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[Das Gericht vertagt sich bis

1. April 1946, 10.00 Uhr.]

Sechsundneunzigster Tag.

Montag, 1. April 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte von Ribbentrop betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wünscht einer der Verteidiger Fragen an den Angeklagten zu stellen?

DR. SEIDL: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Herr Zeuge! Die Präambel zu dem am 23. August 1939 zwischen Deutschland und der Sowjetunion abgeschlossenen Geheimvertrag hat ungefähr folgenden Wortlaut: »Im Hinblick auf die gegenwärtige Spannung zwischen Deutschland und Polen wird für den Fall eines Konfliktes folgendes vereinbart...« Ist Ihnen erinnerlich, ob die Präambel ungefähr diesen Wortlaut gehabt hat?

VON RIBBENTROP: An den genauen Wortlaut entsinne ich mich nicht, aber ungefähr stimmt es so.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß an den Verhandlungen am 23. August 1939 in Moskau als Rechtsberater der Leiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes, Botschafter Dr. Gaus, teilnahm, und daß er die Verträge entworfen hat?

VON RIBBENTROP: Der Botschafter Gaus hat zum Teil an den Verhandlungen teilgenommen und hat mit mir zusammen die Verträge entworfen.

DR. SEIDL: Ich werde Ihnen nun einen Abschnitt der Erklärung des Botschafters Gaus vorhalten und dann einige Fragen im Zusammenhang damit stellen.

VORSITZENDER: Dr. Seidl, welches Dokument werden Sie jetzt verlesen?

DR. SEIDL: Ich werde aus der Erklärung von Botschafter Gaus Ziffer III verlesen und im Anschluß daran einige Fragen an den Zeugen richten, weil einige Punkte, die im Zusammenhang mit diesem Vertrag stehen, noch nicht genügend geklärt erscheinen.

VORSITZENDER: Ja, General Rudenko?

GENERAL RUDENKO: Ich weiß nicht, Herr Vorsitzender, in welchem Zusammenhang diese Fragen mit dem Angeklagten Heß stehen, den Dr. Seidl vertritt, oder mit dem Angeklagten Frank. Ich will nicht auf den Inhalt dieses Affidavits eingehen, da ich ihm gar keine Bedeutung zumesse. Ich möchte aber den Gerichtshof darauf hinweisen, daß wir hier nicht die Fragen erörtern, die sich mit der Politik der verbündeten Staaten befassen, sondern wir behandeln hier die konkreten Anschuldigungen gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher, und die Fragen der Verteidiger sind lediglich ein Versuch, die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs von den Fragen, die hier erörtert werden, abzulenken. Deshalb halte ich es für richtig, solche Fragen als nicht sachdienlich zurückzuweisen.

[Kurze Beratung des Gerichtshofs.]

VORSITZENDER: Dr. Seidl, Sie können die Fragen stellen.

DR. SEIDL: Gaus erklärte unter Ziffer III des Affidavits:

»Am 23. August 1939 gegen Mittag traf das Flugzeug des Reichsaußenministers, den ich wegen der geplanten Vertragsverhandlungen als Rechtsberater begleiten mußte, in Moskau ein. Es fand dann am Nachmittag des gleichen Tages die erste Aussprache des Herrn von Ribbentrop mit Herrn Stalin statt, an der auf deutscher Seite außer dem Reichsaußenminister nur Botschaftsrat Hilger als Dolmetscher und vielleicht auch noch Botschafter Graf Schulenburg, nicht jedoch ich selbst teilnahm. Der Reichsaußenminister kehrte von dieser lange dauernden Aussprache sehr befriedigt zurück und äußerte sich in dem Sinne, daß es so gut wie sicher zum Abschluß der von deutscher Seite erstrebten Abmachungen kommen werde. Die Fortsetzung der Besprechungen, bei der die zu unterzeichnenden Dokumente durchbera ten und fertiggestellt werden sollten, war für den späteren Abend in Aussicht genommen. An dieser zweiten Besprechung habe ich dann persönlich teilgenommen, außerdem auch der Botschafter Graf Schulenburg und Botschaftsrat Hilger. Auf russischer Seite wurden die Verhandlungen von den Herren Stalin und Molotow geführt, denen als Dolmetscher Herr Pawlow zur Seite stand. Es kam schnell und ohne Schwierigkeit zu einer Einigung über den Wortlaut des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts. Herr von Ribbentrop hatte persönlich in die Präambel des von mir angefertigten Vertragsentwurfs eine ziemlich weitgehende Wendung, betreffend freundschaftlicher Gestaltung der deutsch-russischen Beziehungen eingefügt, die Herr Stalin mit dem Bemerken beanstandete, daß die Sowjetregierung, nachdem sie 6 Jahre lang von der nationalsozialistischen Reichsregierung ›mit Kübeln von Jauche‹ überschüttet worden sei, nicht plötzlich mit deutsch-russischen Freundschaftsversicherungen an die Öffentlichkeit treten könne. Der betreffende Passus der Präambel wurde daraufhin gestrichen beziehungsweise geändert. Neben dem Nichtangriffspakt wurde länger über ein besonderes geheimes Dokument verhandelt, das nach meiner Erinnerung die Bezeichnung ›Geheimes Protokoll‹ oder ›Geheimes Zusatzprotokoll‹ erhielt und dessen Inhalt auf eine Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in den zwischen beiden Staaten liegenden europäischen Gebieten hinauslief. Ob darin der Ausdruck ›Interessensphären‹ oder andere Ausdrücke verwendet wurden, weiß ich nicht mehr. Deutschland erklärte sich in dem Dokument in Lettland, Estland und Finnland politisch desinteressiert, rechnete dagegen Litauen zu seiner Interessensphäre. Bezüglich des politischen Desinteressements Deutschlands an den beiden genannten baltischen Ländern kam es zunächst insofern zu einer Kontroverse, als der Reichsaußenminister auf Grund seiner Instruktionen von diesem politischen Desinteressement einen gewissen Teil der baltischen Gebiete ausgenommen wissen wollte, was jedoch von sowjetischer Seite, insbesondere wegen der gerade in diesem Teilgebiet befindlichen eisfreien Häfen, nicht akzeptiert wurde. Der Reichsaußenminister hatte wegen dieses offenbar schon in seiner ersten Aussprache erörterten Punktes eine Telephonverbindung mit Hitler angemeldet, die erst während der zweiten Besprechung zustande kam und bei der er dann im direkten Gespräch mit Hitler von diesem ermächtigt wurde, den sowjetischen Standpunkt zu akzeptieren. Für das polnische Gebiet wurde eine Demarkationslinie festgelegt; ob sie genau auf einer dem Dokument beizufügenden Karte eingezeichnet oder nur in dem Dokument mit Worten beschrieben wurde, ist mir nicht mehr erinnerlich. Im übrigen wurde hinsichtlich Polens eine Vereinbarung ungefähr des Inhalts getroffen, daß die beiden Mächte bei der endgültigen Regelung der dieses Land betreffenden Fragen im beiderseitigen Einvernehmen handeln würden. Es wäre jedoch möglich, daß diese letztere Vereinbarung betreffend Polen erst bei der nachstehend unter 5 erwähnten, späteren Änderung des geheimen Protokolls getroffen wurde. Hinsichtlich der Balkanländer wurde festgestellt, daß Deutschland dort nur wirtschaftliche Interessen habe. Der Nichtangriffspakt und das geheime Dokument wurden noch in ziemlich vorgerückter Stunde in der gleichen Nacht unterzeichnet.«

Herr Zeuge, in der eidesstattlichen Versicherung von Gaus wird eine Vereinbarung des Inhalte erwähnt, daß die beiden Mächte bei der endgültigen Regelung der Polen betreffenden Fragen im beiderseitigen Einvernehmen handeln würden. Ist eine solche Vereinbarung bereits am 23. August 1939 getroffen worden?

VON RIBBENTROP: Jawohl, das stimmt. Es war damals die ernste deutsch-polnische Krise ja im Gange, und selbstverständlich wurde diese Frage eingehend besprochen, und ich möchte betonen, daß nicht der geringste Zweifel darüber bestand, sowohl in der Auffassung des Führers als auch Stalins, daß, wenn alle Verhandlungsmöglichkeiten mit Polen erschöpft seien, die Gebiete, die eines Tages mit Waffengewalt den beiden Großmächten entrissen worden waren, auch mit Waffengewalt »wieder genommen« werden könnten. Es wurden in diesem Sinne ja auch dann die östlichen Gebiete von den sowjetischen Truppen, und die westlichen Gebiete nach dem Siege von den deutschen Truppen besetzt. Es ist kein Zweifel, daß Stalin Deutschland niemals den Vorwurf einer Aggression oder eines Aggressionskrieges über sein Vorgehen in Polen machen kann; wenn von einer Aggression hier gesprochen wird, dies auf beiden Seiten liegen würde.

DR. SEIDL: Wurde die Demarkationslinie in diesem Geheimen Vertrag lediglich mit Worten beschrieben oder wurde sie auf einer dem Vertrag beigefügten Karte eingezeichnet?

VON RIBBENTROP: Die Demarkationslinie wurde auf einer Karte in großen Zügen eingezeichnet. Sie verlief entlang der Flüsse Rysia, Bug, Narew, San. An diese Flüsse entsinne ich mich. Das war die Demarkationslinie, die eingehalten werden sollte, im Falle es zum kriegerischen Konflikt mit Polen kam.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß auf Grund der in diesem Vertrag getroffenen Vereinbarung der größere Teil Polens nicht an Deutschland sondern an die Sowjetunion gefallen ist?

VON RIBBENTROP: Ich weiß jetzt nicht das genaue Ausmaß, es war jedenfalls so, daß sämtliche Gebiete, die östlich dieser Flüsse lagen, an die Sowjetunion fielen, und daß die im Westen dieser Flüsse gelegenen Gebiete von deutschen Truppen besetzt wurden, wobei die Gestaltung dieses Raumes, wie sie von Deutschland vorgenommen werden sollte, damals noch offen war und zwischen Adolf Hitler und mir nicht diskutiert worden war. Es ist ja dann später das Generalgouvernement eingerichtet worden, nachdem die Deutschland nach dem ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete Deutschland einverleibt worden waren.

DR. SEIDL: Nun etwas anderes. Sie erklärten letzten Freitag, Sie hätten Rußland zum Beitritt zum Dreimächtepakt gewinnen wollen. Woran ist das gescheitert?

VON RIBBENTROP: Das ist gescheitert an den russischen Forderungen. Die russischen Forderungen bezogen sich – ich muß vielleicht vorausschicken, daß ich mit Herrn Molotow mich damals verabredet hatte in Berlin, um weitere Verhandlungen über diplomatische Kanäle zu führen. Ich würde mich beim Führer dafür einsetzen, daß bezüglich der in Berlin vorgebrachten Forderungen von Herrn Molotow irgendeine Einigung oder ein Kompromiß zustande käme. Es kam dann von Schulenburg in Moskau die Nachricht mit den russischen Forderungen. In dieser Nachricht wurde erstens die Forderung erneut gestellt auf Finnland. Der Führer hat sich hierin ja bekanntlich Herrn Molotow gegenüber geäußert, daß er nicht wünsche, daß nach dem Winterkrieg von 1940 dort im Norden nunmehr nochmals ein Krieg ausbräche. Nun wurde die Forderung bezüglich Finnland erneut erhoben, und wir nahmen an, daß es sich um die Besetzung Finnlands handeln würde. Es war schwierig, und eine Forderung, die der Führer bereits abgelehnt hatte. Eine weitere Forderung war die Forderung der Russen auf den Balkan und Bulgarien. Rußland wollte dort bekanntlich Stützpunkte haben und in ein enges Verhältnis zu Bulgarien treten. Die Bulgarische Regierung, mit der wir in Verbindung getreten waren, wünschte dies nicht. Im übrigen war dieses russische Vordringen auf dem Balkan sowohl für den Führer als auch Mussolini eine schwierige Frage wegen unserer wirtschaftlichen Interessen dort, Getreide, Öl und so weiter, aber vor allem war es der eigene Wille der Bulgarischen Regierung, die dies nicht wünschte. Es war dann drittens die Forderung von Rußland für Meerausgänge, nach Stützpunkten militärischer Art an den Dardanellen und der Wunsch, den Herr Molotow mir gegenüber in Berlin bereits zum Ausdruck gebracht hatte, auch irgendwie sich an den Ausgängen der Ostsee zumindest ein Interesse zu sichern. Herr Molotow hatte mir damals selbst gesagt, daß Rußland natürlich an Skagerrak und Kattegatt auch ein sehr starkes Interesse habe. Ich habe damals mit dem Führer sehr eingehend über diese Forderungen und diese Wünsche gesprochen. Der Führer sagte, man müsse mit Mussolini in Verbindung treten, der ja an einem Teil dieser Forderungen sehr stark interessiert sei.

Dies ist dann auch geschehen, aber sowohl die Balkanforderungen als auch die Dardanellenforderungen fanden keine Gegenliebe bei Mussolini. Mit Bulgarien habe ich schon gesagt, daß Bulgarien auch nicht wollte, und mit Finnland wollte weder Finnland noch glaubte der Führer, diesen Wünschen und Forderungen der Sowjetunion entsprechen zu können. Es ist dann monatelang verhandelt worden. Ich entsinne mich, daß ich noch einmal auf Grund eines Telegramms aus Moskau im Dezember 1940 eine lange Unterredung mit dem Führer hatte. Mir schwebte vor, daß, wenn wir in irgendeiner Forderung einen Kompromiß zwischen den russischen Wünschen und den Wünschen der verschiedenen Beteiligten herbeiführen konnten, daß man eine so starke Koalition herbeiführen könnte, die letzten Endes England noch zum Frieden bringen würde.

VORSITZENDER: Worauf soll dies alles eine Antwort sein? Wie lautete Ihre Frage, auf die dies hier eine Antwort sein soll?

DR. SEIDL: Er hat die Frage wesentlich schon beantwortet.

VORSITZENDER: Dr. Seidl, wenn er die Frage beantwortet hat, dann müssen Sie ihn unterbrechen.

DR. SEIDL: Sehr wohl.

Ich komme nun zu einer anderen Frage: Welche Ansichten hatte Adolf Hitler in Bezug auf die militärische Stärke Rußlands?

VON RIBBENTROP: Adolf Hitler hatte mir einmal gesagt, daß, er hat es so ausgedrückt, und zwar war dies in der Zeit, als er Bedenken bekam, was in Rußland vor sich ging über die Vorbereitung gegen Deutschland. Damals sagte er: »Wir wissen natürlich nicht, was hinter diesem Tor verborgen ist, wenn wir wirklich eines Tages gezwungen sein sollten, dieses Tor aufzustoßen.«

Ich habe daraus entnommen und auf Grund anderer Äußerungen, die der Führer in dieser Zeit machte, daß er auf Grund der ihm vorliegenden Nachrichten über Rußland sehr große Sorgen über die Stärke und eventuelle Machtentfaltung der Sowjetunion hatte.

DR. SEIDL: Meine nächste Frage: Welche Gesamtumstände haben Hitler veranlaßt, der drohenden Gefahr einer Offensive der Sowjetunion zuvorzukommen?

VON RIBBENTROP: Das war so...

VORSITZENDER: Ist das nicht schon von dem Angeklagten Göring ausführlich und erschöpfend behandelt worden? Sie sind hier als Verteidiger für den Angeklagten Heß.

DR. SEIDL: Wenn der Gerichtshof der Ansicht ist, daß dies erschöpfend behandelt war, dann verzichte ich auf die Beantwortung dieser Frage.

VORSITZENDER: Bevor Sie sich niedersetzen, Dr. Seidl, – ich nehme an, Sie haben die eidesstattliche Versicherung des Zeugen Gaus dem Angeklagten vorgelegt mit der Absicht, daß er ihre Richtigkeit bestätigen sollte. Ist das richtig?

DR. SEIDL: Jawohl.

VORSITZENDER: Sie haben ihm Absatz 4 der eidesstattlichen Versicherung überhaupt nicht vorgelegt, nicht wahr?

DR. SEIDL: Ich habe überhaupt nur die Ziffer 3 des Affidavits vorgelesen. Ziffer 1, 2, 4 und 5 habe ich nicht verlesen, um Zeit zu sparen.

VORSITZENDER: Die Antwort auf meine Frage war »ja«, Sie haben es nicht vorgelegt. Sollten Sie ihm nicht das Ende des vierten Absatzes vorlegen, der folgendermaßen lautet:

»Der Reichsaußenminister hatte seine Worte so gewählt, daß ein kriegerischer Konflikt zwischen Deutschland und Polen nicht als eine bereits entschiedene Tatsache erschien, sondern nur als eine drohende Möglichkeit. Von den sowjetischen Staatsmännern wurden in diesem Punkt keinerlei Erklärungen abgegeben, die eine Billigung oder Erweiterung eines derartigen Konfliktes bedeutet hätten. Die Sowjetvertreter beschränkten sich in dieser Hinsicht vielmehr darauf, die Erklärung des deutschen Vertreters zur Kenntnis zu nehmen.«

Ist dies richtig?

DR. SEIDL: Das ist richtig.

VORSITZENDER: Ich frage den Angeklagten, ob das richtig ist?

VON RIBBENTROP: Ich darf dazu folgendes sagen. Es war auch als ich nach Moskau fuhr in keiner Weise ein endgültiger Beschluß des Führers...

VORSITZENDER: Können Sie nicht die Frage direkt beantworten? Ich fragte, ob die Darstellung im Affidavit richtig war oder nicht, Sie können sie später erklären.

VON RIBBENTROP: Nicht genau, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Jetzt können Sie erklären.

VON RIBBENTROP: Insofern nicht, als ein Entschluß des Führers, etwa Polen anzugreifen beziehungsweise gegen Polen vorzugehen, in keiner Weise damals bestand. Es ist aber kein Zweifel, daß in der Aussprache in Moskau es ganz klar war, daß die Möglichkeit eines solchen Konfliktes jederzeit gegeben war, wenn die letzte Verhandlung erschöpft ist.

VORSITZENDER: Worin besteht der Unterschied zwischen dem, was ich Ihnen gerade vorgelesen habe, und dem, was Sie gesagt haben? Ich habe Ihnen folgendes vorgelesen:

»Der Reichsaußenminister hatte seine Worte so gewählt, daß ein kriegerischer Konflikt zwischen Deutschland und Polen nicht als eine bereits entschiedene Tatsache erschien, sondern nur als drohende Möglichkeit.«

Ich denke, daß Ihre Erklärung genau dieselbe ist. Das ist alles.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Darf ich hier in diesem Zusammenhang einiges kurz erwähnen? Der Zeuge Gaus war nur bei der zweiten Unterredung dabei, war aber nicht dabei bei den so lange dauernden Unterredungen, die vorher zwischen dem Zeugen Ribbentrop auf der einen Seite und Herrn Molotow und Stalin auf der anderen Seite stattgefunden haben. Bei dieser Unterredung war nur der Botschaftsrat Hilger anwesend, und ich bitte das Gericht, den Zeugen Hilger, der mir bereits genehmigt wurde, im Hinblick auf die Bedeutung dieses Punktes vernehmen zu dürfen.

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Sie wissen, Sie können jedes Gesuch schriftlich vorbringen und jeden Zeugen beantragen, den Sie wünschen. Außerdem möchte ich auf Wunsch des Gerichtshofs mitteilen, daß der Zeuge Gaus der Anklagevertretung hier für ein Kreuzverhör zur Verfügung steht, falls sie Wert darauf legt.

DR. SEIDL: Ich darf dann die eidesstattliche Erklärung des Zeugen als Beweisstück Nummer 16 für Rudolf Heß einreichen.

VORSITZENDER: Jawohl.

MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Soweit ich unterrichtet bin, besteht die Gefahr, daß der Zeuge Gaus aus Nürnberg fortgebracht wird. Ich möchte hier erklären, daß wir wünschen, daß er genügend lange für ein mögliches Kreuzverhör hier gehalten wird.

VORSITZENDER: Gut.

Wünscht ein anderes Mitglied der Verteidigung Fragen zu stellen?

DR. NELTE: Der Angeklagte Keitel gibt an, daß er im Herbst 1940, als der Gedanke an einen Krieg mit der Sowjetunion von Hitler erörtert wurde, nach Fuschl gekommen sei, um mit Ihnen über diese Frage zu sprechen. Er glaubte, daß auch Sie Bedenken hätten. Erinnern Sie sich, daß Keitel Ende August, anfangs September in Fuschl war?

VON RIBBENTROP: Ja, das stimmt, er hat mich damals besucht.

DR. NELTE: Entsinnen Sie sich, daß Keitel damals Ihnen seine Auffassung über den eventuell drohenden Krieg mitteilte?

VON RIBBENTROP: Ja, das stimmt. Er hat damals davon gesprochen. Ich glaube, er sagte, daß der Führer mit ihm gesprochen habe.

DR. NELTE: Worauf es mir ankommt ist folgendes: Keitel sagte, daß er Ihnen von einer Denkschrift gesprochen habe, die er Hitler vorzulegen beabsichtigte, und die sich auf die Bedenken bezog, die beim eventuellen Krieg mit der Sowjetunion zu beachten seien.

VON RIBBENTROP: Das stimmt. Feldmarschall Keitel hat mir damals gesagt, daß er beabsichtige, dem Führer eine Denkschrift vorzulegen, und hat seinen Bedenken Ausdruck gegeben, die mit einem eventuellen Konflikt zwischen Deutschland und der Sowjetunion zusammenhingen.

DR. NELTE: Hatten Sie den Eindruck, daß Feldmarschall Keitel ein Gegner dieses Krieges im damaligen Zeitpunkt war?

VON RIBBENTROP: Jawohl, das stimmt. Den Eindruck hatte ich absolut.

DR. NELTE: Ist es richtig, daß er Sie als Ergebnis dieser Besprechung gebeten hat, auch Ihrerseits bei Hitler diese Bedenken zu unterstützen?

VON RIBBENTROP: Ja, das ist richtig, und ich habe ihm damals gesagt, daß ich dies tun und mit Hitler sprechen würde. Er möge dies ebenfalls tun.

DR. NELTE: Eine andere Frage bezüglich der Flucht des französischen Generals Giraud. Ist es richtig, daß Keitel, als der französische General Giraud aus Königstein geflohen war, bei Ihnen eine Demarche erbat durch die Französische Regierung, die freiwillige Rückkehr des Generals Giraud zu erreichen?

VON RIBBENTROP: Jawohl, das ist richtig. Er hat damals den Vorschlag gemacht, ob es nicht möglich sei, durch Verhandlungen mit der Französischen Regierung in irgendeiner Form den General zur Rückkehr in die Gefangenschaft zu bewegen.

DR. NELTE: Erfolgte daraufhin durch die Vermittlung des Botschafters Abetz eine Zusammenkunft mit General Giraud im besetzten Frankreich?

VON RIBBENTROP: Ja, eine solche Zusammenkunft fand statt. Ich glaube, Botschafter Abetz traf sich mit Herrn Giraud, der nach meiner Erinnerung zusammen mit Herrn Laval erschien. Der Botschafter hatte dann alles versucht, um den General zur Rückkehr zu bewegen, aber das ist ihm dann schließlich nicht gelungen. Man hatte dem General für diese Unterredung freies Geleit zugesagt, und danach ist dann der General mit Herrn Laval wieder abgefahren.

DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat hier einen Befehl vorgelegt, der das Kennzeichen sowjetrussischer Kriegsgefangener durch Einritzen auf die Haut zum Gegenstand hatte. Der Angeklagte Keitel ist für diesen Befehl verantwortlich gemacht. Er behauptet nun, daß er mit Ihnen im Hauptquartier, damals in Winniza, über diese Frage gesprochen habe, auch sprechen mußte, weil diese Kriegsgefangenenfragen auch das Auswärtige Amt, die Völkerrechtsabteilung, berührten. Erinnern Sie sich, daß Feldmarschall Keitel Sie in diesem Zusammenhang fragte, ob völkerrechtliche Bedenken gegen die von Hitler gewünschte Kennzeichnung bestehen?

VON RIBBENTROP: Das war so: Wir hörten von der Absicht der Kennzeichnung von Kriegsgefangenen – ich hörte davon – und bin in das Hauptquartier gefahren und habe mit Feldmarschall Keitel darüber gesprochen, weil es meine Meinung war, daß eine solche Kennzeichnung gar nicht in Frage kommen könne. Feldmarschall Keitel teilte diese Auffassung und hat, soweit ich mich entsinne, dann auch, glaube ich, Befehl gegeben, daß diese beabsichtigte Kennzeichnung zu unterbleiben hätte.

DR. NELTE: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Herr Zeuge, wann haben Sie Admiral Dönitz kennengelernt?

VON RIBBENTROP: Admiral Dönitz lernte ich kennen nach seiner Ernennung zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das war im Jahre 1943?

VON RIBBENTROP: Ich glaube, ja.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hat Admiral Dönitz vorher oder hinterher praktisch irgendeinen Einfluß auf die deutsche Außenpolitik ausgeübt oder auszuüben versucht?

VON RIBBENTROP: Ich habe niemals davon gehört, daß Admiral Dönitz versucht hat, irgendeinen Einfluß auf die deutsche Außenpolitik auszuüben.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Erinnern Sie sich an den Besuch des Marschalls Antonescu im Führerhauptquartier am 27. Februar 1944?

VON RIBBENTROP: Ich entsinne mich; das Datum habe ich natürlich nicht mehr im Kopfe. Marschall Antonescu kam ja öfters zum Führer. Ich möchte sagen, fast alle halben Jahre ist er dagewesen, und ich glaube, Sie sagten anfangs 1944?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ja, am 27. Februar 1944.

VON RIBBENTROP: Ja, ich glaube, daß das stimmt, daß er anfangs 1944 beim Führer war.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Entsinnen Sie sich, ob Marschall Antonescu damals an der militärischen Lagebesprechung als Gast teilgenommen hat?

VON RIBBENTROP: Das glaube ich sicher, denn es war meistens so, wenn Marschall Antonescu zum Führer kam. Der Führer hat eigentlich immer ihm eine militärische Lage vorgeführt, das heißt er hat ihn eingeladen, an der sogenannten mittagsmilitärischen Lagebesprechung teilzunehmen, so daß es wohl, ich entsinne mich jetzt nicht genau, aber gar kein Zweifel ist, daß Marschall Antonescu im Februar dann an der Lagebesprechung teilgenommen hat.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Fanden außerhalb der militärischen Lagebesprechungen auch noch politische Besprechungen mit Marschall Antonescu statt?

VON RIBBENTROP: Ja, jeder Besuch Marschall Antonescus begann damit, daß der Führer sich entweder allem mit ihm und ab und zu auch mal mit mir, aber meistens allein, weil er Staatsoberhaupt war, zurückzog und eine lange ausführliche politische Besprechung hatte, zu der ich dann meistens etwas später zugezogen wurde.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hat Admiral Dönitz an dieser politischen Besprechung teilgenommen?

VON RIBBENTROP: Ganz bestimmt nicht, denn der Führer hat selten zu einer solchen Besprechung mit Marschall Antonescu ein Militär zugezogen. Im weiteren Verlaufe ist das dann manchmal der Fall gewesen, aber daß Admiral Dönitz an einer Besprechung mit Antonescu teilgenommen hat, kann ich mich nicht entsinnen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe keine weiteren Fragen.

DR. WALTER SIEMERS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN RAEDER: Herr Zeuge! Die Anklagebehörde hat ein Dokument überreicht über eine Unterredung zwischen Ihnen und dem japanischen Außenminister Matsuoka vom 29. März 1941. Das Dokument trägt die Nummer 1877-PS, beziehungsweise US-Beweisstück Nummer 152. Im deutschsprachigen Sitzungsprotokoll ist in Band III auf Seite 425/426 von der Anklagebehörde ein Teil der Urkunde wiedergegeben, unter anderem folgender Passus, der Großadmiral Raeder betrifft. Ich lese vor:

»Der Reichsaußenminister kam anschließend noch einmal auf die Frage Singapore zu sprechen. Angesichts der von Japan geäußerten Befürchtung wegen etwaiger Unterseebootsangriffe von den Philippinen her und des Eingreifens der englischen Mittelmeerflotte und der Home Fleet habe er die Lage noch einmal mit Generaladmiral Raeder besprochen. Dieser habe ihm erklärt, daß die englische Flotte in diesem Jahr in den englischen Heimatgewässern und im Mittelmeer so vollständig beschäftigt sein würde, daß sie auch nicht ein einziges Schiff nach dem Fernen Osten entsenden könnte. Die amerikanischen Unterseeboote habe Generaladmiral Raeder als so schlecht bezeichnet, daß sich Japan um sie überhaupt nicht zu kümmern brauche.«

Herr Zeuge! Tatsächlich haben Sie sich nach der festen Erinnerung des Angeklagten Raeder als Reichsaußenminister mit ihm niemals über strategische Fragen bezüglich Japan oder gar über den Wert oder Unwert amerikanischer U-Boote unterhalten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Punkt aufklären könnten, ob hier vielleicht ein Irrtum in der Person vorliegt.

VON RIBBENTROP: Das ist durchaus wohl möglich. Ich entsinne mich jetzt auch nicht, daß ich je mit Großadmiral Raeder über die deutsch-japanische Strategie gesprochen hätte. Es ist ja so gewesen, daß wir mit Japan nur sehr lose Verbindung in diesen Dingen an sich hatten. Wenn ich damals dem japanischen Außenminister Matsuoka, was da niedergeschrieben ist, gesagt habe, so ist das natürlich durchaus denkbar, daß ich das vom Führer hatte, daß der Führer nur so etwas gesagt hatte. Aus mir selbst heraus hatte ich es natürlich nicht, denn ich wußte es nicht. Ich weiß, daß der Führer mit mir öfters über solche Punkte gerade bezüglich Japan gesprochen hat. Es wäre also denkbar, daß dies nicht von Großadmiral Raeder, sondern vom Führer stammte. Ich weiß nicht, von wem die Aufzeichnung ist. Ist das eine...

DR. SIEMERS: Die Aufzeichnung hat die Überschrift: »Aufzeichnung über die Unterredung zwischen dem Reichsaußenminister und dem japanischen Außenminister Matsuoka...«

VON RIBBENTROP: Die habe ich hier gesehen. Das ist möglich, daß das der Führer mir gesagt hat; ich halte das sogar für wahrscheinlich. Und es kann ja sein, daß es in der Aufzeichnung durcheinander gekommen ist, das weiß ich nicht.

DR. SIEMERS: Herr Zeuge! Haben Sie den Angeklagten Raeder über derartige politische Unterhaltungen unterrichtet, wie Sie sie mit Matsuoka oder mit Oshima führten?

VON RIBBENTROP: Nein, das ist nicht der Fall gewesen.

DR. SIEMERS: Haben Sie jemals mit Großadmiral Raeder über andere politische Fragen gesprochen oder ihn bei politischen Verhandlungen herangezogen?

VON RIBBENTROP: Nein, das trifft nicht zu, das gab es bei uns nicht. Der Führer hielt die politischen und militärischen Dinge im allgemeinen streng getrennt, so daß ich als Außenminister gar nicht in die Lage kam, irgendwie von mir aus nun etwa politisch- militärisch-strategische Dinge bei mir zu besprechen, sondern wenn Außenfragen vor der Besprechung waren, so waren die beim Führerstab. Aber, wie ich aus Urkunden gesehen habe, die mir hier zum ersten Male vor Gesicht kamen, sind auch da die Dinge allgemein getrennt gehalten worden, das heißt, wenn solche Besprechungen überhaupt stattgefunden haben, daß ich mich im Augenblick nicht erinnern kann, dann hätte das nur beim Führer sein können.

DR. SIEMERS: Danke schön.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Der hier als Zeuge vernommene Staatssekretär des Auswärtigen, Steengracht, hat meine Frage, ob er laufend die hohen militärischen Führer über die schwebenden Fragen der Politik orientiert habe, verneint. Ich frage nun, ob Sie als Außenminister die hohen militärischen Führer über die Fragen der Politik orientiert haben?

VON RIBBENTROP: Nein, die Frage muß ich so beantworten, wie die vorhin gestellte Frage. Das gab es bei uns nicht, sondern die gesamten politischen und militärischen Probleme kamen ausschließlich beim Führer zusammen. Der Führer sagte mir, was ich diplomatisch und politisch zu tun hatte, und er sagte, was sie militärisch zu tun hätten. Die Informierung von mir über militärische Dinge geschah gelegentlich durch den Führer, aber selten, und das, was die Herren Militärs politisch wissen mußten, haben sie jedenfalls niemals von mir, sondern wenn, dann vom Führer erfahren.

DR. LATERNSER: Danke schön, ich habe keine weiteren Fragen.

RECHTSANWALT GEORG BOEHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Zeuge! Hatten Sie einen Befehl oder eine Anweisung, auf Grund welcher Sie die SA-Führung von der Entwicklung und Behandlung außenpolitischer Fragen zu unterrichten hatten?

VON RIBBENTROP: Die SA? Nein, ein solcher Befehl lag nicht vor, und solche Anweisung hatte ich nicht.

RA. BOEHM: Hatte die SA-Führung einen Einfluß auf die Außenpolitik?

VON RIBBENTROP: Nein.

RA. BOEHM: Und nun möchte ich noch eine Frage stellen für meinen Kollegen, Herrn Dr. Sauter, der erkrankt ist. Sind Sie 1943 Zeuge zwischen einer Unterhaltung von Himmler und Hitler gewesen, in der erörtert wurde, den damaligen Reichsleiter von Schirach vor dem Volksgericht anzuklagen?

VON RIBBENTROP: Ja, das stimmt.

RA. BOEHM: Welche Folgen hätte ein damaliges Verfahren vor dem Volksgericht für Schirach gehabt?

VON RIBBENTROP: Das kann ich nicht genau sagen, die Einzelheiten dieser Angelegenheit kenne ich nicht. Ich weiß nur, daß Himmler in meinem Beisein dem Führer den Vorschlag machte, aus irgendeinem Grunde Schirach vor das Volksgericht zu stellen und dort verhandeln zu lassen. Einzelheiten weiß ich nicht. Ich habe mich auch weiter nicht dafür interessiert. Ich sagte zum Führer, daß dies nach meiner Ansicht einen schlechten Eindruck machen würde außenpolitisch, und ich weiß, daß der Führer dann wohl auch Himmler keine Antwort gab, jedenfalls hat er den Befehl nicht gegeben. Welche Folgen das gehabt hätte, kann ich nicht sagen, aber wenn ein solcher Vorschlag seitens Himmler vorlag, wären es wohl recht ernste Folgen gewesen.

RA. BOEHM: Wie ist es gekommen, daß Sie Zeuge dieser Besprechung waren? Und welche Haltung haben Sie da eingenommen?

VON RIBBENTROP: Das war reiner Zufall. Das habe ich eben gesagt. Ich habe dem Führer und auch Himmler gesagt, daß dies einen sehr schlechten Eindruck machen würde.

RA. BOEHM: Danke schön, ich habe weiter keine Fragen.

VORSITZENDER: Wünschen noch weitere Verteidiger Fragen zu stellen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Zeuge! Als Sie im Jahre 1933 anfingen, Hitler in Fragen der auswärtigen Politik zu beraten, waren Sie da vertraut mit der Völkerbundserklärung vom Jahre 1927?

VON RIBBENTROP: Ich weiß nicht, welche Völkerbundserklärung Sie meinen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich nicht an die Erklärung des Völkerbundes vom Jahre 1927?

VON RIBBENTROP: Der Völkerbund hat sehr viele Erklärungen abgegeben. Ich bitte, mir zu sagen, um welche es sich handelt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er hat im Jahre 1927 eine ziemlich bedeutende Erklärung über Angriffskriege abgegeben, nicht wahr?

VON RIBBENTROP: Im einzelnen kenne ich diese Erklärungen nicht. Aber es ist ja klar, daß der Völkerbund, wie alle anderen auch, gegen einen Angriffskrieg eingestellt war, und Deutschland gehörte damals zum Völkerbund.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Deutschland war Mitglied, und die Präambel der Erklärung lautete:

»In der Überzeugung, daß ein Angriffskrieg niemals als Mittel für die Beilegung internationaler Streitigkeiten dienen kann und deshalb ein internationales Verbrechen ist...«

War Ihnen diese Erklärung vertraut, als Sie...

VON RIBBENTROP: Im einzelnen nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es war doch ziemlich wichtig, mit dieser Angelegenheit vertraut zu sein, wenn Sie Hitler, der damals Reichskanzler war, in der Außenpolitik beraten sollten. Nicht wahr?

VON RIBBENTROP: Diese Erklärung ist sicher wichtig und entsprach auch durchaus meiner damaligen Einstellung. Nur die weitere Folge hat gezeigt, daß der Völkerbund nicht in der Lage war, Deutschland von dem Chaos zu retten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: War das auch weiterhin Ihre Ansicht?

VON RIBBENTROP: Ich habe die Frage nicht verstanden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hatten Sie sich die Einstellung, die ich Ihnen aus der Präambel zitiert habe, auch weiterhin zu eigen gemacht?

VON RIBBENTROP: Das war an sich meine grundsätzliche Einstellung, aber auf der anderen Seite war ich der Auffassung, es sollte in irgendeiner Form Deutschland geholfen werden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das habe ich angenommen. Nun, abgesehen davon, wenn Sie mit Einzelheiten dieser Resolution nicht vertraut waren, kannten Sie den Briand-Kellogg-Pakt in allen Einzelheiten?

VON RIBBENTROP: Jawohl, den kannte ich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Stimmten Sie den Auffassungen zu, die in der Präambel und im Pakte selbst zum Ausdruck kamen, daß auf den Krieg als Mittel der nationalen Politik verzichtet werden sollte?

VON RIBBENTROP: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie uns, bitte, erzählen, wie Sie das durchgeführt haben? Nehmen wir das erste Beispiel: Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß, soweit Sie davon wissen, weder Druck noch Drohungen gegen Herrn von Schuschnigg angewandt wurden?

VON RIBBENTROP: Sie meinen bei der Unterredung mit Hitler auf dem Obersalzberg?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, und zwar am 12. Februar.

VON RIBBENTROP: Bei dieser Unterredung habe ich...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge! Beantworten Sie erst die Frage, und dann können Sie Ihre Erklärungen abgeben. Wollen Sie uns sagen, daß am 12. Februar weder Druck noch Drohungen gegen Herrn von Schuschnigg angewandt wurden? Antworten Sie mit Ja oder Nein, zu den Erklärungen kommen wir dann später.

VON RIBBENTROP: In dem Sinne, nein. Ich glaube, daß die überragende Persönlichkeit des Führers auf Schuschnigg einen solchen Eindruck machte, und die Argumente, die er vorbrachte, daß er sich schließlich einverstanden erklärte mit den Vorschlägen, die Adolf Hitler machte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wir werden das genauer betrachten.

VON RIBBENTROP: Darf ich weiter erklären? Ich persönlich habe mit Herrn Schuschnigg damals nach der ersten Unterredung mit Adolf Hitler eine Unterhaltung gehabt, in der ich sehr genau die Reaktion auf die erste Unterredung spürte. Diese Reaktion war die eines starken Eindrucks von der Person Hitlers und den Argumenten, die Adolf Hitler Schuschnigg unterbreitet hatte. Schuschnigg hat mir in dieser Unterredung, die außerordentlich freundschaftlich verlief, gesagt, daß auch er – ich glaube, es waren seine Worte – es als eine historische Mission betrachte, die beiden Völker näher zusammenzubringen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wer war auf dem Berghof zugegen, ich meine nicht im Zimmer, sondern in dem Gebäude oder in der Nähe? Waren dort Hitler, Sie, der Angeklagte von Papen, der Angeklagte Keitel, General Sperrle und General von Reichenau?

VON RIBBENTROP: Ich glaube, das stimmt, ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und am Morgen des 12. hatten Hitler und Schuschnigg, glaube ich, eine Unterredung von ungefähr zwei Stunden vor dem Mittagessen. Ist das richtig?

VON RIBBENTROP: Die Zeit weiß ich nicht mehr genau, jedenfalls hatten sie eine lange Unterredung, das ist richtig.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und dann nach dem Mittagessen durfte Schuschnigg eine kurze Unterredung mit seinem eigenen Außenminister, Guido Schmidt, haben, ist das richtig?

VON RIBBENTROP: Das kann ich nicht mehr genau sagen, das ist aber möglich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann, danach, wurden Schuschnigg und Guido Schmidt zu Ihnen und dem Angeklagten von Papen bestellt, ist das richtig?

VON RIBBENTROP: Daran entsinne ich mich nicht, das glaube ich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie entsinnen sich nicht daran? Dann denken Sie noch einmal nach.

VON RIBBENTROP: Meinten Sie – dann denke ich, diese Fragen nicht richtig verstanden zu haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Sie nochmals fragen. Nach der Unterredung, die Schuschnigg mit Guido Schmidt hatte, kamen er und Schmidt zu Ihnen und dem Angeklagten von Papen und hatten ein Gespräch mit Ihnen, das ich Ihnen sogleich vorlegen werde. Stimmt es nicht, daß Sie und von Papen mit von Schuschnigg und Guido Schmidt zusammen waren?

VON RIBBENTROP: Nein, das glaube ich nicht, ich glaube, das stimmt nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich nicht, Herrn von Schuschnigg einen mit der Schreibmaschine geschriebenen Entwurf gezeigt zu haben, der die Forderungen an Schuschnigg enthielt? Denken Sie nur erst nach.

VON RIBBENTROP: Das ist durchaus möglich. Hitler hatte eine Niederschrift selbst diktiert, und es ist möglich, daß die von mir Schuschnigg gegeben wurde. Die Einzelheiten weiß ich nicht mehr genau.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was stand in dieser Denkschrift?

VON RIBBENTROP: Das weiß ich nicht, und ich muß hierzu erwähnen, zum besseren Verständnis meiner Unkenntnis während dieser ganzen Unterredung, daß ich über das österreichische Problem zu diesem Zeitpunkt so gut wie nicht orientiert war, da Hitler dieses Problem persönlich behandelt hatte, und ich erst wenige Tage Außenminister gewesen war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie jemanden ein Memorandum aushändigen bei einer Gelegenheit, die Sie ihm gegenüber eine historische Zusammenkunft nannten, so kann man doch annehmen, daß Sie dem Gerichtshof in gewissen Umrissen angeben können, was dieses Memorandum enthielt? Welches waren die Punkte in diesem Memorandum?

VON RIBBENTROP: Nein, es ist merkwürdig, dies zu sagen, aber im einzelnen weiß ich das wirklich nicht. Diese Zusammenkunft war eine Zusammenkunft Führer-Schuschnigg, und alles Was dort vereinbart wurde und gemacht wurde, ist entweder vom Führer selbst diktiert oder von anderer Seite vorgeschlagen worden. Ich kannte die Einzelheiten nicht und weiß nur, daß es sich damals vor allem darum handelte, Beruhigung zwischen Deutschland und Österreich eintreten zu lassen, weil sehr viele Verhaftungen von Nationalsozialisten in Österreich stattgefunden hatten und dadurch das Verhältnis zwischen den beiden Staaten außerordentlich getrübt wurde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht können Sie sich dann an die drei Punkte erinnern, wenn ich sie Ihnen ins Gedächtnis zurückrufe:

1. Reorganisation der Österreichischen Regierung einschließlich der Ernennung des Angeklagten Seyß- Inquart zum Minister der inneren Sicherheit.

2. Eine allgemeine politische Amnestie für Nationalsozialisten, die für Verbrechen verurteilt worden waren, und

3. eine Erklärung gleicher Rechte für die österreichischen Nationalsozialisten und deren Aufnahme in die vaterländische Front.

Waren dies die Punkte, die Sie damals Schuschnigg überreichten?

VON RIBBENTROP: Genau weiß ich das nicht mehr, aber so ungefähr dürfte das stimmen. Das entsprach damals ungefähr der ganzen vagen Vorstellung beziehungsweise der Kenntnis, die ich von den österreichischen Dingen hatte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und haben Sie von Schuschnigg gesagt, daß Hitler Sie informiert habe, daß diese Forderungen, die Sie hier überreichen, die endgültigen Forderungen des Führers seien, und daß Hitler nicht bereit sei, sie zu diskutieren?

VON RIBBENTROP: Das kann ich mich nicht so entsinnen, aber das wäre möglich, daß ich von Schuschnigg in dem Sinne so etwas gesagt habe, aber ich entsinne mich dessen im Augenblick nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie gesagt: »Diese Bedingungen haben Sie im ganzen anzunehmen?«

VON RIBBENTROP: Nein, das glaube ich nicht, das habe ich nicht gesagt. Es hat von mir aus nicht der geringste Druck auf Schuschnigg stattgefunden, denn ich weiß noch, daß diese ungefähr ein- bis anderthalbstündige Unterredung, die ich mit ihm hatte und sich mehr auf Allgemeinheiten beschränkte und auf Persönliches, daß während dieser Unterredung mir die Persönlichkeit Schuschniggs damals sehr sympathisch vorkam, und ich das nachher auch meinen Herren gegenüber geäußert habe. Ein Druck meinerseits auf Schuschnigg hat nicht stattgefunden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das haben Sie schon gesagt. Ich deute an, daß Sie während dieser Unterredung versuchten, Schuschnigg dazu zu bewegen, das Dokument zu unterschreiben, das diese Bestimmungen enthielt, und von dem Sie zugeben, daß Sie es vielleicht getan haben. Ich möchte, daß Sie sich an diese Antwort erinnern, und erinnere Sie deshalb ausdrücklich daran.

Erinnern Sie sich nicht daran, wie Herr von Schuschnigg sich an den Angeklagten von Papen wandte und sagte: »Sie haben mir doch gesagt, daß mir keine Forderungen gestellt würden, wenn ich nach Berchtesgaden käme«, und wie Herr von Papen sich entschuldigte und sagte: »Das stimmt. Ich wußte nicht, daß man Ihnen diese Forderungen stellen würde.«

Erinnern Sie sich nicht daran?

VON RIBBENTROP: Nein, daran erinnere ich mich nicht. Das kann auch nicht so stimmen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wir werden ja sehen. Erinnern Sie sich, daß von Schuschnigg zurückgerufen wurde, um nochmals mit Hitler zu sprechen, und Guido Schmidt blieb, um mit Ihnen einige Änderungen im dem Dokument vorzunehmen, das Sie vorgelegt hatten?

VON RIBBENTROP: Das ist durchaus möglich, daß da noch Änderungen waren, das ist denkbar. An Einzelheiten entsinne ich mich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie haben gehört, daß in dieser zweiten Besprechung mit Hitler dieser Schuschnigg sagte, daß er diesen Forderungen innerhalb von drei Tagen nachkommen müßte?

VON RIBBENTROP: Nein, das höre ich heute zum ersten Male. Das wußte ich nicht. Auch bei der zweiten Unterredung war ich nicht zugegen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Seien Sie etwas vorsichtig, bevor Sie sagen, daß Sie dies heute zum erstenmal hören, denn ich werde Ihnen gleich ein Dokument zeigen.

Sind Sie sicher, daß Sie nicht gehört haben, daß Hitler Schuschnigg sagte, er müsse diesen Forderungen innerhalb von drei Tagen nachkommen, sonst würde Hitler in Österreich einmarschieren?

VON RIBBENTROP: Das halte ich für ausgeschlossen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn er das gesagt hätte, dann werden Sie doch zustimmen, daß das der schwerste militärische und politische Druck gewesen wäre. Man konnte keinen schwereren Druck ausüben, als mit dem Einmarsch in Österreich zu drohen, nicht wahr?

VON RIBBENTROP: Der damaligen Lage entsprechend, die zwischen den beiden Ländern sehr gespannt war, wäre das selbstverständlich ein Druck gewesen. Aber über eins muß man sich klar sein, das ist, daß unter keinen Umständen eine Lösung zwischen den zwei Ländern zu finden auf die Dauer möglich war, falls diese Länder nicht näher zusammenkamen, und ich habe von Anfang an, das möchte ich hier erklären, immer auf dem Standpunkt gestanden, in irgendeiner Form, im engsten Vertrag, und zwar schwebte mir ein Staatsvertrag mit Zoll- und Währungsunion vor...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben nun das alles schon dreimal gehört. Kehren wir wieder zu der Unterredung zurück, die am 12. Februar stattfand. Wissen Sie nicht, daß von Schuschnigg sagte:

»Ich bin nur der Bundeskanzler, ich muß diese Dinge dem Präsidenten Miklas unterbreiten, und ich kann das Protokoll nur vorbehaltlich einer Rücksprache mit Präsident Miklas unterschreiben.«

VON RIBBENTROP: Nein, das weiß ich nicht mehr im einzelnen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich nicht daran, daß Hitler zur Tür gegangen ist und Keitel gerufen hat?

VON RIBBENTROP: Nein, hier habe ich erst gehört, daß dies geschehen sein soll. Ich habe davon keinerlei Kenntnis, sondern hier zum erstenmal davon gehört.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wissen doch, daß es wahr ist, nicht wahr?

VON RIBBENTROP: Das weiß ich nicht, ich habe hier das erstemal davon gehört.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich nicht, daß Keitel hineinging, um mit Hitler zu sprechen?

VON RIBBENTROP: Ich sagte schon, ich habe es nicht gehört. Ich weiß es nicht, kann es nicht sagen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß von Schuschnigg dieses Dokument unterschrieb unter der Bedingung, daß innerhalb von drei Tagen diese Forderungen erfüllt sein müßten, sonst würde Deutschland in Österreich einmarschieren?

VON RIBBENTROP: Nein, das wußte ich nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, es wäre angebracht, dem Zeugen das deutsche Dokumentenbuch vorzulegen. Ich habe mich bemüht, die meisten Seitenzahlen übereinstimmend zu numerieren.

VORSITZENDER: Sir David, vielleicht ist dies ein geeigneter Augenblick für die Verhandlungspause.