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SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge, wollen Sie sich bitte zuerst das Tagebuch des Angeklagten Jodl ansehen, und zwar die Eintragung vom 13. Februar. Es ist im Ribbentrop-Dokumentenbuch, Seite 9, Beweisstück US-72, 1780-PS. Die Eintragung hat folgenden Wortlaut:

»Am Nachmittag ruft General K« – das ist Keitel – »Admiral C« – das ist Canaris – »und mich in sein Zimmer, um auf Befehl des Führers den militärischen Druck durch Vorspiegelung militärischer Maßnahmen noch bis 15. aufrechtzuerhalten.

Vorschläge für diese Täuschungsaktion werden aufgesetzt und telephonisch an den Führer zur Genehmigung gegeben.«

Sie behaupteten am Freitag, daß der Angeklagte Jodl irgendein Gerücht oder Gerede, das im Berghof verbreitet war, gehört habe. Das ist doch kein Gerücht oder Gerede. Das ist ein Befehl von seinem Vorgesetzten General Keitel, nicht wahr?

VON RIBBENTROP: Ich weiß von irgendwelchen militärischen Maßnahmen überhaupt nichts, so daß ich über den Wert dieser Eintragung keinerlei Urteil abgeben kann. Der Führer hat mich nicht informiert über irgendwelche militärischen Maßnahmen bezüglich Österreichs.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß Sie dort waren, daß Sie das Dokument in der Hand hatten, und daß Hitler Ihnen niemals ein Wort darüber gesagt hat, was er mit dem Angeklagten Keitel arrangiert hat, der auch dort war?

VON RIBBENTROP: Das stimmt, das ist richtig.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schauen Sie sich die nächste Eintragung vom 14. Februar an:

»Um 2.40 Uhr trifft Zustimmung des Führers ein. Canaris hat sich zur Abwehrstelle VII nach München begeben und leitet die einzelnen Maßnahmen ein. Die Wirkung ist rasch und kräftig. In Österreich entsteht der Eindruck ernster militärischer Vorbereitungen in Deutschland.«

Wollen Sie diesem Gerichtshof einreden, daß Sie nichts wußten, weder über diese militärischen Maßnahmen noch über die Wirkung, die sie in Österreich auslösten?

VON RIBBENTROP: Über die militärischen Maßnahmen wußte ich nichts, aber ich halte es durchaus für möglich, daß der Führer, um seinen Wünschen stärkeren Nachdruck zu verleihen, irgend etwas auf diesem Gebiet veranlaßt hat...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Zeuge, einen Augenblick...

VON RIBBENTROP:... und das letzten Endes zur Lösung der Situation beigetragen hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, ich stimme mit Ihnen überein; das ist gerade das, was ich Ihnen sage, es hat dazu beigetragen. Aber sicherlich haben Sie, der Außenminister des Reiches, mit all den Mitteln, die einem Außenminister zur Verfügung stehen, etwas über die Wirkung in Österreich gewußt, die Jodl als »rasch und kräftig« bezeichnete. Der Eindruck wurde erweckt, daß Deutschland ernste militärische Vorbereitungen unternahm. Wollen Sie dem Gerichtshof unter Ihrem Eid sagen, daß Sie nichts über die Wirkung in Österreich gewußt haben?

VON RIBBENTROP: Ich möchte nochmals betonen, daß ich über militärische Maßnahmen nichts wußte und, wenn ich es gewußt hätte, hätte ich nicht die geringste Veranlassung, etwa hier nicht zu sagen, daß es nicht so wäre. Tatsache ist aber, daß ich in den Tagen vor der Zusammenkunft Führer-Schuschnigg und nach der Zusammenkunft mit der Übernahme der auswärtigen Geschäfte derartig beansprucht war, daß ich das österreichische Problem damals überhaupt nur am Rande der Außenpolitik mit erfaßte. Ich habe nicht das österreichische Problem führend behandelt...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wissen, daß Sie vorher gesagt haben, daß Sie im Auswärtigen Amte zu tun hatten. Meine Frage war vollkommen klar. Meine Frage war: Wollen Sie diesem Gerichtshof sagen, daß Sie, als Außenminister des Reiches, nichts über die Wirkung in Österreich gewußt haben? Beantworten Sie jetzt diese Frage:

Haben Sie oder haben Sie nicht gewußt, welches die Wirkung in Österreich war?

VON RIBBENTROP: Jawohl, ich wußte über diese Wirkung nichts. Ich habe sie auch gar nicht im einzelnen beobachtet.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Das ist Ihre Erklärung und Sie wollen, daß man es als ein Kriterium, als einen Prüfstein dafür ansieht, ob Sie die Wahrheit sagen oder nicht; daß Sie als Außenminister des Reiches aussagen, daß Sie über die Wirkung der Maßnahmen in Österreich, die Keitel auf Befehle des Führers hin getroffen hat, nichts gewußt haben. Ist das Ihre endgültige Antwort?

VON RIBBENTROP: Ich kann Ihnen darauf ganz präzise nochmals sagen, ich habe vom Führer gehört, als ich einige Zeit später nach London ging – und das ist meine erste Erinnerung überhaupt an diese ganze österreichische Sache –, daß die Dinge in Österreich sich ungefähr im Rahmen der Berchtesgadener Besprechungen hielten. Im einzelnen habe ich nach meiner Erinnerung irgendwelche besondere Beobachtungen in den Tagen nicht gemacht. Möglich ist, daß mir das eine oder andere Detail heute entfallen ist, denn dazwischen liegen ja sehr viele Jahre.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schauen Sie sich die nächsten zwei Eintragungen an in Jodls Tagebuch:

»15. Februar: Am Abend wurde ein offizielles Kommuniqué über die positiven Ergebnisse vom Obersalzberg herausgegeben.

16. Februar: Änderung in der Österreichischen Regierung und allgemeine politische Amnestie.«

Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen sagte, was Herr von Schuschnigg unterzeichnete, und daß die Bedingung gestellt wurde, daß diese Dinge innerhalb von drei Tagen durchgeführt werden würden. Innerhalb von drei Tagen fand eine Konferenz über die Wirkung statt, und die Änderungen wurden in Österreich verkündet in Übereinstimmung mit der Note, die Sie Schuschnigg unterbreitet hatten. Sie können doch sehen, daß das klar ist, drei Tage... sagen Sie noch...

VON RIBBENTROP: Von drei Tagen habe ich Ihnen schon gesagt, weiß ich nichts, aber, daß diese Begegnung irgendwelche Folgen in beruhigendem Sinne haben würde, das war ja ganz natürlich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen »beruhigend«? Ist das wirklich Ihre wohldurchdachte Ansicht, die Sie dem Gerichtshof unterbreiten wollen? Angenommen, der Angeklagte Jodl spricht die Wahrheit, oder angenommen, daß, wie General Jodl sagte, der Angeklagte Keitel ihm bedeutete, diese militärischen Vorbereitungen zu treffen – wäre das nicht als der schärfste politische und militärische Druck zu betrachten, der überhaupt auf den Kanzler eines anderen Staates ausgeübt werden könnte?

VON RIBBENTROP: Wenn man das Problem von einer höheren Warte aus betrachtet, nein. Da bin ich anderer Auffassung. Hier handelt es sich um ein Problem, das unter Umständen zu einem Kriege hätte führen können, zu einem europäischen Kriege, und ich glaube, daß es besser ist – und ich habe das auch später in London Lord Halifax gesagt –, daß dieses Problem besser zu einer Lösung käme, als eine dauernde Eiterbeule am europäischen Volkskörper zu sein.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Ihnen nicht Worte in den Mund legen, wollten Sie mit Ihrer letzten Antwort sagen, daß es besser war, politischen und militärischen Druck auf Schuschnigg auszuüben, so lange bis das Problem gelöst war? Ist das Ihre Ansicht?

VON RIBBENTROP: Die Frage kam nicht richtig durch. Ich darf bitten, nochmals zu wiederholen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Frage war: Sind Sie der Ansicht, daß es besser wäre, politischen und militärischen Druck auf Herrn von Schuschnigg auszuüben, wenn dadurch das Problem gelöst würde?

VON RIBBENTROP: Wenn auf diese Weise eine größere Komplikation, nämlich ein Krieg, tatsächlich verhindert würde, halte ich es für den besseren Weg.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sagen Sie mir, warum haben Sie und Ihre Freunde Schuschnigg sieben Jahre im Gefängnis gehalten?

VON RIBBENTROP: Das weiß ich nicht. Jedenfalls, ich glaube, daß damals Herr Schuschnigg, ich kenne die Einzelheiten nicht, aber wohl irgendwelche Dinge gemacht haben muß, die gegen die Staatsraison und Staatsinteressen waren. Aber, wenn Sie sagen, Gefängnis, so weiß ich nur aus eigener Erfahrung, daß der Führer verschiedentlich gesagt und betont hat, daß Schuschnigg besonders gut und anständig behandelt werden soll und, daß er sich nicht im Gefängnis, sondern in einem Hause befand, daß seine Frau, glaube ich, sogar bei ihm war und so weiter. Mehr kann ich allerdings aus eigener Erfahrung und eigener Beobachtung nicht darüber sagen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie meinen »Gefängnis«. Ich will lieber »Buchenwald« und »Dachau« sagen. Er war in beiden, in Buchenwald und Dachau. Glauben Sie, daß er sich dort sehr wohlgefühlt hat?

VON RIBBENTROP: Daß Herr Schuschnigg in einem Konzentrationslager war, habe ich hier zum ersten Male gehört, das wußte ich vorher nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Versuchen Sie mal zur Abwechslung nur meine Frage zu beantworten: Warum haben Sie und Ihre Freunde Schuschnigg sieben Jahre hindurch im Gefängnis gehalten?

VON RIBBENTROP: Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ich kann nur eines sagen und wiederholen, daß er, was ich damals hörte, nicht im Gefängnis war, sondern konfiniert war in einer Villa und allen Komfort hatte, den er haben konnte und der möglich war. Das ist das, was ich damals hörte, und ich freute mich darüber, weil seine Persönlichkeit, das habe ich schon gesagt, mir sympathisch war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Etwas hat er nicht gehabt, Herr Zeuge, nämlich die Möglichkeit, über das, was sich in Berchtesgaden ereignete, von seiner Seite aus zu berichten, oder von seiner Seite aus zu irgend jemand über den Anschluß zu sprechen während der sieben Jahre. Das ist ganz klar nach allem, was Sie sagen, daß er allen Komfort hatte in Buchenwald und Dachau oder wo er war, aber, er hatte keine Möglichkeit – Komfort oder kein Komfort – der Welt mitzuteilen, wie diese Ereignisse sich von seiner Seite aus darstellten.

VON RIBBENTROP: Das vermag ich nicht zu beurteilen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können das nicht beurteilen; Sie wissen doch ganz genau, daß es Herrn von Schuschnigg nicht erlaubt war, irgendeinen Bericht darüber zu veröffentlichen in diesen sieben Jahren, die er unter Bewachung war. Wissen Sie das nicht ganz genau?

VON RIBBENTROP: Das ist anzunehmen...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt...

VON RIBBENTROP: Es mag dennoch im Interesse des Staates gelegen haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, das ist Ihre Ansicht.

Wir wollen zu einem anderen Thema übergehen. Ich werde Sie nun einiges über Ihren Anteil an der Behandlung der Tschechoslowakei fragen. Geben Sie mir recht, wenn ich sage, daß im März des Jahres 1938 das Auswärtige Amt, das heißt Sie, durch Ihren Gesandten in Prag die Kontrolle über die Tätigkeit der Sudetendeutschen Partei unter Konrad Henlein übernommen haben?

VON RIBBENTROP: Das stimmt leider nicht. Darf ich dazu eine Erklärung abgeben...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor Sie eine Erklärung abgeben, würde es wohl Zeit sparen, wenn Sie sich Seite 20 in Ihrem Dokumentenbuch ansehen würden – es ist Seite 31 im englischen Dokumentenbuch – und zuhören, während ich Sie auf einen Brief Ihres Gesandten in Prag an das Auswärtige Amt hinweise.

VON RIBBENTROP: Welche Nummer?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Seite 20. Es ist ein Schreiben Ihres Gesandten in Prag an das Auswärtige Amt.

Wenn ich dem Gerichtshof erklären darf, das ist nicht das Dokumentenbuch des Angeklagten, sondern das Dokumentenbuch der Anklagevertretung. Ich werde dafür sorgen, daß Sie es von jetzt ab richtig bekommen.