[Zum Zeugen gewandt:]
Sie haben ausgesagt, daß eine starke Trennungslinie bestand zwischen der politischen und der militärischen Situation; richtig?
VON RIBBENTROP: Zwischen – das habe ich nicht verstanden.
OBERST AMEN: Sie haben ausgesagt, daß immer eine scharfe Trennungslinie bestand zwischen den politischen und den militärischen Dingen.
VON RIBBENTROP: Ja, der Führer hielt das immer ziemlich stark getrennt, das ist richtig.
OBERST AMEN: Und daß Informationen, die militärischer Natur waren, nur den Militärs zu Ohren kamen, nicht aber zum Beispiel Ihrem Amt zur Verfügung standen; stimmt das?
VON RIBBENTROP: Ich habe von militärischen Dingen und Plänen wenig gehört, ja, das ist richtig.
OBERST AMEN: Und andrerseits stimmte es auch, daß Informationen, die Sie bekamen, den Militärs nicht zur Verfügung gestellt wurden; stimmt das?
VON RIBBENTROP: Das kann ich nicht beurteilen, möchte es aber annehmen, weil ich ja nicht weiß, welche Informationen die Militärs vom Führer bekommen haben.
OBERST AMEN: Sie haben uns doch gesagt, daß der ganze Plan des Führers darin bestand, die politischen und militärischen Dienstwege vollkommen voneinander getrennt zu halten, nicht wahr?
VON RIBBENTROP: Er hat sie im allgemeinen stark getrennt gehalten, ja, das habe ich schon ein paarmal ausgesagt. Aus diesem Grunde habe ich auch von manchen Dokumenten militärischer Art erst hier Kenntnis erhalten. Das hing auch mit den Geheimhaltungserlassen des Führers zusammen, daß eine Stelle nur das wissen müsse, was unbedingt notwendig sei.
OBERST AMEN: Tatsächlich war das aber gar nicht der Fall, nicht wahr, Ribbentrop?
VON RIBBENTROP: Ich habe Ihnen meine Antwort ja bereits gegeben.
OBERST AMEN: Tatsächlich hatten Sie doch aber Geheimagenten, die im Auslande in gleicher Weise für Sie, für die Wehrmacht und für die Flotte arbeiteten.
VON RIBBENTROP: Nein, das stimmt nicht.
OBERST AMEN: Sind Sie sich dessen ganz sicher?
VON RIBBENTROP: Ja, da bin ich sicher, ja.
OBERST AMEN: Und Sie erklären das unter Eid?
VON RIBBENTROP: Sie meinen Agenten, die was machten, die für...
OBERST AMEN: Ich meine Agenten, die Informationen sammelten für Sie, für die Wehrmacht und für die Flotte, gemeinsam und zu gleicher Zeit.
VON RIBBENTROP: Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Möglich wäre es, daß irgendwo mal ein Mann für verschiedene Stellen gearbeitet hat, aber organisatorisch bestimmt nicht. Die Organisation, wir hatten einen ganz kleinen Informationsdienst draußen, der sehr klein war, und die Informationsdienste der anderen Stellen des Reiches, die arbeiteten im allgemeinen, jedenfalls soweit ich darüber informiert war, völlig getrennt von unseren. Möglich wäre, daß da und dort mal dieser und jener für andere, für verschiedene Stellen gearbeitet hat. Das wäre denkbar, es waren zum Beispiel manchmal in unseren Gesandtschaften dieser und jener Mann, wie das bei Engländern, Amerikanern und Russen und so weiter auch üblich ist, als Gehilfen von Konsuln oder so eingebaut, die Nachrichtendienste für irgendwelche Organisation betrieben.
OBERST AMEN: So wollen Sie also die Antwort, die Sie vorher gaben, abwandeln, stimmt das?
VON RIBBENTROP: Nein, ändern gar nicht. Organisatorisch, grundsätzlich war es so, daß von mir aus niemals irgendwelche Geheimagenten, die für verschiedene Stellen draußen arbeiteten, eingesetzt worden sind. Denkbar ist aber, daß von der Stelle im Auswärtigen Amt, die diese Dinge behandelte, irgend jemand eingesetzt wurde. Aber das war eine ziemlich unbedeutende Angelegenheit. Ich sage heute »leider«. Daß von dieser Stelle auch vielleicht mal andere Agenten, die für andere Stellen, die Abwehr oder SD und so weiter arbeiteten, mit verwandt worden sind, das ist durchaus möglich. Wir haben sogar später... Ich möchte noch folgendes sagen: Ich habe mit Himmler darüber, über den Nachrichtendienst draußen, starke Divergenzen gehabt, und es ist dann durch die gute Tätigkeit des Angeklagten Kaltenbrunner damals möglich gewesen, zu einem Abkommen zu kommen, wonach gewisse Nachrichten uns auch zur Verfügung gestellt werden sollten. Dieses Abkommen ist aber nachher dann nicht mehr in Tätigkeit getreten. Ich glaube, es hat praktisch keine Wirkung mehr gehabt, weil es schon zu spät war. Das war 1944, glaube ich.
OBERST AMEN: Wollen Sie sich Dokument 3817-PS ansehen, bitte? Wollen Sie dem Gerichtshof zunächst sagen, wer Albrecht Haushofer war?
VON RIBBENTROP: Albrecht Haushofer war ein Mitarbeiter früher von mir und war ein Mann, der mit der – ja – der sich mit Volkstumsfragen befaßte. Ich darf vielleicht den Brief erst mal lesen. Ist das ein Brief von Haushofer? Er ist nicht unterschrieben.
OBERST AMEN: Doch. Haben Sie zu Ende gelesen?
VON RIBBENTROP: Nein, noch nicht, nein, noch nicht. – Soll ich auch die anderen lesen oder nur den ersten Brief?
OBERST AMEN: Zu den anderen kommen wir später, ich bemühe mich, die Sache so schnell wie möglich zu erledigen. Frischt dieser Brief Ihr Gedächtnis darüber auf, daß Haushofer im Orient war, um verschiedenes zu untersuchen, und daß er Ihnen schon im Jahre 1937 Berichte übermittelte?
VON RIBBENTROP: Es ist mir im Augenblick entfallen, daß Haushofer in Tokio war, aber das ist denkbar, das wäre möglich, ja.
OBERST AMEN: Aber der Brief ist an Sie gerichtet, und ihm ist ein Bericht beigeschlossen, nicht wahr?
VON RIBBENTROP: Ist das nicht ein Brief von dem Grafen Dürkheim? Ist das nicht ein Mißverständnis? Aber, wenn Sie sagen, daß es Herr Haushofer ist, ist es denkbar, daß er in Tokio war, das ist möglich. Ich weiß es im einzelnen nicht. Ich habe damals einen Grafen Dürkheim nach Tokio geschickt, aber möglich ist es, daß auch Haushofer dort war. Ich habe es offengestanden im Augenblick vergessen.
DR. HORN: Herr Präsident! Ich sehe eben, daß der Brief kein Datum, kein volles Datum und keine Unterschrift trägt, höre aber von Herrn Oberst Amen, daß er von 1937 sein soll. Im Jahre 1937 war von Ribbentrop noch nicht Außenminister, er wurde erst am 4. Februar 1938 Außenminister.
OBERST AMEN: Er hat das Datum vom 3. Oktober und ist zusammen mit Haushofers Dokumenten erbeutet worden.
VON RIBBENTROP: Aber ich halte es für durchaus wahrscheinlich, daß es ein Brief von Haushofer ist, durchaus möglich, entsinne mich aber offengestanden nicht mehr genau, daß er damals in Tokio gewesen war im Jahr 1937.
OBERST AMEN: Also...
VON RIBBENTROP: Er war ein Mitarbeiter, der in früheren Jahren mit uns zusammenarbeitete, dann aber sich mehr mit Volkstumsfragen befaßte, so daß ich ihn in den letzten Jahren aus den Augen verloren habe.
OBERST AMEN: Ich will mit Ihnen dieses Dokument durchgehen. Das nächste Dokument ist vom 15. April 1937, hierin wird um Rückzahlung der Gelder für diese Reisen gebeten.
VON RIBBENTROP: Ja.
OBERST AMEN: Und dann das nächste Dokument, ein Brief an den Stellvertreter des Führers, Heß, in dem steht:
»Ich benütze die Kurierpost dazu, um Ihnen einen kurzen Bericht, der gleichzeitig auch an Ribbentrop geht, zu senden. Er enthält so knapp wie möglich die Zusammenfassung dessen, was ich vier Wochen hier beobachten und hören konnte.«
Sehen Sie das?
VON RIBBENTROP: Ja, ich sehe den Brief, ja, ja.
OBERST AMEN: Dann kommen wir zum nächsten Brief vom 1. September 1937, der an Sie selbst gerichtet ist.
VON RIBBENTROP: Ja.
OBERST AMEN: Dem ein Bericht über die ersten vier Wochen eingeschlossen ist.
VON RIBBENTROP: Ja, ich habe es vor mir.
OBERST AMEN: Wir werden diesen Bericht im Moment überspringen, und dann kommt ein Brief vom 17. Dezember 1937.
VORSITZENDER: Oberst Amen, der Gerichtshof findet, daß dieses Thema sehr weit von dem entfernt ist, mit dem sich der Gerichtshof beschäftigen muß.
OBERST AMEN: Jawohl, Herr Vorsitzender. Mir scheint dies sehr deutlich zu zeigen, daß Abschriften desselben Berichtes, der hier beigeschlossen ist, in gleicher Weise an die Armee, an die Marine, an Raeder und an Ribbentrop geschickt wurden.
VORSITZENDER: Es stimmt, daß die erste Antwort des Zeugen war, daß sie keine gemeinsamen Agenten hatten, aber später hat er das etwas abgeändert und gesagt, daß sie wohl manchmal gemeinsam Agenten gehabt haben mögen.
OBERST AMEN: Das stimmt, Herr Vorsitzender. Wenn Sie der Ansicht sind, daß er diesen Punkt zugegeben hat... Ich möchte dies als Beweisstück US-790 vorlegen.
VON RIBBENTROP: Ja, aber ich bitte, sagen zu dürfen, es handelt sich ja hier nicht um einen Agenten. Herr Haushof er ist ein freier Mitarbeiter bei uns gewesen, der politisch interessiert war in Volkstumsfragen, in Politik überhaupt. Wenn er damals in Tokio war, und es ist zweifellos so gewesen, es ist mir im Augenblick entfallen, dann habe ich ihm gesagt, er solle mal mit verschiedenen Leuten dort sprechen und mir Berichte machen. Anscheinend hat er, was mir aber jetzt hier erst durch diese Briefe zur Kenntnis kommt, dann auch aus Geschäftigkeit, oder ich weiß nicht aus welchen Gründen, oder weil er die anderen Herren kannte, von sich aus diese Berichte auch anderen Herren zugänglich gemacht. Das war aber in keiner Weise etwa ein Agent, der nun von verschiedenen Stellen angesetzt war, ich glaube, der einzige, der ihn noch näher kannte, war Rudolf Heß, ich glaube, sonst kannte ihn eigentlich, glaube ich, kaum jemand. Ich glaube, das wäre nicht ganz das richtige Bild, das ich hier geben würde. Es war ein privater Reisender, der seine Eindrücke brachte.
OBERST AMEN: Sie haben wohl dem Gerichtshof gegenüber erklärt, daß Sie Himmler nicht sehr nahe standen, nicht wahr?
VON RIBBENTROP: Ich stand mit Himmler, das habe ich immer gesagt, in den ersten Jahren gut, und in den letzten Jahren stand ich mit ihm leider nicht gut. Ich habe selbstverständlich – nach außen hat sich das weniger bemerkbar gemacht – aber ich möchte darüber nicht im einzelnen sprechen. Darüber ist ja hier schon verschiedenes gesagt worden, und es hat sich da eine sehr harte und ernste Divergenz ergeben, die aus vielen Dingen...
OBERST AMEN: Ich interessiere mich nicht für den Grund der Differenzen. In welchen Jahren kamen Sie mit Himmler gut aus?
VON RIBBENTROP: Ich habe die Frage nicht verstanden.
OBERST AMEN: In welchen Jahren kamen Sie sehr gut mit Himmler aus?
VON RIBBENTROP: Die erste Divergenz zwischen Himmler und mir kam, ich glaube, es war im Jahre 1941 über Rumänien, über Schwierigkeiten in Rumänien, das wurde dann immer wieder überbrückt und selbstverständlich mußten wir nach außen hin zusammenarbeiten, und wir haben uns auch manchmal, zu Geburtstagen und sonst, Briefe geschrieben und so weiter; aber das Verhältnis war nachher später nicht mehr so gut. 1941 war der Bruch. Vorher stand ich mit ihm gut, und ich habe auch vorher dem Gedanken, den Himmler hatte, nämlich der Beschaffung einer Führerschicht, die er anstrebte, habe ich auch positiv gegenübergestanden.
OBERST AMEN: Und Sie hatten mindestens 50 gesellschaftliche Zusammenkünfte mit Himmler in den Jahren 1940 und 1941?
VON RIBBENTROP: Wieviele?
OBERST AMEN: Fünfzig.
VON RIBBENTROP: Fünfzig? Das ist wohl sicher nicht der Fall gewesen, vielleicht fünf oder so, ich weiß es nicht. Aber seit 1941 jedenfalls wurden die Dinge schwieriger zwischen uns, und später wurden sie nicht sehr gut. Ich glaube, darüber haben andere schon ausgesagt.
OBERST AMEN: Nun, ich will nicht mehr Zeit verschwenden, aber...
VORSITZENDER: Behandeln Sie die gesellschaftlichen Zusammenkünfte von Ribbentrop oder etwas anderes?
OBERST AMEN: Ja.
VORSITZENDER: Ist das ein Punkt, mit dem sich der Gerichtshof befassen muß?
OBERST AMEN: Ich muß annehmen, Herr Vorsitzender, daß jemand, der so viele Verabredungen trifft, wie diese Bücher zeigen, doch wohl sicher mit Himmler die Frage der Konzentrationslager besprochen haben wird, sowie auch die anderen Angelegenheiten, mit denen sich Himmler ausschließlich befaßte. Er hat dem Gerichtshof erklärt, daß er von Himmler niemals etwas über Konzentrationslager gehört habe.
VON RIBBENTROP: Ich wiederhole diese Erklärung hier nochmals, daß niemals Himmler mit mir über dieses Thema gesprochen hat. Und die fünfzig Zusammenkünfte – ich weiß es nicht, es wäre ja durchaus möglich gewesen, daß wir uns irgendwie oft gesehen hätten; trotz allem, aber an fünfzig Zusammenkünfte kann ich mich überhaupt nicht entsinnen. Vielleicht 5 oder 10, ich weiß es nicht; das spielt ja auch, glaube ich, keine Rolle, das ist ja nicht das Entscheidende. Selbstverständlich hatten wir auf sehr vielen Gebieten zusammenzuarbeiten, und meistens war es eine schwierige Zusammenarbeit.
OBERST AMEN: Sie hatten aber doch auch viele dienstliche Zusammenkünfte mit ihm, nicht wahr? Wollen Sie sich bitte diese Verabredungsliste aus Himmlers Notizbuch ansehen und mir sagen, ob...
VORSITZENDER: Oberst Amen! Der Gerichtshof wünscht nicht, daß Sie sich weiter mit diesem Punkt befassen.
OBERST AMEN: Jawohl, Herr Vorsitzender. Aber hier handelt es sich um dienstliche Zusammenkünfte, nicht um gesellschaftliche. Ich habe keine weiteren Fragen.
GENERAL RUDENKO: Angeklagter Ribbentrop! Im Laufe der letzten Sitzungen des Gerichtshofs haben Sie ausführlich über die Grundsätze der auswärtigen Politik Deutschlands gesprochen. Ich werde Ihnen einige Fragen in diesem Zusammenhang stellen und bitte Sie, mir darauf kurz mit Ja oder Nein zu antworten.
Sind Sie der Ansicht, daß der Anschluß eine deutsche Angriffshandlung war? Bitte, antworten Sie.
VON RIBBENTROP: Österreichs?
GENERAL RUDENKO: Jawohl, Österreichs.
VON RIBBENTROP: Nein, war keine Aggression, sondern der Vollzug eines Willens.
GENERAL RUDENKO: Ich muß Sie bitten...
VON RIBBENTROP: Ich darf doch nach dem »Ja« wenigstens noch ein paar Sätze zufügen, nehme ich an, oder muß ich überhaupt nur noch ja und nein sagen?
GENERAL RUDENKO: Ich möchte Sie bitten, auf meine Fragen zu antworten, Sie haben sich bereits zu sehr in Einzelheiten verloren. Ich möchte kurz zusammenfassende Antworten haben, und zwar ja oder nein?
VON RIBBENTROP: Das hängt mit meinem Gesundheitszustand zusammen; ich bitte zu entschuldigen.
GENERAL RUDENKO: Ich verstehe.
VON RIBBENTROP: Den Anschluß betrachte ich als keine Aggression, also nein. Sondern ich betrachte ihn als den Vollzug des Willens der beiden Völker, die immer zusammenkommen wollten und was schon die Regierung vor Adolf Hitler angestrebt hatte.
GENERAL RUDENKO: Ich bitte Sie noch einmal, mir mit Ja oder Nein zu antworten. Betrachten Sie den Anschluß Österreichs als eine Aggression oder nicht? Sind Sie der Ansicht...
VORSITZENDER: General Rudenko, er hat eine kategorische Antwort gegeben, daß es keine Aggression gewesen sei.
GENERAL RUDENKO: Jawohl, ich verstehe, Herr Präsident.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits verfügt, daß die Antworten der Zeugen sich nicht auf ja oder nein zu beschränken brauchen; sie müssen zuerst mit Ja oder Nein antworten und können dann kurze Erläuterungen abgeben, falls sie es wollen. Aber wie dem auch sein mag, im Hinblick auf diese Frage hat der Zeuge eine kategorische Antwort gegeben.
GENERAL RUDENKO: Eine zweite Frage: Sind Sie der Ansicht, daß die Annexion der Tschechoslowakei eine deutsche Aggression war?
VON RIBBENTROP: Nein, eine Aggression in dem Sinne war es nicht, sondern der Anschluß entsprach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, das 1919 von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Wilson, proklamiert wurde, und wurde auch der Anschluß des Sudetenlandes dann in München durch ein Abkommen von vier Großmächten sanktioniert.
GENERAL RUDENKO: Sie haben anscheinend meine Frage nicht verstanden. Ich fragte, ob Sie die Annexion der Tschechoslowakei, der ganzen Tschechoslowakei, als eine deutsche Aggression betrachtet haben?
VON RIBBENTROP: Nein, als deutsche Aggression in dem Sinne kann ich das nicht betrachten, sondern ich betrachte das, wie der Führer mir das gesagt hat, und ich halte das wohl für richtig, als eine Notwendigkeit, die sich aus der geographischen Lage Deutschlands ergab. Diese Lage bedeutete, daß die Rest-Tschechoslowakei, die damals existierte, eine Art Flugzeugmutterschiff für Angriffe gegen Deutschland darstellte. Der Führer glaubte daher, dieses Gebiet von Böhmen und Mähren besetzen zu müssen, um das deutsche Reich vor Angriffen, vor allem auch aus der Luft – die Verbindung Prag-Berlin war eine halbe Stunde – schützen zu können. Der Führer hat mir damals gesagt, daß im Hinblick auf die Tatsache, daß zum Beispiel die USA die westliche Hemisphäre als ein gewaltiges Gebiet als ihre Interessensphäre erklärt hatten, daß Rußland ein gewaltiges Reich sei und riesige Gebiete habe und England den ganzen Erdball umfasse, sei es wohl berechtigt von Deutschland, einen so kleinen Baum als eigene Interessensphäre zu betrachten.
GENERAL RUDENKO: Sind Sie der Ansicht, daß der Angriff auf Polen eine deutsche Aggression war?
VON RIBBENTROP: Nein, ich muß da wiederum nein antworten; sondern der Angriff auf Polen war durch die Haltung der anderen Mächte unausweichbar geworden. Es wäre möglich gewesen, eine friedliche Lösung der deutschen Wünsche herbeizuführen, und ich glaube, daß der Führer diesen Weg auch gegangen wäre, wenn die anderen Mächte diesen Weg beschritten hätten. Wie die Dinge lagen, war die Situation allmählich so gespannt geworden, daß Deutschland das nicht mehr hinnehmen und auch als Großmacht nicht mehr die polnischen Provokationen hinnehmen konnte. Dadurch ist dieser Krieg dann entstanden. Primär ist nach meiner Überzeugung beim Führer nicht der Wille gewesen, Polen zu erobern.
GENERAL RUDENKO: Sind Sie der Ansicht, daß der Überfall auf Dänemark eine deutsche Aggression war?
VON RIBBENTROP: Nein, der Überfall auf Dänemark, wie er bezeichnet wird, das heißt das Eingreifen, wie wir sagen, in Dänemark war nach dem, was der Führer mir gesagt und mir dargestellt hat, eine Präventivmaßnahme gegenüber der kurz bevorstehenden Landung englischer Streitkräfte. Daß diese Nachrichten auf Wahrheit beruhten, geht ja daraus hervor, daß wenige Tage später tatsächlich zwischen englischen und deutschen Truppen Kämpfe in Norwegen stattfanden; das heißt also, es war erwiesen, daß diese englischen Truppen ja seit langer Zeit vorbereitet worden waren, um in Norwegen zu kämpfen, und aus den Akten, die später gefunden worden sind, und die dann veröffentlicht wurden, geht aus den Befehlen einwandfrei hervor, daß die englische Landung in Skandinavien bis in alle Einzelheiten vorbereitet worden war. Der Führer glaubte daher, mit einem Eingreifen Skandinavien davor zu bewahren, Kriegsschauplatz zu werden. Ich glaube nicht, daß man das daher mit Aggression bezeichnen kann.
GENERAL RUDENKO: Und den Einfall in Norwegen halten Sie auch nicht für eine Aggression von deutscher Seite?
VON RIBBENTROP: Es handelte sich eben um Norwegen, über das ich sprach; es war eben Norwegen und Dänemark, eine kombinierte Aktion.
GENERAL RUDENKO: Gemeinsam mit Dänemark. Sie haben beide zusammen behandelt. Gut; richtig, ich verstehe das. Halten Sie den Überfall auf Belgien, Holland und Luxemburg für eine deutsche Aggression?
VON RIBBENTROP: Das ist die gleiche Frage. Ich muß da sagen: Nein. Ich muß dazu aber eine Erklärung abgeben.
GENERAL RUDENKO: Einen Augenblick; ich möchte Sie bitten, kürzere Erklärungen zu geben, da Sie die Grundfragen allzu ausführlich auseinandersetzen. Sie verneinen also, daß es eine Aggression seitens Deutschlands war?
VON RIBBENTROP: Der russische Anklagevertreter wird verstehen, daß es sich hier um sehr wichtige Dinge handelt, die nicht so leicht mit einem Satz abzutun sind, besonders da wir ja nicht die Möglichkeit hatten, das in allen Einzelheiten auszuführen. Ich werde mich ganz kurz fassen.
GENERAL RUDENKO: Ich verstehe, daß Sie sich schon drei Tage lang mit diesen Fragen befassen. Ich berücksichtige es.
VON RIBBENTROP: Ich werde mich jetzt ganz kurz fassen. Nach dem Polenfeldzug war die militärische Erwägung die entscheidende. Der Führer wollte die Kriegsausweitung nicht. Was Belgien und Holland anbetraf und Frankreich, so hatte Frankreich uns, nicht wir Frankreich den Krieg erklärt. Wir mußten daher gewärtig sein, daß von dieser Seite noch ein Angriff käme. Der Führer teilte mir nur damals mit, daß ein solcher Angriff auf das Ruhrgebiet zu erwarten sei. Die Akten, die später gefunden worden sind, zeigen einwandfrei vor aller Welt, daß dies auch wirklich zutreffend war. Der Führer hat sich daher entschlossen, auch hier das Prävenire zu spielen und nicht erst den Angriff auf das Herz Deutschlands abzuwarten, sondern von sich aus anzugreifen. Es war also die Zeittafel des Generalstabs, die hier in Tätigkeit trat.
GENERAL RUDENKO: Sind Sie der Ansicht, daß der Überfall auf Griechenland eine deutsche Aggression war?
VON RIBBENTROP: Der Angriff Deutschlands auf Griechenland und Jugoslawien – hierüber ist schon gesprochen worden. Ich glaube nicht, daß es im einzelnen zu erörtern wäre. Es ist hier...
GENERAL RUDENKO: Ich bin auch der Ansicht, daß es nicht nötig ist, darüber viel zu sprechen. Ich frage Sie lediglich, ob der Angriff auf Griechenland eine deutsche Aggression war. Antworten Sie ja oder nein.
VON RIBBENTROP: Nein, sondern ich halte die Maßnahmen, die in Jugoslawien ergriffen wurden, und die Maßnahmen, die Griechenland durch Zurverfügungstellung von Stützpunkten und so weiter den deutschen Feinden gebracht hatte, daß diese Maßnahmen die Berechtigung eines Eingreifens Adolf Hitlers erwiesen haben, so daß man auch hier nicht mit einer Aggression in dem Sinne sprechen kann, sondern es war ganz klar, daß in Griechenland die englischen Truppen kurz vor der Landung standen, wie sie dann ja auch in Kreta stattgefunden hat und im Peloponnes, und daß der Aufstand, wie ich gestern bereits gesagt habe, in Jugoslawien gemacht worden ist von den Feinden Deutschlands, im Einvernehmen mit den Feinden Deutschlands, um von dort aus anzugreifen. Die Akten des französischen Generalstabs, die Akten, die wir gefunden haben, die später in Frankreich gefunden worden sind, haben ganz klar gezeigt, daß eine Saloniki-Landung geplant war.
GENERAL RUDENKO: Zeuge Ribbentrop! Sie haben darüber bereits in allen Einzelheiten gesprochen. Sie haben dies bereits gestern ausführlich besprochen. Wollen Sie jetzt zu meiner letzten Frage ja oder nein antworten. Sind Sie der Ansicht, daß der Angriff auf die Sowjetunion eine Aggressionshandlung ist?
VON RIBBENTROP: Im landläufigen Sinne war es keine Aggression, sondern...
GENERAL RUDENKO: Sie sagen, daß es im landläufigen Sinne des Wortes keine Aggression war. In welchem Sinne war es denn eine Aggression?
VORSITZENDER: Sie müssen ihn ausreden lassen.
VON RIBBENTROP: Darf ich dazu eine Erklärung abgeben? Ich muß ja etwas sagen können.
GENERAL RUDENKO: Sie...
VON RIBBENTROP: Der Begriff der Aggression, Herr Anklagevertreter, ist ein sehr schwieriger Begriff, über den die Völker sich heute noch nicht und in keiner Weise klar sind. Das möchte ich hier nur vorweg zum Ausdruck bringen. Es handelt sich zweifellos um ein präventives Eingreifen, um einen Präventivkrieg. Das ist ja ganz sicher, denn wir haben ja angegriffen. Das ist nicht zu bestreiten. Ich hatte gehofft, daß diese Dinge mit der Sowjetunion anders geregelt werden könnten, auf diplomatischem Weg, und habe alles in dieser Richtung getan. Die Nachrichten und die ganzen politischen Aktionen der Sowjetunion im Laufe des Jahres 1940 und 1941 bis zum Kriegsausbruch haben den Führer aber, wie er mir wiederholt sagte, zu der Überzeugung gebracht, daß früher oder später die sogenannte Ost-West-Zange gegen Deutschland einsetzen würde, das heißt, daß im Osten Rußland mit seiner ungeheuren Machtentfaltung und im Westen die Vereinigten Staaten mit England zu einer gigantischen Landung sich immer weiter nach Europa vorschoben. Es war die große Sorge des Führers, daß dies eintreten würde. Hinzu kam, daß der Führer mir sagte, er habe Nachrichten, daß enge Zusammenarbeit stattfand zwischen den Generalstäben von London und Moskau. Ich weiß es nicht, ich habe solche Nachrichten persönlich nicht bekommen. Aber Berichte, Mitteilungen, die der Führer mir darüber machte, waren sehr konkreter Natur. Jedenfalls fürchtete er, mit dieser ganzen politischen Lage eines Tages in eine Situation zu kommen, die sich für ganz Deutschland katastrophal hätte auswirken können, nämlich, er wollte damit verhindern die Niederlage Deutschlands und die Zerstörung des Gleichgewichts der Kräfte in Europa.
GENERAL RUDENKO: In Ihrem Verhör haben Sie häufig ausgesagt, daß, indem Sie friedliche Ziele verfolgten, Sie es für notwendig hielten, eine Reihe von entscheidenden Fragen auf diplomatischem Wege zu lösen. Offenbar sind diese Aussagen nichts als Heuchelei, denn jetzt geben Sie selbst zu, daß Sie alle diese Angriffshandlungen seitens Deutschlands als gerechtfertigt betrachten.
VON RIBBENTROP: Nein, das habe ich nicht damit gesagt, sondern ich habe nur gesagt, daß es sich um keine Aggression handelt, Herr Anklagevertreter, und zwar habe ich erklärt, wie dieser Krieg zustandegekommen ist und wie er sich weiter entwickelt hat, daß ich versucht habe, sowohl bei Ausbruch des Krieges in der Polenkrise alles zu tun, um den Krieg zu verhindern, das wird auch außerhalb dieses Gerichtssaales eines Tages die Geschichte feststellen können; daß ich auch weiter versucht habe, die Kriegsausweitung zu verhindern. Das, glaube ich, wird man auch feststellen können. Deshalb möchte ich zusammenfassend nochmals sagen, daß der Kriegsausbruch hervorgerufen war durch Umstände, die zum Schluß selbst gar nicht mehr in der Hand Hitlers lagen, sondern er konnte gar nicht mehr anders als schließlich so handeln, und bei der Kriegsausweitung waren es auch Umstände, die ihm dann von hauptsächlich militärischen Erwägungen vorgeschrieben wurden im höchsten Interesse seines Volkes.
GENERAL RUDENKO: Es ist klar, jetzt bitte ich Sie mir folgende Frage zu beantworten:
Sie haben dem Gerichtshof unter der Nummer 311 ein Dokument vorgelegt. Es ist eine von Ihnen verfaßte Charakteristik Hitlers, betitelt: »Die Persönlichkeit des Führers«. Sie haben dieses Schriftstück erst vor kurzem verfaßt, ich werde es Ihnen nicht vorlegen. Sie werden sich daran erinnern, da Sie es kürzlich selbst geschrieben haben.
VON RIBBENTROP: Nein, darf ich es vielleicht einmal einsehen? Ich weiß nicht, um was es sich hier handelt.
GENERAL RUDENKO: Es ist das Dokument, das Sie Ihrem Verteidiger vorgelegt haben, und zwar Dokument Nummer 311, Ribbentrop 311. Es wurde von Ihrem Verteidiger dem Gerichtshof vorgelegt. Auf Seite 5 des Dokuments...
VON RIBBENTROP: Darf ich nicht eine Kopie des Dokuments haben?
GENERAL RUDENKO: Es ist das Dokument Nummer drei, eins, eins.
VORSITZENDER: Es kann dem Gerichtshof nicht unter 111 ohne weitere Bezeichnung vorgelegt worden sein. Ist es 111-PS oder 111?
GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Es ist ein Dokument der Verteidigung, das unter der Nummer Ribbentrop-311 vorgelegt wurde. Wir besitzen lediglich eine russische Übersetzung, die wir zusammen mit dem deutschen Dokumentenbuch erhalten haben. Ich habe angenommen, daß dem Gerichtshof dasselbe Dokument ebenfalls vorgelegt wurde.
VORSITZENDER: Es ist R-111 oder Ribbentrop- 111. Das meinen Sie. Es ist nicht 111, sondern Ribbentrop-111.
GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Es ist das Dokument 311.
VORSITZENDER: Jawohl, ich habe das Dokument jetzt gefunden. Es ist im Dokumentenbuch Nummer 9 enthalten.
GENERAL RUDENKO: Darf ich jetzt fortfahren, Herr Vorsitzender?
VORSITZENDER: Jawohl.
GENERAL RUDENKO: Auf Seite 5 dieses Dokuments sagen Sie zur Charakterisierung Hitlers folgendes:
»Nach dem Sieg über Polen und im Westen gingen durch Einflüsse, die ich hauptsächlich auf Himmler zurückführe, seine Pläne weiter, das heißt in die Richtung der Herstellung einer hegemonialen Stellung Deutschlands in Europa.«
Angeklagter Ribbentrop! Erinnern Sie sich dieses Auszuges aus dem Dokument, das von Ihnen selbst verfaßt wurde?
VON RIBBENTROP: Darf ich es mal sehen, dieses Dokument, ich kenne es nicht.
GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Ich würde Herrn Dr. Horn, den Verteidiger des Angeklagten Ribbentrop, bitten, das Dokument seinem Klienten vorzulegen.
DR. HORN: Herr Präsident! Es handelt sich bei diesem...
VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte.
Dr. Horn! Der Gerichtshof glaubt, daß dieses Dokument ganz unerheblich ist. Es handelt sich anscheinend um ein vom Angeklagten Ribbentrop über die Persönlichkeit Hitlers verfaßtes Schriftstück. Ich weiß nicht, wo es vorbereitet wurde, aber es scheint uns unerheblich zu sein.
DR. HORN: Ja, Herr Präsident. Ich bin auch der Meinung, daß es unerheblich ist. Ich hatte nämlich das Dokument nur deshalb in das Dokumentenbuch gebracht, falls dem Angeklagten keine Gelegenheit gegeben würde, hier über sein Verhältnis zu Hitler ausführlich zu sprechen. Nachdem ihm die Gelegenheit gegeben worden ist, ziehe ich das Dokument zurück.
VORSITZENDER: General Rudenko, der Gerichtshof betrachtet dieses Dokument als vollkommen unerheblich.
GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Dieses Dokument wurde im Dokumentenbuch der Verteidigung dem Gerichtshof vorgelegt. Es ist ein Schriftstück, das vom Angeklagten Ribbentrop im Laufe des Gerichtsverfahrens verfaßt wurde. Alle Anklagevertreter waren der Meinung, daß das Dokument zulässig wäre, da dieses Dokument und seine Anerkennung durch den Angeklagten Ribbentrop uns berechtigen würde, zahlreiche Fragen zu stellen. Wenn der Gerichtshof jedoch das Dokument als unerheblich erachtet, so will ich keine diesbezüglichen Fragen stellen.
VORSITZENDER: Wir hatten bisher keine Gelegenheit, über die Zulässigkeit dieser Dokumente zu entscheiden. Wir haben sie heute morgen zum ersten Male gesehen. Wir alle erachten dieses Dokument als unerheblich.
GENERAL RUDENKO: Jawohl, Herr Vorsitzender, ich verstehe.