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[Pause von 10 Minuten.]

MR. DODD: Ich will die Zeit des Gerichtshofs nicht verschwenden, aber angesichts der Erklärung des Herrn Dr. Horn bezüglich des Gesundheitszustandes Ribbentrops halte ich es für notwendig, den Gerichtshof über die Lage zu informieren, wie wir sie sehen. Sie ist ganz verschieden von derjenigen nach der Ansicht Dr. Horns.

Ich habe mit Oberst Andrus und einem der behandelnden Militärärzte gesprochen. Oberst Andrus hat mit beiden Ärzten gesprochen, und wir erfahren, daß Ribbentrop nicht krank ist, und daß er imstande ist, Zeugnis abzulegen. Er ist nervös und scheint Angst zu haben, aber er ist in keiner Weise krank und imstande, Zeugenaussage abzulegen.

DR. HORN: Ich komme jetzt zu Seite 21 des Dokumentenbuches und bitte den Gerichtshof, das als Ribbentrop-Beweisstück Nummer 8 aufgeführte Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen. Es handelt sich wieder um eine Abschrift aus den »Dokumenten der deutschen Politik«, Band 4, die ich unterschrieben dem Gerichtshof eingereicht habe. Es handelt sich um die Rede des Botschafters von Ribbentrop in der 91. Sitzung des Völkerbundsrates in London über den Sowjetpakt, den Locarno-Vertrag und den deutschen Friedensplan. Die Rede wurde gehalten am 19. März 1936. Die Rede – ich beziehe mich auf Seite 3 der Rede und beginne mein Zitat mit Ziffer 5. Ich zitiere:

»Frankreich und Rußland erheben sich nach diesem Bündnis zum Richter in eigener Sache, indem sie gegebenenfalls auch ohne einen Beschluß oder eine Empfeh lung des Völkerbundes selbständig den Angreif er bestimmen und somit gegen Deutschland nach ihrem eigenen Ermessen zum Kriege schreiten können.

Diese strikte Verpflichtung der beiden Staaten ergibt sich klar und eindeutig aus Ziffer 1 des Zeichnungsprotokolls zu dem Bündnisvertrag. Das heißt also: Frankreich kann in einem angezogenen Fall aus eigenem Ermessen entscheiden, ob Deutschland oder Sowjetrußland der Angreifer sei. Es macht dabei lediglich den Vorbehalt, daß es sich durch sein militärisches Vorgehen gemäß einer solchen eigenen Entscheidung nicht Sanktionsmaßnahmen seitens der Garantiemächte des Rheinpaktes, England und Italien, aussetze.

Dieser Einwand ist rechtlich und realpolitisch gesehen belanglos.

Rechtlich: Wie will Frankreich bei der eigenen Feststellung des Angreifers voraussehen wollen, welche Haltung zu dieser seiner Feststellung nachträglich die angezogenen Garanten des Locarno-Paktes anzunehmen beabsichtigen? Die Antwort auf die Frage, ob Frankreich im gegebenen Falle derartige Sanktionsmaßnahmen zu befürchten hätte, hängt praktisch nicht lediglich von der loyalen Vertragstreue der Garanten ab, die die Deutsche Regierung in keiner Weise in Zweifel ziehen will, sondern auch von den verschiedensten Voraussetzungen rein faktischer Art, deren Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit im voraus in keiner Weise zu übersehen ist. Außerdem kann aber die Beurteilung des Verhältnisses des neuen Bündnisvertrags zum Rheinpakt unmöglich von dem Vertragsverhältnis zwi schen Frankreich und Deutschland einerseits und den Garantiemächten andererseits abhängig gemacht werden, sondern allein von dem unmittelbaren Vertragsverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland selbst. Sonst müßte man Deutschland ansinnen, jede mögliche Verletzung des Rheinpaktes durch Frankreich stillschweigend hinzunehmen, im Vertrauen darauf, daß die Garanten für seine Sicherheit zu sorgen haben. Das ist sicherlich nicht der Sinn des Rheinpaktes gewesen.

Realpolitisch: Es ist für einen Staat, der infolge einer unrichtigen, weil in eigener Sache vorweggenommenen Entscheidung von einer so übermächtigen Militärkoalition angegriffen wird, ein belangloser Trost, sein Recht in nachträglichen Sanktionen gegenüber den vom Völkerbundsrat verurteilten Angreifern zu erhalten. Denn welche Sanktionen könnten überhaupt eine so gigantische, von Ostasien bis zum Kanal reichende Koalition treffen? Diese beiden Staaten sind so mächtige und ausschlaggebende Mitglieder und insonderheit militärisch starke Faktoren des Völkerbundes, daß nach allen praktischen Erwägungen eine Sanktion dagegen von vornherein undenkbar wäre.

Es ist daher diese zweite Einschränkung, die ihren Bezug nimmt auf die Rücksichtnahme auf eventuelle Sanktionen, realpolitisch gänzlich belanglos.

Ich bitte nun aber die Mitglieder des Rates, sich nicht nur die rechtliche und praktische politische Tragweite dieser Verpflichtung Frankreichs zum selbständigen Handeln zu vergegenwärtigen, sondern sich vor allem die Frage zu stellen, ob die Ansicht vertretbar ist, daß die damalige Deutsche Regierung, die die Locarno-Verträge unterzeichnet hat, etwa jemals die Verpflichtungen dieses Paktes übernommen hätte, wenn sich in ihm so einseitig belastende Momente befunden haben würden, wie sie sich nun nachträglich ergeben.«

Ich gehe nun auf Seite 26 des Dokumentenbuches und des gleichen Dokuments über und füge zur Klärung des deutschen Standpunktes noch folgendes hinzu:

»Das französisch-sowjetrussische Bündnis aber bedeutet darüber hinaus noch nach der geschichtlichen Auffassung der Deutschen Regierung eine völlige Beseitigung des bisherigen europäischen Gleichgewichtes und damit der fundamentalen politischen und rechtlichen Voraussetzungen, unter denen der Locarno-Pakt damals abgeschlossen wurde.«

Damit hatte Deutschland seinen Rechtsstandpunkt über seine Einstellung zum Locarno-Vertrag und zu den Versailler Bestimmungen bezüglich der Entmilitarisierung des Rheinlandes dargelegt. Um seinen Willen zur Abrüstung unter Beweis zu stellen, ist in demselben Dokument auf Seite 7, das ist Seite 27 des Dokumentenbuches, ein eingehend detaillierter Abrüstungsvorschlag enthalten.

Ich bitte den Gerichtshof, das eben zitierte Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen, damit ich mich später darauf beziehen kann.

Mit dieser Darlegung schließe ich meine Ausführungen über Deutschlands Begründung der Wiederbesetzung des Rheinlandes. Auf die Rolle des Angeklagten von Ribbentrop bei der Rheinlandbesetzung werde ich eingehen, wenn ich den Angeklagten in den Zeugenstand rufe.

Nach der Rheinlandbesetzung kehrte der Angeklagte von Ribbentrop nach London, wo er damals als Botschafter tätig war, zurück. Am 4. Februar 1938 wurde er zum Außenminister ernannt und führte von da an die Außenpolitik nach den Richtlinien Hitlers. Zum Beweise dieser Behauptung beziehe ich mich auf das im Dokumentenbuch befindliche Ribbentrop-Beweisstück Nummer 10. Es handelt sich um ein ganz kurzes Dokument, das ich dem Gerichtshof zur amtlichen Kenntnisnahme vorlege. Es handelt sich um einen Auszug aus der Rede des Führers vor dem Deutschen Reichstag in der Kroll-Oper zu Berlin vom 19. Juli 1940. Ich zitiere:

»Ich kann diese Würdigung nicht abschließen, ohne dabei endlich dem Manne zu danken, der seit Jahren meine außenpolitischen Richtlinien in treuer, unermüdlicher, sich selbst verzehrender Arbeit verwirklicht. Der Name des Parteigenossen von Ribbentrop wird mit der politischen Erhebung der deutschen Nation als Reichsaußenminister für alle Zeiten verbunden sein.«

Ich lege dieses Zitat dem Gerichtshof vor, um zu zeigen, nach welchen Grundsätzen der Angeklagte von Ribbentrop die Außenpolitik zu führen hatte.

Ich darf den Gerichtshof jetzt bitten, den Zeugen, Staatssekretär von Steengracht zu hören.