[Dr. Nelte kehrt in den Gerichtssaal zurück.]
VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist Ihnen sehr verbunden, Dr. Nelte, daß Sie Ihre Ausführungen jetzt vortragen.
DR. NELTE: Herr Präsident! Ich beginne die Darstellung des Falles Keitel damit, daß ich Sie bitte, den Angeklagten auf den Zeugenstand zu rufen. Ich werde ihn vernehmen und habe die Urkunden, die ich bei dieser Vernehmung gebrauche, mit einer Liste gestern übergeben lassen. Ich hoffe, daß diese Urkunden, zur Verfügung stehen, damit Sie den Fragen so folgen können, wie es im Interesse einer glatten Erledigung der Fragen gewünscht wird.
VORSITZENDER: Dann rufen Sie jetzt den Angeklagten Keitel als Zeugen auf?
DR. NELTE: Jawohl.
[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben.
WILHELM KEITEL: Wilhelm Keitel.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir bitte diesen Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wünschen.
DR. NELTE: Ich bitte Sie, eine kurze Schilderung Ihrer militärischen Laufbahn zu geben.
KEITEL: Ich bin im Jahre 1901 anfangs März als Offiziersanwärter in ein Artillerieregiment der preußischen Armee eingetreten. Bei Beginn des ersten Weltkrieges 1914 war ich Regimentsadjutant meines Regiments. Nach Verwundung im September 1914 bin ich ab November Batteriechef in meinem Regiment gewesen. Ab Frühling 1915 habe ich in verschiedenen Generalstabsstellungen Verwendung gefunden, zunächst bei höheren Kommandobehörden des Feldheeres, später als Divisions-Generalstabsoffizier. Zuletzt war ich erster Generalstabsoffizier des Marinekorps in Flandern. Ich bin dann freiwillig in die Reichswehr übergetreten. Ab 1929 war ich Abteilungsleiter der Heeresorganisationsabteilung im Reichswehrministerium. Nach einer Unterbrechung vom Jahre 1933 bis 1935 wurde ich am 1. Oktober 1935 Chef des Wehrmachtsamtes des Reichskriegsministers, also Chef des Stabes beim Kriegsminister. Während meiner Frontzeit wurde ich Generalmajor. Ich habe damals eine Infanteriebrigade geführt. Am 4. Februar 1938 wurde ich dann überraschend in die Stellung als Chef des Stabes beim Führer oder Chef OKW berufen. Ab 1. Oktober 1939 wurde ich General der Infanterie, und nach dem Feldzug im Westen 1940 Feldmarschall.
DR. NELTE: Waren Sie Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei?
KEITEL: Nein. Ich war nicht Mitglied, konnte das auch nach dem Wehrgesetz nicht sein und nicht werden.
DR. NELTE: Sie haben aber das Goldene Parteiabzeichen erhalten. Aus welchem Anlaß?
KEITEL: Das ist richtig. Im April 1939 wurde mir von Hitler das Goldene Ehrenzeichen der Partei überreicht, zugleich mit dem Oberbefehlshaber des Heeres General von Brauchitsch. Der Führer sagte, es soll eine Erinnerung sein, und zwar an den Einmarsch in die Tschechoslowakei. Das Goldene Ehrenzeichen war graviert mit dem 16. und 17. März.
DR. NELTE: Im Jahre 1944 wurde das Wehrgesetz geändert, so daß auch aktive Soldaten Parteimitglieder werden konnten. Was haben Sie damals getan?
KEITEL: Das ist richtig, daß im Spätsommer 1944 oder Herbst 1944 das Wehrgesetz insoweit geändert wurde, daß auch aktive Soldaten Parteimitglieder sein konnten. Mir ist damals eine Aufforderung zugegangen, meine Personalien anzugeben für die Partei, für Aufnahme in die Liste der Parteimitglieder. Gleichzeitig wurde ich aufgefordert, eine Geldspende für die Partei einzusenden. Ich habe damals meine Personalien an die Parteiführung eingereicht und habe auch einen Geldbetrag überwiesen. Mitglied bin ich meines Wissens nicht mehr geworden. Eine Mitgliedskarte habe ich nie erhalten.
DR. NELTE: Inwieweit haben Sie an Veranstaltungen der Partei teilgenommen?
KEITEL: Ich habe in meiner Stellung und in der ständigen Begleitung des Führers an öffentlichen Veranstaltungen der Partei mehrfach teilgenommen, so zum Beispiel an den Reichsparteitagen in Nürnberg, ferner auch an der Eröffnung des Winterhilfswerkes alljährlich. Schließlich mußte ich befehlsgemäß alljährlich am 9. November gemeinsam mit einem Repräsentanten der Partei an den Grabstätten der am 9. November 1923 Gefallenen, einer Totenehrung, beiwohnen. Es geschah das symbolhaft im Hinblick auf den Kampf am 9. November zwischen Wehrmacht und Partei. An internen Sitzungen, Zusammenkünften der Parteiführung habe ich niemals teilgenommen. Der Führer hatte mir auch eröffnen lassen, daß er das nicht wünsche. So bin ich zum Beispiel wohl am 9. November alljährlich in München gewesen, habe aber niemals an den Zusammenkünften der sogenannten Hoheitsträger der Partei teilgenommen.
DR. NELTE: Welche Auszeichnungen haben Sie im Kriege erhalten?
KEITEL: Im Kriege habe ich – im Winter 1939/40 war es wohl – das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz bekommen. Andere deutsche Kriegsauszeichnungen habe ich nicht erhalten.
DR. NELTE: Haben Sie Söhne?
KEITEL: Ich hatte drei Söhne, die während dieses Krieges alle drei als Offiziere an der Front gestanden haben. Der jüngste ist 1941 in Rußland gefallen, der zweite als Major in Rußland verschollen und der älteste Sohn als Major in Kriegsgefangenschaft.
DR. NELTE: Feldmarschall Keitel, ich möchte gewissermaßen zu Beginn der sachlichen Befragung folgende grundsätzliche Frage an Sie richten:
Welche Grundeinstellung hatten Sie als Soldat, Offizier und General zu den Problemen, mit denen Sie in Ihrem Beruf zu tun hatten?
KEITEL: Ich war Soldat, ich kann sagen aus Neigung und aus Überzeugung. Ich habe über 44 Jahre ununterbrochen meinem Vaterland und meinem Volke als Soldat gedient und habe das Bestreben gehabt, mein bestes Können in den Dienst meines Berufes zu stellen. Ich habe geglaubt, dieses tun zu wollen in Pflichterfüllung, in rastloser Arbeit und in völliger Hingabe an die Aufgaben, die mir in meinen vielen und verschiedenen Stellungen aufgetragen wurden. Ich habe das in gleicher Hingabe getan unter dem Kaiser, unter dem Präsidenten Ebert, unter dem Feldmarschall von Hindenburg und unter dem Führer, Adolf Hitler.
DR. NELTE: Welches ist nun Ihre heutige Einstellung?
KEITEL: Als deutscher Offizier halte ich es für meine selbstverständliche Pflicht für das einzustehen, was ich getan habe, auch dann, wenn es falsch gewesen sein mag. Ich bin dankbar, daß mir Gelegenheit gegeben wird, hier und vor dem deutschen Volke Rechenschaft abzulegen darüber, was ich war und über meinen Anteil am Geschehen. Ob Schuld oder schicksalsmäßige Verstrickung, wird nicht immer klar zu trennen sein. Nur eines halte ich für unmöglich, daß man den Mann vorderster Linie und daß man die Unterführer und Führer der Front etwa mit einer Schuld belastet, und daß die höchste Führung eine Verantwortung ablehnt. Das ist nach meiner Auffassung unwahr und das halte ich auch für unwürdig. Ich bin davon überzeugt, daß die große Masse unserer tapferen Soldaten im Grunde anständig war und daß überall da, wo die Grenzen des Zulässigen überschritten worden sind, unsere Soldaten gehandelt haben im guten Glauben an militärische Notwendigkeiten und an die gegebenen Befehle.
DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat nun im Zusammenhang mit dem Vortrag vieler Verstöße gegen Kriegsgesetze, Verbrechen gegen die Menschlichkeit immer wieder auf Schreiben, Befehle und so weiter hingewiesen, die Ihren Namen tragen. Viele sogenannte Keitel-Befehle und Keitel-Erlasse sind hier vorgelegt worden. Es ist nun zu prüfen, ob und inwieweit Sie und Ihre Tätigkeit in einem ursächlichen und schuldhaften Zusammenhang mit dem stehen, was aus diesen Befehlen entstanden ist. Was wollen Sie zu dieser allgemeinen Beschuldigung sagen?
KEITEL: Es ist richtig, daß es eine große Anzahl von Befehlen, von Anordnungen und Richtlinien gibt, die mit meinem Namen in Verbindung stehen und es ist auch zuzugeben, daß solche Befehle vielfach Abweichungen vom geltenden Völkerrecht enthalten. Zum anderen gibt es auch eine Gruppe von Anordnungen und Befehlen, die nicht auf militärischen Motiven beruhen, sondern auf weltanschaulichen Grundlagen und Gesichtspunkten. Ich denke da an die Gruppe von Anweisungen, die vor dem Feldzug gegen die Sowjetunion herausgegeben worden sind und die auch in der Folgezeit später noch herausgegeben wurden.
DR. NELTE: Was können Sie hinsichtlich dieser Befehle zu Ihrer Entlastung sagen?
KEITEL: Ich kann nur sagen, daß ich grundsätzlich für alle die Dinge, die aus diesen Befehlen gefolgt sind und die insofern mit meinem Namen und meiner Unterschrift in Verbindung stehen, diejenige Verantwortung trage, die sich aus meiner Dienststellung ergibt, und ferner, daß ich für die Ämter und Abteilungen des OKW, die mir unterstellt waren, die Verantwortung trage, soweit sie rechtlich und moralisch begründet ist.
DR. NELTE: Woraus ist Ihre Dienststellung und der Umfang Ihrer rechtlichen Verantwortung zu entnehmen?
KEITEL: Das ist in dem ja oft auch schon genannten Führererlaß vom 4. Februar 1938 enthalten.
DR. NELTE: Ich lasse Ihnen diesen Erlaß überbringen, damit Sie den Text vor Augen haben. Sie finden in diesem Führererlaß in Absatz 1:
»Die Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht übe ich von jetzt ab unmittelbar persönlich aus.«
Was bedeutete das im Verhältnis zu dem Zustand, der bis dahin bestand?
KEITEL: Bis dahin hatten wir einen Oberbefehlshaber der Wehrmacht, das war der Feldmarschall von Blomberg und außerdem den Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, das war verfassungsmäßig das Staatsoberhaupt und in diesem Falle Hitler. Mit dem Ausscheiden des Oberbefehlshabers der Wehrmacht von Blomberg war nur noch ein Oberster Befehlshaber vorhanden, das war Hitler selbst, und von diesem Zeitpunkt an übte er die Befehlsgewalt über die drei Wehrmachtsteile, Heer, Marine und Luftwaffe, selbst aus. Es heißt ja dann auch »von jetzt ab unmittelbar«. Das sollte ganz eindeutig feststellen, daß irgendeine Zwischenstelle mit Befehlsbefugnissen nicht mehr existieren sollte, sondern daß die Befehle von Hitler als Oberstem Befehlshaber der Wehrmacht unmittelbar an die Wehrmachtsteile und ihre Oberbefehlshaber ergingen. Da heißt es noch »unmittelbar« und »persönlich«. Auch das hatte seinen Inhalt, denn das »persönlich« sollte ausdrücken, daß es eine, ich möchte sagen, Vertretung in diesen Befugnissen nicht gab und nicht geben sollte.
DR. NELTE: Ich nehme danach an, daß Sie niemals bei Ihrer Zeichnung »i. V.«, also »in Vertretung«, gezeichnet haben.
KEITEL: Nein, ich kann mich nicht eines einzigen Falles erinnern, wo ich jemals »in Vertretung« gezeichnet habe. Bei unseren militärischen Grundsätzen hätte, wenn die Frage aufgetreten wäre eine Vertretung zu bestimmen, das nur einer, und zwar der Rangälteste, Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile sein können.
DR. NELTE: Im Absatz 2 des Erlasses vom 4. Februar 1938 heißt es:
».... das bisherige Wehrmachtsamt im Reichs-Kriegsministerium tritt mit seinen Aufgaben als OKW und als mein militärischer Stab unmittelbar unter meinen Befehl.«
Was bedeutet das hinsichtlich des Stabes, der da gebildet wurde?
KEITEL: Der Oberbefehlshaber der Wehrmacht hatte in dem Wehrmachtsamt seinen militärischen Stab, das heißt in dem Wehrmachtsamt im Kriegsministerium. Und dieses Wehrmachtsamt übernahm Hitler, als Oberster Befehlshaber, als seinen militärischen Stab; und damit sollte dieser Stab unter ihn – als sein Arbeitsstab – persönlich treten. Es wurde ja auch gleichzeitig mit der Abschaffung des Oberbefehlshabers der Wehrmacht der Reichskriegsminister abgeschafft. Es gab also auch kein Kriegsministerium und keinen Kriegsminister wie bisher, und damit kam auch klar zum Ausdruck was Hitler auch wollte, nämlich zwischen ihm und den Wehrmachtsteilen – sowohl auf dem Kommandowege wie auch in ministerieller Funktion – sollte nicht irgendein Amtsträger sein, der irgendwelche Eigenbefugnisse hat.
DR. NELTE: Sie wurden nun nach diesem Erlaß mit der Bezeichnung Chef OKW als neue Dienststelle übernommen. Mir liegt daran, klarzustellen, ob diese Bezeichnung Chef OKW richtig ist, das heißt ob das, was sie nach außenhin zu sagen scheint, auch im eigentlichen Sinne war.
KEITEL: Ich muß sagen, daß mir eigentlich erst jetzt zum Bewußtsein gekommen ist, daß diese Bezeichnung in ihrer abgekürzten Form eigentlich nicht ganz zutreffend ist. Genau genommen hätte es heißen müssen: »Der Chef des Stabes des OKW« und nicht abgekürzt: »Chef OKW«; denn ich habe hier aus Darlegungen der Anklagebehörde ja mehrfach entnehmen müssen, daß man den Begriff »Chef« hier so aufgefaßt hat, als ob das ein Befehlshaber sei, Chef einer Stelle mit Befehlshaberbefugnis, und das ist natürlich eine Schlußfolgerung, die irrig ist. Es war weder eine Stelle im Sinne des Chefs als Befehlshaber, noch auch, was man vielleicht annehmen könnte oder angenommen hat, daß es eine Art Stellung als Generalstabschef gewesen wäre. Das ist auch nicht richtig. Ich war niemals Generalstabschef der Wehrmacht. Es war der unzweideutige Wille Hitlers, in diesen Dingen alle Befugnisse, alle Kommandogewalt in seiner Person zu vereinigen, und das ist nicht nur eine Feststellung nachträglich, sondern diesen Willen hat er auch mir gegenüber gelegentlich klar ausgesprochen, zum Teil im Zusammenhang damit, daß er mir mehrfach gesagt hat: »Damit habe ich mich ja niemals durchsetzen können bei Blomberg«.
DR. NELTE: Ich habe hier eine von der Anklagebehörde vorgelegte Erklärung des Feldmarschalls von Brauchitsch.
KEITEL: Ich darf vielleicht noch etwas hinzufügen. Ich sprach von der Tatsache, daß es auch nicht eine Stellung als Generalstabschef oder Chef des Generalstabs gewesen ist, denn die grundlegende Auffassung Hitlers war die, daß die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile jeder seinen eigenen Generalstab oder Führungsstab hatte und daß er auch gar nicht wollte, daß das Oberkommando der Wehrmacht, unter Einschluß des Wehrmachtführungsstabes, die Funktionen eines Generalstabs übernehmen sollte. So wurde praktisch mit den Generalstäben der Wehrmachtsteile gearbeitet, während im OKW der absichtlich kleingehaltene Wehrmachtführungsstab ein Arbeitsstab für Hitler war, für strategische Überlegungen und für besondere Aufträge.
DR. NELTE: Dann ist das, was Feldmarschall von Brauchitsch in seinem Affidavit, von dem ich schon sprach, gesagt hat, wohl richtig? Es heißt hier:
»Wenn Hitler sich entschlossen hatte, die Erreichung seiner politischen Ziele durch einen militärischen Druck oder durch Einsatz der militärischen Machtmittel zu unterstützen, erhielt der Oberbefehlshaber des Heeres, wenn er daran beteiligt war, zunächst in der Regel mündlich eine entsprechende Orientierung, oder einen entsprechenden Befehl. Hierauf wurden von dem OKW die Operation und Aufmarschpläne bearbeitet. Nachdem sie in der Regel mündlich Hitler vorgetragen und von ihm genehmigt waren, erfolgte ein schriftlicher Befehl des OKW an die Wehrmachtsteile.«
Ist das so richtig?
KEITEL: Ja, im Prinzip ist das soweit richtig, als die endgültige Formulierung des Auftrages an den Oberbefehlshaber des Heeres in der Form einer Weisung, wie wir es nannten, geschah, und zwar auf Grund der bereits vorgetragenen und gebilligten Pläne im großen. Diese Arbeit vollzog sich im Wehrmachtführungsstab, und so war der Wehrmachtführungsstab zwar nicht eine Stelle, die selbständig tätig wurde oder die bei der Befehlsausgabe – oder mit der die Dinge bei der Befehlsausgabe allein behandelt wurden, sondern der Wehrmachtführungsstab und ich nahmen an diesen grundsätzlichen Festlegungen oder Anerkennungen der Vorschläge teil und brachten das dann in die Form, die von Hitler, als Oberbefehlshaber, dann vollzogen wurde. Wir gaben also diese Befehle, wollen wir es technisch ausdrücken, dann weiter.
DR. NELTE: Ich habe auch noch eine eidesstattliche Erklärung des Generalobersten Halder, die dasselbe betrifft. Sie kennen dieses Affidavit Nummer 1. Ich glaube, ich kann auf diese Verlesung verzichten und nehme lediglich zum Zwecke des Beweises auf dieses Affidavit Nummer 1 von Halder Bezug, das von der Anklagebehörde vorgelegt worden ist. (Dokument 3702-PS.)
Nun hat die Anklagebehörde aber noch eine Abhandlung überreicht ohne eine besondere Nummer. Die Abhandlung heißt: »Grundlagen über die Organisation der Deutschen Wehrmacht«.
VORSITZENDER: Ist das das Dokument, von dem Sie sagen, die Anklagebehörde hätte es vorgelegt, ohne es mit einer Nummer zu versehen?
DR. NELTE: Dieses Dokument ist uns von der Anklagebehörde, und zwar, ich glaube, von der Amerikanischen Anklagebehörde, am 26. November 1945 überreicht worden. Ich weiß nicht...
VORSITZENDER: Sie wollen sagen, daß es von der Anklagebehörde niemals als Beweisstück vorgelegt wurde?
DR. NELTE: Ich glaube nicht, daß ich das entscheiden kann. Ich nehme an, daß ein Dokument, das uns Verteidigern zugeleitet worden ist, auch gleichzeitig dem Gerichtshof übergeben wurde, wenn nicht als Beweismittel, so doch zur amtlichen Kenntnisnahme.
VORSITZENDER: Was ist das für ein Dokument? Ist es ein Affidavit oder nicht?
DR. NELTE: Es ist kein Affidavit, sondern nur ein Aufsatz der Amerikanischen Anklagebehörde, wie ich annehme, als Grundlage für die Anklage gegen die Organisation OKW und so weiter.
VORSITZENDER: Ist es in Ihrem Dokumentenbuch enthalten oder nicht?
DR. NELTE: Ich habe es nicht im Dokumentenbuch, weil ich annahm, daß es dem Gerichtshof auch zur Verfügung stünde. Im übrigen, Herr Präsident, ist es ein kurzes Dokument.
VORSITZENDER: Vielleicht kann Mr. Dodd uns sagen, was es ist.
MR. DODD: Wenn ich das Dokument sehen könnte, könnte ich vielleicht behilflich sein. Ich weiß nicht, worum es sich handelt. Wahrscheinlich ist es eines der Dokumente, die wir zwar der Verteidigung übermittelt, aber tatsächlich nicht als Beweisstück eingereicht haben. Ich glaube, in den ersten Tagen des Prozesses ist das des öfteren vorgekommen.
VORSITZENDER: Ja.
DR. NELTE: Ich nehme nur auf einen einzigen Abschnitt, einen kleinen Abschnitt dieser Abhandlung Bezug, den ich verlesen will. Dadurch erübrigt sich vielleicht die Vorlage.
VORSITZENDER: Legen Sie das ganze Affidavit als Beweisstück vor? Ich meine nicht in diesem Augenblick, aber: Haben Sie die Absicht, es vorzulegen?
DR. NELTE: Ich nehme an, die Anklagebehörde hat es schon vorgelegt. Ich nehme nur darauf Bezug.
VORSITZENDER: Das ganze Affidavit? Welche Nummer trägt es, sofern es vorgelegt wurde?
DR. NELTE: Es hat auch dieses Affidavit keine Nummer. Die Anklagebehörde...
VORSITZENDER: Wenn es keine Nummer trägt, so ist es auch als Beweisstück nicht vorgelegt worden.
Es wird mir soeben gesagt, daß möglicherweise das Affidavit Halders vorgelegt und dann abgelehnt wurde.
DR. NELTE: Nein, es ist damals eine Reihe von Affidavits vorgelegt worden: von Brauchitsch, von Halder, von Heusinger und noch von vielen anderen Generalen, die in Nürnberg sind. Sämtliche Affidavits hatten keine Exhibits.
MR. DODD: Dieses Affidavit wurde von den Vereinigten Staaten als Beweisstück vorgelegt. Ich habe im Augenblick die Nummer nicht zur Hand, doch soviel ich weiß, wurde es seinerzeit vorgelegt, als Oberst Telford Taylor für die Anklagebehörde den Fall gegen das Oberkommando und das OKW vorbrachte. Das »Affidavit« von Halder, oder vielmehr das erste Dokument, auf das sich Dr. Nelte bezog, ist kein Affidavit. Es ist ein Schriftstück, das Oberst Taylor dem Gerichtshof und der Verteidigung überreichte. Es erläutert einige der grundlegenden Prinzipien des Aufbaus des Oberkommandos und des OKW und wurde zu einer Zeit überreicht, als er seinen Teil der Anklage noch nicht vorgebracht hatte. Es ist in Wahrheit nur die Arbeit unseres eigenen Personals hier in Nürnberg.
VORSITZENDER: Dr. Nelte, da das Dokument, auf das Sie sich beziehen, also nicht das Halder-Affidavit, anscheinend nur eine Zusammenstellung ist, so ist der Gerichtshof der Auffassung, daß es nicht als Beweisstück vorgelegt werden sollte. Sie können aber eine diesbezügliche Frage an den Zeugen richten.
DR. NELTE: