom 17. April 1941 davon gesprochen wird, daß der Stellvertreter des Führers die Einführung von Körperstrafen gegen Polen in den eingegliederten polnischen Gebieten zur Erörterung gestellt habe, so kann ich nicht glauben, daß diese Stellungnahme des Amtes, dem Rudolf Heß vorstand, auf dessen persönliche Entscheidung zurückging. Ein derartiger Vorschlag würde völlig der Haltung und der Einstellung widersprechen, die der Stellvertreter des Führers bei anderen Gelegenheiten in derartigen Fragen an den Tag gelegt hat.«

Auf die Verlesung der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin Ingeborg Sperr, Seite 166 des Dokumentenbuches, verzichte ich.

Aus den ersten beiden Bänden des Dokumentenbuches wünsche ich, wie bereits erwähnt, nur noch Teile aus der Unterredung zwischen Heß und Lord Simon zu zitieren. Um aber eine Zerreißung des Vortrages dieser Unterredung zu vermeiden, bitte ich den Gerichtshof um die Erlaubnis, dieses Dokument am nächsten Montag dem Gerichtshof unterbreiten zu dürfen.

VORSITZENDER: Gewiß. Wollen Sie damit sagen, daß Sie jetzt nicht fortsetzen wollen?

DR. SEIDL: Wenn es dem Gerichtshof recht ist, werde ich jetzt abbrechen.

VORSITZENDER: Haben Sie kein anderes Dokument, das Sie vorlegen wollen?

DR. SEIDL: Bitte? Ja, es sind noch Dokumente in Band 3 des Dokumentenbuches. Ich würde es aber vorziehen, diese Dokumente im Zusammenhang dem Gerichtshof zu unterbreiten.

VORSITZENDER: Gut, Dr. Seidl. Wenn Sie es wünschen, werden wir uns jetzt vertagen.