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[Das Gericht vertagt sich bis

2. April 1946, 10.00 Uhr.]

Siebenundneunzigster Tag.

Dienstag, 2. April 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge von Ribbentrop betritt den Zeugenstand.]

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft werden bemerkt haben, daß ich mich mit der Frage der Juden nicht beschäftigt habe. Damit wird sich jetzt mein gelehrter Freund, Herr Faure von der Französischen Anklagevertretung, befassen.

DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Gestatten Sie mir einige Worte zu einer wichtigen Frage: Es wurde hier gestern eine Karte besprochen, die Karte, die hier im Gerichtssaal zu sehen ist. Aus dieser Karte folgert die Anklagevertretung, daß über Deutschland sehr viele Konzentrationslager verteilt gewesen sind. Von den Angeklagten wird das auf das energischste bestritten. Bei der Behandlung meines Falles, des Angeklagten Kaltenbrunner, hoffe ich den Beweis zu führen, daß nur ganz wenige dieser roten Punkte auf dieser Karte zutreffen. Ich möchte es jetzt schon sagen, damit nicht in der darauffolgenden Verteidigung wieder der Eindruck mitgeschleppt wird, die Karte sei richtig.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann! Das ist aber nur eine Reproduktion dessen, was bereits als Beweismaterial vorgelegt ist.

DR. KAUFFMANN: Ja, es wird mir aber wohl freistehen, den Beweis zu führen.

VORSITZENDER: Natürlich steht Ihnen das frei, aber es ist nicht notwendig, daß Sie sich jetzt darüber äußern. Die Tatsache, daß das Beweismaterial zu einem früheren Zeitpunkt von der Anklagevertretung vorgelegt wurde, gewährt Ihnen natürlich die Möglichkeit, darauf zu antworten, aber nicht gerade in diesem Augenblick.

M. FAURE: Angeklagter! Als Außenminister waren Sie doch der Chef des diplomatischen Personals. Ist das richtig?

VON RIBBENTROP: Jawohl.

M. FAURE: Dieses Personal ist Ihren Anordnungen gefolgt, nicht wahr?

VON RIBBENTROP: Jawohl.

M. FAURE: Sie haben gestern erklärt, daß Sie für die Handlungen Ihrer Untergebenen verantwortlich waren.

VON RIBBENTROP: Jawohl.

M. FAURE: Wollen Sie mir sagen, ob Dr. Best, Generalbevollmächtigter für Dänemark, von Ihrem Ministerium abhängig war?

VON RIBBENTROP: Jawohl.

M. FAURE: Dr. Best berichtete Ihnen, daß Hitler den Auftrag gegeben hätte, Dänen im Falle von Sabotageakten zu ermorden?

VON RIBBENTROP: Bitte nochmals die Frage zu stellen.

M. FAURE: Nach den Dokumenten, die hier dem Gerichtshof vorgelegt wurden, hat Dr. Best Sie am 30. Dezember 1943 aufgesucht und Ihnen berichtet, daß Hitler einen Befehl gegeben hatte, Dänen im Falle von Sabotageakten in Dänemark zu ermorden. Ist das richtig?

VON RIBBENTROP: Jawohl, das sollte gegen Saboteure gemacht werden, Hitler hatte das befohlen.

M. FAURE: Der Befehl lautete, wie sich Dr. Best in diesem Dokument ausdrückt, »Personen, ob sie nun Terroristen sind oder nicht, ohne gerichtliches Verfahren hinzurichten«. Muß das nicht als Mord bezeichnet werden?

VON RIBBENTROP: Ich habe von Anfang an und ebenfalls Dr. Best sehr scharf gegen diese Maßnahmen Stellung genommen. Es ging soweit...

M. FAURE: Angeklagter! Ich habe nicht zu sagen versucht, daß Sie über diese Tatsache erfreut waren. Ich frage Sie nur, ob Sie darüber unterrichtet waren. Stimmt das?

VON RIBBENTROP: Jawohl, der Führer wollte das. Einzelheiten weiß ich nicht.

M. FAURE: Aber ich frage Sie nicht um Einzelheiten.

VON RIBBENTROP: Und was nachher angeordnet worden ist, weiß ich nicht, weil das nicht über uns, sondern über eine andere Stelle, soviel ich weiß, gelaufen ist.

M. FAURE: Ich stelle fest, daß Sie über den an diesem Tage erteilten Befehl des Führers, Morde zu begehen, tatsächlich unterrichtet waren. Sie betrachteten es also als normal, einer Regierung anzugehören, deren Chef ein Mörder war.

VON RIBBENTROP: Nein, das gerade Gegenteil ist hier der Fall, gerade das Gegenteil...

M. FAURE: Gut, gut, ich bitte Sie kurz und einfach zu antworten.

VON RIBBENTROP:... sondern ich habe ihm gesagt, ich habe Stellung genommen und war gegenteiliger Ansicht. Der Führer war sehr unzufrieden mit Dr. Best und hat die Angelegenheit durch andere Stellen behandeln lassen, weil Dr. Best dagegen war und ich ebenfalls...

M. FAURE: Ich ersuche Sie, nur meine Fragen kurz zu beantworten. Sie können Einzelheiten später durch Ihren Verteidiger vorbringen.

Um auf Dänemark zurückzukommen: In diesem Lande wurden Aktionen gegen die Juden mit dem Ziel der Deportation unternommen. Hatten Sie damit etwas zu tun?

VON RIBBENTROP: Über die Judensache in Dänemark kann ich nichts sagen, da weiß ich nichts.

M. FAURE: Haben Sie nie etwas darüber gehört?

VON RIBBENTROP: Ich entsinne mich, daß ich mit Best darüber sprach, daß diese Frage in Dänemark keine Bedeutung hatte, daher wollte er in der Judenfrage nichts Besonderes unternehmen, und ich hatte mich damit einverstanden erklärt.

M. FAURE: Ich bitte jetzt darum, daß Ihnen das Dokument 2375-PS vorgelegt wird.

Dieses Dokument ist dem Gerichtshof noch nicht vorgelegt worden. Ich möchte dies unter RF-1503 tun. Ich möchte nun mit Ihnen den zweiten Absatz dieses Dokuments lesen. Es ist eine eidesstattliche Erklärung von Mildner, eines Polizeiobersten in Dänemark.

»Als Befehlshaber war ich dem Reichsbevollmächtigten Dr. Best unterstellt. Da ich die Verfolgung der Juden ablehnte, innerlich und aus praktischen Erwägungen, fragte ich Dr. Best nach dem Grund der befohlenen Maßnahmen.

Dr. Best erklärte mir: Reichsaußenminister Ribbentrop kannte natürlich die Absicht Hitlers, die Juden in Europa zu vernichten. Er hatte Hitler über das Judenproblem in Dänemark Vortrag gehalten und den Antrag gestellt, die Juden aus Dänemark zu entfernen.

Dr. Best sagte mir ferner, daß Ribbentrop Angst hatte, zur Verantwortung gezogen zu werden, falls die Juden in Dänemark verblieben.

Er, Dr. Best, wäre nun gezwungen, die von Ribbentrop beim Führer beantragten Maßnahmen durchzuführen.

Aus dem Gespräch mit Dr. Best konnte ich entnehmen, daß er mit Ribbentrop entweder mündlich oder fernmündlich gesprochen haben mußte.«

Sie haben das mitgelesen. Nicht wahr?

VON RIBBENTROP: Das ist vollkommen Phantasie, was hier steht, das trifft nicht zu.

M. FAURE: Gut. Ich bitte dann, daß man Ihnen das Dokument 3688-PS vorlegt, das ich als RF-1502 unterbreite. Es ist eine Weisung vom 24. September 1942, die von Luther unterzeichnet und an seine Mitarbeiter gerichtet ist. Ich möchte mit Ihnen die ersten zwei Paragraphen dieses Dokuments lesen:

»Der Herr RAM hat mir heute telephonisch die Weisung erteilt, die Evakuierung der Juden aus den verschiedenen Ländern Europas möglichst zu beschleunigen, da feststeht, daß die Juden überall gegen uns hetzen und für Sabotageakte und Attentate verantwortlich gemacht werden müssen. Nach einem kurzen Vortrag über die im Gange befindliche Judenevakuierung aus der Slowakei, Kroatien, Rumänien und den besetzten Gebieten hat der RAM angeordnet, daß wir nunmehr an die bulgarische, die ungarische und die dänische Regierung mit dem Ziel, die Judenevakuierung aus diesen Ländern in Gang zu setzen, herantreten sollen.«

Ich stelle fest, daß dieses zweite Dokument das erste bestätigt insoweit, als es Ihre Teilnahme an der Deportation der Juden aus Dänemark angeht. Sind Sie einverstanden?

VON RIBBENTROP: Der Führer hat damals den Plan gehabt, die Juden aus Europa entweder nach Nordafrika – es war auch von Madagaskar die Rede – zu evakuieren. Er hatte mir Befehl gegeben, an verschiedene Regierungen heranzutreten und nach Möglichkeit die Auswanderung der Juden herbeizuführen, und die Juden aus maßgebenden Regierungsstellen zu entfernen. Eine solche Weisung ist von mir damals an das Auswärtige Amt ergangen und es ist in meiner Erinnerung ein paarmal an verschiedene Regierungen herangetreten worden, es handelte sich um die Auswanderung der Juden nach einem Teil von Nordafrika, der vorgesehen war. Das ist richtig. Darf ich noch einmal auf dieses Affidavit zurückkommen? Diese eidesstattliche Erklärung, das ist pure Phantasie und war absolut nicht zutreffend von dem Oberst Mildner.

M. FAURE: Aber Sie geben jedenfalls zu...

VON RIBBENTROP: Dr. Best hat einmal mit mir über die Juden gesprochen, und er sagte, daß die Frage in Dänemark von keiner besonderen Bedeutung sei, weil es nicht mehr viel Juden gäbe, und ich habe ihm erklärt, daß er die Dinge dort auf sich beruhen lassen soll. Das ist die Wahrheit.

M. FAURE: Sie geben dennoch zu, daß dieses Dokument von Luther echt ist, und daß Sie den Befehl gegeben haben, die Juden aus Dänemark zu evakuieren. So steht es im Brief.

VON RIBBENTROP: Nein, in Dänemark nicht, ich kenne auch dieses Dokument von Luther nicht, ich sehe das zum ersten Male hier.

M. FAURE: Bitte, beantworten Sie nur meine Fragen, sonst verlieren wir zuviel Zeit. Sie sind der Meinung, daß beide Dokumente unrichtig sind. So haben Sie gesagt. Gut, gehen wir weiter.

Die Deutsche Botschaft in Paris...

VON RIBBENTROP: Nein, das habe ich nicht gesagt. Es stimmt nicht. Ich habe gesagt, ich kenne das Dokument Luthers nicht, aber es ist wahr, daß der Führer mir Weisungen gab, dem Auswärtigen Amt zu sagen, sie mögen an verschiedene Regierungen herantreten, die Judenfrage in dem Sinne zu lösen, daß die Juden aus den Regierungsstellen herauskommen und daß nach Möglichkeit eine Auswanderung der Juden begünstigt werden soll.

M. FAURE: Die Deutsche Botschaft in Paris stand unter Ihrer Leitung. Ist das richtig?

VON RIBBENTROP: Die Deutsche Botschaft in Paris, das heißt der Botschafter bei der Vichy-Regierung hat von mir selbstverständlich seine Weisungen bekommen.

M. FAURE: Man hat im Gerichtshof das französische Dokument RF-1061, mit dem Sie die Aufgaben des Botschafters Abetz umrissen haben, bereits verlesen. Es ist Dokument 3614-PS. Ich erinnere Sie daran, daß Sie in diesem Dokument, welches Sie hier schon zweimal gehört haben, dem Botschafter Abetz den Auftrag erteilten, alle privaten und öffentlichen Schätze in Sicherheit zu bringen, insbesondere diejenigen, die den Juden gehörten. Abetz hat diesen Auftrag ausgeführt, indem er Kunstsammlungen in Frankreich geplündert hat.

VON RIBBENTROP: Es ist nicht wahr.

M. FAURE: Ich möchte, daß Ihnen das Dokument 3766-PS gezeigt wird, das noch nicht vorgelegt wurde, und das ich nunmehr als RF-1505 vorlege. Ich möchte mit Ihnen nur einige Zeilen des Dokuments durchgehen. Es ist ein Bericht der Militärverwaltung, der in 700 Exemplaren verteilt wurde. Er ist betitelt: »Bericht über die Wegnahme französischer Kunstschätze durch die Deutsche Botschaft und den Einsatzstab Rosenberg in Frankreich.« Wenn Sie sich die Seite 3 ansehen, werden Sie bemerken, daß der Titel sehr bedeutungsvoll ist. »Deutsche Botschaft. Versuch einer Entnahme von Louvregemälden.« Seite 4, ich werde den ersten Satz von oben verlesen...

VON RIBBENTROP: Wann darf ich zu den einzelnen Punkten Stellung nehmen. Überhaupt nicht oder jetzt?

M. FAURE: Wenn ich Ihnen eine Frage stellen werde, dann werden Sie antworten. Ich lese Ihnen jetzt eine Stelle vor:

»So hat es Botschafter Abetz unter Mißachtung des von der Militärverwaltung erlassenen Verbotes unternommen, eine Reihe geflüchteter Kunstwerke des Louvre nach Deutschland zu bringen.«

Waren Sie über diese Angelegenheit unterrichtet?

VON RIBBENTROP: Ich sage, daß das absolut nicht wahr sei. Nicht ein einziges Kunstwerk ist vom Botschafter Abetz dem Louvre entnommen worden. Das wäre gegen den ausdrücklichen Befehl des Führers gewesen, der das streng verboten hatte.

Darf ich erwähnen, daß mir die Französische Regierung einmal ein Kunstwerk schenken wollte, das war ein Gemälde von Boucher. Ich habe dieses Gemälde dem Louvre zurückgeschickt. Ich besitze nichts, und das Auswärtige Amt hat nie ein Stück der Kunstwerke des Louvre gesehen.

M. FAURE: Sie behaupten, daß dieser Bericht unrichtig ist?

VORSITZENDER: Was ist das für ein Bericht, den Sie ihm vorlegen?

M. FAURE: Es ist das Dokument 3766-PS.

VORSITZENDER: Ja, ich weiß, aber was ist das für ein Dokument?

M. FAURE: Das ist ein Bericht der Deutschen Militärverwaltung, der in der amerikanischen Dokumentensammlung in der PS-Serie enthalten ist. Der Gerichtshof hat ein allgemein gehaltenes Affidavit erhalten, das sich darauf bezieht.

VORSITZENDER: Beschlagnahmte Dokumente?

M. FAURE: Ja, beschlagnahmte Dokumente. Ich möchte dem Gerichtshof mitteilen, daß dieser Bericht viele andere Stellen enthält, die sich auf die Handlungen des Botschafters Abetz beziehen. Da aber der Angeklagte erklärt, daß der Bericht an der ihm verlesenen Stelle unrichtig sei, werde ich wegen Zeitersparnis nicht weiterzitieren. Außerdem...

VON RIBBENTROP: Das ist doch kein erbeutetes Dokument, kein Bericht.

M. FAURE: Ich bitte Sie, auf meine Fragen zu antworten. Wir wollen hier nicht weiter streiten. Ihr Anwalt kann Sie nachher fragen.

DR. HORN: Ich bitte die Frage stellen zu dürfen, worum es sich handelt bei den Dokumenten, die dem Angeklagten vorgelegt werden. Wenn behauptet wird, daß es ein erbeuteter Bericht ist, und dann, daß es kein erbeuteter Bericht ist, dann muß das richtiggestellt werden, und zwar hier sofort.

M. FAURE: Ich habe bereits gesagt, daß dieses Dokument der PS-Serie der erbeuteten Dokumente angehört. Der Gerichtshof hat viele solcher Dokumente, und ich glaube nicht, daß deren Glaubwürdigkeit bestritten werden kann.