HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Wir kommen jetzt zu dem Fall Sagan. Die Anklagebehörde hat Ihnen ursprünglich zur Last gelegt, daß Sie den Befehl der Tötung von fünfzig Royal Air Force-Offizieren gegeben haben sollten, die aus dem Stalag Luft III in Sagan geflüchtet waren.

Es ist mir nicht mehr klar, ob auch heute noch die Anklagebehörde diesen schweren Vorwurf aufrechterhalten will, nachdem der Reichsmarschall Göring und der Zeuge Westhoff außerhalb des Gerichts vernommen worden sind. Ich habe das Vernehmungsprotokoll Westhoff von der Anklagebehörde erhalten und es Ihnen auch vorgelegt, und ich möchte Sie nur bitten, mir in Ergänzung dessen, was der Zeuge Westhoff zunächst im Vorverfahren und demnächst hier sagen wird, das au bekunden, was Sie selbst über diesen außerordentlich schwerwiegenden Vorfall wissen. Bitte.

KEITEL: Der Vorgang war der, daß ich eines Morgens die Meldung bekam über die Flucht; zugleich auch die Mitteilung, daß etwa fünfzehn von den flüchtigen Offizieren in der Umgebung des Lagers wieder ergriffen seien. Beim Mittags-Lagevortrag in Berchtesgaden oder vielmehr auf dem Berghof hatte ich die Absicht, diesen an sich sehr unangenehmen, weil in kürzester Zeit dritten Vorfall einer solchen Massenflucht nicht zu melden in der Hoffnung, daß im Laufe des Tages – es waren erst zehn, zwölf Stunden her – der größte Teil wieder eingefangen sein würde, und damit die Angelegenheit vielleicht eine glückliche Lösung finden könnte.

Im Laufe des Lagevortrags erschien Himmler; es war wohl gegen Ende des Lagevortrags, als er in meiner Gegenwart diesen Sachverhalt meldete, da er wie üblich die Großfahndung bereits eingesetzt hatte zur Suche nach den Flüchtigen. Es kam dann zu einer ungeheuer erregten Erörterung, zu schwerem Zusammenstoß zwischen Hitler und mir, da er mir sofort die unerhörtesten Vorwürfe machte wegen dieses Vorfalls.

In dem Bericht von Westhoff sind die Dinge zum Teil nicht korrekt wiedergegeben. Deswegen führe ich dieses noch näher aus. Bei diesem Zusammenstoß erklärte der Führer in größter Erregung: »Diese Kriegsgefangenen werden nicht an die Wehrmacht zurückgegeben; sie bleiben bei der Polizei!« Ich erhob schärfsten Einspruch, da es ein unmögliches Verfahren sei. Die erregte Situation führte dazu, daß Hitler erneut und betont erklärt: »Ich befehle, die bleiben bei Ihnen, Himmler. Die geben Sie nicht heraus!« Ich kämpfte nunmehr um die Zurückgekehrten, die nach dem ersten Befehl aus dem Lager wieder heraus der Polizei übergeben werden sollten. Dies setzte ich durch. Mehr habe ich nicht durchgesetzt. Nach diesem außerordentlich ernsten Auftritt verließ...

DR. NELTE: Sagen Sie mir doch, wer war bei diesem Auftritt zugegen?

KEITEL: Zugegen war nach meiner Erinnerung bestimmt, wenigstens teilweise, der Generaloberst Jodl, der einen Teil dieser Dinge mit angehört hat, wenn auch nicht jedes Wort, da er zunächst im Nebenraum war. Jedenfalls begaben sich Jodl und ich gemeinsam zurück ins Quartier, und wir haben den Fall noch besprochen, die äußerst unangenehmen Konsequenzen, die dieser ganze Vorfall hatte, und ich habe dann nach Rückkehr in das Quartier sofort den General von Graevenitz zu mir bestellt, der sich am nächsten Morgen bei mir melden sollte wegen dieser Vorfälle.

Ich muß hier klarstellen, daß der Reichsmarschall Göring nicht anwesend war, und wenn ich in meinem Verhör hier etwas unsicher war in dieser Behauptung, so deswegen, weil mir gesagt wurde, es sei durch Zeugen bestätigt, daß Göring anwesend gewesen sei. Ich habe das im vorhinein als nicht wahrscheinlich und zweifelhaft gehalten. Es ist infolgedessen auch nicht zutreffend, daß ich von Göring irgendwelche Vorwürfe damals bekommen hätte. Es hat auch keine Besprechung in Berlin stattgefunden. Es sind Irrtümer, die, ich glaube, damit zu erklären sind, daß bei der Meldung Graevenitz, den der General Westhoff mitgebracht hatte, und der mich damals zum erstenmal sah, eine Szene erlebt hat, wie sie nicht leicht im militärischen Leben in der Härte vorkommt – wie ich da gesprochen habe wegen dieses Vorfalls!

Soll ich über die Graevenitz-Besprechung noch etwas sagen?

DR. NELTE: Mich interessiert hierbei nur, ob Sie den Befehl, der von Hitler gegeben wurde, in der Weise gegenüber Graevenitz zum Ausdruck gebracht haben, daß dieser und Westhoff, der dabei war, der Meinung sein konnten, Sie hätten einen Befehl zum Erschießen der flüchtigen Offiziere gegeben.

KEITEL: Nach dem Protokoll Westhoff, das ich gesehen habe, kann ich das wie folgt, glaube ich, aufklären: Ich habe zunächst die schwersten Vorwürfe erhoben, ich war persönlich ungeheuer erregt, denn ich muß sagen, daß selbst der Befehl, daß diese Kriegsgefangenen in Gewahrsam der Polizei verblieben, mich bezüglich ihres Schicksals mit Sorge erfüllte. Ich muß es aufrichtig sagen, denn diese Möglichkeit von Erschießungen auf der Flucht war natürlich in meinem Unterbewußtsein gegeben. Ich habe damals sicherlich in äußerster Erregung gesprochen und bestimmt nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und habe sicher auch die Worte Hitlers wiederholt: »Hier wird ein Exempel statuiert«, weil ich fürchtete, es kämen auch noch schwere Eingriffe in das Kriegsgefangenenwesen, auch sonst noch in anderer Form als dieser Einzelfall der Nichtrückgabe an die Wehrmacht, und nachdem ich das Protokoll gelesen habe, die Behauptung von Graevenitz oder vielmehr von Westhoff, ich hätte gesagt: »Die werden erschossen, die meisten sind wohl schon tot«. Ähnliche Worte werde ich auch gesprochen haben wie: »Sie werden sehen, was das für ein Unglück bedeutet; womöglich sind schon soundso viele erschossen.«

Von der Tatsache, daß schon Erschießungen erfolgt waren, wußte ich nichts, und ich muß hier bekennen, daß in meiner Gegenwart Hitler von irgendeinem Erschießen kein Wort gesagt hat. Er hat nur gesagt zu Himmler: »Die behalten Sie, die geben Sie nicht wieder raus!« Die Tatsache, daß Erschießungen stattgefunden haben, habe ich erst mehrere Tage später erfahren. Ich habe aus den übrigen Akten darüber auch den Regierungsbericht der Britischen Regierung gesehen, da ja überhaupt erst am 31. – die Flucht war am 25. – am 31. die ersten Erschießungen stattgefunden haben.

Insofern ist auch Westhoff in einem Irrtum, wenn er glaubt, damals sei schon ein Befehl ergangen, in dem Lager bekanntzumachen, Namenslisten aufzuhängen, daß die und die Leute dabei erschossen worden seien oder nicht zurückkehrten. Dieser Befehl ist erst, später gekommen; daran erinnere ich mich, und zwar an folgenden Vorgang:

An einem der nächsten Tage, um den 31. herum wird es gewesen sein, sagte mir einer der Adjutanten vor der Lagebesprechung, es sei eine Meldung da, daß Erschießungen stattgefunden hätten. Ich bat um eine Aussprache unter vier Augen mit Hitler und sagte ihm, ich hätte die Meldung erfahren, es seien Erschießungen vorgekommen durch die Polizei, und er sagte nur darauf: das habe er auch bekommen; es sei ja seine Meldung. Ich äußerte mich in höchster Entrüstung darüber. Damals sagte er, es sei im Lager bekanntzugeben, zur Abschreckung. Erst daraufhin ist diese Bekanntmachung im Lager dann angeordnet worden. Jedenfalls sind die zum Teil von Westhoff bekundeten beeidigten Erinnerungen in seiner Vorstellung nicht zutreffend, wenn auch Ausdrücke, wie sie von ihm wiedergegeben und von mir hier erklärt worden sind, gefallen sein werden. Darüber werden wir ihn noch selber hören.

DR. NELTE: Hat Ihnen Hitler zu irgendeiner Zeit gesagt, daß er die Erschießung angeordnet hatte?

KEITEL: Nein, das hat er nie gesagt, das habe ich nie von ihm erfahren, sondern ich habe es erst wesentlich später, meines Wissens durch Herrn Reichsmarschall Göring, erfahren, mit dem natürlich dieser ganze Vorfall noch Gegenstand von Unterhaltungen und Aussprachen gewesen ist, zumal es sich ja um ein Luftwaffenlager handelte.

DR. NELTE: Für Sie abschließend möchte ich jetzt sagen, Sie erklären also hier unter Ihrem Eid, daß Sie weder selbst einen solchen Befehl zur Tötung der Royal Air Force-Offiziere je gegeben haben, noch auch, daß Sie einen solchen Befehl erhielten und weitergeleitet haben, noch daß Sie selbst erfahren haben, wer diesen Befehl gegeben hat.

KEITEL: Das ist richtig, ich habe weder den Befehl erhalten, noch habe ich ihn erfahren, noch gewußt, noch habe ich einen solchen Befehl weitergegeben. Das kann ich hiermit unter meinem Eid erneut bekunden.

DR. NELTE: Wir kommen nun zu den Fragen der Deportationen. Unter Deportationen der Arbeitskräfte, wie Sie das hier gehört haben, versteht die Anklagebehörde die Verschleppung dienstfähiger Bürger besetzter Länder nach Deutschland oder nach anderen besetzten Gebieten, um sie zur »Sklavenarbeit« in Verteidigungswerken oder für andere Arbeit im deutschen Kriegseinsatz und damit verbundene Aufgaben zu verwenden. Das ist die Anklage, die ich Ihnen vorgelesen habe.

Die Anklagebehörde hat nun mit diesem Tatbestand Ihren Namen wiederholt in Verbindung gebracht, und zwar in dem Sinn, daß Sie für die Beschaffung von Arbeitskräften in der deutschen Kriegswirtschaft mitgewirkt haben, das heißt das OKW. Sie wissen, daß an und für sich der Angeklagte Sauckel der Generalbevollmächtigte in diesem Sektor war. Ich möchte Sie nun fragen: Sind schon vor der Beauftragung des Generalbevollmächtigten Sauckel Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten nach Deutschland gekommen?

KEITEL: Nach meiner Kenntnis sind schon vorher aus den besetzten Gebieten, insbesondere also dem Westen, Belgien, Holland – von Holland weiß ich nicht, aber von Frankreich, Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen, so wie mir damals bekannt wurde, auf dem Wege freiwilliger Werbung. Ich glaube mich zu erinnern, daß mir mal Herr General von Stülpnagel, Militärbefehlshaber in Paris, in Berlin bei einem Zusammentreffen gesagt hat, daß sich bereits über 200000 Freiwillige gemeldet hätten. Zu welchem Zeitpunkt, das weiß ich nicht mehr.

DR. NELTE: War das OKW zuständigkeitsgemäß mit dieser Frage befaßt?

KEITEL: Nein, das OKW hatte damit gar nichts zu tun. Die Dinge vollzogen sich auf dem bekannten Wege Oberkommando des Heeres, Militärbefehlshaber in Frankreich und in Belgien-Nordfrankreich, mit den zuständigen zentralen Behörden des Reiches in der Heimat. Das OKW hat hiermit nie etwas zu tun gehabt.

DR. NELTE: Wie war es denn in den besetzten Gebieten mit Zivilverwaltung?

KEITEL: In den besetzten Gebieten mit Zivilverwaltung war ja die Wehrmacht überhaupt aus jeder verwaltungsmäßigen Exekutive ausgeschaltet, also in diesen Gebieten hatte die Wehrmacht und die Wehrmachtsdienststellen jedenfalls nichts damit zu tun. Lediglich in den Gebieten, die noch Operationsgebiet des Heeres waren, hatten ja die vollziehende Gewalt die militärischen Truppen, höchste Befehlshaber, Armee-Oberkommandeure und so weiter. Das OKW war auch hier nicht in den Dienstgang eingeschaltet.

DR. NELTE: Der Angeklagte Sauckel hatte ausweislich eines Vernehmungsprotokolles, das hier vorgelegt wurde, gesagt, daß es Ihre beziehungsweise OKW-Sache gewesen sei, die Militärkommandanten der besetzten Gebiete anzuweisen und er, Sauckel selber, sei bei seinen Werbeaktionen zur Einhaltung der Quoten zu unterstützen. Was können Sie dazu sagen?

KEITEL: Diese Auffassung des Generalbevollmächtigten Sauckel findet ihre Erklärung offensichtlich darin, daß ihm weder der Zuständigkeitsbereich noch der Dienstweg in diesen Fragen im Bereich der Wehrmacht bekannt war und darin, daß er mich ja ein- oder zweimal bei solchen Besprechungen der Arbeiterbeschaffung als anwesend gesehen hat, und drittens, daß er auch gelegentlich bei mir war, wenn er allein Vortrag gehalten und seine Befehle erhalten hatte. Es war wohl auftragsgemäß, wie es Hitler zu tun pflegte: Gehen Sie zum Chef OKW, der wird das Weitere machen. Zu tun hatte das OKW nichts. Anzuordnen hatte das OKW nicht, wohl aber habe ich es übernommen, Sauckel gegenüber, dann das Oberkommando des Heeres beziehungsweise die sachbearbeitenden Stellen beim Generalquartiermeister zu informieren. Eigene Befehle oder Anweisungen an die Militärbefehlshaber oder sonstigen Dienststellen in den besetzten Gebieten habe ich niemals gegeben. Es gehörte nicht in den Bereich der Aufgaben des OKW.

DR. NELTE: Es ist hier ein Dokument vorgelegt worden, wonach die Generale Stapf und Nagel darin einig waren, Sie zu ersuchen, bei den Werbeaktionen im Osten Druck oder Zwang anzuwenden. So lautet die Behauptung der Anklage. Kennen Sie diesen Vorgang?

KEITEL: Er ist mir durch die Vorlage dieses Dokuments in Erinnerung gebracht und es war offensichtlich der Versuch von Stapf, der ein langjähriger Mitarbeiter bei mir früher im Heer gewesen war, über mich eine Unterstützung oder eine Hilfe des Führers herbeizuführen. Insofern war der Versuch hier offenbar gemacht worden von Stapf, der damals den Wirtschaftsstab Ost leitete, und der General Nagel war glaube ich noch dabei genannt, der eine Wirtschaftsinspektion im Osten leitete, meine Person in die Frage einzuschalten und, wie es darin hieß, in dem Dokument, es müsse von oben her noch ein Druck ausgeübt werden. Ich habe daraufhin überhaupt nichts veranlaßt, weil ich mit den Dingen nichts zu tun hatte.

DR. NELTE: Ich komme jetzt zu dem Kapitel der Plünderung von Kunstschätzen.

VORSITZENDER: Vielleicht machen wir jetzt Pause.