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[Das Gericht vertagt sich bis

29. März 1946, 10.00 Uhr.]

Vierundneunzigster Tag.

Freitag, 29. März 1946.

Vormittagssitzung.

VORSITZENDER: Bevor das Verhör des Angeklagten von Ribbentrop fortgesetzt wird, wünscht der Gerichtshof, daß sich die Aufmerksamkeit von Dr. Horn und die des Angeklagten von Ribbentrop darauf lenke, was der Gerichtshof in den letzten Tagen erklärt hat.

In erster Linie hat der Gerichtshof folgendes erklärt: Der Gerichtshof hat dem Angeklagten Göring, der als erster der Angeklagten Zeugnis abgelegt und sich selbst als zweiter Führer Nazideutschlands verantwortlich erklärt hat, erlaubt, seine Aussagen ohne jede Unterbrechung zu machen. Und Göring hat die ganze Geschichte des Nazi-Regimes vom Beginn bis zur Niederlage Deutschlands erzählt. Der Gerichtshof beabsichtigt nicht, den anderen Angeklagten zu gestatten, dasselbe Thema in ihren Zeugenaussagen noch einmal zu behandeln, es sei denn, daß es zu ihrer eigenen Verteidigung notwendig ist

Zweitens hat der Gerichtshof entschieden, daß Beweismittel über die Frage, ob der Vertrag von Versailles ungerecht oder ob er unter Zwang unterschrieben worden ist, unzulässig sind.

Drittens muß ich, obwohl dies nicht eine Anordnung des Gerichtshofs ist, darauf hinweisen, daß die Angeklagten und einige ihrer Zeugen dem Gerichtshof häufig ihre Ansicht darlegten, daß sie den Vertrag von Versailles für ungerecht hielten. Deshalb sind alle diesbezüglichen Aussagen, abgesehen davon, daß sie unzulässig sind, kumulativ, und der Gerichtshof wird sie aus diesem Grunde nicht anhören.

Und schließlich hat der Gerichtshof mich gebeten, daß ich Herrn Dr. Horn darauf hinweise, daß es Pflicht eines Verteidigers ist, seine Zeugen zu verhören und es ihnen nicht einfach zu überlassen, Reden zu halten. Und wenn sie Aussagen machen, von denen der Verteidiger weiß, daß sie nach den Anordnungen des Gerichtshofs unzulässig sind, dann ist es Pflicht des Verteidigers, den Zeugen zu unterbrechen. Das ist alles, was ich zu sagen habe.

Dr. Seidl! Wenn Sie auf die eidesstattliche Versicherung von Gaus eingehen wollen, so möchte ich bemerken, daß der Gerichtshof sich mit dieser Angelegenheit jetzt nicht befassen wird; sie wird zur Sprache kommen, nachdem der Angeklagte von Ribbentrop ausgesagt hat.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich hatte mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Horn, dem Verteidiger des Angeklagten von Ribbentrop, vereinbart...

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Es ist mir gleich, ob Sie mit Dr. Horn gesprochen haben oder nicht, oder welche Vereinbarung Sie mit Dr. Horn getroffen haben. Es paßt dem Gerichtshof im Augenblick nicht, die Aussagen von Dr. Gaus zu hören. Der Gerichtshof wünscht, mit Ribbentrops Aussage fortzufahren.

DR. HORN: Sie sprachen gestern zum Abschluß über Ihre politischen Eindrücke in England und Frankreich. Ich möchte da eine Frage anschließen: Haben Sie sich bemüht, Hitler Ihre Anschauungen darüber näherzubringen, wie Sie die französische und englische Politik sahen, zu jener Zeit?

VON RIBBENTROP: Ja, ich habe seit dem 30. Januar 1933 Adolf Hitler öfter gesehen und habe ihm natürlich über meine Eindrücke bei meinen häufigen laufenden Reisen, vor allem nach England und Frankreich, berichtet.

DR. HORN: Wie war Hitlers damalige Einstellung gegenüber England und Frankreich?

VON RIBBENTROP: Adolf Hitlers Einstellung war folgendermaßen: Er sah in Frankreich einen Gegner Deutschlands aus der ganzen Politik, die Frankreich gegenüber Deutschland geführt hatte seit dem Ende des ersten Weltkrieges, infolge vor allem wohl der Haltung in den Gleichberechtigungsfragen überhaupt. Diese Einstellung Hitlers ist ja auch in seinem Buche »Mein Kampf« damals zum Ausdruck gekommen.

Ich kannte Frankreich gut, weil ich seit vielen Jahren dort Beziehungen hatte. Ich habe dem Führer damals viel von Frankreich erzählt. Es hat ihn interessiert, und ich merkte, daß er zusehends Interesse für französische Dinge in den Monaten des Jahres 1933 zeigte. Ich habe dann ihn mit einer Anzahl Franzosen zusammengebracht, und ich glaube, einige dieser Besuche und vielleicht auch etwas meine Schilderungen über die Einstellung vieler Franzosen, auch der ganzen französischen Kultur...

DR. HORN: Welche Franzosen waren das?

VON RIBBENTROP: Das waren eine Anzahl französischer Wirtschaftler, es waren Journalisten und auch einige Politiker. Diese Schilderungen interessierten den Führer, und er bekam allmählich doch den Eindruck, daß in Frankreich doch auch ganz andere Männer vorhanden waren, die eine Verständigung mit Deutschland nicht ablehnten.

Ich habe dann vor allem ein Argument dem Führer nähergebracht aus meiner eigensten Überzeugung und meiner Erfahrung der Jahre vorher. Es war der große Wunsch des Führers, wie es ja bekannt ist, mit England zu einer definitiven Freundschaft und einem Abkommen zu kommen. Der Führer hat anfangs diesen Gedanken von der deutsch-französischen Politik, ich möchte sagen, getrennt behandelt. Ich glaube, daß es mir damals gelungen ist, den Führer zu überzeugen, daß eine Verständigung mit England nur möglich ist über den Weg auch einer Verständigung mit Frankreich. Dieses machte, das entsinne ich mich noch sehr genau aus einigen Gesprächen mit dem Führer, einen starken Eindruck auf ihn. Er hat mir dann gesagt, daß ich auf dem von mir sowieso rein persönlich damals verfolgten Wege der Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich fortfahren und ihm weiter über diese Dinge berichten sollte.

DR. HORN: Sie wurden dann Hitlers außenpolitischer Berater, nicht der Parteiberater. Wie kam es dazu?

VON RIBBENTROP: Ich habe schon erzählt, daß ich Hitler über meine Reiseerfahrungen berichtete. Diese Eindrücke, die ich ihm aus England und Frankreich mitbrachte, interessierten ihn, und ohne daß es darüber irgendwie zu besonderen Gesprächen oder Aussprachen kam, wurde ich öfters von Hitler empfangen, ich sprach öfters mit ihm, und es ergab sich so ganz von selbst, daß er außer den Kanälen der offiziellen Politik meine Mitarbeit und meinen Rat über das, was ich in diesen Ländern sah und hörte, annahm, beziehungsweise sich anhörte. Er hatte vor allem ein großes Interesse natürlich für alle englischen Fragen. Ich habe ihm über Stimmungen und Persönlichkeiten berichtet und ihm auch außer Franzosen damals schon eine ganze Anzahl Engländer zugeführt, mit denen er nunmehr, was er ja sehr liebte, außer den offiziellen Kanälen in Gedankenaustausch treten konnte.

DR. HORN: Worin bestand nun Ihre persönliche Mitwirkung zu Hitlers Bestrebungen, zu einem Ausgleich mit Frankreich in den Jahren 1933 bis 1935 zu kommen?

VON RIBBENTROP: Es stand damals die Lösung der Saarfrage als eines der ersten Probleme zur Diskussion. Ich habe versucht, auf meinen persönlichen, privaten Kanälen in Paris den Franzosen klarzumachen, daß eine vernünftige und ruhige Lösung der Saarfrage im Sinne der im Versailler Vertrag vorgesehenen Abstimmungen ein gutes Omen für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sein würde. Ich habe mit einer ganzen Anzahl Männern in jenen Jahren gesprochen in Paris, und auch die ersten Verbindungen mit Mitgliedern des französischen Kabinetts aufgenommen. Ich darf erwähnen, daß ich Gespräche hatte mit dem damaligen französischen Präsidenten Doumergue, mit dem später ermordeten Außenminister Barthou, mit Herrn Laval und vor allem auch mit Herrn Daladier.

Ich entsinne mich, daß gerade auch bei der Saarfrage ich bei letzterem auf großes Verständnis stieß. Weiter, etwas später dann, habe ich gemerkt, daß bei den Besuchen von Franzosen bei Hitler immer wieder vorgebracht wurde: »Ja, aber da ist ja nun ›Mein Kampf‹ und da steht ja Ihre Politik gegenüber Frankreich drin.« Ich habe damals den Führer versucht zu bewegen, eine offizielle Revision dieses Passus von »Mein Kampf« herauszugeben. Der Führer sagte aber, ich entsinne mich dessen wörtlich, daß er entschlossen sei, durch seine praktische Politik der Welt zu beweisen, daß er seine Auffassung in diesem Punkte geändert habe. Einmal geschriebene Dinge könnte man einmal nicht ändern – sie wären historische Tatsachen – und seine damalige Einstellung zu Frankreich sei eben durch die französische Politik gegenüber Deutschland bedingt gewesen. Man könne aber nun ein neues Blatt in der Geschichte der beiden Völker aufschlagen.

Ich habe dann Adolf Hitler gebeten, einen französischen Journalisten zu empfangen, um vielleicht durch eine öffentliche Äußerung diese Revision seiner Auffassung, seiner in seinem Buche »Mein Kampf« ausgedrückten Auffassung, zu ändern, oder der Welt zu dokumentieren. Er war hierzu bereit und hat dann einen französischen Journalisten empfangen und diesem ein Interview gegeben, ich weiß nicht mehr wann, im Jahre 1933. Es erschien, glaube ich, im »Matin« und erregte damals ein großes Aufsehen.

Ich war sehr froh, denn damit war ganz zweifellos ein großer Schritt auf dem Wege einer Verständigung mit Frankreich getan.

Ich überlegte nun, was man weiter machen könnte, und wie man aus der einfachen öffentlichen Publizistik zu einer unmittelbaren Verbindung zwischen deutschen und französischen Staatsmännern kommen könne.

DR. HORN: Hat Ihnen damals nicht eine Vermittlung einer Zusammenkunft zwischen Hitler und Daladier vorgeschwebt? Welches waren Ihre praktischen Bemühungen?

VON RIBBENTROP: Ich wollte darauf gerade kommen. Damals war Daladier französischer Ministerpräsident. Ich habe mehrere Aussprachen mit ihm gehabt und ihm vorgeschlagen, Adolf Hitler zu treffen, um ganz offen von Mann zu Mann eine Aussprache herbeizuführen und zu sehen, ob man das deutsch-französische Verhältnis nicht auf eine völlig neue Basis stellen könnte. Herr Daladier war von diesem Gedanken eingenommen. Ich berichtete das Hitler, und Hitler war bereit, sich mit Herrn Daladier zu treffen. Der Treffpunkt sollte im deutschen Odenwalde liegen und war bereits vereinbart. Ich fuhr nach Paris, um ein letztes Arrangement mit Daladier zu treffen.

MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Ich unterbreche nur sehr ungern das Verhör des Angeklagten, aber meine Kollegen und ich denken, daß dieser Teil des Verhörs vollkommen unerheblich ist und sich auf jeden Fall viel zu sehr mit Einzelheiten befaßt. Wir werden so niemals weiterkommen. Wenn der Verteidiger die Weisungen, die der Gerichtshof heute morgen erteilte, befolgen würde, könnten wir viel rascher und ohne Umschweife vorwärtskommen.

VORSITZENDER: Dr. Horn! Der Gerichtshof hält diesen Einspruch für durchaus begründet. Der Angeklagte beschäftigt sich mit der Zeitspanne zwischen 1933 und 1935 und mit seinem Bestreben, ein gutes Verhältnis mit Frankreich herzustellen. Nun, das ist weit entfernt von allen Fragen, über die wir hier eine Entscheidung zu treffen haben. Daher hält es der Gerichtshof für eine Zeitvergeudung, darauf in allen Einzelheiten einzugehen.

DR. HORN: Ich werde dann weitere Fragen stellen, die sich auf eine direkte Mitwirkung beziehen.