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[Das Gericht vertagt sich bis

5. April 1946, 10.00 Uhr]

Einhundertster Tag.

Freitag, 5. April 1946.

Vormittagssitzung.

DR. NELTE: Ich habe Sie gestern zuletzt nach den Befehlsverhältnissen im Kriegsgefangenenwesen befragt. Dieser Befehlsweg ging nach Ihrer Antwort von dem Lagerkommandanten über den Wehrkreiskommandeur, über den Befehlshaber des Ersatzheeres zum Oberkommando des Heeres. Ich möchte nun von Ihnen wissen, wie die Verantwortlichkeit war, wenn in einem Kriegsgefangenenlager etwas passierte, was gegen die Genfer Konvention verstieß oder gegen allgemein anerkannte Regeln des Völkerrechtes. Waren Sie hierfür zuständig; ist das OKW verantwortlich gewesen?

KEITEL: Das OKW war dann verantwortlich, wenn es sich um Vorkommnisse handelte, die gegen allgemeine Anordnungen, also die grundlegenden Anordnungen, verstießen, die vom OKW erlassen waren. Oder wenn es mit der Nichtausübung des Inspizierungsrechtes im Zusammenhang stand. Unter dieser Voraussetzung halte ich das OKW für verantwortlich.

DR. NELTE: Wie übte das OKW die Inspektion, das Kontrollrecht über die Lager aus?

KEITEL: Zunächst und in der ersten Zeit des Krieges durch einen Inspekteur des Kriegsgefangenenwesens, der aber gleichzeitig der Amts- oder Abteilungschef der Abteilung Kriegsgefangenenwesen im allgemeinen Wehrmachtsamt war, also in gewisser Beziehung eine Doppelfunktion ausübte. Und in späterer Zeit, es war wohl von 1942 ab, durch Einsetzung eines Generalinspekteurs, der mit dem ganzen Schriftverkehr und den amtlichen Aufgaben ministerieller Art nichts zu tun hatte.

DR. NELTE: Wie war es nun mit der Kontrolle der Schutzmächte und des Internationalen Roten Kreuzes?

KEITEL: Wenn eine Schutzmacht durch eine Delegation Lager zu besichtigen wünschte, regelte dies das Amt beziehungsweise der Inspekteur für Kriegsgefangenenwesen, und er begleitete auch diese Delegation. Es mag vielleicht zu bemerken sein, daß für die Franzosen der Botschafter Scapini diese Tätigkeit persönlich ausübte und eine Schutzmacht in dieser Form nicht bestand.

DR. NELTE: Konnten die Vertreter der Schutzmächte und des Roten Kreuzes die Kriegsgefangenen frei sprechen oder nur in Gegenwart von Offizieren der Deutschen Wehrmacht?

KEITEL: Ich weiß nicht, ob grundsätzlich und in allen Lagern stets so verfahren wurde, wie es grundsätzlich angeordnet war, nämlich einen direkten Gedankenaustausch zwischen Kriegsgefangenen und Besuchern ihres Landes zu ermöglichen. In der Regel ist es so gewesen, daß dies ermöglicht und gestattet wurde.

DR. NELTE: Haben Sie sich als Chef des OKW mit den allgemeinen Anordnungen für das Kriegsgefangenenwesen selbst befaßt?

KEITEL: Ja, mit den allgemeinen Anordnungen habe ich mich schon befaßt. Im übrigen war ich durch meine Bindung an den Führer und das Hauptquartier natürlich nicht in einer ständigen direkten Berührung mit meinen Dienststellen. Dafür waren die Amtsstellen für Kriegsgefangenenwesen, der Inspekteur, da, und letzten Endes der Amtschef des allgemeinen Wehrmachtsamtes, der ja überdies mir gegenüber die verantwortliche Stelle war. In diesen drei Stellen fand die laufende und praktische Bearbeitung statt, und ich bin eingeschaltet worden, wenn Entscheidung notwendig wurde, und wenn der Führer, wie es sehr häufig vorkam, selbst in diese Fragen eingriff und Anordnungen gab.

DR. NELTE: Es scheint nach den Dokumenten, die hier vorgelegt worden sind, eine unterschiedliche Behandlung der sowjetrussischen Kriegsgefangenen und der anderen Kriegsgefangenen stattgefunden zu haben. Was können Sie hierzu sagen?

KEITEL: Es ist richtig, daß in dieser Beziehung eine unterschiedliche Behandlung stattgefunden hat. Sie beruhte auf der Auffassung, die der Führer mehrfach hierbei in den Vordergrund stellte, daß die Sowjetunion die Genfer Konvention ihrerseits nicht ratifiziert hätte, und sie beruhte zum andern auch darauf, daß ja hier der Komplex »weltanschauliche Auffassung über die Kriegführung« eine Rolle gespielt hat. Der Führer betonte, daß wir auf diesem Gebiet freie Hand hätten.

DR. NELTE: Ich lasse Ihnen jetzt ein Dokument, EC- 338, USSR-356 vorlegen. Es ist datiert vom 15. September 1941.

Teil 1 ist eine Vortragsnotiz des Amtes AuslandAbwehr im OKW, Teil 2 ist eine Anordnung des OKW, vom 8. September 1941, über die Behandlung sowjetrussischer Kriegsgefangener, Teil 3 ist ein Merkblatt für die Bewachung sowjetrussischer Kriegsgefangener, und als letztes Dokument ist beigefügt eine Abschrift des Erlasses des Rates der Volkskommissare über Kriegsgefangenenwesen vom 1. Juli 1941.