[Verhandlungspause.]
VORSITZENDER: Dr. Horn! Der Gerichtshof wird über die Zulässigkeit dieser Stellen aus dem Buche von Lord Rothermere erst entscheiden, nachdem ihm die Übersetzungen überreicht worden sind. In der Zwischenzeit wollen Sie bitte fortfahren, Ihre Dokumente vorzulegen, und zwar so, wie ich es vorgeschlagen habe, indem Sie nur solche einzeln erwähnen, auf die Sie besonders aufmerksam machen wollen.
DR. HORN: Ich darf ganz kurz anführen, daß es durch die Unterdrückung der deutschen Volksgruppen in den Randgebieten der Tschechoslowakei zur Bildung der Sudetendeutschen Partei und zur Zusammenarbeit und Beratung dieser Partei mit deutschen Dienststellen dahin gekommen ist, daß der Angeklagte von Ribbentrop in seiner Eigenschaft als Reichsaußenminister im Rahmen der ihm gegebenen Richtlinien Besprechungen mit Führern der Volksgruppen abgehalten hat. Zum Beweis dafür sind eine Reihe von Dokumenten bereits von der Staatsanwaltschaft vorgelegt, auf die ich mich späterhin beziehen werde. Ich darf in diesem Zusammenhang nur um eine Korrektur im Dokument Nr. 2788-PS bitten, wo es auf Seite 2 ungefähr in der Mitte heißt: »Durch den Umfang und die schrittweise« – und jetzt kommt der Fehler der Übersetzung: »Provozierung« steht in unserer Urkunde, während es in der Originalurkunde heißt: »Präzisierung der Forderungen, um den Eintritt in die Regierung zu vermeiden.« Ich bitte, diesen sinnentstellenden Fehler hier richtigstellen zu dürfen.
Im weiteren Verlauf der Anklage ist behauptet worden, daß von Ribbentrop die Eigenmächtigkeit der sudetendeutschen Führer unterstützt habe. Zum Beweis des Gegenteils beziehe ich mich auf einen noch nicht verlesenen Teil des Dokuments 3060-PS, aus dem das Gegenteil hervorgeht, nämlich, daß der damalige Außenminister von Ribbentrop gegen die Eigenmächtigkeiten der sudetendeutschen Führer mit Hilfe seines Gesandten in Prag eingeschritten ist. Ich darf zum Beweis dafür den ersten und zweiten Absatz dieses Dokuments verlesen. Zitat:
»Abweisung Franks« – das heißt, des damaligen Führers der Sudetendeutschen Partei – »hat heilsam gewirkt. Habe mich mit Henlein, der sich mir in letzter Zeit entzogen hatte und mit Frank einzeln auseinandergesetzt und folgende Zusagen erhalten:
1. Maßgebend für Politik und taktisches Vorgehen SdP ist ausschließlich die durch Gesandtschaft übermittelte Linie deutscher Außenpolitik. Meine Weisungen sollen strikt befolgt werden.«
Diese Weisungen gelten nicht im Rahmen der allgemeinen Politik, die ein direktes Eingreifen in die tschechischen Verhältnisse und in die Politik der Sudetendeutschen Partei vermieden wissen wollte.
Über die Einzelheiten des Vorgehens der Deutschen Reichsregierung und des Auswärtigen Amtes im Verkehr mit der Sudetendeutschen Partei werde ich Herrn von Ribbentrop im Zeugenstand vernehmen.
Ich gehe nun über zu Ribbentrop-Beweisstück 46, das ich dem Gerichtshof zur amtlichen Kenntnisnahme unterbreite. Dieses Dokument stellt einen Gesandtschaftsbericht der Tschechoslowakischen Republik in Paris dar. Es beschäftigt sich mit dem Sinn und Zweck der Mission Lord Runcimans in Prag. Es zeigt, daß diese Mission von England mit dem Ziele von Zeitgewinn in seinen Rüstungen durchgeführt wurde. Ich darf das Dokument verlesen.
»Paris, den 5. August 1938. Geheim. Herr Minister! Massigli hält die Entsendung Lord Runcimans nach Prag für eine gute Sache. Anthony Eden äußerte sich in einem Gespräch mit Botschafter Corbin (Französischer Botschafter in London), daß nach gutem Nachdenken die Entsendung Lord Runcimans nach Prag einen guten Schritt bedeutet; denn er wird angeblich England in Mitteleuropa mehr engagieren als es bisher der Fall war. Massigli sagt, daß die Engländer wissen, daß der Krieg sein wird und daß sie sich mit allen Mitteln bemühen, ihn hinzuhalten. Er anerkennt vollkommen, daß die Entsendung Lord Runcimans nach Prag zu dem Zwecke der Beseitigung des Konfliktes an sich für die Tschecho- Slowakei Gefahren birgt; denn angeblich im Interesse des Zeitgewinns würde Lord Runciman etwas vorschlagen können, was der Tschecho-Slowakei ungeheuer schädlich sein könnte.
Zu diesem Urteil Massiglis führe ich weitere Informationen an, die ungeheuer lehrreich sind. Auf der kürzlich stattgefundenen Getreidekonferenz, die in London tagte, hatten die Engländer, die Dominions, Amerika und Frankreich eigene getrennte Besprechungen. Der französische Delegierte sprach mit dem Minister Elliot (britischer Gesundheitsminister) und Morrison (britischer Landwirtschaftsminister) sowie mit dem hervorragenden Sachkenner Sir Arthur Street, der im Landwirtschaftsministerium war und der mit einer leitenden Aufgabe im Luftschiffahrtsministerium betraut wurde. Aus den Reden, dem Verhalten und den Verhandlungen der englischen Faktorei gewann der französische Delegierte den positiven Eindruck, daß die Engländer sich für die Organisierung der Getreideversorgung nicht wegen der Verhütung des Konfliktes interessieren, sondern deshalb, um den Konflikt zu gewinnen. Die Minister Elliot und Morrison sollen beide an die Eventualität des Konfliktes glauben.
Sir Arthur Street sagte, daß in sechs Monaten er die englische Luftschiffahrt in Ordnung haben wird. Daher legt man in England eine solche Wichtigkeit dem Gewinnen von Zeit bei.
Ich führe diese Informationen an dieser Stelle in Verbindung mit der Entsendung Lord Runcimans nach Prag an; denn, wie ich schon gesagt habe, die Frage der Gewinnung von Zeit spielt eine bedeutende, wenn nicht entscheidende Rolle in der Entsendung Lord Runcimans nach Prag...
Herzlichst begrüßt Sie, Ihr ergebener Ususky.«
Am 29. September 1938 kam es dann zum Münchener Abkommen, an dem von Ribbentrop auch beteiligt war. Inwieweit werde ich unter Beweis stellen, wenn der Angeklagte im Zeugenstand über seine Politik vernommen wird.
Am 30. September kam es dann noch zu einer gemeinsamen Erklärung, die ich als Ribbentrop-Beweisstück 47 dem Gerichtshof unterbreite. Diese Erklärung des Führers und des britischen Premierministers Chamberlain vom 30. September 1938 war gedacht als eine Beseitigung aller zwischen Deutschland und England noch schwebenden Streitfragen.
Die Reaktion auf dieses Abkommen war in Deutschland und England verschieden. Zum Beweise der englischen Reaktion beziehe ich mich auf Ribbentrop-Beweisstück 48, das ich dem Gerichtshof mit der Bitte um rechtliche Kenntnisnahme unterbreite. Es handelt sich um einen Auszug aus der Rede des britischen Premierministers Chamberlain im Unterhaus vom 3. Oktober 1938. Ich darf daraus, aus dem ersten Absatz, folgendes verlesen:
»Wenn es eine Lehre gibt, die wir aus den Ereignissen dieser letzten Wochen ziehen können, so ist es die, daß ein dauernder Friede nicht dadurch erreicht werden kann, daß wir stillsitzen und auf ihn warten. Um ihn zu erlangen, bedarf es aktiver und positiver Bemühungen. Wir sind in diesem Land bereits während eines langen Zeitraums mit einem großen Wiederaufrüstungsprogramm beschäftigt, das in Tempo und Umfang ständig zunimmt. Niemand soll glauben, daß wir es uns infolge der Unterzeichnung des Münchener Abkommens zwischen den vier Mächten leisten können, unsere Anstrengungen im Hinblick auf dieses Programm in dem gegenwärtigen Zeitpunkt zu verringern...«
Zum Beweise, daß dieses Aufrüstungsprogramm, von dem Chamberlain selbst sagt, daß es in Tempo und Umfang ständig zunehme, möchte ich diese Behauptung unter Beweis stellen durch Ribbentrop-Beweisstück 49. Es handelt sich dabei um eine Rede des britischen Staatssekretärs für Krieg, Hore Belisha, im Mansion House in London, gehalten am 10. Oktober 1938. Ich bitte, auch diese Rede in den überreichten Auszügen zur amtlichen Kenntnis zu nehmen. Ich darf daraus einige wenige Worte verlesen:
»Es muß aber noch mehr getan werden, um der Territorialarmee als Ganzes volle Stärke und Wirksamkeit zu verleihen.....«
Ich überspringe einen Absatz und lese den nachstehenden Absatz, Absatz 5, vor, der lautet:
»Was den Aufbau der neuen Truppen betrifft, so werden die Infanteriebrigaden in Zukunft drei Bataillone haben anstatt vier, wie dies schon in der regulären Armee der Fall ist. Bei Verwendung des vorhandenen Materials ergibt sich, daß wir neun vollständige Divisionen nach dem Muster der regulären Armee aufstellen können.... Auch ist von uns die Schaffung einer beträchtlichen Anzahl moderner Korps- und Armee-Ergänzungstruppen in Aussicht genommen, so zum Beispiel Heeresfeld- und Heeresvermessungsregimenter, Heeres- und Korps-Nachrichtentruppen, die, wenn Krieg ausbrechen sollte, jederzeit ihren Platz innerhalb der Formationen einnehmen können. Alles dies steht mit der Organisation unserer regulären Armee im Einklang.«
Soweit das Zitat aus der Rede des Staatssekretärs für den Krieg. In Ribbentrop-Beweisstück 50 wird die Aufrüstung weiter betont. Es handelt sich um eine Rede Winston Churchills vom 16. Oktober 1938. Ich bitte diese Rede auszugsweise als Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen. Ich verlese daraus nur einige Sätze.
»Wir müssen aufrüsten!.... Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß wir aufrüsten werden. Großbritannien wird seine jahrhundertealten Gepflogenheiten aufgeben, seinen Bewohnern die nationale Wehrpflicht auferlegen. Das britische Volk wird aufrecht allem entgegensehen, was auch kommen mag. Aber, um mit Präsident Wilson zu sprechen, das Instrument der Waffen als solches genügt nicht. Wir müssen die Kraft der geistigen Einstellung hinzufügen...
Es gibt Menschen, die sagen, wir sollten uns nicht in einen theoretischen Gegensatz zwischen Nazitum und Demokratie hineinziehen lassen. Dieser Gegensatz besteht aber schon heute.«
Daß England zur Luft energisch aufrüstete, weit über den normalen Rahmen der Verteidigungsbedürfnisse hinaus, stelle ich durch Ribbentrop-Beweisstück 51 unter Beweis, das ich dem Gerichtshof mit der Bitte um amtliche Kenntnisnahme überreiche. Es handelt sich dabei um eine Erklärung des britischen Staatssekretärs für die Luftfahrt, im Unterhaus vom 16. November 1938...
VORSITZENDER: Herr Dr. Horn. Ich dachte, Sie hätten den Wunsch des Gerichtshofs verstanden, nämlich, daß Sie diese Dokumente alle zusammen vorlegen. Ich glaube, ich sagte, daß Sie von Nummer 44 an, das war wohl das Dokument, bis zu dem Sie gekommen waren, bis 300 alle zusammen einreichen können. Aber Sie haben jetzt Nummer 46, 47, 48, 49, 50 und 51 behandelt, und zwar jedes Dokument einzeln besprochen und gerade das getan, was ich Sie gebeten hatte, nicht zu tun. Hatten Sie nicht verstanden, was ich sagte?
DR. HORN: Ja, ich habe Herrn Vorsitzenden so verstanden, daß ich wichtige Teile daraus verlesen darf; das habe ich auch getan. Es handelte sich nur um wichtige Auszüge.
VORSITZENDER: Werden Sie in jedem der 300 Dokumente eine wichtige Stelle finden?
DR. HORN: Nein, Herr Präsident, das nicht, aber wenn ich diese Dokumente, diese Auszüge, nicht verlesen kann, dann würde ich den Gerichtshof bitten, mein gesamtes Dokumentenbuch als Beweis entgegenzunehmen, so daß ich mich dann später darauf beziehen kann.
VORSITZENDER: Das hatten wir vorgeschlagen. Wir möchten, daß Sie jetzt die Beweisstücke Nummer 44 bis 300, oder welches die Nummern sein mögen, insgesamt vorlegen, und wir werden Ihnen selbstverständlich freistellen, sich später in Ihrem Plädoyer darauf zu beziehen. Wenn die Anklagevertretung gegen eine Stelle Einspruch erhebt, dann kann sie Sie vorher darüber informieren und die Sache kann besprochen werden. Aber wir möchten die Zeit des Gerichtshofs nicht dadurch in Anspruch nehmen, daß Sie jedes Dokument einzeln mit seiner Nummer, wie 44, 45 und so weiter, vorlesen oder Auszüge verlesen, es sei denn, daß es sich um Stellen handelt, die in diesem Augenblick von besonderer Bedeutung sind. Schließlich tragen Sie jetzt nicht Ihre ganze Sache vor, Sie legen doch nur Ihr Beweismaterial vor.
DR. HORN: Herr Präsident, ich hatte...
VORSITZENDER: Ich werde darauf hingewiesen, daß diese letzten Beweisstücke, auf die Sie sich bezogen haben, es waren etwa sechs, alle die britische Wiederaufrüstung betreffen. Das ist doch offensichtlich kumulativ. Es kann doch nicht gut sein, daß sie alle für Sie von ganz besonderer Bedeutung sind.
Wir haben nur das Bestreben weiterzukommen und wünschen von Ihnen, daß Sie die Dokumente sozusagen in Bausch und Bogen vorlegen und nicht, daß Sie darüber hinaus einzeln auf sie verweisen.
DR. HORN: Dann lege ich Nummer 51...
OBERST POKROWSKY: Wenn ich recht verstehe, hat Dr. Horn bis jetzt noch keine Konsequenzen aus den ihm vom Gerichtshof immer und immer wieder erteilten Weisungen gezogen. Ich hatte Gelegenheit, soweit es mir möglich war, mich soeben mit den Übersetzungen vertraut zu machen, die nach und nach durchkommen. Nebenbei bemerkt, hat Dr. Horn diese Dokumente nicht vor drei Wochen eingereicht wie er sagt, sondern erheblich später. Soweit ich bisher feststellen konnte, habe ich eine ganze Reihe von Einwendungen zu machen.
Die meisten Dokumente haben überhaupt nichts mit der Sache im allgemeinen und mit der Angelegenheit des Angeklagten Ribbentrop im besonderen zu tun.
VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Wir haben schon angedeutet, daß wir die Frage der Zulässigkeit jetzt nicht prüfen wollen, da uns die Dokumente nicht vorliegen. Ich verstehe den Zweck Ihres Einspruches nicht. Die Dokumente liegen nicht vor; wie können wir beurteilen, ob sie zulässig sind oder nicht.
OBERST POKROWSKY: Ich habe einen grundsätzlichen Einwand zu machen. Einige dieser Dokumente, ich werde auf den Inhalt der Dokumente nicht eingehen, sondern nur drei Nummern als Beispiel anführen, enthalten schmutzige und gehässige Ausfälle von Privatpersonen gegen solche Staatsmänner wie Roosevelt, den verstorbenen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ich meine die Dokumente Ribbentrops 290 (4), 290 (3), 290 (1). Unter ihnen befinden sich auch provokatorische Fälschungen. Ich meine das Dokument Ribbentrops 286. Da ist eine ganze Reihe von Dokumenten, die unmittelbar gegen die Weisungen, an die sich Dr. Horn halten müßte, verstoßen. Ich glaube, daß wenn er mit dem Verlesen dieser Dokumente fortfährt...
VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Wie ich bereits sagte, liegen diese Dokumente uns nicht vor. Sie sagen Dokument 290 (1), 290 (3), 290 (4) und 286. Ich weiß nicht, was für Dokumente das sind. Ich habe sie nie gesehen.
Ich glaube, das beste wäre, wenn die Hauptanklagevertreter ihre Einwände schriftlich vorbringen, und der Gerichtshof sie alsdann prüft. Die Dokumente sind nicht hier; wir können nichts tun, bis wir nicht sehen, was für Dokumente das sind. Um mit der Besprechung dieses Falles weiterzukommen, haben wir Dr. Horn gestattet, uns die Dokumente in Bausch und Bogen vorzulegen. Ihre jetzigen Einsprüche nehmen nur Zeit in Anspruch und nützen überhaupt nichts. Wenn Sie Ihre Einsprüche schriftlich vorbringen wollen und sagen, daß Sie aus gewissen Gründen gegen diese Dokumente Einspruch erheben, dann wird der Gerichtshof diese Sache erwägen, aber ohne dies können wir die Sache nicht behandeln.
OBERST POKROWSKY: Mein Einspruch ist gerade durch den Wunsch geleitet, Zeit zu sparen.
In dem Augenblick, in dem das eine oder andere Dokument, oder besser gesagt, sogar nur sein Inhalt kurz in das Sitzungsprotokoll gelangt, ist dieses Material der Presse zugänglich. Ich glaube, es ist nicht in unserem Interesse, Dokumente, die als Fälschungen bekannt sind, und bei denen der Gerichtshof noch nicht entschieden hat was mit ihnen geschehen soll, irgend jemandem zugänglich zu machen und der Öffentlichkeit bekanntzugeben.
Solche Dokumente befinden sich unter den von Dr. Horn vorgelegten, und es ist mir nicht ganz klar, warum die Übersetzung gerade dieser Dokumente verzögert wurde, warum gerade diese Dokumente später als die anderen übergeben wurden. Aus diesem Grund hielt ich es für notwendig, den Gerichtshof anzusprechen. Ich glaube, daß der Gerichtshof die Gründe meines Einschreitens richtig verstehen wird.
VORSITZENDER: Ich verstehe jetzt, was Sie meinen in Bezug auf die Mitteilung von Dokumenten an die Presse. Das muß auch geregelt werden. Der Gerichtshof wird nun verfügen, daß Dokumente, über deren Zulassung der Gerichtshof noch nicht entschieden hat, der Presse nicht übergeben werden dürfen. Ich glaube, daß in der Vergangenheit einige Verstöße in dieser Richtung erfolgt sind, aber es ist nun die Entscheidung des Gerichtshofs, daß ein Dokument der Presse nicht übergeben werden darf, bevor es als Beweisstück zugelassen worden ist.
OBERST POKROWSKY: Ich danke Ihnen.
VORSITZENDER: Ich sollte vielleicht hinzufügen, daß der Gerichtshof diese Angelegenheit nicht vollkommen in der Hand hat. Es ist Sache der Anklagebehörde und auch vielleicht der Verteidigung, dafür zu sorgen, daß Dokumente der Presse nicht übergeben werden, die nicht vom Gerichtshof als Beweisstücke zugelassen worden sind.
OBERST POKROWSKY: Bisher wurde es so gehandhabt, daß Dokumente, die im Verhandlungsprotokoll genannt sind, damit öffentliches Gut wurden. Das war die Praxis bisher.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Gnaden! Vielleicht kann ich in dieser praktischen Frage behilflich sein, die uns schon etwas besorgt gemacht hat.
Wie Euer Lordschaft wissen, war der übliche Vorgang der, daß die Dokumente ungefähr 24 Stunden ehe sie dem Gerichtshof vorgelegt wurden, der Presse unter der auch nahezu vollkommen eingehaltenen Bedingung übergeben wurden, daß sie diese nicht veröffentlichen würde ehe das Dokument als Beweisstück zugelassen worden ist. Ich bin sicher, Euer Lordschaft, daß die Presse in Fällen, bei denen gegen ein Dokument Einspruch erhoben wird und der Gerichtshof sich die Entscheidung über die Zulässigkeit vorbehält, in dem gleichen Geiste, mit dem sie bisher tätig geworden ist, sofort dem Wunsche des Gerichtshofs nachkommen und die Dokumente unter diesen Umständen nicht veröffentlichen wird. Ich glaube, das würde praktisch die Schwierigkeiten beheben, von denen Euer Lordschaft eben gesprochen haben.
VORSITZENDER: Die einzige Sache ist natürlich die, daß es sich hier um eine große Anzahl von Dokumenten handelt, die Dr. Horn vorzulegen wünscht, und, wie Sie gehört haben, haben wir ihn, um Zeit zu ersparen, gebeten, diese Dokumente in Bausch und Bogen vorzulegen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl.
VORSITZENDER: Es ist natürlich für die Mitglieder der Anklagevertretung sehr schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich, Einspruch gegen Dokumente zu erheben, wenn sie auf diese Weise in Bausch und Bogen vorgelegt werden. Deshalb halte ich es für das beste Verfahren, daß, sobald die Übersetzungen dieser Dokumente fertiggestellt sind, die Anklagevertretung etwaige Einsprüche geltend macht und der Gerichtshof sie dann behandelt. Wenn dann die Entscheidung des Gerichtshofs erfolgt ist, können sie der Presse zugänglich gemacht werden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich stimme ergebenst und vollkommen zu. Die Anklagebehörde hat darüber bereits beraten. Das einzige, worüber sie allerdings beraten konnte, war die kurze Beschreibung der Dokumente im Dokumentenbuch Nummer 1, und da hatten wir alle den Eindruck, daß gegen eine Anzahl Dokumente möglicherweise Einspruch erhoben worden sein könnte und auch erhoben werden würde. Von unserem Gesichtspunkt, aus wäre es natürlich befriedigender, wenn wir die Möglichkeit hätten, das eigentliche Dokument selbst in der Übersetzung zu sehen, und dann werden wir gern dem Vorschlag Euer Lordschaft folgen, nämlich schriftlich unsere Einsprüche gegen solche Dokumente erheben, gegen die wir etwas einzuwenden haben, und sie dann dem Gerichtshof überreichen.
VORSITZENDER: Sir David! Viele Dokumente sind, glaube ich, in englischer Sprache; Sie könnten uns daher Ihre Einwendungen sobald wie möglich mitteilen. Die Presse wird dann wohl in Übereinstimmung mit unseren Wünschen handeln und die Dokumente nicht veröffentlichen, gegen die Einsprüche erhoben werden, bevor wir nicht darüber entschieden haben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sicherlich, Euer Lordschaft. Wir werden unsere Einwendungen erheben, sobald wir Gelegenheit gehabt haben, die Dokumente zu lesen.
VORSITZENDER: Gut.
DR. HORN: Ich darf feststellen, Herr Präsident, daß von mir aus von meinem Material bisher der Presse nichts übergeben worden ist. Ich darf weiter feststellen, daß durch einen Beschluß des Gerichtshofs nur dasjenige übersetzt werden solle, was von der Staatsanwaltschaft für erheblich gehalten wurde. Ich vermag auf Grund dieser Regelung den Einspruch in dem einen Punkt von Oberst Pokrowsky hinsichtlich des inneren Wertes der Urkunden nicht recht einzusehen. Ich glaube nicht, daß die Staatsanwaltschaft etwas übersetzen würde auf Grund dieses Beschlusses, was man, wie Oberst Pokrowsky betonte, als schmutzig seinem Inhalt nach bezeichnen müßte. Ich glaube, das würde schon vorher von der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen werden, und daher besteht gar nicht die Gefahr, daß derartige Übersetzungen oder Originale in die Presse kommen.
VORSITZENDER: Ich habe die Dokumente nicht gesehen und ich kann mich deshalb nicht darüber äußern. Aber es wird das beste sein, wenn Sie weiterhin so vorgehen wie ich vorgeschlagen habe.
DR. HORN: Ich darf jetzt die Dokumente, die sich auf die Aufrüstung, sowohl die waffenmäßige als auch die wirtschaftliche, beziehen, vorlegen, die gleichzeitig auch die Zusammenarbeit Englands mit Frankreich darlegen. Es handelt sich um die Dokumente Nummer 51 bis 62 meines Dokumentenbuches. Ich bitte den Gerichtshof darum, diese Dokumente zur amtlichen Kenntnis zu nehmen.
Ich komme zu der Frage der Slowakei. Ich werde zum Beweis dafür, daß die Slowakei sich ausgebeten hat, unter den Schutz Deutschlands genommen zu werden, die Dokumente Ribbentrop-Beweisstück 63, 64 und 65 dem Gerichtshof überreichen mit der Bitte, sie zur rechtlichen Kenntnis zu nehmen. Ich werde außerdem über diesen Komplex den Angeklagten Ribbentrop im Zeugenstand vernehmen und ihn zu den einzelnen Dokumenten, soweit das notwendig ist, Stellung nehmen lassen. Ich werde nun im folgenden die Dokumente Ribbentrop-Beweisstück 66 bis 69 dem Gerichtshof zur rechtlichen Kenntnisnahme überreichen. Sie enthalten Äußerungen über die Reaktion in England über die Besetzung der Rest-Tschechei am 15. März 1939 durch Deutschland. Über die Einzelheiten, wie es zu dieser Errichtung des Protektorats kam, werde ich den Angeklagten von Ribbentrop wieder zu den einzelnen Dokumenten befragen. Als nächste Gruppe von Beweisstücken lege ich dem Gerichtshof die Urkunden vor, die sich auf Artikel 99 des Versailler Diktats, und zwar auf die völkerrechtliche Stellung des Memellandes beziehen. Es handelt sich hier um die Dokumente Ribbentrop-Beweisstück 70 und 71 meines Dokumentenbuches. In Anbetracht der Tatsache, daß ich mich entsprechend dem bisherigen Vortrag der Beweismaterialien zeitlich darauf eingestellt hatte, heute nicht weiter zu kommen als bis zu diesem Dokument, möchte ich Euer Lordschaft bitten, daß ich die übrigen Dokumente dann morgen dem Gerichtshof vorlegen darf; denn ich hatte mich bisher auf Grund der bestehenden Praxis des Gerichtshofs, daß die Urkunden zum Teil mit verbindendem Text verlesen wurden, darauf eingestellt, daß ich nicht weiter kommen würde als bis zu diesem Dokument.
VORSITZENDER: Dr. Horn! Warum legen Sie nicht alle jetzt vor? Sie sagen, daß Sie ein Verzeichnis darüber haben. Sie brauchen nichts zu sagen, als daß Sie die Dokumente von 71 bis 300 und soundso viel als Beweismaterial vorzulegen wünschen, und dann sind sie eingereicht. Wenn die Anklagevertretung dann Einwendungen erhebt, dann können Sie dazu Stellung nehmen.
DR. HORN: Darf ich mich einen Augenblick mit meinem Kollegen unterhalten, wie weit er die Unterlagen dazu da hat, damit ich dem Gerichtshof dann die einzelnen Komplexe anbieten kann.
Darf ich Euer Lordschaft dann noch einmal fragen? Ich verstehe aus diesem Entschluß des Gerichtshofs, daß eine Beweisführung dann hier nicht mehr erfolgen soll, sondern nur eine Vorlage der Beweismittel, ganz abgesehen von dem Inhalt.
VORSITZENDER: Wenn diese Dokumente zur Übersetzung eingereicht werden, was Sie, wenn ich Sie recht verstanden habe, getan haben oder wenn es nicht schon geschehen ist, tun werden, dann werden Sie vermutlich diejenigen Stellen anstreichen, auf die Sie sich stützen wollen. Bei Büchern werden Sie nur auf bestimmte Teile hinweisen, und bei Dokumenten werden Sie die Stellen angeben, auf die Sie sich stützen. Das ist das, worum wir Sie gebeten haben. Sie haben diese Dokumente mit Nummern bezeichnet und ihnen in Ihrem Dokumentenbuch Beweisstücknummern gegeben. Jetzt sollen Sie sie nur als Beweismaterial anbieten; nachdem sie übersetzt worden sind, wird die Anklagevertretung in der Lage sein, Einspruch gegen sie zu erheben mit der Begründung, daß sie kumulativ oder aus anderen Gründen unzulässig seien, und Sie können dann, wenn es notwendig sein sollte, dazu Stellung nehmen. Jetzt möchten wir nur, daß Sie weiterkommen. Welche Schwierigkeiten bei der Überreichung dieser Dokumente bestehen sollen, die sämtlich in Ihrem Dokumentenbuch verzeichnet sind, versteht der Gerichtshof nicht.
DR. HORN: Bis jetzt ging doch der Beschluß des Gerichtshofs dahin, daß wir im Gegenbeweisverfahren unsere Urkunden nicht nur vorlegen dürfen, sondern sie vortragen mit einem verbindenden Beweistext, um so die Stellungnahme der Verteidigung darzulegen. Es ist neulich von Mr. Justice Jackson der Vorschlag gemacht worden, daß man andererseits die ganzen Urkunden übergeben soll und dann von der Anklagebehörde Einspruch gegen die einzelnen Dokumente ohne Vortrag erhoben werden soll. Dieser Vorschlag wurde damals auf Grund von Vorstellungen von Dr. Dix abgelehnt, und der Gerichtshof wollte zunächst einmal weiter prozessieren in der bisherigen Form, daß also die Urkunden vorgelesen und mit Verbindungstext vorgebracht werden dürfen. Nun kommen wir heute zu einem völligen Abgehen von diesem Verfahren, indem nur die Urkunden, und zwar komplexweise dem Gerichtshof übergeben wurden zur rechtlichen Kenntnisnahme. Das ist natürlich eine solche Abweichung, daß man zunächst einmal diese ganzen Dinge neu gruppieren muß, um sie dem Gerichtshof dann ordnungsgemäß übergeben zu können, denn bisher hatten wir uns darauf eingestellt, den Inhalt zumindest vorzutragen.
VORSITZENDER: Ich kenne keine Entscheidung des Gerichtshofs über einen Verbindungstext. Wir haben nicht entschieden, daß Ihnen hier nicht gestattet werden soll, Stellen aus Dokumenten zu verlesen, aber wir hatten entschieden, daß die Dokumente hier als Beweisstücke vorgelegt und die Stellen, auf die Sie sich stützen, angestrichen werden sollten. Die Anklagevertretung kann dann gegen irgendeine Urkunde einwenden, daß sie so unerheblich sei, daß sie nicht übersetzt zu werden braucht, und der Gerichtshof wird dann darüber entscheiden, wenn hierüber Meinungsverschiedenheiten bestehen sollten. Dr. Horn, Sie können natürlich jedes Dokument Ihren Zeugen im Verlaufe der Vernehmung vorlegen und sie bitten, das Dokument zu erklären. Unsere Verfügung bedeutet nicht etwa, daß Sie auf die Sammelvorlage der Dokumente beschränkt sind.
DR. HORN: Herr Präsident! Darf ich noch ein Wort hinzufügen? Diese Angelegenheit scheint mir wieder eine so grundsätzliche Frage zu Sein, daß ich meine Kollegen nicht darin präjudizieren will, und ich möchte Gelegenheit haben, mich zunächst einmal mit meinen Kollegen darüber zu unterhalten. Das ist ja ein grundsätzliches Abgehen von dem bisherigen Verfahren, das der Verteidigung zugestanden wurde. Ich möchte das also nicht auf mich nehmen, die Dinge einfach jetzt für meine Person zu ändern und dann damit auch meine Kollegen festzulegen. Ich hoffe, Euer Lordschaft werden das verstehen.
VORSITZENDER: Dr. Horn! Die einzige Entscheidung, die zu dieser Sache ergangen ist, soweit ich unterrichtet bin, ist die Entscheidung 2 (a) vom 4. Februar 1946:
»Während der Vorlage der Sache eines Angeklagten wird sein Verteidiger Dokumente verlesen, Zeugen befragen und kurze Kommentare zum Beweismaterial abgeben, insoweit, wie dies zum richtigen Verständnis erforderlich ist.«
DR. HORN: Herr Präsident! Diese Bestimmung konnte von uns natürlich auch nur so ausgelegt werden, daß uns damit annähernd dasselbe Verfahren zugestanden wurde wie der Anklagevertretung, denn das gehört ja auch zu den Fundamentalsätzen eines jeden Verfahrens, daß zwischen Anklage und Verteidigung eine gewisse Gleichberechtigung besteht.
Nun sind wir aus Zeitersparnisgründen bereit, dem Gericht uns soweit anzupassen, daß wir die Dinge, die Dokumente, soweit sie sich auf einen bestimmten Komplex beziehen, dem Gericht geschlossen vorlegen, aber doch mit dem Recht, auch darüber inhaltlich die notwendigen Ausführungen zu machen, die erforderlich sind, um den ganzen Komplex an sich zu verstehen. Diese Möglichkeit wird uns aber genommen, wenn wir jetzt das gesamte Dokumentenmaterial einfach vorlegen müssen und überhaupt keine Ausführungen dazu machen können; denn wir können ja keine Ausführungen machen zu einer Urkunde, wenn ich jetzt zum Beispiel zehn Stück auf einmal für einen bestimmten Fragenkomplex vorlege.
VORSITZENDER: Dr. Horn! Der Gerichtshof wird sich auf einige Minuten zurückziehen, um diese Frage zu erörtern und in kurzer Zeit seine Entscheidung bekanntgeben, damit Sie sich auf der Grundlage für morgen vorbereiten können, die der Gerichtshof wünscht.
DR. DIX: Bevor die Herren sich beraten, darf ich nur eine Frage stellen. Ich habe den bisherigen Gang der Verhandlung dahin aufgefaßt, daß die Schwierigkeit dadurch entstanden ist, daß durch das Nichtvorliegen von Übersetzungen in russischer und französischer Sprache ein Teil der Anklagedelegation zu diesem Material noch keine Stellung nehmen kann, mithin also sich nicht entschließen kann, ob sie »Objections« erheben will oder nicht und der Gerichtshof auf der anderen Seite vermeiden will, daß hier Zitate vorgelesen werden, hinsichtlich deren es noch nicht feststeht, ob die Prosekution Einwendungen erheben will. Diese Situation erschien mir als der äußere Anlaß der jetzt entstandenen Schwierigkeiten. Ich habe den Gerichtshof – ich bitte mich zu korrigieren wenn ich mich irre –, ich habe die Äußerung des Gerichtshofs, Seiner Lordschaft, nicht dahin aufgefaßt, daß von dem einmal verkündeten Beschluß oder von dem bisher eingeschlagenen Verfahren abgegangen werden soll, daß wir erhebliche und wichtige Teile der von uns produzierten Dokumente, wenn sie vom Gericht als erheblich anerkannt worden sind, verlesen dürfen. Ich glaube, daß ich doch mit diesem Eindruck richtig gehe, daß von diesem Prinzip keine Ausnahme gemacht werden soll und daß jetzt hier gar keine grundsätzlich neue Entscheidung getroffen werden soll, sondern man nur sucht nach einer Übergangsregelung: Wie kommen wir über die Schwierigkeiten weg, daß Herr Dr. Horn deswegen nicht einzelne Stellen seiner Urkunden im Moment verlesen darf, weil der Gerichtshof noch nicht in der Lage ist, über die Erheblichkeit zu entscheiden und sie zuzulassen, weil nämlich der Gerichtshof noch nicht die Stellungnahme der Prosekution hören kann. Ich möchte darum bitten, bevor wir uns zurückziehen, damit wir ein klares Thema für unsere Unterhaltung haben, das Gericht zu fragen: ist diese meine Auffassung richtig, handelt es sich jetzt nur darum, einen Ausweg zu finden, unter grundsätzlicher Wahrung des der Verteidigung zugestandenen Rechtes, verbindende Worte, erläuternde Worte zu den Urkunden, das heißt solche Worte, ohne die die Urkunden nicht verstanden werden können, zu sprechen und einzelne erhebliche Teile vorzulesen, daß es dabei grundsätzlich verbleiben soll, nur diese technischen Übergangsfragen entschieden werden sollen. Ich wäre Euer Lordschaft dankbar, wenn ich erfahren könnte, ob diese meine Auffassung über die Natur der aufgetauchten Schwierigkeiten richtig ist.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt auf kurze Zeit vertagen und Ihre Ausführungen erörtern.