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[Das Gericht vertagt sich bis

23. März 1946, 10.00 Uhr.]

Neunundachtzigster Tag.

Samstag, 23. März 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Sir David! Haben Sie die Verteidiger über die Reihenfolge befragt, in welcher sie diese ergänzenden Anträge zu behandeln wünschen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe die Reihenfolge, die der Gerichtshof hat; sie beginnt mit Streicher.

VORSITZENDER: Ja, das würde vielleicht das beste sein. Ist der Verteidiger von Streicher bereit? Dr. Marx?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Dr. Marx ist hier.

DR. HANNS MARX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN STREICHER: Hoher Gerichtshof, Herr Präsident! Ich habe für den Angeklagten Julius Streicher beantragt, Fritz Herrwerth als Zeugen vor das Gericht zu laden. Es handelt sich bei diesem Zeugen um einen Mann, der in der unmittelbaren Umgebung des Angeklagten Streicher sich seit Jahren befand und infolge dieser Eigenschaft in der Lage ist, über die sämtlichen Vorgänge politischer Art Auskunft zu geben, die für die Entscheidung und für die Beurteilung des Falles Streicher nach vielen Richtungen maßgeblich sein können. Insbesondere habe ich diesen Zeugen deswegen beantragt, weil er in jener Nacht vom 9. auf 10. November zugegen war, als der Angeklagte Streicher eine Besprechung mit dem SA- Führer von Obernitz hatte, wobei von Obernitz Streicher mitteilte, daß er, Obernitz, den Befehl erhalten habe, in dieser Nacht Demonstrationen gegen die jüdische Bevölkerung durchzuführen. Streicher stellt unter Beweis, daß er damals dem Herrn von Obernitz erklärte, er, Streicher, distanziere sich von dieser Sache, er halte diese Demonstrationen für verfehlt und lehne sie ab. Obernitz hätte darauf erklärt, er habe den Befehl von Berlin erhalten und müsse ihn durchführen. Es kann...

VORSITZENDER: Sir David, erheben Sie Einspruch gegen diese Änderung unserer früheren Anordnung?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir sehen keine Änderung in der Lage seit der Entscheidung des Gerichtshofs; aber wir wollen nicht dagegen wirken, daß der Zeuge mündlich vernommen wird. Wir müssen jedoch darauf hinweisen, daß keine Änderung eingetreten ist. Der Gerichtshof hat die Sache schon geprüft. Wenn der Gerichtshof der Ansicht ist, daß es besser wäre, den Zeugen mündlich zu vernehmen, so wird die Anklagebehörde keinen Einspruch erheben.

VORSITZENDER: Sind die Fragebogen schon fertiggestellt worden?

DR. MARX: Nein, die sind noch nicht fertiggestellt. Verzeihung, Herr Präsident, bezieht sich diese Frage auf den Zeugen Herrwerth?

VORSITZENDER: Ja.

DR. MARX: Ja, die Fragen an den Zeugen sind fertiggestellt; die Fragen, die die Verteidigung wünscht...

VORSITZENDER: Dr. Marx, wir werden die Sache wieder prüfen. Sie haben noch etwas anderes, nicht wahr, Dr. Marx? Sie wollen doch ein Dokument; Sie haben ein Dokument, um das Sie baten, Dr. Marx, stimmt das nicht? Oder verlangen Sie es nicht mehr?

DR. MARX: Darf ich sprechen, Herr Präsident? In der Tat möchte ich bitten, die beiden angezogenen Dokumente mir zur Verfügung stellen zu wollen. Das ist die Prozeßsache gegen Karl Holz aus dem Jahre 1931 und die Akten über das Disziplinarverfahren gegen Julius Streicher, wobei ich leider nicht in der Lage bin, das Jahr anzugeben. Es dürfte sich um das Jahr 1931 handeln.

VORSITZENDER: Dr. Marx, haben wir nicht in Übereinstimmung mit der Anklagevertretung eine Stelle von einem Dokument ausgestrichen, in dem Kritik gegenüber dem Angeklagten Streicher geübt wurde? Macht dies nicht das Beweismaterial ganz unerheblich?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war über den Zeugen Lothar Streicher, den Sohn, über ein Interview im Gefängnis, in dem gewisse Behauptungen erhoben wurden. Diese Behauptungen wurden mit Zustimmung der Anklagebehörde gestrichen. Ich gestehe, daß ich nicht wissen kann, ob das Disziplinarverfahren in der Angelegenheit Streicher...

DR. MARX: Verzeihung, Herr Präsident, darf ich sprechen?

Die Angelegenheit, in der Lothar Streicher eine Rolle spielt, das ist. eine Sache aus dem Göring-Bericht über den Besuch oder die Unterhaltung Streichers mit drei jugendlichen Verbrechern, wobei Streicher eine unschöne oder ungeziemende Haltung eingenommen haben soll. Lothar Streicher wurde von mir als Zeuge benannt, daß damals etwas Derartiges nicht vorgekommen ist. Das bezieht sich also auf den Bericht der Göring-Kommission, während es sich bei der anderen Sache um einen Disziplinarakt handelt. Dieses Verfahren ist im Jahre 1931 zum Abschluß gekommen vor dem Disziplinarhof in München.

VORSITZENDER: War das nicht alles im Zusammenhang mit demselben angeblichen Vergehen Streichers?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe jetzt die Einzelheiten, Herr Präsident, wenn ich sie verlesen darf. Ich glaube, das wird es klar machen. Der erste Antrag bezüglich des Verfahrens gegen Karl Holz lautet: Das Dokument, das hier verlangt wird, wird verwendet werden, um die folgenden Tatsachen zu beweisen: Während dieses Verfahrens hat Dr. Erich Bischof aus Leipzig, eine Autorität über den Talmud, eine Aussage unter Eid gemacht, daß in dem jüdischen Religionsbuch »Sohar« ein Gesetz enthalten war, das Ritualmorde gestattet.

VORSITZENDER: Aber, Sir David, das sind zwei verschiedene Anträge, nicht wahr? Da ist der Antrag bezüglich des jüdischen Religionsbuches und der zweite Antrag, der sich mit dem Verfahren gegen Karl Holz beschäftigt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soweit ich es verstehe, Euer Lordschaft, trägt dieser Antrag die Überschrift: Prozeßakt in der Sache Karl Holz, und eines der Beweismittel im Verfahren gegen Karl Holz war nach Dr. Marx' Antrag die Aussage von Dr. Erich Bischof über den Talmud. In dem Antrag heißt es dann weiter: Diese Tatsachen sind für meine Verteidigung aus folgenden Gründen erheblich: Der Angeklagte will mit diesem Gerichtsakt beweisen, daß der »Stürmer« nicht wider besseres Wissen die Ritualmordfrage behandelt hat. Das heißt, soweit ich es verstehe, daß der »Stürmer« sich mit Ritualmorden nach der Kenntnis Dr. Bischofs beschäftigte, so, wie es bei jenem Prozeß vorgebracht wurde. Ich darf dazu sagen, daß das nach meiner Ansicht ganz unerheblich wäre.

VORSITZENDER: Was ist das Datum dieses Religionsbuches? Es wurde im Mittelalter geschrieben, nicht wahr?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, ja, Euer Lordschaft. Und es wurde am 30. Oktober und 4. November 1931 von Dr. Bischof vorgelegt.

Dann, Euer Lordschaft, um es ganz klar zu machen, damit Euer Lordschaft sich daran erinnern, bei dem zweiten Antrag handelt es sich um die Akten des Disziplinarverfahrens in der Sache Julius Streicher vor dem Disziplinarhof in München: Das vorbezeichnete Schriftstück soll zum Beweis folgender Tatsachen verwendet werden: Mit der Vorlage dieses Aktes will der Angeklagte beweisen, daß er nicht etwa wegen eines Sittlichkeitsverbrechens aus seinem Beruf entlassen worden ist, sondern aus politischen Gründen unter Zubilligung eines Teiles seines Gehalts.

Ich selbst sehe nicht die Erheblichkeit, aber vielleicht kann Dr. Marx den Gerichtshof darüber informieren.

VORSITZENDER: Ist er in der Anklageschritt deswegen angeklagt?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein. Es sind nichts anderes als antijüdische Gründe in seinem Strafregister.

VORSITZENDER: In diesem Zusammenhang stimmte die Anklagebehörde zu, jeden Hinweis auf diesen Fall zu streichen, nicht wahr?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin nicht so sicher, daß es derselbe Fall ist, aber die Anklagebehörde stimmte zu, den einzigen diesbezüglichen Hinweis, der meines Wissens in dem Bericht erschien, zu streichen. Das betraf die Behandlung gewisser Jungen, die verhaftet worden waren.

DR. MARX: Herr Präsident! Darf ich zur Klärung der Sachlage nun einige Ausführungen machen? Die Verteidigung des Angeklagten Streicher beantragte die Beiziehung dieses Disziplinaraktes aus folgendem Grunde: Streicher wurde von einem russischen Verhöroffizier gefragt, ob er wegen Sittlichkeitsverbrechens aus seinem Beruf entlassen worden sei, und deswegen ist es erforderlich, diesen Disziplinarakt beizuziehen. Aus diesem Akt ergibt sich, daß Streicher nicht wegen einer sittlichen Verfehlung in seinem Schulamt entlassen worden ist sondern wegen seiner politischen Haltung. Das ist der Punkt eins. Und vollkommen getrennt davon ist die Sache, bei der Lothar Streicher als Zeuge fungieren soll. Das war die Sache, die in dem Göring-Kommissionsbericht erwähnt ist mit den drei jugendlichen Übeltätern, welche Streicher besucht hat, und bei welcher Gelegenheit er sich einer unsittlichen Manipulation oder Geste schuldig gemacht haben soll.

Ich komme nun zu der Frage des Dr. Bischof, Herr Präsident. Es handelt sich um folgendes: Streicher ist zum Vorwurf gemacht, daß er bei Zitaten aus dem Talmud oder bei Zitaten, welche die Ritualmordfrage betreffen, entweder unrichtige Übersetzungen zu Rate gezogen oder leichtfertig oder grobfahrlässig sich nicht genügend vergewissert hat.

VORSITZENDER: Wenn Sie, Herr Dr. Marx, sagen, daß dem Angeklagten derartige Vorwürfe gemacht werden, so gibt es eine derartige Anklage in der Anklageschrift nicht. Keine derartigen Anklagen sind im Laufe des Verfahrens erhoben worden. Die Anklage gegen ihn ist, daß er das deutsche Volk dazu getrieben hat, Exzesse gegen die Juden zu begehen, nicht aber durch unrichtige Zitate von jüdischen Büchern, sondern dadurch, daß er sich auf jüdische Bücher aus dem Mittelalter bezog.

DR. MARX: Ich erlaube mir, demgegenüber darauf hinzuweisen, daß der Anklagevertreter, Oberstleutnant Griffith Jones, bei Vertretung der Anklage gegen Streicher sich auf diesen Punkt ausdrücklich bezog und Streicher den Vorwurf gemacht hat, er hätte hier wider besseres Wissen Stellen aus dem Talmud zitiert. Und deswegen ist es wichtig, diesen Akt gegen Holz beizuziehen, weil darin durch den Zeugen Bischof festgestellt ist, wie die Zitate zustandegekommen sind. Dieser Dr. Bischof ist ein anerkannter Gelehrter. Aber, Herr Präsident, die ganze Sache könnte sich doch abkürzen, wenn die Anklagebehörde heute erklärt, daß sie diese ganze Sache mit dem Ritualmord überhaupt nicht zum Gegenstand der Anklage macht. Dann wäre doch ein Element aus dem Prozeß herausgenommen, welches ihn auf jeden Fall nur verlängern könnte, und das doch keine besondere Rolle spielen kann in Richtung gegen den Angeklagten und mit der eigentlichen Anklage nichts zu tun hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte diese Sachlage vollkommen klar machen. Der wichtige Punkt in dieser Sache der Anklagevertretung ist die Verwendung des Vorwurfes gegen die Juden, daß sie Ritualmord begangen haben. Wenn jemand etwas aus einem Buch des Mittelalters herausnimmt und es so darstellt, daß der einfache Leser es als die Praxis der Juden oder als einen Grund dafür, die Juden abzulehnen, verstehen muß, dann sagt die Anklagevertretung, daß das eine üble Methode ist, Haß gegen die Juden anzufachen. Ob man im jüdischen Buch des Mittelalters einige Bemerkungen über Ritualmorde finden kann, ist wirklich unwesentlich. Der Klagepunkt des Falles für die Anklagebehörde besteht darin, daß die Ritualmorde benutzt worden sind, um heute Haß gegen die Juden zu entfachen. Das ist die Frage, die der Angeklagte zu beantworten hat.

VORSITZENDER: Wir werden den Antrag prüfen.

DR. MARX: Verzeihung! Ich halte es doch für erforderlich, nur ganz kurz auf die Ausführungen meines Vorredners Sir David Maxwell-Fyfe zu antworten. Es ist so: Die fragliche Sondernummer des »Stürmers« nimmt Bezug insbesondere auf einen Prozeß, der im Jahre 1899 in Piseck in Mähren oder Böhmen stattfand, und bei dem diese Frage eine Rolle gespielt hat. Es ist also nicht so, daß der Angeklagte Streicher lediglich sich auf mittelalterlichen Aberglauben gestützt hat, sondern er hat einen aus der modernen Rechtsgeschichte entnommenen Stoff gebracht mit Unterlagen, die ich selbst nicht auf ihre Richtigkeit prüfen kann, die ich aber nicht ohne weiteres als unrichtig abtun kann, und die auch wohl der Gerichtshof zu prüfen hat. Deshalb sagte ich, sollte man doch diese ganze Materie überhaupt nicht berühren. Denn es handelt sich doch nur darum, ob Streicher im guten Glauben gehandelt hat oder nicht, und wenn er sagen kann, es sind Prozesse darüber geführt worden und die Richter waren sich selbst nicht einig, dann kann man doch nicht sagen, daß er wider besseres Wissen gehandelt hat. Das ist doch das Wesentliche an der Sache. Also, mir persönlich wäre es am liebsten, wenn diese Sache eliminiert würde, wenn die Anklagebehörde diesen ganzen Komplex nicht mehr als Gegenstand der Anklage betrachtet wissen wollte.

VORSITZENDER: Wir werden den Antrag in Betracht ziehen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste auf der Liste, die ich hier habe, Herr Präsident, ist der Antrag des Angeklagten Göring für Major Büx. Ich ersuchte Dr. Stahmer, und er war so freundlich, mir mitzuteilen, daß das derselbe Herr ist, der als Zeuge von dem Angeklagten Jodl unter dem Namen »Büchs« verlangt wurde. Ich glaube, daß der Gerichtshof ihn schon als Zeugen für Jodl angenommen hat, und Dr. Stahmer wird die Möglichkeit haben, ihm dann Fragen zu stellen.

DR. STAHMER: Ich bin einverstanden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das nächste ist ein Antrag des Angeklagten von Ribbentrop. Er verlangt Herrn Hilger als Zeugen. Die Gründe des Gesuches sind, daß Dr. Horn und der Angeklagte Ribbentrop der Meinung sind, daß der Zeuge Gaus, den er verlangte, nicht imstande war, so viel Hilfe zu geben, als man erwartet hat, und deshalb soll Hilger noch zusätzlich zugelassen werden. Die Ansicht der Anklagevertretung ist, daß der Angeklagte entweder Hilger oder Gaus als Zeugen vorgeladen und vom anderen einen Fragebogen vorgelegt haben soll. Die Anklagebehörde hat keinen Einspruch dagegen zu erheben, daß der Zeuge Hilger zur Befragung nach Nürnberg gebracht wird.

DR. WALTER SIEMERS, IN VERTRETUNG VON DR. MARTIN HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Ich hatte an sich Sir David bitten wollen, diese Frage noch einen Moment zurückzustellen, da ich Herrn Dr. Horn habe Nachricht geben lassen, er möchte selbst kommen. Wir Verteidiger waren nicht unterrichtet, welche Anträge heute behandelt werden. Daher ist Dr. Horn im Moment nicht hier. Ich glaube aber, wenn der Gerichtshof einverstanden ist, daß die Sache vielleicht schon so erledigt werden kann, soweit ich weiß; ich muß allerdings mit Dr. Horn erst sprechen. Ich spreche ohne Präjudiz.

VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was Sie meinen, daß Sie über diese Anträge nicht unterrichtet waren. Ich habe gestern erklärt, daß Ergänzungsanträge für Zeugen und Dokumente heute Morgen behandelt werden würden. Ich verstehe nicht Ihre Behauptung, daß Sie nicht wußten, was heute geschehen sollte. Der Gerichtshof hat keinen Einwand dagegen, daß es später behandelt wird, wenn Dr. Horn hier ist, falls er rechtzeitig erscheint.

DR. SIEMERS: Jawohl, ich darf vorschlagen, falls Herr Dr. Horn nicht rechtzeitig zurückkommt, bin ich bereit, die Sache für ihn zu erledigen, bis dahin werde ich dazu in der Lage sein.

VORSITZENDER: Sehr gut.

DR. MARX: Verzeihung, Herr Vorsitzender, darf ich noch eine ganz kurze Erklärung abgeben? Streicher teilt mir eben mit, ich solle erklären, daß er auf den Zeugen Lothar Streicher verzichtet. Wenn also die Ladung dieses Zeugen in Betracht gezogen wäre, erkläre ich, daß von Seiten der Verteidigung auf ihn verzichtet wird.

VORSITZENDER: Wurde er schon zugelassen, Lothar Streicher?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er war der Zeuge, der nicht gestattet werden soll, unter der Bedingung, daß die Anklagevertretung sich damit einverstanden erklärt, diese Bemerkung auszustreichen, was wir auch bewilligt haben.

VORSITZENDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der folgende Antrag ist für den Angeklagten von Papen.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Sir David. Ist das Schreiben über die Zurückziehung der Erklärung über den Zeugen Lothar Streicher schon in das Protokoll verlesen worden?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich weiß nicht, ob es in das Protokoll verlesen worden ist. Es ist dem Gerichtshof übergeben worden.

VORSITZENDER: Es wäre besser, es als Dokument vorzulegen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie es Euer Lordschaft beliebt.

Euer Lordschaft! Als nächstes ein Antrag für den Angeklagten von Papen. Er verlangt, daß der Zeuge Josten, der vom Gerichtshof als Zeuge angenommen wurde, ersetzt wird durch ein Affidavit, das der Verteidiger schon hat; und Dr. Kubuschok beantragt, Kroll möge als Zeuge zugelassen werden. Herr Präsident! Was Kroll anbetrifft, so glaubt die Anklagebehörde, er wäre nicht erheblich, aber der Gerichtshof hat einen Fragebogen für Kroll zugelassen, und deshalb hat die Anklagevertretung die Entscheidung des Gerichtshofs angenommen, daß er doch erheblich ist, und da Dr. Kubuschok auf einen Zeugen verzichtet, glauben wir, daß wir nichts dagegen haben können, daß Kroll als mündlicher Zeuge angehört wird, da der Gerichtshof entschieden hat, daß sein Zeugnis erheblich ist.

VORSITZENDER: Ja, und bezüglich Josten ist Ihnen das Affidavit bereits zugeleitet worden?

DR. KUBUSCHOK: Jawohl, ich habe es eben unterschrieben erhalten. Der Zeuge Josten ist heute erschienen und hat die eidesstattliche Erklärung unterzeichnet.

VORSITZENDER: Das, woran ich denke, ist, daß die Anklagebehörde den Wunsch haben könnte, ihn später zum Kreuzverhör zu rufen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben das Affidavit noch nicht gesehen, Euer Lordschaft. Es tut mir leid, ich werde das prüfen.

VORSITZENDER: Und das Ergebnis würde sein, daß beide Zeugen hier sein müßten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde das beachten, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Ich verstand es so, daß Dr. Kubuschok ein Affidavit meinte und nicht einen Fragebogen.

DR. KUBUSCHOK: Jawohl, eine eidesstattliche Erklärung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Vielleicht kann der Gerichtshof eine Entscheidung bezüglich dieses Punktes verschieben, bis ich die Möglichkeit habe, dieses Affidavit zu prüfen, und dann werde ich Dr. Kubuschok und den Gerichtshof benachrichtigen.

VORSITZENDER: Ja, sehr gut.

DR. KUBUSCHOK: Darf ich, Herr Präsident, noch einen weiteren Fall erwähnen? Mir war zur mündlichen Anhörung der Zeuge Tschirschky bewilligt worden, der sich augenblicklich in England aufhält. Der Zeuge hat an den Gerichtshof geschrieben, daß er aus England augenblicklich schwer abkömmlich ist, und bittet, die Vernehmung schriftlich zu erledigen. Ich bin damit einverstanden und habe einen Fragebogen entworfen, der jetzt dem Gerichtshof eingereicht wird. Damit würde also noch ein Zeuge fortfallen, Tschirschky sowohl wie Josten, so daß ich sehr darum bitte, doch den Zeugen Kroll zu einer persönlichen Zeugenanhörung zu bewilligen, nachdem doch schon eine erhebliche Zeitersparnis eingetreten ist.

VORSITZENDER: Sir David, Sie haben doch keinen Einspruch zu erheben?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, ich habe keinen Einspruch zu erheben. Ich mag vielleicht gewisse Gegenfragebogen für den Zeugen in Erwägung zu ziehen haben, aber das wird die Stellung von Dr. Tschirschky nicht ändern.

Der nächste Punkt ist der Antrag des Angeklagten Rosenberg für ein Dokument, Hitlers Brief an Rosenberg vom Jahre 1924. Dieses Dokument betrifft Rosenbergs Antisemitismus. Soweit ich weiß, hat die Anklage keines dieser Dokumente. Aber Dr. Thoma kann erklären, was er wünscht. Ich habe keinen Einspruch gegen die Vorlage dieser Dokumente, wenn sie gefunden werden können.

DR. THOMA: Herr Vorsitzender! Ich darf zunächst darauf aufmerksam machen, daß mein Beweisangebot, Rosenbergs Brief an Hitler, in welchem Rosenberg bittet, daß er nicht als Reichstagskandidat aufgenommen wird, daß mir dieser Brief unterdessen ausgehändigt worden ist. Dieser Antrag hat sich damit erledigt.

Zweitens habe ich...

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Dr. Thoma. Sie ziehen den Antrag zurück, weil Sie den Brief schon haben, nicht wahr? Sie sagten: Damit sei die Sache erledigt. Meinen Sie damit, daß Sie den Antrag zurückziehen?

DR. THOMA: Nein, Herr Vorsitzender. Der Gerichtshof hat mir bereits erlaubt, daß ich dieses Dokument vorlegen darf, sobald es gefunden wird. Es ist unterdessen gefunden worden.

Ferner möchte ich darauf aufmerksam machen, daß das Dokument, in welchem Rosenberg an Hitler schreibt und ihn bittet, als Hauptschriftleiter des »Völkischen Beobachter« entlassen zu werden, mir ebenfalls an sich bewilligt worden ist. Ich habe es aber noch nicht erhalten.

Drittens möchte ich noch bitten, daß noch zwei Dokumente mir bewilligt werden. Zwei Dokumente, die Rosenberg bereits bei Vernehmungen durch die Anklagebehörde vorgezeigt worden sind. Das erste Dokument ist ein Erlaß Hitlers an Rosenberg vom Juni 1943, in welchem Hitler Rosenberg anweist, sich in Ostfragen auf das Grundsätzliche zu beschränken...

VORSITZENDER: Dr. Thoma, Sie beschäftigen sich jetzt mit Anträgen, die nicht schriftlich vorliegen. Stimmt das?

DR. THOMA: Doch, ich habe sie schon schriftlich vorgelegt.

VORSITZENDER: Ich habe nur zwei Anträge hier, soweit ich sehen kann, einen bezüglich Hitlers Brief an Rosenberg vom Jahre 1924 und den zweiten Antrag mit Bezug auf drei Bücher über die Juden. Das sind die einzigen Anträge, die ich erhalten habe.

DR. THOMA: Herr Vorsitzender! Ich habe diese Anträge bereits in der mündlichen Verhandlung gestellt, und soviel ich weiß, hatte ich sie schon, bevor ich sie in der mündlichen Verhandlung gestellt habe, schriftlich eingereicht gehabt. Ich habe ja auch Bescheid bekommen auf zwei Dokumente, auf meinen Antrag hin. Nur über zwei Anträge habe ich noch keinen Bescheid bekommen. Ich bitte dann den Gerichtshof, diese zwei Anträge doch schriftlich nochmals einreichen zu dürfen.

VORSITZENDER: Jawohl, es wird Ihnen erlaubt werden, wenn Sie die Anträge klar machen. Sie verlangen zwei weitere Dokumente, und das erste, soweit ich es verstanden habe, war eine Verordnung vom Juni 1943. Ist das richtig?

DR. THOMA: Richtig. Und das nächste Dokument ist ein Brief Hitlers an Rosenberg, in welchem Hitler dem Rosenberg die Gründe mitteilt, warum er im Reichstag nicht mitarbeiten will, und warum er sich nicht an den Wahlen beteiligen will. Ich erinnere mich aber, daß ich diesen Antrag bereits schriftlich eingereicht habe, und bitte ihn noch einmal einreichen zu dürfen.

VORSITZENDER: Jawohl, der Antrag wird geprüft werden. Beziehen Sie sich auf daß Dokument vom Jahre 1924, den Brief, den Hitler an Rosenberg im Jahre 1924 schrieb?

DR. THOMA: Ja, im Jahre 1923 oder 1924. Nun, meine Herren, habe ich noch diesen grundsätzlichen Antrag in der Frage des Antisemitismus. Ich habe hier gebeten, mir nur einige geschichtliche Literatur zu bewilligen, und zwar über das Thema, warum es in Deutschland, ich glaube schon seit dem 8. Jahrhundert, ein Judenproblem gibt, und warum immer wieder in Deutschland Judenverfolgungen auftauchen. Und ich möchte damit behaupten, daß es sich bei diesem Tatbestand um irgendeine Tragik handelt, die wir rationell nicht begreifen. Ich möchte durch Nachweise, sowohl aus der jüdischen Literatur wie aus der christlich-theologischen Literatur den Nachweis bringen, daß es sich nicht darum handelt, daß das deutsche Volk verführt worden ist, die Juden auszurotten, und daß der Einfluß der Nationalsozialistischen Partei dahin gereicht hat, das deutsche Volk dahin zu bringen, daß es in einen solchen Judenhaß kommt, sondern daß wir hier vor Irrationalen Verhältnissen stehen, und daß das in der jüdischen und in der christlichen Literatur anerkannt ist. Ich möchte auch den Nachweis erbringen, daß auf rein geistigem Gebiet eine geistige Auseinandersetzung zwischen Judentum und dem Deutschtum bestanden hat, und zwar rein in der geistigen Sphäre, weil tatsächlich Moritz Goldstein im Jahre 1911 – ich erwähne nur ein Beispiel – behauptet hat, daß die Juden in Deutschland den geistigen Besitz Deutschlands verwalten. Es handelt sich also hier darum, das Problem in Deutschland, die kulturgeschichtliche Rolle des Judentums in Deutschland zu schildern, und warum ein solch drastischer Gegensatz zwischen Judentum und Deutschtum in Deutschland besteht. Ich beabsichtige hier nur Literatur anzuführen, aber ich glaube, daß meine Ausführungen im Plädoyer nicht genügend glaubwürdig sein würden, wenn ich nicht vorher auch wissenschaftliche, und zwar anerkannte wissenschaftliche Literatur angeführt habe. Nur darum ist es mir zu tun.

VORSITZENDER: Dr. Thoma, Ihre Anträge werden geprüft.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste Antrag betrifft den Angeklagten Speer. Er verlangt eine Anzahl von Dokumenten, die sich mit der zentralen Planung beschäftigen. Ich habe eigentlich noch keine Gelegenheit gehabt, sie mit den Beweisstücken zu vergleichen, aber wenn sie, so wie ich es glaube, dieselben sind, welche durch Justice Jackson dem Angeklagten Göring im Kreuzverhör vorgelegt wurden, so glaube ich, daß es sich entweder um Beweisstücke oder um Dokumente handelt, welche die Anklagebehörde hat, und die sich auf den Angeklagten Speer beziehen. Falls er sie nicht hat, werden wir unser Bestes tun, um ihm Abschriften zukommen zu lassen.

VORSITZENDER: Sir David! Sie sagten, daß sie alle dem Angeklagten Göring im Kreuzverhör vorgelegt wurden, und daß sie entweder Beweisstücke oder Dokumente waren; wenn sie dem Angeklagten Göring vorgelegt worden sind, dann dürften sie Beweisstücke sein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, es müssen Beweisstücke sein. Ich war noch nicht imstande, sie zu prüfen; aber da sie dem Gerichtshof vorgelegt wurden, müssen es Beweisstücke sein.

Der nächste Punkt ist ein Antrag im Namen des Angeklagten Seyß-Inquart für Fragebogen, die dem Dr. Uiberreither zugeleitet werden sollen. Der Gerichtshof wird sich erinnern, er war Gauleiter einer der wichtigsten österreichischen Gaue und ein Mitarbeiter in der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich. Ich habe keinen Einspruch gegen einen Fragebogen.

VORSITZENDER: Hat er nicht ein anderes Affidavit vor ein oder zwei Tagen abgegeben?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Das war für einen anderen Angeklagten, für Göring. Dr. Uiberreither hat natürlich gewisse Kenntnis von der österreichischen Lage. Die einzige Frage betrifft die Form, und welchen besonderen Gegenstand diese Fragebogen haben sollen. Das weiß ich nicht. Ich muß deshalb meine Stellungnahme über den genauen Wortlaut der Fragen vorbehalten.

VORSITZENDER: Haben Sie den Fragebogen schon gesehen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft!

VORSITZENDER: Sie wurden uns vorgelegt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihung, Euer Lordschaft, ich habe diese Fragebogen schon gesehen, es ist mein Fehler. Dr. Uiberreither ist ein- oder zweimal vorgekommen. Ich habe diese Anfragen tatsächlich schon gesehen, und der einzige Einspruch, den die Anklagebehörde erhebt, ist, daß die Form der Fragen, die gestellt wurden, etwas zu suggestiv ist. Vielleicht könnten meine Freunde, Herr Dodd und Oberst Baldwin sich mit Dr. Kubuschok oder mit dem, der den Angeklagten Seyß-Inquart vertritt, besprechen, was diesen Punkt anbetrifft, bevor diese Fragebogen tatsächlich vorgelegt werden.

VORSITZENDER: Sehr wohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der nächste Antrag betrifft den Angeklagten Sauckel. Verzeihung, DT. Kubuschok hat einen, anderen Antrag im Namen von Seyß-Inquart vorgebracht, der nicht auf der mir vorliegenden Liste enthalten war.