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[Zum Zeugen gewandt:]

Wollen Sie bitte etwas über die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Hitler sagen? Ich bitte Sie, sich dabei so kurz wie möglich zu fassen und nur das Notwendigste dazu zu sagen, aber immerhin so, daß es ein richtiges Bild gibt.

KEITEL: Die Zusammenarbeit kann man eigentlich nur charakterisieren wie die zwischen einem hohen militärischen Vorgesetzten und seinem Untergebenen war, mit anderen Worten, die Verhältnisse, wie ich sie immer in meiner Soldatenlaufbahn gegenüber den Befehlshabern innegehabt habe, bei denen ich eine Stabsstellung bekleidete. Aus diesem streng Militärischen und rein dienstlich Soldatischen ist das Verhältnis zwischen Hitler und mir nie herausgekommen. Ich war selbstverständlich berechtigt und verpflichtete meine Ansichten zu vertreten. Wie schwierig das war, kann nur der beurteilen, der weiß, daß Hitler gewohnt war, schon nach wenigen Worten die ganze weitere Erörterung an sich zu ziehen und damit überhaupt das angeschnittene Thema von seiner Seite aus zu erschöpfen. Es war wohl dann sehr schwer, überhaupt noch über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. Ich muß sagen, ich war wohl gewohnt, durch meine vielfachen Stellungen in hohen Stäben mit vorgesetzten Befehlshabern umzugehen, wenn ich mich so ausdrücken darf. Die Verhältnisse, wie sie mir hier entgegengetreten sind, waren mir völlig ungewohnt und überraschten mich und haben mich nicht selten tatsächlich in eine Unsicherheit des Auftretens hineingebracht. Das ist verständlich, wenn man weiß, daß Hitler in seinen soldatischen und militärischen Fragen, wenn ich mich ganz vorsichtig ausdrücken will, ein Mann war mit umfassendsten Reformplänen, denen ich mit einer 37jährigen Tätigkeit als Soldat alter Schule gegenüberstand.

DR. NELTE: War das im Kriege ebenso oder sprachen Sie jetzt von der Zeit vor dem Kriege?

KEITEL: Im Kriege milderten sich diese Gegensätze, wenn ich so sagen soll, durch die Ereignisse, so daß der Umgang stark beeinflußt war durch die Aktualität aller Handlungen. Insofern traten diese Dinge nicht in dieser Form in Erscheinung. Andererseits war es so, daß Hitler bei seinen Lagebesprechungen einen verhältnismäßig großen Kreis von annähernd immer zwanzig Personen um sich vereinigte, und, nach soldatischen Begriffen gesprochen, schonungslos seine Anklagen erhob – Beanstandungen und Kritiken in der Regel gegen Personen, die gar nicht anwesend waren. Ich bin dann für den Abwesenden grundsätzlich eingetreten, weil er sich selbst nicht rechtfertigen konnte. Die Folge war, daß sich dann die Vorwürfe und die Anklagen gegen mich richteten, und meine soldatische Erziehung mich letzten Endes dazu zwang, Zurückhaltung zu üben, da es ungehörig ist, wenn man, so wie hier, einem Vorgesetzten gegenüber vor sehr jungen Untergebenen, wie sie dort anwesend waren, zu protestieren oder zu entgegnen oder Widerspruch zu üben versucht. Widerspruch gegen einen Vorgesetzten und gegen Persönlichkeiten, gleich welchen Dienstgrades, vertrug der Führer überhaupt nicht. Man konnte dann nur unter vier Augen versuchen, mit ihm über die Dinge sich auseinanderzusetzen.

DR. NELTE: Hatten Sie das Bewußtsein, Hitlers Vertrauen zu besitzen?

KEITEL: Ich kann das nicht bejahen, sondern muß aufrichtig bekennen, daß dieses Vertrauen seitens Hitlers zu mir keineswegs ohne Vorbehalte war; und heute weiß ich zur Genüge, daß es sehr viele Dinge gegeben hat, in denen er sich mir gegenüber nie ausgesprochen, und in denen er sich mir gegenüber nie anvertraut hat. Es war nun mal so, daß Hitler alten oder älteren Generalen gegenüber zumindest eine starke Voreingenommenheit hatte. Sie waren für ihn Produkte einer alten, ehemaligen, überalterten Schule, und er war doch in diesem Sinne für uns alte Soldaten ein Mann, der revolutionäre, neue Ideen in die Wehrmacht und in ihre Erziehung hereintragen wollte. Es hat das mehrfach zu ernsten Krisen geführt. Ich glaube, darüber brauche ich nichts weiteres zu sagen. Das schlimme aber war, daß das Mißtrauen sich in einer Form ausdrückte, nämlich in der, daß er immer glaubte, ich steckte mit den Generalen des Heeres hinter seinem Rücken und stützte sie gegen ihn – vielleicht die Folge meiner Haltung, für diese Generale einzutreten, weil sie sich nicht verteidigen konnten. Das hat unter verschiedenen Umständen zu außerordentlich harten und schweren Krisen geführt.

DR. NELTE: Es wird darauf ankommen, festzustellen, in welcher Weise Ihre Zusammenarbeit mit Hitler zu werten ist; insbesondere, inwieweit Sie als sein Mitarbeiter, Berater oder dergleichen anzusehen sind. Wollen Sie mir sagen, ob Hitler seine Pläne in der Art, wie das sonst bei einer engen Zusammenarbeit üblich ist, mit Ihnen beraten hat?

KEITEL: Ich muß das im großen verneinen. Es entsprach das auch in keiner Weise der ganzen Eigenart der Persönlichkeit Hitlers, in dieser Form Berater zu haben – wenn man unter Berater versteht irgend jemand, der Ratgeber ist, schon Berater im Sinne der Herbeiführung einer großen Anzahl, sagen wir, von militärischen Elementen aus einer langen Erfahrung als Offizier, aber nicht in der Form des Beraters zur Entschlußbildung, der weittragenden Entschlüsse, an die, glauben wir, hier zweifellos gedacht ist. Es ging grundsätzlich einer Entschlußfassung ein mindestens wochenlanges, manchmal monatelanges Abwägen voraus. In dieser Zeit mußte man tätig sein, in der Form der Herbeischaffung von Unterlagen, aber was den hauptsächlichsten Punkt betrifft, die Entscheidung selbst, akzeptierte er irgendeinen Einfluß nicht. Und es ist deswegen einzig – so hart das klingen mag – immer nur so gewesen, daß die letzte Antwort die war: »Das ist mein Entschluß und der ist unabänderlich«. Das war die Bekanntgabe seiner Entschließungen.

DR. NELTE: Wenn für solche Entschlüsse verschiedene Ressorts zuständig waren, kam es dann da nicht zu Besprechungen gemeinsamer Art?

KEITEL: Nein, ich kann mich nicht entsinnen, daß irgendeine der wirklich maßgebenden Entschließungen seit dem Jahre 1938 jemals zustandegekommen wäre in der Gemeinsamkeit der Beratung – sagen wir – der Politiker und der Soldaten oder sonstigen Minister, denn es war die Eigenart Adolf Hitlers, jedes Ressort und jeden Ressortchef in der Regel allein unter vier Augen zu sprechen, aus ihm herauszuholen, was er von ihm wissen wollte, und daraus wiederum ein Element zu finden für den Bau seiner Pläne. Es war also nicht so, wie es den Anschein gewinnt, wenn man hier die Dokumente bekommt von Niederschriften über Versammlungen der Generale, Zusammenkünfte, oder ähnliches, mit Anwesenheitsliste; niemals hat eine solche Zusammenkunft den Charakter einer Beratung gehabt. Davon konnte ja keine Rede sein, sondern der Führer hatte einen bestimmten Gedanken, hatte aus manchen Gründen das Empfinden, daß wir gegen seine Gedanken, wenn auch innerlich nur, opponierten. So nahm er das zum Anlaß, vor einem großen Kreis seine Gedankengänge klarzulegen, ohne daß damit irgendwie eine Erörterung verbunden war. Also, Beratungen haben in diesen Gremien, von denen hier die Dokumente als Versammlungen sprechen, nie stattgehabt. Ich muß hinzufügen, daß schon die Außenform, in der diese Dinge sich abspielten, so war, daß nach militärischem Vorbild der älteste Kommandant soundsoviele Generale zusammenstellte, dann wurde sich hingesetzt, der Führer erschien, sprach, und ging heraus. Irgend jemand hätte in dieser Situation überhaupt nicht den Punkt gefunden, etwas zu sagen. Es war so, um ein einziges Wort dafür zu gebrauchen – und ich übertreibe es wirklich nicht – es war eine Befehlsausgabe, aber keine Beratung.

DR. NELTE: Nun noch etwas anderes. Die Anklagebehörde hat behauptet, Sie seien ein Mitglied der Reichsregierung gewesen. Was sagen Sie hierzu?

KEITEL: Ich habe niemals zur Reichsregierung gehört, bin auch niemals Kabinettsmitglied gewesen. Ich muß auch feststellen, daß ich niemals Minister geworden bin, sondern, wie es in dem Erlaß von 1938 heißt: »Er hat den Rang eines Reichsministers«, nicht »er ist Reichsminister«. Der Ausdruck »Minister« sollte einfach bedeuten den Rang eines Ministers und das hatte seinen guten Grund. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, was ich heute morgen sagte: Ein mit Ministerbefugnissen ausgestatteter Amtsträger sollte zwischen Hitler und der Wehrmacht und den Wehrmachtsteilen nicht existieren. Und die hier auch in der Anklage mehrfach erörterte Frage: »Er hatte ja den Rang eines Ministers«, muß ich dahin aufklären, daß ich die Frage gestellt habe, bevor dieser Erlaß herausgegeben wurde, mit wem ich zu verhandeln habe, mit den Staatssekretären oder mit den Ministern, und Hitler darauf erwiderte:

»Wenn Sie in meinem Auftrage mit anderen Reichsministern verhandeln, dann können Sie das natürlich nur mit dem Rang eines Ministers und nicht auf der Stufe der Staatssekretäre.«

Das ist die Erklärung der Worte in dem Erlaß »Er hat den Rang eines Ministers«.

DR. NELTE: Haben Sie mit anderen maßgeblichen und auch für entscheidende Dinge zuständigen Persönlichkeiten im Hauptquartier Beratungen gehabt, wie zum Beispiel Ribbentrop, Rosenberg, Speer, Sauckel und so weiter?

KEITEL: Der Besuch von Ministern oder von Sonderbevollmächtigten im Hauptquartier vollzog sich nach einem Plan und führte nur ganz selten zur gleichzeitigen Anwesenheit mehrerer Persönlichkeiten. In der Regel wurde es genau eingeteilt, daß für jeden eine besondere Zeit vorgesehen war. Ich erfuhr natürlich in der Regel »Der Außenminister ist da«, oder »Minister Speer ist da«, »Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Sauckel ist da«. Ich bin aber nur für die rein militärischen Fragen zu Besprechungen, die der Führer allein mit diesen Herren, unter vier Augen möchte ich sagen, abhielt, hinzugezogen worden. Ich könnte dafür Beispiele nennen. Aber wie neulich schon durch die Vernehmung des Staatssekretäre Steengracht hier zur Sprache kam, wäre es falsch, zu glauben, daß diese Herren, die nun in das Hauptquartier kamen, dort wieder eine Art kleines oder engstes Kabinett gebildet hätten. Hitler verhandelte mit jedem dieser Amtsträger und Funktionäre allein, gab ihm seine Aufträge, entließ ihn mit diesen Aufträgen, und es ist wohl vorgekommen, daß auf dem Heimwege die Herren mich im Vorbeigehen aufgesucht haben, meist mit kleineren Fragen und Gefälligkeiten, die ich den Herren erweisen konnte, oder mit dem Auftrage, mich über irgendeine Entscheidung zu informieren, oder mit dem Auftrage, eine getroffene Entscheidung den militärischen Stellen zu übermitteln, die das erfahren mußten.

DR. NELTE: Abschließend zu diesem möchte ich noch wissen, ob der Ausdruck, der in der Anklageschrift enthalten ist, »intim«, für das Verhältnis zwischen Ihnen und Hitler irgendwie, sei es privat oder dienstlich, zutrifft?

KEITEL: In der Anklageschrift habe ich das Wort »intim« gefunden. Ich habe mir die Frage vorgelegt: Woher stammt diese Auffassung? Wenn ich ehrlich bin, dann kann ich sie nur damit beantworten, daß niemand jemals aus meinem Munde ein Wort erfahren hat über die tatsächlichen ständigen Schwierigkeiten, die ich gehabt habe; ich habe das verschwiegen. Intim sind diese Verhältnisse, nach dem was ich unter »intim« verstehe, ich weiß nicht, ob in der englischen Übersetzung »intim« das ist, was wir »intim« nennen, das heißt ein vertrauliches, ein sich offen-aussprechen-könnendes Verhältnis bestanden hätte; das hat nicht bestanden. Ich habe das vorhin schon charakterisiert. Es war auch nicht die Eigenart Hitlers gegenüber den Generalen, zu deren älterer Generation ich ja auch gehörte. Unabhängig von dem oft wochenlang stattgefundenen sehr formellen Verkehr, den ich hier nicht näher erörtern will, der gerade noch die äußeren Formen wahrte gegenüber den Untergebenen, ist das Verhältnis niemals zu dem gekommen, was ein engster Berater oder engster Mitarbeiter für jemanden bedeuten sollte, und wie ich es gekannt habe aus meinen vielen Stabsstellungen. Ich muß sagen, daß von meiner Seite aus ich treu und loyal gewesen bin und so meine Stellung auch stets aufgefaßt habe. Aber ich muß auch sagen, daß ein aufrichtiges, persönlich sich gegenseitig verstehendes und sich gegenseitig vertrautes Verhältnis niemals bestanden hat. Es ist stets korrekt geblieben, aber es war militärisch-offiziell, und über das ist es nicht hinausgegangen.

DR. NELTE: Und durch Erlaß vom 4. Februar 1938 wurde ein Geheimer Kabinettsrat errichtet. Nach dem Inhalt dieses Erlasses sollen Sie Mitglied dieses Kabinettsrates gewesen sein? Um Zeit zu sparen, frage ich Sie lediglich, bestätigen Sie die Aussage des Reichsmarschalls Göring aus eigener Kenntnis, daß die Schaffung dieses Geheimen Kabinettsrates nur zum Schein erfolgte, und daß der Geheime Kabinettsrat sich in Wirklichkeit niemals konstituiert hat, und daß er niemals eine Sitzung abgehalten hat?

KEITEL: Ich kann das nur mit Ja beantworten, niemals.

DR. NELTE: Ich komme jetzt zu dem Komplex des Reichsverteidigungsrates. In der Sitzung vom 23. November hat der Herr Anklagevertreter als Beweismaterial für die Wiederaufrüstung, für die aktive Beteiligung der Wehrmacht an den Planungen von Angriffskriegen und anderen vorgelegt:

Das Dokument EC-177, das bezeichnet wurde als Zusammenkunft des Reichsverteidigungsrates vom 22. Mai 1933. Ich muß sagen, daß ich diese Übersetzung aus dem Protokoll entnommen habe, und ich nicht weiß, ob der Ausdruck »Reichsverteidigungsrat« richtig übersetzt ist. Es heißt in der Niederschrift, daß es eine Sitzung des Arbeitsausschusses ist. Ich darf zu Ihrer Orientierung sagen, daß der Reichsverteidigungsrat eine Art ministerielles Gremium sein sollte, und daß daneben ein Arbeitsausschuß bestand.

Als zweites Dokument wurde EC-405, eine Sitzung des gleichen Gremiums vom 7. März 1934, und als drittes Dokument 2261-PS, das Reichsverteidigungsgesetz von 1935 mit der gleichzeitigen Ernennung des Herrn Dr. Schacht zum Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft, vorgelegt.

Sie sind unstreitig in den Fragen der Landesverteidigung tätig gewesen. Diese Urkunden werden auch gegen Sie als Beweismittel persönlich vorgelegt, und ich bitte Sie, sich dazu zu äußern, ob diese Sitzungen, denen Sie beigewohnt und die Sie geleitet haben, sich mit Kriegsvorbereitungen und Kriegsrüstung befaßt haben?

KEITEL: Ich habe von Anfang an, solange in diesen Dingen gearbeitet worden ist – eines Referentenausschusses, aus dem heraus die anderen Dinge gewachsen sind –, persönlich in diesen Dingen drin gestanden und kann mich bezeichnen als den Urheber dieses Ausschusses der Referenten der Ministerien, für eine Zusammenarbeit mit dem Wehrministerium. Als Leiter der Organisationsabteilung des Heeres habe ich im Winter 1929/30, also drei Jahre vor der Zeit der Regierung Hitler, diesen Referentenausschuß gebildet, persönlich zusammengeholt, nachdem der Reichskanzler – Brüning war es wohl – und der Reichs- und Preußische Innenminister Severing hierzu ihr Einverständnis gegeben hatten. Ich möchte dazu bemerken, daß ständig ein Vertreter des damaligen Ministers Severing anwesend war zur Überwachung der Tatsache, daß hier nichts geschah, was gegen den Versailler Vertrag verstoßen hätte. Diese Arbeit war sehr mühsam, denn kein Reichsminister und kein Ressortchef war verpflichtet, von Amts wegen die Wünsche des Wehrministeriums des Heeres zu vollziehen, sondern das war auf reiner Freiwilligkeit aufgebaut. Infolgedessen sind die Arbeiten auch äußerst schleppend und langsam vorgeschritten. Wir befaßten uns in diesem Ausschuß der Referenten, der etwa zwei- bis dreimal im Jahre zusammenkam, eigentlich, wenn ich es zusammenfassen will, damit, welche Aushilfen können die zivilen Ressorts leisten, um das Hunderttausend- Mann-Heer der Soldaten für reine Kampfaufgaben freizumachen. Natürlich im Rahmen des Schutzes unserer Grenzen, wie es im Versailler Vertrag auch heißt: Der Schutz der Grenzen. Ich könnte wohl auch aus meiner Erinnerung, da ich mit Ausnahme von 1933 bis 1935 jede dieser Ausschußsitzungen selbst geleitet habe beziehungsweise als der Leitende der Verhandlungen aufgetreten bin – nicht als Vorsitzender, sondern als Leiter der Verhandlungen – noch sagen, was gesprochen worden ist. Ich kann aber, und das wird vielleicht noch vorgelegt werden können, schon jetzt hinweisen auf das Mobilmachungsbuch für die Zivilbehörden, auf das ich nachher noch darauf zu sprechen komme, das am Ende dieser Arbeit gestanden hat. Beschäftigt haben wir uns nur mit Fragen defensiver Grenzsicherungen und, um verstanden zu werden, darf ich vielleicht einige der Dinge nennen: Die Wehrmacht sollte frei werden, irgendwelche Objekte der Reichsbahn zu schützen, irgendwelche Objekte der Post, Verstärkerämter, Funkstationen zu schützen, die Grenzen zu besetzen mit Sicherheitsbesatzungen; das sollte der Zolldienst übernehmen. Es sollten die Verbindungen nach Ostpreußen, Kabel- und Seeverbindungen verbessert werden.

Ich möchte Sie damit nicht langweilen, es waren alles defensive Maßnahmen, um die wenigen Soldaten für rein militärische Funktionen frei zu machen. Denn für die Zwecke des tatsächlichen militärischen Einsatzes brauche ich ja nicht nachher zu begründen, was man mit einem Hunderttausend-Mann-Heer machen kann. Irgendwelche Fragen, die über diesen Rahmen hinausgegangen waren, sind in diesem Ausschuß niemals behandelt worden. Der Weg war nun so: Die Referenten wurden von mir gebeten, ihren Ressortchefs oder Staatssekretären die Wünsche vorzutragen und dann, kraft ihrer Überredungskunst zu erreichen, daß die Ressortchefs uns die Aufgaben abnahmen, so daß man sagen konnte, das machen die anderen, darum brauchen wir uns nicht zu kümmern. Operative Fragen, strategische Fragen, Rüstungsfragen, Beschaffungsfragen für Kriegsgerät sind in diesem Ausschuß garantiert niemals erörtert worden, niemals. Es waren nur organisatorische Fragen der Übernahme von Funktionen, die im allgemeinen die Aufgabe des Soldaten sein sollten, und die wir ablassen wollten auf die zivilen Stellen.

Nun die Sitzung vom 22. Mai 1933, über die mehrfach gesprochen worden ist. Es war schon in der Überschrift des Protokolls, das vorliegt, gesagt worden: Bisher Reichswehrminister, jetzt Reichsverteidigungsrat zuständig. Das habe ich eben erklärt. Bisher Reichswehrminister, über den Ausschuß Freiwilligkeit der Minister der anderen Ressorts, jetzt pflichtmäßige Betätigung der Ressortchefs, das heißt der Minister, die die Bezeichnung bekamen »Verteidigungsrat«. Ich will das noch klarer ausdrücken, damit das nicht mißverstanden werden kann. Jedes Ausschußmitglied war der Vertreter eines Ministeriums. Der zu diesem Ausschußmitglied, Referenten-Ausschußmitglied, zuständige vorgesetzte Minister bildete mit seinen anderen Ministerkollegen, nach unseren damaligen Begriffen, den Reichsverteidigungsrat. Das waren der Rat, und wir waren der Ausschuß: Daher – bisher Reichswehrminister; jetzt könnte man sagen, wie ich es eben ausdrückte, die anderen Minister sind jetzt verpflichtet, das zu tun.

Besonders ist dann im Abschnitt 3 gesprochen worden von den Arbeitsplänen. Diese Arbeitspläne sind mit einem Wort die Vorläufer des Mobilmachungsbuches; es ist also ein Endstadium, während die Arbeitspläne ein Zwischenstadium etwa des Jahres 1933 waren. Dann von der Sitzung vom 22. Mai 1933 die Schlußworte, die auch hier von seiten der Anklage besonders hervorgehoben wurden, hinsichtlich der Geheimhaltung, wo ich ausgesprochen habe, wie das Protokoll wiedergibt, daß nichts Schriftliches sich in den Schreibtischen der Ministerien zu lagern hätte, das unter Umständen bei den Abrüstungsverhandlungen in Genf zu Beanstandungen führen könnte. Es ist richtig, das habe ich gesagt, und zwar habe ich es gesagt, weil mir die Referenten mitteilten, daß sie außer einem kleinen Holzverschlag oder einem unverschließbaren Schreibtischschubfach nichts besaßen, worin sie etwas hinterlegen könnten, und weil der damalige Reichskriegsminister von Blomberg, der beinahe zwei Jahre in Genf in der Abrüstungskonferenz gewesen war, mir damals vor dieser Sitzung den ausdrücklichen Befehl gab, auf diese Dinge hinzuweisen, da Genf umgeben sei mit einer außerordentlich großen Zahl von Agenten, die nur Wert darauf legten, irgendwelche Beweise dafür zu erbringen, daß über die Abrüstungsverhandlungen hinweg schon Sachen sich vollzogen, die einen Verstoß gegen den Versailler Vertrag bedeuten könnten. Das ist das, was ich zu dem Dokument zu sagen hatte.

DR. NELTE: Ich habe Ihnen nun das »Mobilmachungsbuch für die Zivilverwaltungen« übergeben lassen. Es ist das Dokument 1639-PS. Es ist dies vorgelegt worden, um zu beweisen, daß es sich hierbei um Planung von Angriffskriegen handeln solle. Wollen Sie uns auseinandersetzen, wofür dieses Buch bestimmt war?

KEITEL: Ich berichtete schon, daß in einem früheren Stadium der Jahre 1932/1933 die einzelnen Ministerien sogenannte Arbeitspläne führten, in denen drin stand, woran sie zu denken haben, wenn irgendwelche Ereignisse ihre Mitwirkung in der Landesverteidigung bedingten. Und im Laufe der Jahre sind natürlich eine Anzahl von neuen Aufgaben hinzugetreten, und das hat schließlich zu diesem Mobilmachungsbuch für die Zivilbehörden und Zivilverwaltungen geführt, dessen Studium bestimmt nichts ergibt, das irgendwie mit strategischen, operativen oder sonstigen Kriegsvorbereitungen zu tun gehabt hätte. Andererseits bin ich nicht in der Lage, damit zu beweisen, daß alles was darin steht, niemals zu verwenden wäre bei militärischen Operationen, die aus eigenem Entschluß bezüglich eines Angriffskrieges sich entwickeln. Viele, man könnte fast sagen die meisten Maßnahmen im Falle einer Mobilmachung lassen äußerlich nicht erkennen, ob das eine Maßnahme ist zur Verteidigung, oder ob das eine Maßnahme ist, die für eine Angriffshandlung notwendig oder Voraussetzung ist. Das kann man nicht sehen. Ich glaube aber sagen zu können, weil ich selbst in dieser Arbeit persönlich so drin gestanden habe, wie vielleicht in keiner anderen, daß gar keine Veranlassung dazu vorgelegen hat, die zivilen Referenten, das waren Oberregierungsräte, etwa in der Form mit strategischen oder operativen Planungen zu befassen. Daß das nicht zu diesem Kreis gehörte, das glaube ich, ist kaum nötig zu beweisen. Ich habe dieses Mobilmachungsbuch auch hier durchgeblättert und durchstudiert. Ich möchte Sie nicht damit langweilen, daß ich Punkte herausziehe, die rein defensiver Art sind. Ich könnte sie nennen: Sperren, Verstärkung des Grenzschutzes, Zerstörungen, Unterbrechungen von Eisenbahnen und ähnliches, steht alles hier drin. Räumen eines der wichtigsten Kapitel, das – wenn ich mich erinnere – vielleicht fünf oder sechs solcher Sitzungen beinhaltet hat, war das Gebiet der Räumung, das heißt grenznahe Gebiete von wertvollen materiellen und personellen Kriegsmitteln zu evakuieren, um sie nicht vor einer kriegerischen Verwicklung mit dem Nachbarn in Feindeshand fallen zu lassen. Dieses Räumen war eines der schwierigsten Gebiete, weil die Grenze, bis wohin man räumen kann, das heißt welche Mittel man räumen kann, eine der schwierigsten Entscheidungen ist, die es vielleicht gibt.

Aber ich möchte noch über den Reichsverteidigungsausschuß folgendes sagen und ergänzend sagen zu den Gedanken, die ich vorhin vortrug: Daß bis zum Jahre 1938 niemals eine Tagung oder eine Sitzung des Reichsverteidigungsrates, also der Minister, die über dem Ausschuß gestanden haben, stattgefunden hat. Niemals, nicht ein einziges Mal. Das müßte ich wissen, obwohl in der Kabinettssitzung schon im, ich glaube, es war März 1933, der Beschluß gefaßt war, diesen Ministern die Verantwortung eines Reichsverteidigungsrates in Bezug auf diese Aufgaben beizulegen und sie damit zu verpflichten, diese Aufgaben als ein ihnen obliegendes Gebiet der Landesverteidigung zu übernehmen und natürlich auch zu finanzieren. Das war der Endpunkt der Dinge. Sonst hat der Reichsverteidigungsrat nie getagt.

DR. NELTE: Tatsächlich sind die für die Zeit von 1933 bis 1938 vorgelegten Protokolle Sitzungen vom Arbeitsausschuß. Aber Sie wissen, daß etwa vor acht Tagen zwei Dokumente vorgelegt worden sind, die sich äußerlich darstellen als Sitzungen des Reichsverteidigungsrates. Die eine Sitzung oder Versammlung soll im November 1938 und die zweite im März 1939 stattgefunden haben. Leider sind die Urkunden mir nicht zugegangen, aber ich habe sie angesehen und Sie haben sie auch gesehen. Erklären Sie uns, wie es zu diesen Protokollen, das heißt zu diesen Versammlungen gekommen ist und was sie bedeuten.

KEITEL: Ich möchte nur noch einige ergänzende Worte zu dem sagen, was Reichsmarschall Göring schon als Erklärung gegeben hat. Im Dezember 1938 war das Reichsverteidigungsgesetz, das bis dahin aus dem Jahre 1935 bestehend, ein Schubkastengesetz, also ein unveröffentlichtes Gesetz, das einer Änderung bedurfte, und zwar deswegen, weil das Reichsverteidigungsgesetz von 1935 aufgebaut wurde von dem Reichskriegsminister, Oberbefehlshaber von Blomberg, der nicht mehr bestand. Ich war damals beim Reichsmarschall Göring, um mit ihm das zu besprechen und eine neue Basis für das Gesetz zu finden, das bis dahin unveröffentlicht vorlag. Dieses Gesetz vom Herbst 1938 hatte eine Reihe von Ergänzungen und Erweiterungen gegenüber dem alten, und die Einzelheiten kann ich vielleicht später noch erwähnen. Unter anderem war hier auch der Reichsmarschall Göring der Vertreter des Führers, der vorher der Reichskriegsminister gewesen war, eine Funktion, die ich nicht ausüben konnte. Diese Besprechung im November 1938 war, um das kurz in Erinnerung zu bringen, vom Reichsmarschall Göring einberufen, um dieses unveröffentlichte und auch unveröffentlicht bleiben sollende Gesetz einem großen Kreis von Angehörigen der Ministerien bekanntzugeben. Es waren ungefähr siebzig und mehr Personen anwesend, denen der Reichsmarschall in Form einer Ansprache den Zweck und das Wesen der Dinge auseinandersetzte. Irgendwelche Erörterungen haben nicht darüber hinaus stattgefunden, und von einer Sitzung des Reichsverteidigungsrates konnte in diesem Zeitpunkt gar nicht die Rede sein.

Sie haben mir auch das zweite Dokument neulich gezeigt, von der Sitzung des Reichsverteidigungsrates, wie er genannt wird, und wie es auch überschrieben ist in den Protokollen vom Sommer 1939.

DR. NELTE: Nein, März 1939.

KEITEL: Und das war genannt hier und ich glaube, es war die zweite Sitzung des Reichsverteidigungsrates. Dieses kann ich aufklären, und zwar so: Ich habe eine Sitzung des Ausschusses einberufen und selbstverständlich dem Reichsmarschall Göring Tagesordnung und Personenkreis zugestellt. Reichsmarschall Göring ließ mich wissen, daß er selbst kommen werde, und daß er den Kreis entsprechend erweitern werde, da er noch andere Fragen zu erörtern gedenke. Diese Besprechung hat infolgedessen eine Tagesordnung, die für den Ausschuß von mir vorgesehen war und auch konkrete Fragen in die Debatte gebracht. Bemerkenswert ist nur, daß nach der Anwesenheitsliste beziehungsweise nach den Feststellungen, die Mitglieder des Reichsverteidigungsrates nur in ganz kleiner Zahl, zum Teil überhaupt nicht vertreten waren, obwohl es wiederum ein Kreis war von etwa vierzig bis fünfzig Personen. Der Reichsverteidigungsrat selbst war ein Gremium von zwölf Personen, und es bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, daß in diesen Formen sich die beiden Besprechungen oder Sitzungen abgespielt haben, man wohl nicht sagen kann, das waren die beschlußfassenden Sitzungen des Reichsverteidigungsrates auf Grund einer klar fixierten Tagesordnung, sondern es waren zwei Veranstaltungen, deren Ursache und deren Ausmaße ich hier geschildert habe.