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[Die Zeugin verläßt den Zeugenstand.]

DR. SEIDL: Herr Präsident! Das Gericht hat die Frage, die sich auf den Geheimvertrag bezog, an die Zeugin zugelassen. Die Zeugin wußte nur von der Existenz dieses Geheim Vertrags, nichts aber über seinen Inhalt. Ich bitte, nur mitzuteilen, ob in der Zulassung dieser Frage an die Zeugin auch zugleich die Entscheidung des Gerichts über die Zulässigkeit des Affidavits des Botschafters Gaus zu erblicken ist, und ob ich nunmehr die Möglichkeit habe, einen Abschnitt aus diesem Affidavit zu verlesen.

VORSITZENDER: Ist das Affidavit der Anklagebehörde vorgelegt worden?

DR. SEIDL: Ich habe am letzten Montag, also vor drei Tagen, sechs Abschriften des Affidavits der Übersetzungsabteilung beziehungsweise Leutnant Schrader vom Informationszentrum der Verteidigung übergeben, und ich nehme an, daß inzwischen, nachdem drei Tage vergangen sind, die Anklagevertretung eine Abschrift bekommen hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Die Anklagevertretung hat die Abschriften nicht erhalten. Ich habe das Affidavit noch nicht gesehen, ebensowenig mein Freund Herr Dodd, noch meine anderen Kollegen, General Rudenko oder Herr Champetier de Ribes.

VORSITZENDER: Dann, glaube ich, warten wir lieber, bis das Dokument der Anklage vorliegt, dann kann die Frage erwogen werden.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich glaube alles getan zu haben, was in meiner Macht stand, um der Anklagevertretung das Affidavit zu verschaffen. Ich habe keinerlei Einfluß auf den Geschäftsbetrieb des Generalsekretärs, und ich möchte die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen.

VORSITZENDER: Es hat auch niemand behauptet, daß Sie in dieser Sache etwas Unrichtiges getan haben, Dr. Seidl.

Ja, Dr. Horn?

DR. HORN: Ich rufe als nächsten Zeugen den Gesandten Paul Schmidt auf.

[Der Zeuge Dr. Paul Otto Schmidt betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wie ist Ihr Name?

ZEUGE DR. PAUL OTTO SCHMIDT: Schmidt ist mein Name.

VORSITZENDER: Ihr voller Name?

DR. SCHMIDT: Dr. Paul Otto Schmidt.

VORSITZENDER: Bitte, sprechen Sie mir diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sage, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

DR. HORN: Herr Zeuge! Sie haben an einem Teil der entscheidenden Besprechungen vor Kriegsausbruch zwischen dem Englischen Botschafter Sir Nevile Henderson und Angehörigen der Reichsregierung teilgenommen. Ist es richtig, daß Sie bei der Besprechung vom 30. August 1939 zwischen dem Angeklagten von Ribbentrop und dem Britischen Botschafter zugegen waren?

[Unterbrechung.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich bis dreiviertel zwei Uhr vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis 13.45 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. HORN: Herr Zeuge! Ist es richtig, daß Sie bei der Besprechung am 30. August 1939 zwischen dem Angeklagten von Ribbentrop und dem Britischen Botschafter Sir Nevile Henderson zugegen waren?

DR. SCHMIDT: Ja, das ist richtig.

DR. HORN: Wo fand diese Besprechung statt?

DR. SCHMIDT: Die Besprechung fand im Arbeitszimmer des Außenministers im Auswärtigen Amt in Berlin statt.

DR. HORN: In welcher Eigenschaft nahmen Sie an dieser Besprechung teil?

DR. SCHMIDT: Ich nahm an dieser Besprechung als Dolmetscher und Protokollführer teil.

DR. HORN: Seit wann sind Sie im Auswärtigen Amt in dieser Eigenschaft und für wen waren Sie in dieser Eigenschaft tätig?

DR. SCHMIDT: Ich bin seit dem Jahre 1923 im Auswärtigen Amt als Dolmetscher für Konferenzen tätig gewesen und habe in dieser Eigenschaft für alle Außenminister von Stresemann bis von Ribbentrop gedolmetscht, ebenso für eine Reihe von deutschen Reichskanzlern, wie Hermann Müller, Marx, Brüning, Hitler und für sonstige Kabinettsmitglieder und Delegierte, die Deutschland auf internationalen Konferenzen vertraten. Ich habe also an allen internationalen Konferenzen seit 1923 als Dolmetscher teilgenommen, auf denen Deutschland vertreten war.

DR. HORN: Hatten Sie Gelegenheit, bei dieser Besprechung zwischen Ribbentrop und Sir Nevile Henderson als Dolmetscher in Aktion zu treten?

DR. SCHMIDT: Nein, diese Gelegenheit hatte ich nicht, da die Unterhaltung auf deutsch geführt wurde.

DR. HORN: War Botschafter Henderson der deutschen Sprache in vollem Umfange mächtig?

DR. SCHMIDT: Die Kenntnisse des Botschafters Henderson im Deutschen waren ziemlich gut, jedoch nicht vollkommen, so daß es vorkommen konnte, daß er im Augenblick der Erregung gewisse Dinge nicht ganz richtig verstand, wie ein Zwischenfall, der sich während der eben erwähnten Unterredung zutrug, bewies – und es war ihm dann auch manchmal nicht immer leicht, sich verständlich auf deutsch auszudrücken; aber er pflegte bei diesen Unterhaltungen mit den deutschen Gesprächspartnern im allgemeinen deutsch als Verhandlungssprache vorzuziehen.

DR. HORN: Im Laufe der Unterredung hat Herr von Ribbentrop dem Botschafter Henderson ein Memorandum vorgelesen, das die deutschen Vorschläge einer Regelung der zwischen Deutschland und Polen schwebenden Fragen enthielt. Ich frage Sie nun, Herr Zeuge, hat Henderson Sie bei dieser Unterredung ersucht, ihm den Inhalt des von Ribbentrop verlesenen Memorandums zu verdolmetschen?

DR. SCHMIDT: Nein, das hat er nicht getan.

DR. HORN: Hatten Sie den Eindruck, daß Sir Nevile Henderson auf Grund seines Verhaltens den Inhalt des Memorandums voll aufgenommen hatte?

DR. SCHMIDT: Das läßt sich natürlich sehr schwer sagen. Man kann in niemanden hineinsehen. Ich bezweifle aber, daß er das Dokument in seinen Einzelheiten erfaßt hat.

DR. HORN: Hat von Ribbentrop dem Botschafter Sir Nevile Henderson bei Verlesung des Dokuments Erläuterungen zum Text gegeben?

DR. SCHMIDT: Ja, es wurden während der Verlesung dieses Dokuments von Zeit zu Zeit vom Außenminister zu einigen Punkten, die vielleicht unklar waren, Erläuterungen an Henderson gegeben.

DR. HORN: Hat Sir Nevile Henderson selbst um derartige Erläuterungen ersucht?

DR. SCHMIDT: Nein, Sir Nevile Henderson saß da und hörte sich die Verlesung des Dokuments und die gegebenen Erläuterungen an.

DR. HORN: In welcher Atmosphäre fand diese Besprechung statt?

DR. SCHMIDT: Die Atmosphäre, in der diese Besprechung stattfand, war, das kann ich wohl sagen, gewissermaßen mit Elektrizität geladen. Beide Gesprächspartner waren außerordentlich nervös. Henderson war sehr unruhig und den Außenminister hatte ich selbst vorher noch nie und in der Folge vielleicht einmal derartig nervös erlebt, wie bei dieser Unterredung. Zur Illustration der Atmosphäre kann vielleicht ein Zwischenfall dienen, der sich im ersten Teil der Unterredung abspielte. Da hatte es sich darum gehandelt, auf deutscher Seite noch einmal die Punkte zu präzisieren, die gegen die Polen und ihre Regierung vorgebracht werden konnten, und der Außenminister hatte das in allen Einzelheiten getan und hatte dann mit den Worten abgeschlossen: »Sie sehen also, Sir Nevile Henderson, die Lage ist verdammt ernst.« Als Sir Nevile Henderson diese Worte hörte, »also verdammt ernst«, fuhr er auf, erhob sich so gewissermaßen halb von seinem Sitz und zeigte mit einer Art warnenden Finger auf den Außenminister und sagte zu ihm: »Sie haben eben ›verdammt‹ gesagt, das ist nicht die Sprache eines Staatsmannes in einer so ernsten Situation.«

VORSITZENDER: Für welchen Anklagepunkt ist das erheblich?

DR. HORN: Für den Punkt der Anklage, daß von Ribbentrop das Memorandum, das entscheidende Memorandum, am 30. August 1939. so schnell verlesen habe, daß der Botschafter Sir Nevile Henderson nicht in der Lage war, den Inhalt dieses Memorandums zu erfassen, ihn an seine Regierung weiterzugeben und seine Regierung zu veranlassen, es der Polnischen Regierung weiterzugeben, um die Verhandlungen fortlaufen zu lassen zwischen Deutschland und Polen. England hatte damals seine guten Dienste und seine Vermittlung beiden Regierungen angeboten. Deutschland hatte auf Grund...

VORSITZENDER: Welchen Passus der Anklageschrift meinen Sie jetzt? Sie können recht haben, ich weiß es nicht. Ich möchte nur wissen, auf welchen Passus Sie sich beziehen.

DR. HORN: Das bezieht sich auf die Vorbereitung beziehungsweise Nichtverhinderung eines Angriffskrieges, zu dem Ribbentrop als Mitverschwörer angeklagt ist.

VORSITZENDER: Das ist auf Seite 9, nicht wahr, unter F 4? Da steht nichts drin über die Art und Weise, in der dieses Dokument Sir Nevile Henderson überreicht wurde. Sie haben vermutlich die Anklageschrift. Wo steht das in der Anklageschrift?

DR. HORN: Es ist von der Anklagebehörde hier vorgetragen worden und es ist weiter vorgetragen worden und von Chamberlain im Parlament behauptet worden, daß dieses Memorandum von Ribbentrop so schnell verlesen worden sei, daß eine Übermittlung, eine Aufnahme des Inhalts und eine Übermittlung auf diplomatischem Wege, die England ausdrücklich angeboten hatte, nicht möglich gewesen sei. Der Angeklagte von Ribbentrop steht also unter der direkten Anklage, diese letzte Möglichkeit einer weiteren Verhandlung mit Polen verhindert zu haben. Mit der Aussage des Zeugen wird bewiesen, daß diese Schuld den Angeklagten von Ribbentrop nicht treffen kann.

VORSITZENDER: Dr. Horn, Sie haben festgestellt, daß es auf diese Weise verlesen wurde. In der Anklageschrift wird ein derartiger Vorwurf überhaupt nicht erhoben. Es mag sein, daß die Anklagebehörde sich irgendwann darauf bezogen hat. Sie haben das nun festgestellt, und es ist sicher nicht nötig, sich noch länger damit aufzuhalten.

DR. HORN: Dann darf ich also fortfahren?