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[Zum Zeugen gewandt:]

Ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof im allgemeinen über die Organisation der Regierung berichten. Es ist dem Gerichtshof bereits beträchtliches Beweismaterial darüber vorgelegt worden, daß die Reichsregierung als solche nach Beginn des Krieges nicht mehr zusammengetreten ist. Verschiedene Leute haben das ausgesagt. Ist es zutreffend, daß, statt durch Kabinettssitzung, die Regierungsgeschäfte Deutschlands durch die ständigen Besprechungen im Führerhauptquartier geführt wurden?

DR. SCHMIDT: Ich halte das für möglich, aber eine genaue Kenntnis habe ich natürlich nicht, da ich ja nie bei solchen Besprechungen interner Art irgendwie beteiligt war, sondern ins Hauptquartier immer nur dann kam, wenn ich irgendeinen Ausländer dorthin zu begleiten hatte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie kamen nur, wenn ein ausländischer Besuch kam. Aber Sie wissen doch, daß diese Meetings ständig stattfanden, und daß der Angeklagte Göring, der Angeklagte Speer, der Angeklagte Keitel, der Angeklagte Jodl, der Angeklagte Dönitz ununterbrochen an diesen Besprechungen teilnahmen?

DR. SCHMIDT: Ob man diese Besprechungen als Meetings bezeichnen kann, das weiß ich natürlich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich wollte nicht mit Worten spielen. Ich benutzte das Wort nur, um zu bezeichnen, was vorging. Wenn Sie das eine Konferenz nennen wollen, ist mir das auch recht.

DR. SCHMIDT: Daß also Besprechungen bei Gelegenheiten während der Anwesenheit der Vorgenannten mit Hitler im Hauptquartier stattfanden oder stattfinden konnten, das gebe ich zu.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, daß wir darüber einig sind, nicht wahr, daß, soweit man überhaupt irgendein Organ oder eine Organisation finden kann, die die Regierungsgeschäfte des Deutschen Reiches führte, es diese ständigen Meetings oder Besprechungen im Führerhauptquartier waren; stimmt das?

DR. SCHMIDT: Ja, ich weiß nicht, ob man das als eine Regierungstätigkeit ansehen könnte, denn, wenn ich die Parallele mit den Besprechungen, bei denen ich dabei war mit den Ausländern, ziehe, dann war die Sache doch so, daß derjenige, der redete und der die Entscheidungen durchdrückte, ja nur Hitler war. Wenn es also bei den Besprechungen dort genau so war, dann könnte man es als eine Regierungsbesprechung bezeichnen, es war aber nur eine Einmann-Regierung, die anderen waren nur dabei als Zuhörer, oder um vernommen zu werden über einzelne Punkte. So stelle ich es mir vor. Dabeigewesen bin ich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe durchaus, was Sie eben gesagt haben; aber bei diesen Besprechungen konnte jede Dienststelle, jedes Ministerium und jede Organisation, wie die SS durch den Reichsführer-SS Himmler, Hitler ihre Ansichten und das Tatsachenmaterial vortragen, auf Grund dessen dann Entscheidungen gefällt wurden, nicht wahr? Und so war es doch während der letzten zwei Kriegsjahre?

DR. SCHMIDT: Man hätte aus der Anwesenheit der Betreffenden darauf schließen können, aber, wie gesagt, es hätte natürlich auch so sein können, daß eben nur eine Art Befehlsempfang in dem Hauptquartier stattfand. Diese beiden Möglichkeiten bestehen. Welche nun die zutreffende ist, darüber kann ich nichts aussagen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auf jeden Fall, Sie stimmen doch darin mit mir überein, Herr Schmidt, daß außer diesem kein anderer Ort vorhanden war, wo Deutschland regiert wurde?

DR. SCHMIDT: Ja, das ist so.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie bitte noch einmal Ihr Affidavit ansehen? Ich will eben den Rest verlesen. Es ist nicht mehr viel, aber ich möchte, daß es im Protokoll steht.

Absatz 4 lautet:

»Durch den Putschversuch in Österreich und die Ermordung von Dollfuß am 25. Juli 1934 waren die Berufsdiplomaten im Auswärtigen Amt ernstlich beunruhigt, da diese Vorgänge Deutschland in den Augen der Welt diskreditierten. Es war allgemein bekannt, daß der Putsch von der Partei arrangiert war und die Tatsache, daß der Putschversuch so kurz auf das Blutbad in Deutschland folgte, deutete darauf hin, daß die Nazi- Methoden im Auslande und im Inlande sich sehr ähnlich waren. Diese Sorge wegen der Reaktion auf diesen Putschversuch vergrößerte sich bald, als man sich darüber klar wurde, daß diese Ereignisse zu dem französisch-sowjetischen Konsultativpakt vom 5. Dezember 1934 führten, einem Defensivabkommen, das die Nazis nicht als ein Warnungszeichen erkennen wollten.

5. Die im März erfolgte Bekanntgabe, daß eine deutsche Luftflotte geschaffen würde und die Wehrpflicht wieder eingeführt worden sei, hatte den Abschluß eines gegenseitigen Hilfsabkommens zwischen Frankreich und Rußland am 2. Mai 1935 zur Folge. Die Berufsdiplomaten im Auswärtigen Amt betrachteten dies als eine weitere ernstliche Warnung betreffs der möglichen Konsequenzen der deutschen Außenpolitik. Aber die Nazi-Führer versteiften sich in ihrer Haltung gegen die Westmächte und erklärten, daß sie sich nicht einschüchtern lassen würden. Zu diesem Zeitpunkt äußerten die Berufsbeamten wenigstens ihre Bedenken dem Außenminister Neurath gegenüber. Ich weiß nicht, ob Neurath seinerseits diese Bedenken Hitler gegenüber wiederholte oder nicht.

6. Dem Wiedereinmarsch der deutschen Streitkräfte in das Rheinland waren diplomatische Vorbereitungen der Nazis im Februar vorangegangen. Ein deutsches Kommuniqué vom 21. Februar 1936 versicherte noch einmal, daß der französisch-sowjetische Beistandspakt unvereinbar sei mit dem Vertrag von Locarno und dem Statut des Völkerbundes. Am gleichen Tag erklärte Hitler in einem Interview, daß absolut kein Grund zu einem Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich vorhanden sei. Angesichts der in ›Mein Kampf‹ abgegebenen Erklärung, die eine Beleidigung für Frankreich war, mußte man annehmen, daß die Bühne vorbereitet wurde, um irgendwelche spätere Aktionen zu rechtfertigen. Ich weiß nicht, wie lange im voraus der Marsch in das Rheinland beschlossen worden war. Ich persönlich wußte davon und habe ungefähr zwei oder drei Wochen, bevor er tatsächlich stattfand, darüber auch gesprochen. Besonders in militärischen Kreisen hatte man große Befürchtungen wegen des Risikos dieses Unternehmens. Auch im Auswärtigen Amt bestanden in weiten Kreisen ähnliche Befürchtungen. Es war jedoch im Auswärtigen Amt allgemein bekannt, daß Neurath der einzige von Hitler befragte Mann in Regierungskreisen war, der davon überzeugt war, daß das Rheinland ohne bewaffnete Opposition von Großbritannien und Frankreich remilitarisiert werden konnte. Neuraths Position während der ganzen Zeitspanne war so, daß sie Hitler veranlaßte, größeres Vertrauen in Neurath zu setzen als in irgendeinen der Diplomaten der ›alten Schule‹, vor denen Hitler nicht viel Achtung hatte.«

Dann kommt ein Absatz über die Sanktionen in Italien, der vor diesem Gerichtshof kaum erheblich sein dürfte und dann später im Absatz 8 heißt es:

»Die Pläne für die Annektierung Österreichs waren von Anfang an im Nazi-Programm enthalten. Die italienische Opposition nach der Ermordung Dollfuß' erforderte zeitweise eine etwas vorsichtigere Behandlung dieser Frage, aber die Anwendung von Sanktionen gegen Italien seitens des Völkerbundes, wie auch das schnelle Anwachsen der deutschen Militärstärke, machte die Wiederaufnahme des österreichischen Programmes aussichtsreicher. Als Göring Anfang 1937 in Rom einen Besuch abstattete, erklärte er, daß ein Zusammenschluß von Österreich und Deutschland unvermeidlich sei und früher oder später erwartet werden könne. Mussolini, der diese Worte in deutsch hörte, sagte kein Wort und protestierte nur schwach, als ich sie auf französisch übersetzt hatte. Die Vollziehung des Anschlusses war hauptsächlich eine Parteiangelegenheit, in der von Papen die Rolle hatte, an der Oberfläche ungestörte diplomatische Beziehungen zu wahren, während die Partei krummere Wege beschritt, um die Vorbedingungen für die erwartete Aktion zu schaffen. Papens Rede am 18. Februar 1938, nach der Berchtesgadener Zusammenkunft, bezeichnete das Berchtesgadener Abkommen als den ersten Schritt für die Schaffung eines mitteleuropäischen Staatenbundes unter deutscher Führung. Im Auswärtigen Amt wurde das allgemein als eine klare Prophezeiung eines Groß-Deutschland aufgefaßt, zu dem Österreich gehören würde.«

Im letzten Absatz steht, daß diese Dinge der Wahrheit entsprechen und daß Sie diese Erklärung freiwillig und ohne Zwang abgegeben haben. Das ist doch richtig, nicht wahr, Herr Schmidt?

Nun noch eines und dann sind wir fertig. Es stimmt doch, daß der Angeklagte Ribbentrop während seiner Amtszeit als Außenminister eine ganze Anzahl von Leuten, die in der SS oder früher in der SA einen Rang hatten, in das Personal des Auswärtigen Amtes übernahm?

DR. SCHMIDT: Ja, es waren diese Leute hauptsächlich Mitglieder seiner sogenannten Dienststelle, das heißt seiner früheren Organisation. Die wurden ins Amt übernommen. Nicht alle, aber einige.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich danke Ihnen.

VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Anklagevertreter ein Kreuzverhör vorzunehmen?

Dr. Horn! Wollen Sie den Zeugen rückverhören?

DR. HORN: Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.

DR. MARTIN LOEFFLER, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Vorsitzender, ich habe nur eine Frage an den Zeugen.

VORSITZENDER: Der Zeuge soll bleiben.

DR. LOEFFLER: Ich habe eine kurze Frage an den Zeugen.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir bitte sagen, wen Sie vertreten?

DR. LOEFFLER: Dr. Loeffler, Verteidiger für die SA.