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[Verhandlungspause.]

VORSITZENDER: Dr. Nelte, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie das Verhör des Angeklagten vielleicht etwas beschleunigen könnten. Der Gerichtshof erinnert sich, daß Sie vor einigen Tagen darum ersuchten, eine eidesstattliche Versicherung des Beweismaterials des Angeklagten zu unterbreiten. In Ihrem Dokumentenbuch ist eine eidesstattliche Versicherung. Sie haben alle diese Angelegenheiten, die in Ihrer eidesstattlichen Versicherung stehen, sehr viel ausführlicher behandelt, als wenn Sie sie verlesen hätten. Wir hoffen, daß es Ihnen möglich sein wird, in Zukunft weniger Zeit zur Behandlung des Beweismaterials in Anspruch zu nehmen.

DR. NELTE: Herr Präsident! Ich habe mich bemüht, die Fragen auf das notwendigste Maß zu beschränken. Aber die Beurteilung ist natürlich immer subjektiv. Der Angeklagte ist leider der meist Genannte in diesem Prozeß gewesen, und es liegt ihm naturgemäß daran, die Dinge, die er für wesentlich hält, um sein Bild klarzustellen, eingehend darzulegen.

VORSITZENDER: Dr. Nelte, ich glaube nicht, daß wir dieses Thema weiter besprechen müssen; der Gerichtshof hat erklärt was er wünscht.

DR. NELTE: Ich werde dem Wunsche, soweit ich es kann, nachkommen, Herr Präsident.

[Zum Zeugen gewandt:]

Feldmarschall Keitel! Sie haben uns auseinandergesetzt, was Reichsverteidigungsrat, Reichsverteidigungsausschuß war. Sie sind sich wohl darüber klar, daß es nicht so sehr darauf ankommen kann und darf, ob irgendwelche Entschlüsse in einem Reichsverteidigungsrat oder in einem Reichsverteidigungsausschuß gefaßt werden. Worauf es ankommt ist, was geschehen ist. und ob das, was geschehen ist, den Anschuldigungen der Anklage entspricht oder nicht. In diesem Sinne bitte ich Sie mir zu sagen: War das, was Sie in dem Reichsverteidigungsausschuß beraten und geplant haben, geeignet, den Verdacht zu rechtfertigen, daß Sie an Angriffskriege gedacht haben?

KEITEL: Ich bin mir vollkommen klar, daß es sich hier nicht um die Formalität handeln kann, ob Ausschuß oder Rat, denn selbstverständlich war der Rat ein Kollegium von Ministern, der Ausschuß ein solcher von kleinen Referenten. Es kommt an auf das, was tatsächlich geschah und gemacht worden ist. Und mit der Einschränkung dessen, daß ich im Jahre 1934 und bis zum Herbst 1935 nicht anwesend gewesen bin in den Erörterungen und Besprechungen, also nicht für jedes Wort, was damals gesprochen wurde, hier mich verbürgen kann, muß ich erklären, daß irgend etwas über die Planung von Kriegen, der Vorbereitung von Kriegen, der operativen, strategischen und rüstungsmäßigen Bereitstellung für Kriege niemals erörtert worden ist, was diesen Zwecken diene.

DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat Sie als Mitglied eines Dreierkollegiums bezeichnet und daraus eine besondere Befugnis hergeleitet, im Rahmen der Deutschen Reichsregierung zu handeln. Ich gebe Ihnen das Dokument 2194-PS. Dort finden Sie im Reichsverteidigungsgesetz von 1938, Paragraph 5, Absatz 4, die Quelle dieser Bezeichnung, die an sich keine offizielle ist.

KEITEL: In dem Reichsverteidigungsgesetz von 1938 war zur Verengung des Gremiums ein Generalbevollmächtigter für die Verwaltung vorgesehen. Der Reichsminister des Innern sollte dies wahrnehmen und ferner bei dem Paragraphen 5, Absatz 4, für Reichsbahn und Reichspost, dem Oberkommando der Wehrmacht bestimmte bevorzugte Einflußmöglichkeiten auf diese beiden Ressorts geben, weil sie im Falle einer Mobilmachung die Transporte fahren und die Nachrichtenübermittlung zur Verfügung stellen müssen, wie das überall ist.

Das Dreierkollegium ist ein Begriff, den ich niemals vorher gehört habe als hier. Gemeint sind der Generalbevollmächtigte für Verwaltung, der Generalbevollmächtigte für Wirtschaft und der Chef OKW. Diese drei waren gemeint. Darüber ist kein Zweifel. Und zwar deswegen, weil sie im Rahmen des Reichsverteidigungsgesetzes eine Reihe von Verordnungen schon im Schubkasten liegen haben sollten, die bei Veröffentlichung des Gesetzes dann publiziert wurden und jeder der drei, für seinen Bereich, diese Dinge vorzubereiten hatte. Daraus ist der Begriff Dreierkollegium entstanden, aus diesen Vollmachten, die Berechtigung zu diesen Funktionen herzuleiten.

DR. NELTE: Es ist dann von der Anklagebehörde die Behauptung aufgestellt worden, die sich aus dem Dokument 2852-PS ergibt, daß Sie Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung gewesen sind. Wurden Sie dadurch, daß Sie zum Mitglied des Reichsverteidigungsrates bestimmt wurden, nicht Minister?

KEITEL: Ich darf vielleicht ein kurzes Wort über den Ministerrat vorausschicken, insofern, als Reichsverteidigungsgesetz, Reichsverteidigungsausschuß und Reichsverteidigungsrat durch die Gesetze über den Ministerrat der Reichsverteidigung verschwunden waren, also damit niemals veröffentlicht wurden und niemals in Kraft getreten sind. Der Ministerrat für die Reichsverteidigung ist am 1. September 1939 neu geschaffen worden und hat alle diese papierenen Vorbereitungen im Reichsverteidigungsrat, Reichsverteidigungsausschuß und das Gesetz null und nichtig gemacht und eine neue Sache, eine Institution dafür an die Stelle gesetzt. Diese Institution, Ministerrat für die Reichsverteidigung, war nunmehr das kleine Kriegskabinett, das vorher, wenn ich so sagen darf, nach meiner Vorstellung der Reichsverteidigungsrat hätte werden sollen, in seiner beschränkten Zahl von Mitgliedern. Damit war eine neue Grundlage und damit wurden nun die Verordnungen, die notwendig waren, durch den Ministerrat der Reichsverteidigung in Kraft gesetzt, nachdem er ernannt und bestätigt war.

Ich bin in diesen Ministerrat einberufen oder habe einen Sitz in diesem Ministerrat bekommen. Die Gründe möchte ich hier nicht darlegen, weil sie interner Art waren. Das Pflaster war für den Widerstand, gegen diese Dinge, die... Aktiv bin ich nicht geworden im Ministerrat für die Reichsverteidigung, aber Mitglied bin ich gewesen; es war auch nicht notwendig, weil in dem rein militärischen Sektor, das heißt den Dingen, die die Wehrmacht unmittelbar betrafen, der Führer ohne den Ministerrat die dafür notwendigen Verordnungen durch eigene Unterschrift persönlich in Kraft setzte, also war der Umweg über den Ministerrat in Berlin gar nicht notwendig. Und die Frage, ob ich damit Minister geworden bin oder Funktionen eines Ministers erlangt habe, muß ich nach meiner Auffassung verneinen. Es war damit keineswegs verbunden nunmehr die Berechtigung, Funktionen eines Ministers auszuüben, sondern ich war nur der Vertreter der Wehrmacht in diesem Ministerrat.

DR. NELTE: Es ist aber unstreitig, daß Ihr Name unter einer Anzahl von Gesetzen und Erlassen zu finden ist. Wie erklären Sie diese Zeichnung der Gesetze?

KEITEL: Ja, ich habe eine Reihe von Erlassen des Ministerrates unterschrieben, weil sie mir von dem Sekretariat beziehungsweise dem Chef der Reichskanzlei, Reichsminister Lammers, mit der Bitte, auch meinen Namen darunter zu setzen, zugeleitet worden sind, und auf die Frage, warum das eigentlich notwendig sei, mir formal die Antwort von Lammers zuteil wurde, damit auch die anderen Reichsressorts sehen, daß die Wehrmacht hiervon nicht ausgeschlossen ist von den Verordnungen oder Gesetzen. Deswegen stehe ich damit darunter, das bedeutet, auch die Wehrmacht hat sich dieser Verordnung, diesem Gesetz zu fügen. Ich habe deswegen keine Bedenken getragen, meinen Namen darunterzuschreiben.

DR. NELTE: Nun ist von der Anklagebehörde noch ein Vorwurf gegen Sie erhoben worden, nämlich, daß Sie ein politischer General gewesen seien. Sie sind auch zweifellos bei verschiedenen Anlässen in Erscheinung getreten. Wollen Sie sich bitte zu diesem Vorwurf äußern und erklären, wie es dazu gekommen ist?

KEITEL: Ich kann das verstehen, daß die Tatsache der Funktionen ministerieller Art, die mich ja vielfach auch mit den Reichsministern in Berührung bringen mußte, im Laufe eines Krieges ausgesprochen alles ja irgendwie mit der Wehrmacht Berührung hatte, der Gedanke naheliegend sein konnte, als ob ich in diesen Dingen eine politische Funktion ausübte. Ähnlich könnte es auch aus anderen Anlässen abgeleitet werden. Das heißt, meine Anwesenheit ist vielfach auch, wie es in den Dokumenten hier ist, bei Staatsbesuchen und ähnlichen Anlässen, daß ich auf diese Weise eine politische Funktion hatte oder in irgendeiner Weise zu politischen Funktionen hinzugezogen worden wäre. Beides trifft nicht zu, weder im innerdeutschen ministeriellen Geschäftsbetrieb noch in Bezug auf das, was mit der Außenpolitik etwa im Zusammenhang steht. Aber mit den Ministerien, mit den Fachministerien, waren natürlich eine ganze Reihe von Dingen zu regeln, und bei fast allen Verordnungen, die die zivilen Minister herausgaben, mußte die Wehrmacht in irgendeiner Form beteiligt werden oder gehört werden. Und dieser Arbeitsgang vollzog sich natürlich in Berlin, während ich, gebunden an den Führer, im Hauptquartier abseits mich befand, und das bedingte natürlich auch, daß meine Ämter, die Ämter des OKW, im wesentlichen in lockerer Zügelführung, diese Fragen mit den Reichsressorts und ihren Sachbearbeitern erledigen mußte. Und so kam es natürlich selbstverständlich, daß Verordnungen dieser Art entstanden, zu denen dann meine Stellungnahme und von mir das Einverständnis des Führers herbeigeholt wurde, und daß ich in diesem Zusammenhang derjenige war, der die verschiedenen Wünsche oder die verschiedenen Auffassungen auch der Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile in irgendeiner Form auf einen Generalnenner der Wehrmacht zusammenfaßte. Durch diese Arbeiten bin ich selbstverständlich in den Gesamtapparat dieser Arbeitstechnik hineingezogen worden. Ich glaube aber nicht, daß das rechtfertigt, den militärischen Stabschef des Führers als einen »politischen General« zu kennzeichnen.

DR. NELTE: Wie war es mit der außenpolitischen Lage, mit den außenpolitischen Zusammenkünften?

KEITEL: Auf dem Gebiet der Außenpolitik möchte ich eigentlich nur unterstreichen, was der ehemalige Reichsaußenminister in Bezug auf die Zusammenarbeit mit der Wehrmachtsführung bereits gesagt hat. Wenn überhaupt zwei oberste Beteiligte, jeder für sich allein marschierte, dann ist es einmal die Außenpolitik und einmal die Wehrmacht, und zwar unter dem Einfluß des Führers selbst, der das Zusammenwirken oder das gegenseitige Miteinanderausgleichen von Gedanken ablehnte und nicht wollte. Er hielt uns ausgesprochen in getrennten Lagern und wollte mit jedem allein arbeiten, das muß ich ganz ausdrücklich betonen. Und so war es auch, um das abzuschließen, mit den anderen Ressorts, die in das Hauptquartier kamen, nämlich, daß alles allein besprochen wurde und sie allein auch das Hauptquartier wieder verließen. In der Außenpolitik darf ich vielleicht nur zusammenfassend sagen, Berührungen mit dem Auswärtigen Amt, wie sie hier von dem Staatssekretär von Steengracht besprochen worden sind, waren auf dem Gebiet aller Völkerrechtsfragen, dann auf dem Gebiet des damit im Zusammenhang stehenden Kriegsgefangenenwesens, Verkehr mit den Schutzmächten und ein Gebiet, das vielleicht Steengracht neulich hier vorgeschwebt hat, als er sagte: »Mit der Wehrmacht das gesamte Attachégebiet«. Denn sämtliche Berichte, die die Militärattachés in allen neutralen Staaten, befreundeten Staaten, an die Wehrmacht oder an die Wehrmachtsteile, ihre Oberbefehlshaber schickten, gingen durch die Schleusen des Auswärtigen Amtes. Dahin mündeten sie, und von dort aus bekamen wir sie. Es war ganz natürlich, daß während des Krieges insbesondere stark interessierende Nachrichten insofern oft Gegenstand... auch gewisse Berührungen gebracht haben, daß wir uns oft beklagen mußten, daß wir die Berichte zu spät bekamen aus dem Auswärtigen Amt, und sie unser Ministerium direkt haben wollte und nicht über den Umweg. Sonst muß ich ausdrücklich feststellen, hat es auf anderen Gebieten keine Zusammenarbeit oder irgendeine – ich möchte sagen: Arbeitsgemeinschaft auf den Gebieten der Kriegsführung mit dem Auswärtigen Amt gegeben.

DR. NELTE: Vor ungefähr zehn Tagen ist hier ein Dokument D-665 von der Anklagebehörde vorgelegt worden. Dieses Dokument trägt die Überschrift: »Gedanken des Führers über die Waffen-SS« vom 6. August 1940. In diesem Dokument ist ein Schreiben des Oberkommandos der Wehrmacht, in welchem folgendes gesagt ist:

»Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht hat hierzu festgestellt, daß die weiteste Verbreitung der Gedanken des Führers nur erwünscht sein kann.«

Kennen Sie dieses Dokument?

KEITEL: Ja, ich habe dieses Dokument in den Tagen, als es hier vorgebracht wurde, gelesen und mich daran erinnert. Zur Entstehung des Dokuments muß ich kurz zum Verständnis sagen: Nach dem Krieg in Frankreich plante Hitler oder führte durch eine Selbständigmachung der SS-Verbände – Waffen-SS-Verbände – zu vollständigen Truppenkörpern. Bis dahin waren es Infanterietruppenteile gewesen, die verschiedenen Heeresformationen angegliedert wurden. Jetzt wurden aus ihnen unabhängige Truppenteile mit allem Zugehörigen gemacht und damit selbständige Formationen gebildet. Das hat beim Heer größte Unruhe, in der Generalität schwerste Verstimmung herbeigeführt, und man sagte, das wäre eine Konkurrenz des Heeres, und der dem Heer zugesagte damalige Satz: »Es gibt nur einen Waffenträger in Deutschland, das ist die Wehrmacht«, der ist damit gebrochen; wo führt das hin?

Damals hatte der Oberbefehlshaber des Heeres den Chefadjutanten Hitlers um Auskunft über diese äußerst empörliche Angelegenheit gebeten und der General Schmundt hat damals dieses Schriftstück, das in diesem Dokument genannt wird, geschrieben mit Zustimmung Hitlers.

Ich war selbst beim Führer in dieser Frage, um ihm deutlich zu sagen, daß das als ein Affront von der Armee aus angesehen würde. Er entschloß sich, diese Aufklärung über seinen Chefadjutanten zu leiten, da das Oberkommando der Wehrmacht mit dieser Frage an sich nichts zu tun hatte. Diese Bekanntmachung, zur Beruhigung der erregten Gemüter, wurde dann vom Heer selbst erteilt und die Mitteilung von mir, daß auch hier gegen weiteste Verteilung nichts einzuwenden sei, war die Befriedigung eines Wunsches des Generals von Brauchitsch, der ausdrücklich darum bat, bis in die Einheiten hinein das verteilen zu dürfen, um in der Armee beruhigend zu wirken, daß es sich hier um Polizeitruppen handelte, die aber unbedingt auch im Krieg gestanden haben müßten, falls ihr nicht in der Heimat jede Anerkennung als eine Art Truppe versagt würde. So ist dies entstanden, und wenn man mich fragt, wie ich zu dieser ganzen Angelegenheit heute stehe, so darf ich kurz hinzufügen: Damals habe ich auch geglaubt, diese Dinge sollten eine Grenze haben, ich glaube zehn Prozent wurden genannt. Nach der Entwicklung, die sich nach 1942 anbahnte mit den weiteren Aufstellungen, verloren diese Formationen den ihnen ursprünglich zugedachten Charakter einer Elite oder einer Auslese personeller, rassischer Art. Und es war unverkennbar ein Drang vorhanden, und ich habe selbst die größten Befürchtungen gehabt, daß eines guten Tages dieses aufgeblähte, über zwanzig Divisionen stark gewordene Instrument der Waffen-SS eine weltanschauliche, andere neue Armee werden würde. Dagegen haben wir die größten Sorgen und Bedenken gehabt; zumal das, was nunmehr da war, überhaupt nicht mehr den Charakter einer Auslese bedeutete, zumal die Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, aus den Wehrmachtsteilen dazu versetzt und dort hineingesteckt wurden. Das war also nicht mehr eine Auslese von Freiwilligen. Ich glaube, mehr ist dazu nicht zu sagen.

DR. NELTE: Die Anklagebehörde hat das Dokument L-211 mir vorgelegt. Es trägt die Überschrift: »Die Kriegsführung als Problem der Organisation« und enthält die Stellungnahme des OKW zu der Denkschrift des Oberbefehlshabers des Heeres über »Die Organisation der Wehrmachtsführung«. Dieses Dokument wurde vorgelegt, um zu beweisen, daß das Oberkommando der Wehrmacht und Sie als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht aggressive Tendenzen gehabt und diese in dieser Studie niedergelegt hatten.

Ich nehme an, daß Ihnen diese Studie noch gegenwärtig ist. Was haben Sie gegen den daraus abgeleiteten Vorwurf zu sagen?

KEITEL: Diese Studie ist mir auch hier in der Voruntersuchung vorgelegt worden. Ich bin dadurch an ihre Existenz erinnert worden. Auch hierzu muß ich ein kurzes Wort der Vorgeschichte sagen. Es ist nicht übertrieben, daß schon anfangs der zwanziger Jahre, also kurz nach der Beendigung des ersten Weltkrieges, ich glaube in allen beteiligt gewesenen Staaten, eine umfangreiche Literatur auftrat über die Frage: Welches ist die zweckmäßigste Kriegsspitzengliederung für die oberste Wehrmachtsführung? Selbst ich habe darüber geschrieben, und ich kenne Stimmen der Vereinigten Staaten, aus England, aus Frankreich. Man beschäftigte sich damals mit der Kriegsspitzengliederung, von der Blomberg sagte, daß seine Stellung die achte Lösung sei, sieben seien schon verworfen.

In diesem Zusammenhang setzte sich ein Kampf fort seitens des Oberkommandos des Heeres und des Generalstabs des Heeres, noch immer genährt gegen die Idee einer zusammengefaßten obersten Wehrmachtsführung und mit dem Anspruch, im Großen Generalstab des Heeres, wie auch früher, die oberste Führungspotenz zu sehen.

Nachdem das Oberkommando der Wehrmacht geschaffen und Blomberg weg war, hielt das Heer es für den geeigneten Augenblick, erneut diese Frage schärfstens in die Debatte zu werfen. Daraus entstand eine Denkschrift des Oberbefehlshabers des Heeres, verfaßt vom General Beck, und darauf ist das, was hier als Studie vorliegt, die Antwort. Ich kann aus der Mitarbeit an dieser Antwort für die zwei Männer hier verantwortlich zeichnen. Das ist Generaloberst Jodl und ich, die allein hierzu die Mitarbeiter waren. Ich kann feststellen, daß damals gar kein akutes Problem oder eine vorbereitende Generalstabsarbeit für den Kriegsfall uns bewegte, sondern lediglich, ich möchte sagen, daß das uns aus den vielen Denkschriften, aus den vielen Untersuchungen des zweckmäßigsten Problems als das zweckmäßigst Erscheinende von uns hier herausgestellt ist.

VORSITZENDER: Dr. Nelte, spricht denn das Dokument nicht für sich selbst? Er betont, daß er daran mitgearbeitet hat, aber daß es nichts mit Krieg zu tun hatte. Das ist doch alles, was dazu zu sagen ist. Das Dokument spricht also für sich selbst.

DR. NELTE: Er kann aber doch eine Erklärung für manche Gedankengänge geben, die in diesem Dokument enthalten sind. Im übrigen, Herr Präsident, hatte ich zu dieser Frage mir erlaubt, Ihnen in dem Dokumentenbuch 2 das Affidavit vorzulegen »Oberkommando der Wehrmacht und Generalstab«, unterzeichnet sowohl von dem Angeklagten Keitel als auch von Herrn Jodl. Es liegt als Nummer 2 des Dokumentenbuches 2 vor Ihnen.

VORSITZENDER: Ist das das Affidavit vom 8. März?

DR. NELTE: Vom 29. März, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Das erste im Buch, oder wo steht es?

DR. NELTE: Nein, im zweiten Teil.

VORSITZENDER: Aber welche Seite?

DR. NELTE: Es hat hier keine fortlaufende Seitenzahl, Herr Vorsitzender. Es hat ein Inhaltsverzeichnis, das ist Nummer 2.

VORSITZENDER: Zitieren Sie jetzt aus L-211? Sind Sie damit fertig?

DR. NELTE: Dieses Affidavit gehört zu L-211.

VORSITZENDER: Ich dachte, der Zeuge sagte, daß er an der Studie L-211 mitgearbeitet hat, und daß das nichts mit Krieg zu tun hatte. Sie können es dabei lassen.

DR. NELTE: Ich denke, es kommt in diesem Prozeß darauf an zu hören, was die Angeklagten zu den Dokumenten zu sagen haben, die sie belasten sollen. Das, was der Angeklagte Keitel zu dem Dokumentenbuch L-211 hierzu zur Erklärung zu sagen hat, ist im Affidavit niedergelegt, das ich im Dokumentenbuch Nummer 2 überreicht habe.

VORSITZENDER: Wenn das, was er sagen wollte, in dem Affidavit enthalten ist, dann hätte er darüber nicht befragt werden sollen; das Affidavit hätte verlesen werden sollen.

DR. NELTE: Der Unterschied zwischen dem, was er sagt, und dem Affidavit ist das Verhältnis einer Zeitspanne von eins zu zehn. Er hat nur ganz kurz gesagt, was er zusammenfassend antworten will. Das Affidavit ist länger und deswegen glaube ich, ich könnte auf die Verlesung des Affidavits verzichten, wenn er kurz das, worauf es ankommt, hier sagt.

VORSITZENDER: Wir beide haben verschiedene Ansichten über das Wort »Zusammenfassung«.

DR. NELTE: Darf ich fortfahren, Herr Vorsitzender?

VORSITZENDER: Ja, fahren Sie fort.

DR. NELTE: Ich komme jetzt zu dem Komplex, der sich mit der Wiederaufrüstung und mit den verschiedenen Fällen Österreich, Tschechoslowakei und so weiter befaßt. Ich will Ihnen Fragen über die Beschuldigung der Anklagebehörde stellen, daß Sie an der Vorbereitung und Planung von Angriffskriegen beteiligt gewesen seien. Damit wir uns verstehen und Sie Ihre Antworten richtig geben können, muß klar sein, was unter »Angriffskrieg« zu verstehen ist. Wollen Sie diese Ihre Ansicht darüber sagen?

KEITEL: Als Soldat muß ich sagen, daß der Begriff »Angriffskrieg« für mich nichts in dem Sinne bedeutet, weil wir wohl gelernt haben, Angriffsoperationen, Verteidigungsoperationen, Rückzugsoperationen zu führen. Aber nach meinem persönlichen soldatischen Empfinden ist der Begriff »Angriffskrieg« ein ausgesprochener politischer und nicht ein militärisch-soldatischer. Ich meine, wenn die Wehrmacht und der Soldat Werkzeug der Politiker sind, sind sie meiner Ansicht nach nicht berufen, zu entscheiden und zu beurteilen, ob es sich hier um eine Angriffskriegsmaßnahme handelt, bei den militärischen Operationen, oder nicht. Ich glaube, das kurz zusammenfassend sagen zu können, daß die militärischen Dienststellen nicht die maßgebenden Stellen hierfür sein sollen und nicht sein können, und daß die Entschlüsse hierzu nicht die Aufgabe des Soldaten, sondern allein der Politiker sind.

DR. NELTE: Sie wollen also sagen, daß Sie, und das gilt wohl für alle hiervon berührten Dienststellen und Befehlshaber, die Frage, ob ein Krieg Angriffskrieg sein würde oder zur Verteidigung des Landes geführt werden müsse, letzten Endes, ob ein Krieg ein gerechter Krieg ist oder nicht, überhaupt nicht in den Kreis Ihrer beruflichen Überlegungen und Entschlüsse aufgenommen haben?

KEITEL: Nein. Das wollte ich damit ausdrücken, denn...

DR. NELTE: Das ist eine Erklärung, die Sie geben. Aber Sie sind nicht nur ein Soldat, sondern auch eine Persönlichkeit, die ein Eigenleben hat. Haben Sie sich denn nicht in dieser Eigenschaft Gedanken gemacht, wenn Tatsachen zu Ihrer beruflichen Kenntnis gekommen sind, die eine geplante Unternehmungsaktion als unrecht erscheinen ließen?

KEITEL: Ich glaube nur, dazu wahrheitsgemäß sagen zu können, daß ich in meinem militärischen Aufstieg und meiner militärischen Laufbahn eigentlich nur in den traditionellen Auffassungen groß geworden bin und aufgewachsen bin, die sich mit dieser Frage nicht auseinandersetzte. Natürlich hat man eine eigene Ansicht, und hat man ein Eigenleben. Aber in Bezug auf seine beruflichen Funktionen als Soldat und Offizier hat man sein Eigenleben eigentlich verschenkt, vergeben, in Bezug auf den Beruf und in Bezug auf die Funktionen als Soldat. So habe ich nicht empfunden und vermag auch nicht nachträglich zu bestätigen, daß ich mir in dieser Richtung über diese Fragen, der rein politischen Ermessensfragen, Gedanken gemacht habe, und daß ich auf dem Standpunkt stand, der Soldat kann verlangen, daß er seiner Staatsführung vertrauen kann, und dementsprechend ist er berufen, seine Pflicht zu tun und zu gehorchen.

DR. NELTE: Nun wollen wir die einzelnen Komplexe einmal durchgehen. Kannten Sie Hitlers Pläne in Bezug auf das Planen, zunächst in Bezug auf die Wiederaufrüstung, dann später in Bezug auf irgendwelche – wie die Anklage sagt – Aggression? Ich denke zunächst an den Zeitpunkt Februar 1933 bis 1938.

KEITEL: Es war mir schon klar, daß mit dem Antritt Hitlers als Reichskanzler zweifellos wir Soldaten vor einer anderen Steuerung unserer Verhältnisse im Reich standen, und daß der militärische Faktor sicherlich wieder eine andere Berücksichtigung finden würde, wie das vorher der Fall war, so daß wir es ehrlich und offen begrüßt haben, zu wissen, daß an der Führung der Reichsregierung ein Mann stand, der entschlossen war, auf diesen Gebieten eine Zeit heraufzuführen, die uns herausführte auf der anderen Seite aus unseren jämmerlichen Zuständen. Soweit muß ich bekennen, daß ich die Pläne und Absichten einer Wiederaufrüstung, soweit das damals schon möglich war, und die Gedankengänge, die in diese Richtung führten, begrüßt habe. Immerhin bin ich schon im Jahre 1933, im Spätsommer, aus der damaligen Tätigkeit im Kriegsministerium ausgeschieden, war zwei Jahre an der Front und bin erst zurückgekehrt zu einem Zeitpunkt, wo die Wehrhoheit zurückgewonnen war und die Aufrüstung schon offensichtlich betrieben wurde, so daß ich in dieser Zeit meiner Abwesenheit diesen Dingen nicht gefolgt bin. Jedenfalls in der Zeit von 1935 bis 1938, in der ich als Chef bei Blomberg war, habe ich natürlich alles das mitgesehen und miterlebt, was in Bezug auf die Aufrüstung geschah, und was seitens des Kriegsministeriums auf diesem Gebiete helfend den Wehrmachtsteilen geschehen ist.

DR. NELTE: War Ihnen bekannt, daß die Besetzung des Rheinlandes in der entmilitarisierten Zone, die Einführung der Wehrhoheit, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, Erschaffung der Luftwaffe, die Erhöhung der Wehrmachtkontingente gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages verstießen?

KEITEL: Der Wortlaut des Versailler Vertrages, solange er als für uns verbindlich und als existent angesehen war, hat das natürlich nicht zugelassen, und das Studium des Versailler Vertrages, kann ich wohl behaupten, ist mit äußerster Intensität bei uns erfolgt, um zu erkennen, wo sind Lücken, durch die wir durch die entsprechende Auslegung, ohne vertragsverletzend zu sein, Maßnahmen ergreifen oder betreiben konnten, die uns nicht vertragsbrüchig machten. Das war schon im Zusammenhang mit dem Reichsverteidigungsausschuß ein tägliches Brot. Ab 1935 lagen die Verhältnisse ja völlig anders, und bei meiner Rückkehr als Chef bei Blomberg, muß ich ehrlich bekennen, habe ich mir keine Gedanken mehr darüber gemacht, ob jetzt noch die Frage akut sei: Ist das ein Verstoß gegen den Versailler Vertrag? Denn das, was geschah, geschah öffentlich. Es waren 36 Divisionen angemeldet, die wir aufstellen wollten. Es fanden darüber ganz offen Erörterungen statt. Ich habe darin nichts mehr gesehen, was in irgendeiner Weise für uns ein Vertragsbruch sein müßte, für uns Soldaten. Es war uns allen klar, und das war auch unser Wille, alles zu tun, um von diesen territorialen und militärischen Fesseln des Versailler Vertrages wegzukommen. Ich muß ehrlich sagen, daß ein Soldat oder ein Offizier, der in diesen Dingen nicht ein solches inneres Gefühl und Streben gehabt hätte, für mich nichts wert gewesen wäre, das war wohl selbstverständlich, wenn man Soldat war.

DR. NELTE: Es ist in diesem Prozeß ein Befehl vorgelegt worden, C-194, der Ihre Unterschrift trägt. Es handelt sich da um Luftaufklärungs- und U-Bootsbewegungen zur Zeit der Rheinlandbesetzung. Es ist hieraus eine Beteiligung Ihrerseits an der Rheinlandbesetzung abgeleitet worden. In welcher Eigenschaft haben Sie diesen Befehl unterzeichnet?

KEITEL: Der Befehl trägt auch schon die spätere Einleitung: »Der Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Minister von Blomberg, hat nach Vortrag befohlen:...« Ich habe danach einen Auftrag, den mir der General von Blomberg erteilte, in dieser Form an den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und an den Oberbefehlshaber der Luftwaffe geleitet, und erinnere mich, daß es sich darum handelte, bestimmte Überwachungsmaßnahmen eintreten zu lassen, während der Tage, in denen die drei Bataillone in die entmilitarisierte Zone einmarschierten.

DR. NELTE: Haben Sie bis zu Ihrer Ernennung zum Chef OKW von Hitler selbst oder auf andere Weise Kenntnis davon erlangt, daß Pläne bestanden, die entgegen ausgesprochenen Friedensversicherungen Hitlers nur durch Gewaltanwendung, das heißt also durch Krieg zu verwirklichen waren?

KEITEL: Ich kann mich nicht erinnern, in dieser Zeitperiode bis zu den ersten praktischen Maßnahmen im Fall Österreich, irgendwie von einem Programm beziehungsweise von einer programmatischen Festlegung einer Planung auf Jahre oder auf weite Ziele etwas gewußt zu haben. Ich muß auch sagen, daß wir so beschäftigt waren mit der Umformung dieses kleinen Sieben-Divisionen-Heeres in eine erweiterte Truppe, verdoppelt, verdreifacht, abgesehen von der Schaffung im größten Umfang einer Luftwaffe, die ja gar nichts hatte, so daß man in diesen Jähren nur in unserem Arbeitszimmer gewesen sein muß, um zu wissen, daß wir mit diesen Problemen der reinen Organisation völlig ausgefüllt waren und nach der Methode, wie ich sie heute schon schilderte, wie Hitler arbeitete, war es auch ganz klar, daß man von diesen Dingen nichts sah.

DR. NELTE: Haben Sie dann bis zum 4. Februar 1938 mit Hitler in irgendeinem persönlichen Konnex gestanden?

KEITEL: In den Jahren von 1935 bis 1938, als Chef bei Blomberg, habe ich den Führer dreimal gesehen. Er hat mit mir nie ein Wort gesprochen, er kannte mich also nicht. Wenn er über mich etwas wußte, so konnte es nur durch Herrn von Blomberg geschehen sein. Irgendwelche Berührung, weder mit dem Führer selbst noch auf dem Wege sonstiger in der Partei oder Politik prominenter Männer, habe ich überhaupt nicht mit ihm gehabt, und das erste Gespräch mit mir war das in den letzten Januartagen, bevor ich in dieses Amt berufen wurde.

DR. NELTE: Haben Sie von der Zusammenkunft und Besprechung bei Hitler im November 1937 nichts gehört? Es handelt sich um die Besprechung, in der Hitler, wie man sagt, sein Testament bekanntgegeben hat?

KEITEL: Ich habe schon in der Voruntersuchung unter meinem Eid ausgesagt, daß ich dieses nicht erfahren habe, daß ich ein Dokument oder Protokoll oder eine Niederschrift über diese Besprechung hier zum erstenmal gesehen habe. Es ist das Hoßbach-Dokument, wenn ich das richtige meine, und ich kann mich in keiner Form an dieses erinnern, daß Blomberg nach dieser Besprechung mir irgendwelche Anweisung zu irgendwelchen vorbereitenden Maßnahmen gegeben hatte. Das ist nicht der Fall.

DR. NELTE: Hatten Sie Kenntnis von den Absichten Hitlers über territoriale Gebietsfragen, zum Teil?

KEITEL: Ja, das muß ich bejahen. Das war mir bekanntgeworden, und das wußte ich auch aus den öffentlichen politischen Erörterungen, daß eine Reihe von territorialen Problemen als das Ergebnis des Versailler Vertrages ein Ziel war, diese in irgendeiner Form allmählich oder über kurz oder lang zu beseitigen. Das stimmt.

DR. NELTE: Und was dachten Sie über die Verwirklichung dieser territorialen Fragen, ich meine über den Weg, sie zu lösen?

KEITEL: Ich habe die Dinge damals nur gesehen und gemessen an dem, was wir militärisch waren und militärisch konnten und kann nur sagen, wie ich 1935 die Truppe verließ, bestand noch keine von den 24 Divisionen, die aufgestellt werden sollten. Ich habe das alles betrachtet, nicht von dem Standpunkt politischer Zielsetzungen, sondern von der nüchternen Erwägung: Kann man hier militärisch durch Angriff und durch Kriegsführung etwas machen, wenn man keine militärischen Mittel bisher besitzt? Infolgedessen hat sich bei mir alles um die Programme der Aufrüstung in dieser Hinsicht gedreht und ihre Grenzen waren auf 1943, 1945, Marine 1945 festgesetzt. Wir hatten also zehn Jahre Zeit, um überhaupt zu einer konzentrierten Macht zu kommen. Infolgedessen habe ich alle die Probleme, auch dann, wenn sie politisch an mich herantraten, niemals für akut gehalten, weil ich es für unmöglich hielt, sie zu realisieren, anders wie auf dem Wege von Verhandlungen.

DR. NELTE: Wie erklären Sie die allgemeine Anweisung vom Juni 1937 für die Mobilmachungsvorbereitungen?

KEITEL: Dieses Dokument ist tatsächlich eine allgemein gehaltene Mobilmachungsanweisung und knüpfte an unsere traditionelle Generalstabserziehung der Vorkriegszeit und der Vorweltkriegszeit, der ersten Weltkriegszeit an, daß so etwas grundsätzlich vorbereitet sein müsse. Das hatte mit irgendwelchen politischen Planungen Hitlers meiner Ansicht nach nichts zu tun, denn in dieser Zeit war ich bereits Chef des Stabes bei Blomberg, und der Generaloberst Jodl war damals Chef der Abteilung Landesverteidigung, und es klingt vielleicht etwas anmaßend, wenn ich sage, wir waren sehr zufrieden, daß man endlich wieder anfing, der Wehrmacht für jedes Jahr zu sagen, womit sie sich geistig, theoretisch zu beschäftigen hatte; und in der alten Generalstabserziehung, die ich genossen habe vor dem ersten Weltkrieg, war es der Hauptzweck dieser Anweisungen, daß daraufhin die Generalstabsreisen, Studienreisen des großen Generalstabes, abgestellt wurden in theoretischer Durchdenkung aller Probleme. So war die alte Erziehung im Großen Generalstab. Ich weiß aber nicht mehr, ob hierzu Blomberg damals die springenden Gedanken möglichster Komplikationen oder möglichster kriegerischer Verwicklungen direkt gegeben hat, und ob er vielleicht von Hitler beeinflußt war.

Dieses hat sicher Hitler nie gesehen, das war eine interne Generalstabsarbeit der Wehrmacht.

DR. NELTE: Aber Sie finden darin den Hinweis auf einen Fall »Otto«, und Sie wissen ja, daß dies die Sache mit Österreich war?

KEITEL: Ich erinnere mich natürlich an den Fall »Otto«, der ja schon kennzeichnet, um wen es sich hier handelte, um Otto von Habsburg. Es waren wohl – und sind bestimmt gewesen – gewisse Nachrichten über eine angestrebte Restauration, und unter dieser Voraussetzung sollte tatsächlich eine, auch eventuell bewaffnete, Intervention erfolgen. Dagegen wollte sich der Führer Adolf Hitler zur Wehr setzen, daß in Österreich eine Restauration der Monarchie eintrete. Das ist dann später in Zusammenhang gekommen mit dem Fall des Anschlusses. Ich glaube, das kann ich hier weglassen und später vielleicht zur Erklärung geben. Es war jedenfalls so, daß man glaubte, auf Grund dieser Überlegungen des Heeres sei eine Art Vorbereitung da, die einen Fall »Otto« auslösen könnte, auf das Stichwort: »Fall Otto tritt in Kraft«.

DR. NELTE: Also, Sie wollen sagen, daß auf Grund dieser allgemeinen Weisung irgendwelche konkreten Befehle bezüglich des Falles »Otto« nicht gegeben wurden?

KEITEL: Sie meinen des Anschlusses, Anfang Februar?

DR. NELTE: Bitte?

KEITEL: Ich kann da nur das hier aussagen, was ich erlebt habe, als ich von Hitler zum Heer geschickt wurde und zu General Beck in das Arbeitszimmer kam und ihm sagte: »Der Führer verlangt, daß Sie sich sofort bei ihm melden und ihm über die Vorbereitungen berichten, die schon für einen eventuellen Einmarsch in Österreich bestehen«, und damals der General Beck mir gesagt hat: »Wir haben gar nichts vorbereitet, es ist nichts geschehen, nichts.«

DR. NELTE: Die Anklagebehörde behauptet nun, daß Sie an dem Plan des Vorgehens gegen Österreich beteiligt waren, wie er im März 1938 verwirklicht wurde? Ich habe hier die Weisung betreffend Unternehmen »Otto«, C-102.

Können Sie dann auch behaupten, daß die ganze Sache eigentlich improvisiert gewesen wäre?

KEITEL: Ich erinnere mich, daß dieser Befehl herausgegeben worden ist an den Oberbefehlshaber des Heeres und an die übrigen Befehlshaber, und zwar erst ausgegeben worden ist, als schon alles im Gange war. Es war nichts vorbereitet gewesen, sondern es war alles improvisiert, und dies sollte die aktenmäßige Registrierung der Tatsachen darstellen, die dann praktisch geworden sind. Die Befehle waren mündlich einzeln gegeben worden, wie es zum Ablauf kommen sollte, und wie es auch tatsächlich abgelaufen ist am 12. März in der Frühe mit dem Einmarsch nach Österreich.

DR. NELTE: Ich muß nun auf die Vorgeschichte des Falles Österreich zurückkommen. Es ist Ihnen bekannt, daß im Tagebuch Generaloberst Jodls die eingetragene Bemerkung steht, »Schuschnigg unterschreibt unter schärfstem politischem und militärischem Druck«. In welcher Weise haben Sie bei dieser Besprechung auf dem Obersalzberg, die mit Schuschnigg stattgefunden hat, mitgewirkt?

KEITEL: Darf ich meine vorherige Antwort noch ergänzen dadurch, daß hieraus hervorgeht, daß der Einmarsch am 12. März früh, die Ausgabe dieses Befehls am 11. März spät abends erfolgte, also dieses Dokument hatte einen praktischen Einfluß auf diese Dinge nicht haben können. Zwischen 10.00 Uhr abends und 6.00 Uhr früh kann man einen solchen Befehl nicht ausarbeiten.

Zur anderen Frage meiner Beteiligung auf dem Obersalzberg am 10. oder 11. Februar, dazu kann ich folgendes sagen:

Es war die erste dienstliche Handlung, die ich miterlebt habe. Am 4. Februar abends verließ Hitler Berlin. Er bestellte mich für den 10. Februar auf den Obersalzberg. Dort ereignete sich dann an jenem Tage der hier vielfach erörterte Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Schuschnigg. Kurz nach mir – ich hatte keine Ahnung, zu welchem Zweck ich bestellt war – erschien General von Reichenau aus München und General der Luftwaffe Sperrle, so daß wir drei Generale da waren, als etwa um 10.30 Uhr Herr Schuschnigg mit Herrn von Papen erschien. Zunächst, da ich noch nie eine Konferenz oder eine politische Aktion oder etwas Derartiges miterlebt hatte, wußte ich überhaupt nicht, was ich sollte. Ich muß das ehrlich sagen, sonst versteht man das nicht. Im Laufe des Tages wurde mir natürlich die Anwesenheit von drei Repräsentanten der Wehrmacht klar, die eine militärische, zumindest eine militärische Demonstration – so darf ich es ruhig nennen – in gewisser Beziehung darstellte. Es ist mir in der Voruntersuchung und auch nachher durch weitere Erörterungen die Frage gestellt worden, was das bedeutet hätte, daß am Nachmittag plötzlich durch das Haus der Ruf ergangen sei nach meinem Namen und ich zum Führer kommen sollte. Ich bin dann zu ihm ins Zimmer gegangen. Es klingt vielleicht komisch, wenn ich es sage, als ich das Zimmer betrat, glaubte ich, er würde mir eine Anweisung geben. Das Wort hieß »Gar nichts«. Er brauchte die Worte: »Bitte setzen Sie sich« und sagte dann: »Ja, der Bundeskanzler will mit seinem Außenminister Schmidt eine kurze Konferenz abhalten, ich habe sonst gar nichts.« Ich kann nur versichern, daß nicht ein Wort über irgendeine politische Aktion mir gesagt worden ist – außer der Tatsache, daß Herr Schuschnigg erst abends abreiste und noch mehrere Besprechungen stattgefunden haben.

Wir Generale saßen in dem Vorzimmer, und als ich am Abend, kurz vor meiner Abfahrt, die Anweisung bekam, Nachrichten zu lancieren, was hier durch ein Dokument bekannt ist, Nachrichten, daß wir gewisse Mobilmachungsmaßnahmen trafen, wurde mir natürlich nun vollkommen klar, daß dieser Tag dazu gedient hatte, unter der Vorführung militärischer Repräsentanten die Erörterungen zu einem Ziel zu führen und die Anweisung, solche Nachrichten auszustreuen, einen Druck, wie es sich hier bewiesen hat, aufrechtzuerhalten.

Es ist dann in Berlin bei meiner Rückkehr in meine Wohnung, in Anwesenheit von Goebbels und Canaris, erörtert worden, was man für Nachrichten lancieren sollte, die Canaris dann in München in den Äther gesendet hat. Es ist schließlich, um den Dingen den Schluß zu geben, nicht uninteressant, daß der damalige Nachrichtenchef im österreichischen Bundesministerium, der hier anwesend gewesene Lahousen uns, General Jodl und mir, später, als er bei uns in die Dienste der Wehrmacht trat, gesagt hat: »Auf diesen Bluff sind wir nicht hereingefallen«. Ich habe zweifellos dem Generaloberst Jodl den Anlaß zu der Notiz im Tagebuch gegeben, wenn sie auch natürlich etwas drastisch formuliert ist, weil mich natürlich dieses erste Erlebnis beeindruckt hat.

DR. NELTE: Wie beurteilen Sie die Maßnahmen gegen Österreich?

KEITEL: Über die weiteren Entwicklungen der Dinge braucht nichts gesagt zu werden. Das ist hier eingehend vorgetragen worden. Ich bin am Tage des Einmarsches der Truppen in Begleitung von Hitler an die Front geflogen, und wir sind die Landstraßen über Braunau, Linz mit einer Übernachtung nach Wien gefahren. Und nüchtern gesprochen ist es wahr, daß wir in jedem Ort auf das stürmischste begrüßt worden sind, und daß die österreichische Bundesarmee auf der gleichen Straße, im gleichen Schritt mit deutschen Soldaten marschiert ist, durch die wir durchgefahren sind. Es ist kein Schuß gefallen. Auf der anderen Seite ist die einzigste Formation, die eine gewisse militärische Bedeutung hatte, ein Panzerverband auf der Straße von Passau nach Wien gefahren und nur mit wenigen Fahrzeugen in Wien eingetroffen. Zur Parade am nächsten Tag war die Division zur Stelle. Das ist ein ganz nüchternes Bild von dem, was ich gesehen habe.

DR. NELTE: Wir kommen jetzt zur Frage der Tschechoslowakei. Wann sprach Hitler mit Ihnen zum erstenmal über die Frage der Tschechoslowakei und seine Absichten darüber?

KEITEL: Ich glaube, es war etwa sechs bis acht Wochen nach diesem Einmarsch in Österreich, dem Anschluß also gegen Ende April; dieser war Mitte März. Und auch das vollzog sich in der Form, daß ich plötzlich abends in die Reichskanzlei befohlen wurde, wo mir der Führer dann die Dinge auseinandersetzte, auf Grund deren die bekannte Weisung des Falles »Grün« dann entstanden ist, der hier in allen Vorstufen aus den Schmundt-Akten bekannt ist, und die ich alle in der Voruntersuchung identifiziert habe. Damals hat er mir die ersten Direktiven in verhältnismäßiger Eile gegeben. Rückfragen sind überhaupt nicht aufgekommen, weil er anschließend sofort Berlin verlassen wollte. Das waren die Grundlagen für die Fragen, unter welchen Voraussetzungen eine kriegerische Aktion gegen die Tschechoslowakei entstehen könnte oder würde.

DR. NELTE: Sie hatten den Eindruck, daß Hitler die Tschechoslowakei angreifen wollte?

KEITEL: Die Ausführungen, die er am Abend mir gegenüber machte, waren jedenfalls so, daß eine Vorbereitung der militärischen Aktion mit all den Vorarbeiten, die der Generalstab für solche Dinge leisten muß, in Angriff genommen werden sollte. So präzis drückte er sich aus, wenn er auch ausdrücklich erklärte, daß der Zeitpunkt vollkommen offen sei und sagte, daß er einstweilen nicht die Absicht habe. So mit diesen Worten: »... einstweilen nicht die Absicht habe.«

DR. NELTE: War hierbei ein Unterschied gemacht zwischen dem Sudetenland und der Tschechoslowakei im ganzen?

KEITEL: Ich glaube, das ist am Abend in dieser kurzen Besprechung gar nicht erörtert worden. Der Führer hat das auch nicht politisch mit mir besprochen, sondern hat nur die militärisch notwendigen Maßnahmen damals als Aufgabe zur Überlegung gestellt, und nicht die Frage, ob man sich hier begnügen wollte mit dem Sudetengebiet, oder ob man den Festungsgürtel der Tschechoslowakei durchstoßen wollte. Das ist auch damals nicht das Problem gewesen, sondern für alle die Fälle, wenn sie kriegerisch hätten ausgetragen werden müssen, müßte der Krieg vorbereitet werden; wenn man zu einer Auseinandersetzung mit der tschechischen Wehrmacht kam, also zu einem wirklichen Krieg, so müsse es vorbereitet werden.

DR. NELTE: Sie wissen ja, daß in dem Protokoll über die Besprechung Hitler/General Keitel am 21. April – das Protokoll liegt in zweifacher verschiedener Fassung vor – die Rede davon ist, daß blitzartiges Handeln auf Grund eines Zwischenfalls erforderlich sei. Einmal ist hinter dem Wort Zwischenfall gesagt: »zum Beispiel Ermordung des Deutschen Gesandten« im Anschluß an eine deutschfeindliche Demonstration. Das andere Mal steht bloß dahinter: »Beispiel: Handlung auf Grund eines Zwischenfalls.« Wollen Sie bitte erklären, worauf diese Notiz, die ja kein Protokoll im richtigen Sinne des Wortes ist, zurückzuführen ist?

KEITEL: Ich habe diese Niederschriften Schmundts hier zum erstenmal gesehen. Uns ist es als Arbeitsunterlage damals nicht zugestellt worden, und es ist kein Protokoll, sondern es ist eine nachträgliche Niederschrift eines Adjutanten. Ich will die Richtigkeit oder die Genauigkeit gar nicht bezweifeln, weil das Gedächtnis das auch ja gar nicht möglich machen würde, heute noch zu wissen, was an einzelnen Worten gefallen ist; aber diese Frage, die hier als bedeutend angesehen wird, Ermordung des Deutschen Gesandten in Prag, eine derartige Situation ist mir niemals ins Bewußtsein gekommen und schon allein auch deswegen nicht, weil das niemals gesagt worden ist; sondern es wurde gesagt: »Es kann ja auch passieren, daß der Gesandte ermordet wird.« Darauf sagte ich: »Welcher Gesandte?« (So ähnlich.) Darauf sagte – wie ich mich erinnere – Hitler: »Der Krieg 1914 ist doch auch durch einen Mord in Serajewo entstanden. Solche Zwischenfälle können doch passieren.« Irgendwie einen Eindruck, man wolle hier den Krieg etwa durch eine Provokation herbeiführen, habe ich in dieser Situation nicht bekommen.

DR. NELTE: Sie müssen mir noch etwas über diesen Punkt sagen.

VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen.