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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird heute um 16.45 Uhr die Sitzung vertagen. Er wird dann in diesem Saal zu einer nichtöffentlichen Sitzung zusammentreten und wünscht die Anwesenheit sowohl der Anklagebehörde als auch der Verteidigung, um mit den Vertretern beider Seiten die Frage zu erörtern, wie am besten die Übersetzung unnötiger Dokumente vermieden werden könnte.

Wie Sie wissen, wurde eine große Anzahl von Dokumenten eingereicht, und diese stellen eine große Last für die Übersetzungsabteilungen dar. Dies ist die Frage, die der Gerichtshof in der nichtöffentlichen Sitzung mit den Vertretern der Anklagebehörde und der Verteidigung zu besprechen wünscht. Er wird daher, wie ich sage, in nichtöffentlicher Sitzung hier in diesem Saal tagen, da hier Platz für alle Verteidiger vorhanden ist, und zwar um 5.00 Uhr nachmittags.

DR. NELTE: Erinnern Sie sich an die Anfrage des Oberbefehlshabers West im Juni 1944 wegen der Behandlung von Sabotagetrupps im Hinterland der Invasionsfront? Es war eine neue Lage geschaffen worden durch die Invasion und damit auch durch die Frage der Kommandotrupps.

KEITEL: Ja, ich erinnere mich, denn auch diese Dokumente sind mir hier vorgelegt worden, und zwar sind es mehrere Dokumente gewesen. Es ist richtig, daß der Oberbefehlshaber West nach der Landung der anglo-amerikanischen Kräfte in Nordfrankreich eine neue Lage sah, in Bezug auf diesen Führerbefehl vom 18. Oktober 1942, der sich gegen diese Fallschirmtrupps richtet.

Die Anfrage wurde wie üblich vorgetragen, und der General Jodl und ich vertraten die Auffassung des Oberbefehlshabers West, das heißt, daß dieser Befehl darauf nicht anwendbar sei. Hitler lehnte diesen Standpunkt ab, gab gewisse Direktiven für die Beantwortung, die dann nach den Dokumenten mindestens zwei Auflagen gehabt hatten, eine war gestrichen worden als unbrauchbar, und das Dokument 551-PS ist die endgültige Fassung, wie sie der Führer beim Vortrag gebilligt hat.

Ich erinnere mich deswegen so genau daran, weil bei der Vorlage dieser Antwort anläßlich der betreffenden Lagebesprechung dieser handschriftliche Zusatz von General Jodl hinzugeschrieben wurde, hinsichtlich der Verwendung auch im italienischen Raum. Mit diesem Zusatz ist dann dieser von Hitler persönlich gebilligte und von ihm geforderte Befehl an den Oberbefehlshaber West abgegangen.

DR. NELTE: Wurde hierbei auch die Frage erörtert, wie die aktive Unterstützung solcher Sabotageakte durch die Bevölkerung völkerrechtlich zu beurteilen sei?

KEITEL: Jawohl, diese Frage ist mehrfach im Zusammenhang mit dem Befehl vom 18. Oktober 1942 und dem bekannten, vorher erörterten Merkblatt mehrfach erörtert worden, und ich bin der Auffassung, daß jede Unterstützung derartiger Sabotagehandlungen von Agenten und sonstigen Organen des Gegners ein Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung ist. Wenn die Bevölkerung sich an solchen Unternehmungen beteiligt, sie fördert, sie unterstützt und schließlich auch die Täter deckt, versteckt und ihnen behilflich ist in jeder Form – das wird durch die Haager Landkriegsordnung meiner Ansicht nach klar ausgedrückt, daß die Bevölkerung gehalten ist, solche Handlungen nicht zu begehen.

DR. NELTE: Die Französische Anklagebehörde hat dann noch ein Schreiben vom 30. Juli 1944, Dokument 537-PS vorgelegt. Dieses Dokument befaßt sich mit der Behandlung der bei Banden gefangenen Angehörigen ausländischer Militärmissionen. Kennen Sie diese Verordnung?

KEITEL: Jawohl. Zu diesem Dokument 537-PS bin ich auch in der Voruntersuchung hier verhört worden und habe dazu die Erklärung gegeben – ich kann sie hier wiederholen: Es war gemeldet worden, daß sich bei den Bandenstäben, insbesondere auch bei den Führern der serbisch-jugoslawischen Banden, militärische Missionen befänden, die nach unserer Meinung gewiß Agenten und Agententrupps waren, um mit den uns gegenüber kriegführenden Staaten die Verbindung herzustellen. Es war mir gemeldet worden und ich bin gefragt worden, was zu geschehen hätte, wenn man eine solche Mission – wie sie genannt wurde – gefangennehmen würde, und auf den Vortrag hin beim Führer entschied dieser, daß der Vorschlag der betreffenden Militärstelle, sie als Kriegsgefangene anzusehen, von ihm abgelehnt werde, sie seien nach dem Erlaß vom 18. Oktober 1942 also als Saboteure anzusehen und nach diesem zu behandeln. Dieses Dokument ist dann die Weitergabe dieses Befehls, unter dem mein Name steht.

DR. NELTE: Nun zu dem Fragenbereich Terrorflieger und Lynchjustiz, der schon bei der Vernehmung des Reichsmarschalls Göring behandelt worden ist. Ich kann mich auf einige wenige Fragen beschränken, die Sie persönlich in diesem Komplex betreffen. Wissen Sie, um was es sich dabei handelt, betreffend Terrorflieger und ihre Behandlung? Wie war Ihre Einstellung zu dieser Frage?

KEITEL: Die Tatsache, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an im Sommer 1944 sich die Bordwaffenangriffe gegen die Bevölkerung, wie es hier schon erwähnt worden ist, erheblich vermehrten – an einzelnen Tagen wurden bis zu dreißig bis vierzig gemeldet, die auf diesem Wege ums Leben gekommen waren –, forderte Hitler kategorisch eine entsprechende Regelung für diese Frage. Wir Soldaten waren der Ansicht, daß die bestehenden Vorschriften ausreichen und daß neue Bestimmungen nicht notwendig seien. Es wurde aber in diesem Fragenkomplex die Frage der Lynchjustiz aufgeworfen und die Frage: Was ist ein Terrorflieger? Aus diesen beiden Fragenkomplexen ergaben sich die hier mir alle bekannten, diese erhebliche Anzahl von Dokumenten, die die Erörterung dieser Dinge beinhalteten.

DR NELTE: Ich glaube, Sie brauchen die Einzelheiten, die schon erörtert worden sind, nicht wiederholen. Es kommt mir in diesem Zusammenhang mit der Frage bezüglich Ihrer Verantwortlichkeit auf die Worte an, die Sie in diesem Dokument geschrieben haben, wollen Sie diese bitte erklären?

KEITEL: Ich wollte nur noch vorausschicken, daß ich vorgeschlagen hatte, nach dem Vorbild der Warnung im Falle der Fesselung der deutschen Kriegsgefangenen bei dem Unternehmen Dieppe, auch hier offiziell durch eine entsprechende Note eine Warnung zu erteilen, daß wir mit Repressalien vorgingen, wenn die gegnerischen Befehlsstellen das nicht von sich aus abstellten. Es wurde das abgelehnt, es sei kein geeigneter Vorschlag. Und nun zu den Dokumenten, die dadurch für mich eine Bedeutung haben.

DR. NELTE: 735-PS.

KEITEL: Einige handschriftliche Notizen befinden sich dort von Jodl und von mir. Das ist eine Vortragsnotiz am Rande, die ich geschrieben habe, die lautet: »Kriegsgerichte, das klappt nicht«. Jedenfalls war das der Inhalt. Das habe ich damals aufgeschrieben, weil ja die Frage der Behandlung durch kriegsgerichtliche Aburteilung zur Diskussion stand, aus dem Grunde, weil gerade dieses Dokument zum erstenmal präzisierte, was ein Terrorflieger ist, und weil dort festgelegt wurde, daß ein Terrorangriff immer ein solcher ist, der als Tiefangriff erfolgt mit Maschinengewehr und Bordwaffe. Und weil meine Überlegung dahin führte, daß man Besatzungen, die im Tiefangriff angreifen, jedenfalls in der Regel und unter 99 Prozent nicht lebend bekommt, wenn sie abstürzen; weil es einen rettenden Absprung aus einem Tiefangriff nicht gibt. Infolgedessen schrieb ich das daneben, auch dachte ich daran, daß abgesehen davon, daß man gegen einen solchen Flieger kein Verfahren da machen könne, zweitens kein Verfahren zum Erfolge führen könnte oder zur Klärung, wenn der Angriff aus wesentlicher Höhe erfolge, weil es nach meiner Auffassung kein Gericht nachweisen konnte, daß dieser Mann die Absicht gehabt hatte, Objekte und Ziele anzugreifen, die eventuell getroffen wurden; und schließlich war noch ein Gedanke, das war der, daß ja nach den Bestimmungen kriegsgerichtliche Aburteilungen von Kriegsgefangenen über die Schutzmacht dem feindlichen Staat anzuzeigen wären, und daß eine Frist von drei Monaten einzuhalten war, innerhalb deren der Heimatstaat gegen das Urteil Einspruch erheben konnte. Es war also ausgeschlossen, auf diesem Wege in kurzer Zeit die verlangte abschreckende Wirkung zu erreichen. Das bedeutete das sachlich. Ich habe aber noch eine Bemerkung draufgeschrieben und die bezog sich auf die Lynchjustiz, sie lautete:

»Wenn man schon die Lynchjustiz freigeben will, so kann man schwer Regeln dafür aufstellen.«

Ich kann eigentlich nicht viel dazu sagen, weil es meine Überzeugung ist, daß es keine Möglichkeit gibt, zu sagen, unter welchen Umständen dann eine solche Methode durch Volksjustiz dann reglementiert oder als berechtigt erklärt werden soll, und ich bin auch heute noch der Auffassung, daß es dafür Regeln nicht geben kann, wenn man ein solches Verfahren zuläßt.

DR. NELTE: Wie war aber Ihre Einstellung zu der Frage der Lynchjustiz?

KEITEL: Ich war der Auffassung, daß das eine für uns Soldaten völlig unmögliche Methode ist. Es ist ja auch vom Herrn Reichsmarschall ein Fall gemeldet worden, in dem jedes Einschreiten gegen einen Soldaten, der dieses zu verhindern gewußt hat, unterblieben ist. Ich kenne keinen Fall, wo Soldaten in Bezug auf ihre soldatische Pflicht, einem feindlichen Kriegsgefangenen gegenüber sich so zu verhalten, wie das die allgemeinen Bestimmungen vorschrieben, wo das überschritten worden wäre. Das ist mir nicht bekannt.

Ich darf noch bemerken – das ist bisher nicht zur Sprache gekommen –, daß ich mit dem Reichsmarschall Göring auf dem Berghof eine Aussprache über diese ganze Frage hatte, der damals ganz eindeutig mit mir übereinstimmte: Lynchjustiz müßten wir Soldaten auf das schärfste ablehnen; dagegen bat ich ihn, in dieser unangenehmen Lage, in der wir uns befanden, Hitler nochmals von sich aus persönlich von diesem Gedanken abzubringen, uns auferlegen zu wollen, in diesen Dingen einen Befehl zu geben oder einen Befehl vorzulegen. Das war die Lage.

DR. NELTE: Wir kommen zum Kriegsgefangenenwesen.

KEITEL: Darf ich noch dabei abschließend bemerken, daß ein Befehl vom Oberkommando der Wehrmacht niemals vorgelegt worden ist und auch niemals herausgegeben worden ist.

DR. NELTE: Es gibt wohl kein Gebiet des Kriegsrechtes, an dem alle Völker und Menschen so leidenschaftlich interessiert sind, als das Kriegsgefangenenwesen. Deshalb ist auch hier von der Anklage mit besonderem Nachdruck auf diejenigen Fälle hingewiesen worden, die Verletzungen des Kriegsgefangenenrechtes, sei es nach der Genfer Konvention oder sei es nach allgemeinem Völkerrecht, gewesen sein sollen.

Da das OKW und Sie als Chef des OKW für dieses Kriegsgefangenenwesen in Deutschland verantwortlich zeichneten, möchte ich folgende Fragen an Sie richten: Was hatte man im Deutschen Reich getan, um alle Abteilungen und Dienststellen der Wehrmacht mit internationalen Abmachungen vertraut zu machen, die das Kriegsgefangenenwesen betreffen?

KEITEL: Es gab darüber eine besondere Dienstvorschrift, ich glaube, sie liegt auch vor, in der alle die Bestimmungen wie auch die Durchführungsbestimmungen enthalten waren, die aus den bestehenden internationalen Abmachungen abgeleitet wurden. Es ist die Vorschrift, ich glaube Nummer 38, die sowohl für das Heer wie für die Kriegsmarine und für die Luftwaffe als Dienstvorschrift bestand. Das war die Grundlage, der grundlegende Befehl.

DR. NELTE: Wie wurde das praktisch in die Tat umgesetzt? Wurden die Leute, die sich mit dieser Frage in der Praxis zu beschäftigen hatten, unterrichtet oder genügten die Hinweise auf die Heeresvorschriften?

KEITEL: Jede Dienststelle einschließlich der untersten Einheit hatte die Vorschrift in Händen und jeder Soldat war in gewissem Rahmen darüber belehrt. Sonst waren bei Beginn des Krieges keine weiteren Erläuterungen und Vorschriften erlassen.

DR. NELTE: Ich denke an die Wiener Kurse, die für diese Ausbildung eingerichtet waren. Ist Ihnen bekannt, daß diese in Wien stattgefunden haben?

KEITEL: Es ist mir bekannt, daß über diese Dinge entsprechende Ausbildungskurse auch derjenigen Persönlichkeiten, die mit dem Kriegsgefangenenwesen praktisch zu tun hatten, in Form von Belehrungskursen – daß diese abgehalten worden sind.

DR. NELTE: Ist es ferner richtig, daß jeder Soldat ein Merkblatt in seinem Soldbuch hatte?

KEITEL: Jawohl, das ist schon bestätigt worden, neulich von General Milch, der es ja bei sich führte.

DR. NELTE: Wann wurden in unserem Fall die ersten Anordnungen für die Kriegsgefangenen getroffen?

KEITEL: Meines Wissens die ersten Anordnungen nach Beginn des Feldzugs gegen Polen im Osten, weil jede, ich möchte sagen, vorbereitende Maßnahme zur Bereitschaft für die Aufnahme von Kriegsgefangenen von Hitler abgelehnt war. Er hatte es verboten. Dann mußten die Dinge allerdings sehr kurzfristig improvisiert werden.

DR. NELTE: Was wurde angeordnet?

KEITEL: Es wurde angeordnet, daß die drei Wehrmachtsteile, das Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe – und diese letzte hatte ja nur in beschränktem Umfang damit zu rechnen – aber insbesondere das Heer, entsprechende Lagervorbereitungen, Bewachung bereitstellte und alles, was zu der Bereitstellung dieser Dinge notwendig ist und zu ihrer Organisation.

DR. NELTE: Sagen Sie uns, welche Funktionen im Bereich des OKW bezüglich der Behandlung und Betreuung der Kriegsgefangenen lagen?

KEITEL: Die grundsätzliche Instruktion war Behandlung nach der Vorschrift KGV 38, die sich auf die internationalen Abmachungen stützte und meines Erachtens erschöpfend alles enthielt, was die Betreffenden wissen mußten. Sonst sind zusätzlich keine Anordnungen damals gegeben, sondern es ist hiernach verfahren worden.

DR. NELTE: Ich wollte zunächst wissen, wofür das OKW überhaupt zuständig war in Bezug auf die Behandlung der Kriegsgefangenen.

KEITEL: Das OKW war die, ich möchte sagen, ministeriell leitende Stelle, die also alle grundlegenden Verordnungen und Richtlinien in diesen Dingen zu erlassen und vorzubereiten hatte, und ein Recht besaß, sich von der Beachtung dieser Vorschriften durch Inspizierungen, Stichproben zu überzeugen, also eine verordnungherausgebende, leitende Stelle und eine Berechtigung der Inspizierung ohne Kommandogewalt über die Lager selbst.

DR. NELTE: Kommt nicht noch hinzu der Verkehr mit dem Auswärtigen Amt?

KEITEL: Selbstverständlich, ich habe das vergessen. Eine der wesentlichen Aufgaben für die Gesamtwehrmacht, also auch für die Kriegsmarine und Luftwaffe, war der Verkehr über das Auswärtige Amt mit den Schutzmächten, der Verkehr mit dem Internationalen Roten Kreuz und allen den Stellen, die sich der Kriegsgefangenenfürsorge annahmen. Ich habe das vergessen.

DR. NELTE: Das OKW war also gesetzgebende Stelle, wenn ich das allgemein sagen soll, und Kontrollstelle.

KEITEL: Das ist richtig.

DR. NELTE: Was war nun bei den Wehrmachtsteilen?

KEITEL: Kriegsmarine und Luftwaffe haben in dem beschränkten Rahmen des Anteils von Kriegsgefangenen ihrer Waffengattung Lager gehabt unter ihrer Kommandogewalt, ebenso wie das Heer. Nur bei dem großen Umfang im Rahmen des Heeres waren die stellvertretenden kommandierenden Generale der Heimat, also die Wehrkreisbefehlshaber, diejenigen Kommandobehörden, denen die Lager in ihrem Bereiche unterstanden.

DR. NELTE: Wenn wir nun einmal die Kriegsgefangenenlager ansehen, wer stand an der Spitze eines solchen Lagers?

KEITEL: Beim Wehrkreiskommando befand sich ein Kommandeur oder General des Kriegsgefangenenwesens im Wehrkreis, und das Lager wurde von einem Lagerkommandanten geführt mit einem kleinen Offiziersstab, darunter auch der Abwehroffizier und ähnliche Persönlichkeiten, die dafür notwendig waren.

DR. NELTE: Wer war der Vorgesetzte des Generals der Kriegsgefangenen beim Wehrkreis?

KEITEL: Der Wehrkreisbefehlshaber war der Vorgesetzte des Kommandeurs der Kriegsgefangenen im Wehrkreis.

DR. NELTE: Und wer war der Vorgesetzte des Wehrkreiskommandeurs?

KEITEL: Die Wehrkreiskommandeure unterstanden dem Befehlshaber des Heimat- und Ersatzheeres und dieser wieder dem Oberbefehlshaber des Heeres.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.