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[Zum Zeugen gewandt:]

Ich komme nun zu einem Thema, das immer und immer wieder hier vorgetragen wird, und das deswegen so schwierig ist, weil so wenig Verständnis besteht dafür, daß diese Fragen gestellt werden.

Aber Ihnen ist der Vorwurf gemacht worden, daß Sie in Ihrer amtlichen Stellung als Mitglied der Regierung, wie die Anklagebehörde behauptet, Kenntnis hatten oder Kenntnis gehabt haben müssen von den Dingen, die in den Konzentrationslagern vorgegangen sind, und deswegen muß ich diese Frage an Sie stellen, was Sie von der Existenz der Konzentrationslager wußten, wieviel Sie wußten, und in welcher Weise Sie damit in Berührung gekommen sind. Kannten Sie die Existenz, wußten Sie, daß Konzentrationslager existierten?

KEITEL: Ja, ich habe schon vor dem Krieg gewußt, daß es Konzentrationslager gab, wenn mir damals auch nur zwei Lager namentlich bekannt waren, und ich habe vermutet oder angenommen, daß es außer diesen beiden bekannten noch weitere Konzentrationslager gegeben hat oder gab. Weitere Einzelheiten habe ich über die Existenz nicht gehabt; über die Häftlinge in solchen Lagern war mir bekannt, sogenannte Gewohnheitsverbrecher und politische Gegner, das war wohl, wie Reichsmarschall Göring hier gesagt hat, die Basis der Institution selbst.

DR. NELTE: Haben Sie etwas darüber gehört, wie diese Leute in den Konzentrationslagern behandelt wurden?

KEITEL: Nein, Näheres habe ich darüber nicht gehört. Ich bin davon ausgegangen, daß es eine verschärfte oder zu verschärfenden Maßnahmen führende Haft war, unter gewissen Voraussetzungen. Über die Zustände, die hier gefunden wurden, insbesondere über Mißhandlung der Häftlinge, Folter und ähnliches, habe ich nichts gewußt.

Ich habe in zwei Fällen den Versuch gemacht, Persönlichkeiten aus dem Konzentrationslager, die sich darin befanden, herauszuhelfen. Das eine war im Zusammenhang mit Großadmiral Raeder, es handelte sich hier um den Pfarrer Niemöller. Ich habe damals mit Hilfe von Canaris auf Wunsch des Großadmirals Raeder hin den Versuch gemacht, Niemöller aus dem Konzentrationslager herauszuholen. Der Versuch ist mißglückt. Ich habe einen zweiten unternommen auf Wunsch der Familie meines Heimatdorfes, wo ein Bauer im Konzentrationslager war wegen politischer Angelegenheiten. In diesem Fall habe ich Glück gehabt, der Betreffende wurde entlassen. Das war im Herbst 1940. Ich habe ihn auch gesprochen, und auf die Frage, wie es denn da wäre, hat er eine nichtssagende Antwort gegeben. Es habe ihm nichts gefehlt. Näheres habe ich von ihm nicht erfahren. Sonst ist mir von solchen Fällen nichts bekannt.

DR. NELTE: Hatten Sie bei dieser Unterredung den Eindruck, daß dem Mann nichts geschehen sei?

KEITEL: Zweifellos, der Mann machte nicht den Eindruck. Ich habe ihn nicht unmittelbar nach seiner Entlassung gesehen, erst später bei meiner Anwesenheit in meiner Heimat. Ich habe mit ihm dann gesprochen, weil er sich bei mir bedankte. Er hat aber nichts darüber gesagt, daß er eine schlechte Behandlung oder ähnliches erfahren habe.

DR. NELTE: Es ist hier gesagt worden, daß in solchen Lagern hier und da Besucher gewesen seien, die der Wehrmacht angehörten, auch Offiziere und höhere Offiziere. Wie erklären Sie sich das?

KEITEL: Ich bin davon überzeugt, daß das auf Grund von Einladungen seitens Himmlers geschehen ist; denn mir persönlich hat er eine solche Einladung auch einmal zugehen lassen, ich möchte mir von München aus das Lager Dachau ansehen, und er möchte mir das gern zeigen lassen. Ich weiß auch, daß Offiziere und Kommissionen in größerem und in kleinerem Rahmen in Konzentrationslagern zur Besichtigung herumgeführt worden sind. Ich glaube, ich brauche hier nicht zu erörtern, wie das gehandhabt wurde in Bezug auf das, was gezeigt wurde. Ich will noch ergänzend sagen, daß es nun nicht so war, daß man nicht mal hörte, im KZ-Lager wirst du enden, oder da passieren alle möglichen Dinge. Ich weiß aber, daß, wenn man mir gegenüber mit solchen Gerüchten oder Erörterungen kam, und man gesagt hätte, was wissen Sie, und woher, und von wem wissen Sie das, dann würde diese Person immer sagen, ich weiß es nicht, ich habe es selber nur gehört, so daß man sich wohl Gedanken gemacht haben kann, aber niemals eine Realität über diese Dinge, eine Realität darüber erfahren hat und erfahren konnte.

DR. NELTE: Sie haben auch gehört, daß an KZ-Häftlingen medizinische Versuche gemacht worden sind, und daß das auch in Verbindung mit hohen Stellen geschehen ist. Ich frage Sie, ob Sie davon persönlich oder vom Oberkommando der Wehrmacht Kenntnis erhalten haben?

KEITEL: Nein, weder dienstlich noch auch sonst habe ich von diesen Dingen, die hier ja eingehend erörtert worden sind, also die medizinischen Versuche an Häftlingen, je gehört; nichts davon.

DR. NELTE: Ich komme nun zu dem Schlußkomplex, der sich mit der Behauptung der Anklage befaßt, daß Sie beabsichtigt hätten, oder jedenfalls beteiligt gewesen seien an Bestrebungen, den General Weygand und den General Giraud zu ermorden. Sie wissen, daß der Zeuge Lahousen am 30. November 1945 als Zeuge hier ausgesagt hat, Admiral Canaris werde seit einiger Zeit – November-Dezember 1940 – von Ihnen bedrängt, den General Weygand, den französischen Generalstabschef, zu beseitigen. Lahousen sagte dann, Canaris habe seinen Abteilungsleitern das nach einer Rücksprache mit Ihnen eröffnet. Haben Sie mit Canaris über den Fall General Weygand gesprochen?

KEITEL: Das dürfte sicher zutreffen, und zwar aus dem Grunde, weil damals Nachrichten vorlagen, daß der General Weygand sich in Nordafrika auf Reisen aufhalte, dort Truppenbesuche vornehme und eine Inspektion der nordafrikanischen Kolonialtruppen durchführe. Ich halte es für ganz selbstverständlich, daß ich dem Nachrichtenchef Canaris damals sagte, es müßte doch möglich sein, festzustellen, mit welchen Reiseabsichten und auf welchen Reisestationen sich General Weygand in Nordafrika aufhalte und ob das irgendwie eine militärische Bedeutung im Sinne der Aktivierung oder sonstiger Maßnahmen in Bezug auf die Kolonialtruppen in Nordafrika, also den Auftrag in der Richtung, nachrichtendienstlich das zu versuchen, das zu ermitteln, wird gegeben sein.

DR. NELTE: Ich entnehme, auch zu beobachten?

KEITEL: Jawohl.

DR. NELTE: Konnte das Amt Ausland/Abwehr seine Leute auch nach Nordafrika schicken?

KEITEL: Ich glaube schon, daß auch auf dem Wege über Spanisch-Marokko ein gewisser Kanal der nachrichtendienstlichen Verbindungen bestand, da Canaris, wie mir bekannt war, Verbindungen über Spanien nach Marokko hin nachrichtendienstlich pflegte.

DR. NELTE: Meine Frage zielt dahin, ob nach den Vereinbarungen mit Frankreich eine offizielle Möglichkeit bestand, nach Nordafrika zu gehen?

KEITEL: Selbstverständlich war das möglich; seit dem Waffenstillstand waren Abrüstungskommissionen genau wie in Frankreich auch in Nordafrika. Wir hatten dort mehrere Dienststellen des Heeres im Zusammenhang mit der Kontrolle der Bewaffnung der nordafrikanischen Truppen.

DR. NELTE: Welches Interesse hätte nun daran bestehen können, oder hätte überhaupt ein Interesse bestehen können, dem General Weygand übel zu wollen? War er ein ausgesprochener Gegner Deutschlands im Rahmen der erstrebten Politik oder aus welchem Grund?

KEITEL: Also für eine Beurteilung dieser Verhältnisse irgendwie geartete Auffassung, der General Weygand sei etwa – sagen wir mal – unbequem, lagen gar keine Anlässe vor. Durch die Ende September-Anfang Oktober desselben Jahres eingeleitete Verbindung zum Marschall Pétain und der bekannten Kollaborationspolitik, die wohl damals im Winter 1940/41 auf dem Höhepunkt ihrer Betätigung sich befand, war es absurd, daran zu denken, den Chef des Generalstabes des Marschalls beseitigen zu wollen, und es war auch gar nicht in der gesamtpolitischen Behandlung des Problems Nordafrika gelegen. Wir haben eine große Zahl von Offizieren, Berufssoldaten der französischen Kolonialarmee im Winter 1940/41 aus der Kriegsgefangenschaft der französischen Heeresleitung zur Verwendung im Kolonialdienst freigegeben. Es waren darunter auch Generale – und wie ich mich erinnere, insbesondere General Juin, der nach unserem damaligen Wissen jahrelang in Nordafrika Chef des Generalstabes gewesen war. Dieser wurde auf meinen Vorschlag damals von Hitler dem Marschall zur Verfügung gestellt, offensichtlich auch zur Verwendung im kolonialen Dienst. Also es lag auch nicht das geringste Motiv vor, dem General Weygand übel zu wollen oder an so etwas zu denken.

DR. NELTE: Ist es richtig, daß sogar Besprechungen mit dem französischen Generalstab und Laval über gemeinsame Operationen in Afrika und Verstärkung von Westafrika stattgefunden haben?

KEITEL: Jawohl, es müßte unter den Dokumenten der Französischen Waffenstillstandsdelegation eine große Zahl von Dokumenten sein, in denen alle möglichen Zugeständnisse für Nordafrika und insbesondere auch für Mittel- und Westafrika erbeten wurden, im Hinblick auf die Tatsache, daß schon im Winter 1940/41 in Französisch-Zentralafrika Aufstände entstanden, gegen die die Französische Regierung Maßnahmen treffen wollte. Und es hat damals, wohl im Frühling 1941, in Paris eine mehrtägige Besprechung mit dem französischen Generalstab stattgefunden zur Vorbereitung von Unternehmungen, an denen sich die Deutsche Wehrmacht, die ja schon in Tripolis mit Truppen stand, im italienischen Bereich, zu beteiligen gedachte.

DR. NELTE: Also, es ist zunächst kein Motiv zu erkennen?

KEITEL: Nein.

DR. NELTE: Aber es muß doch in der Unterredung mit Canaris irgend etwas besprochen worden sein, was dann zu dem Mißverständnis führen konnte. Können Sie mir irgend etwas sagen, was dieses Mißverständnis herbeiführen konnte?

KEITEL: Das kann nach den sehr eingehenden Darstellungen von Lahousen hier beim Verhör sich nur darauf beziehen, daß bei einem späteren Vortrag ich nur gefragt habe: Wie steht es-so äußerte sich Lahousen – mit Weygand? Und daß daraus vielleicht der General Lahousen den Schluß gezogen hat, daß irgendwie in dem Sinne, wie er es darstellte – er sagte immer nur »dem Sinne nach« – beseitigen und auf die Frage, was das ist – »töten« sagte er dann; also nur auf diese Dinge ist es zurückzuführen, oder möglicherweise zurückzuführen. Ich muß bemerken, daß Canaris oft bei mir allein war, häufig seine Abteilungsleiter auch mitbrachte und in den Besprechungen allein immer, wie ich glaubte, in voller Offenheit seine Ansichten sagte. Wenn er also mich mißverstanden hätte, dann wäre es da zur Sprache gekommen. Er hat es aber nie gesagt.

DR. NELTE: Sind Sie sich darüber klar, daß, wenn man eine Beseitigung von Weygand überhaupt in Betracht ziehen will, dies doch zweifellos ein ganz hochpolitischer Akt gewesen wäre?

KEITEL: Ja, ganz selbstverständlich. In diesem Zusammenspiel des Führers Adolf Hitler mit Marschall Pétain wäre das wohl einer der höchst politischen Akte in dieser Zeit gewesen, die überhaupt denkbar waren.

DR. NELTE: Sie glauben also noch, daß, wenn das geschehen wäre, das den Bruch der von Hitler eingeleiteten Politik bedeutet hätte?

KEITEL: Sicherlich, unbedingt war damit zu rechnen.

DR. NELTE: Allein mit Rücksicht auf die große Bedeutung der Persönlichkeit des Generals Weygand?

KEITEL: Jawohl.

DR. NELTE: Können Sie noch sonst irgendeine Aufklärung oder einen Grund geben, der dafür spricht, daß das, was Ihnen unterschoben worden ist, was ja Gott sei Dank niemals Wirklichkeit geworden ist, nicht auf Wahrheit beruht?

KEITEL: Wenn auch die Tatsache sehr weit zeitlich später liegt, nämlich die Überführung des Generals Weygand nach Deutschland aus Anlaß der Besetzung des bisher unbesetzten Südfrankreichs, so weiß ich nur vom Führer selbst, daß er angeordnet hatte, es solle eine Internierung in seinem eigenen Hause stattfinden ohne Störung des Generals durch die Bewachung, eine Ehrenhaft und keine Kriegsgefangenschaft. Das war allerdings im Jahre 1942.

DR. NELTE: Also Sie bestreiten abschließend und wiederholt unter Ihrem Eid, jemals einen Befehl erteilt zu haben oder sich in irgendeiner Weise so geäußert zu haben, daß daraus der Schluß gezogen werden könnte, Sie beabsichtigten oder Sie möchten, daß der General Weygand beseitigt wird?

KEITEL: Ja, das kann ich ausdrücklich erneut bestätigen.

DR. NELTE: Nun hat der Zeuge Lahousen auch über den Fall Giraud gesprochen und hat eine Darstellung gegeben, ähnlich wie beim Fall Weygand. In beiden Fällen war er nicht aus eigener Wissenschaft in der Lage zu sagen, daß Sie das befohlen hätten, sondern er teilte mit, was Canaris gesagt habe und illustrierte das lediglich durch spätere Rückfragen. Ich bitte Sie, den Fall Giraud, der ja großes Aufsehen damals und auch hier erregt hat, so darzulegen, wie Sie ihn kennen und Ihren Anteil an den Gesprächen, die auf Giraud bezogen worden sind.

KEITEL: Die gelungene Flucht des Generals Giraud von der Festung Königstein bei Dresden am 19. April 1942 war aufsehenerregend und trug mir allerdings auch schwerste Vorwürfe in Bezug auf die Bewachung dieses Generalslagers, eine Militärfestung, ein. Die Flucht ist gelungen trotz aller Bemühungen, den General noch auf dem Wege von dort nach Frankreich zu ergreifen, sowohl auf dem Polizei-, wie auf dem militärischen Weg. Canaris hatte von mir Anweisung, besonders die Grenzübergänge nach Frankreich, Elsaß-Lothringen, äußerst überwachen zu lassen, um den General auf der Flucht zu ergreifen. Auch die Polizei war eingesetzt. Acht bis zehn Tage nach der Flucht wurde bekannt, daß der General unversehrt in Frankreich eingetroffen sei. Wenn in dieser Periode der Wiederergreifung von mir Anordnungen gegeben waren, so habe ich hier, seinerzeit schon, beim Verhör gesagt, es werden schon die Worte gefallen sein: »Den Mann, den General müssen wir wieder haben, tot oder lebendig.« So etwas werde ich schon gesagt haben. Er war geflüchtet und in Frankreich.

Zweite Phase: Die Bemühungen, auf dem Wege über die Botschaft – Abetz – Reichsaußenminister von Ribbentrop, den General zu bewegen, freiwillig in Kriegsgefangenschaft zurückzukehren, schienen nicht ohne Erfolg, oder nicht unmöglich, da der General sich bereit erklärt hatte, nach dem besetzten Gebiet zu kommen und darüber zu sprechen. Meine Auffassung war, daß es möglich wäre, der General würde es tun, auf Grund des großen Entgegenkommens, das der Marschall Pétain bisher erfahren hatte bei allen persönlichen Wünschen auf Freilassung von französischen Generalen aus der Kriegsgefangenschaft. Es ereignete sich dann im besetzten Gebiet, und zwar in einem Stabsquartier eines deutschen Korpsstabes, Armeekorpsstabes, das Zusammentreffen mit General Giraud, wo die Beprechung über seine Rückkehr stattfand. Ich wurde telephonisch über den Militärbefehlshaber informiert, über die Anwesenheit des Generals im besetzten Gebiet und in diesem Hotel, in dem die deutschen Offiziere wohnten.

Vorschlag des kommandierenden Generals: Wenn der General nicht freiwillig in die Kriegsgefangenschaft zurückkehre, sei es eine Kleinigkeit ihn festzunehmen, Genehmigung dazu. Ich habe das sofort kategorisch abgelehnt, weil ich es für einen Vertrauensbruch hielt, da der General im Vertrauen auf eine entsprechende Behandlung gekommen war. Er ist unversehrt und unbehelligt zurückgekehrt.

Dritte Phase: Der Versuch, der Wunsch, in irgendeiner Weise den General vielleicht doch noch einmal in militärischen Gewahrsam zu bekommen, ergab sich daraus, das Canaris mir berichtete, die Familie des Generals wohne im besetzten Gebiet, im von deutschen Truppen besetzten Gebiet, und es sei wohl selbstverständlich, daß der General versuchen werde, dort seine Familie zu besuchen, wenn auch erst nach bestimmter Zeit, wenn Ruhe eingetreten sei über den Vorfall. Er schlug mir vor, das Entsprechende vorzubereiten, den General, wenn er einen solchen Besuch im besetzten Gebiet mache, ihn bei der Gelegenheit wieder gefangenzunehmen. Die Vorbereitungen würde er persönlich treffen und einleiten, in Paris durch seine Abwehrstelle und durch die nötigen Dienststellen, die er dafür hatte. In der Folgezeit ereignete sich nichts, und es ist wohl naturgemäß, daß ich mehrfach gefragt habe, ganz gleich, wer Canaris begleitete, ob Lahousen ihn begleitete: »Was ist aus der Angelegenheit Giraud geworden?« oder ähnlich: »Wie steht es in der Frage Giraud?« Worauf die Worte von Herrn Lahousen gefallen sind: »Es ist sehr schwer, aber wir werden ja alles machen«, hätte er geantwortet. Canaris hat gar nicht geantwortet, was mir heute erst auffällig ist, damals nicht.

Dritte Phase. In einem späteren Stadium... Soll ich weiter fortsetzen?

DR. NELTE: Viertes Stadium.

KEITEL: Viertes Stadium trat nun ein dadurch, daß Hitler mir sagte: »Das ist alles Unfug, das führt zu keinem Ziel. Die Abwehr ist dafür nicht befähigt, sie kann so etwas nicht. Ich werde das Himmler auftragen und die Abwehr soll sich aus diesem heraushalten, sie wird den General niemals wieder festnehmen.« Admiral Canaris hatte allerdings seinerzeit mir auch gesagt, daß er damit rechne, wenn der General Giraud in das besetzte Gebiet sich begeben würde, würde er die nötigen Sicherheitsmaßnahmen durch französische geheime Polizei schon getroffen haben; und es könne dabei natürlich zu einem Kampf kommen, da man ja auch wußte, daß der General ein sehr beherzter Soldat sein muß. Wenn jemand mit sechzig Jahren sich mit einem Strick 45 Meter eine Felswand heruntergleiten läßt – so ist die Flucht in Königstein entstanden.

Fünftes Stadium: Nach Darstellung von Lahousen, Berlin: Der Wunsch von Canaris auf Abgabe des Auftrags an die Geheime Staatspolizei – wie Lahousen behauptet, auf Vorstellungen der Abteilungsleiter, da ich erneut gefragt hätte, wie es mit Giraud stehe und er diese unbequeme Aufgabe los sein wollte. Canaris war bei mir, fragte mich, ob er es abgeben könne –, an das Reichssicherheitshauptamt oder an die Polizei. Ich sagte ihm ja, weil der Führer mir mehrfach bereits gesagt hatte, er würde es Himmler übertragen.

Nächstes Stadium. Ich wollte Canaris einige Zeit später warnen – als Himmler zu mir kam und mir bestätigte, er habe Befehl von Hitler bekommen, Giraud und seine Familie unauffällig zu bewachen, und ich möchte verhindern und abstellen, daß auch Canaris sich mit dem Fall befaßt – er sei darüber unterrichtet, daß Canaris im gleichen Sinne tätig sei. Ich sagte sofort zu.

Nun kommt das Stadium, das Lahousen ja eingehend beschrieben hat: Ich hätte nach »Gustav« und ähnlichem gefragt. Ich wollte sofort Canaris anweisen, seine Betätigung auf diesem Gebiet einzustellen, nachdem der Befehl dazu von Hitler bestätigt war. Was sich dann nach den gesamten Darstellungen von Lahousen in Paris ereignet hat, daß nach Ausreden gesucht worden ist und ähnliches mehr, daß die Dinge als sehr mystisch angesehen wurden, wie Gustav als Abkürzung des Buchstaben »G« für Giraud und ähnliches, sind alles mehr Phantasien als Realitäten. Ich habe dann Canaris sofort zu mir bestellt, weil er nicht in Berlin, sondern in Paris war. Er hatte nichts gemacht, von Anfang überhaupt nichts gemacht. Deswegen fühlte er sich mir gegenüber in einer sehr unangenehmen Situation, denn er hatte mich belogen. Als er zu mir kam, sagte ich ihm nur: »Sie haben in der Sache nichts mehr zu tun und nun lassen Sie Ihre Finger daraus.«

Dann kam das nächste Stadium. Die ohne jede Schwierigkeit gelungene Flucht des Generals nach Nordafrika, im Flugzeug, die plötzlich gemeldet wurde, meines Wissens vor der Besetzung Nordafrikas durch die anglo-amerikanischen Truppen. Und damit war der Fall abgeschlossen. Weder die von mir mit Überwachung beauftragte Abwehr noch die Polizeistellen waren jemals in Aktion getreten und niemals war von mir auch nur das Wort gefallen, den General zu beseitigen. Nie!

Das letzte Stadium in diesem ganzen Vorgang klingt vielleicht märchenhaft und ist doch wahr; nämlich, daß der General 1944, etwa im Februar oder März, ein Flugzeug von Nordafrika nach Südfrankreich in die Gegend von Lyon schickte mit einem Verbindungsmann, der sich dort bei einer Dienststelle des Geheimen Nachrichtendienstes, also des Amtes Ausland/Abwehr, gemeldet hat und die Frage gestellt hat, ob der General nach Frankreich zurückkehren könne und was mit ihm geschehen würde, wenn er in Frankreich lande. Diese Frage ist an mich gestellt worden. Der Generaloberst Jodl ist der Zeuge, daß diese Dinge sich so ereignet haben. Der betreffende Chef der Abteilung Nachrichtendienst war bei mir. Die Antwort war die: »Genau die gleiche Behandlung wie die von General Weygand, der bereits in Deutschland ist. Kein Zweifel, daß der Führer damit einverstanden sein wird.«

Geschehen ist nachher nichts und Näheres habe ich auch nicht mehr darüber erfahren. Aber dieser Vorgang hat sich tatsächlich ereignet.

DR. NELTE: Ich muß zur Ergänzung noch einige Fragen stellen, weil die Französische Anklagebehörde davon gesprochen hat, daß später, in einem späteren Stadium einmal die Familie des Generals Giraud irgendwelche Nachteile, Unannehmlichkeiten schwerer Art, erlitten hatte. Haben Sie im Zusammenhang mit den Nachforschungen nach Giraud auch der Familie, die ja im besetzten Gebiet Frankreichs war, irgendwelche Schwierigkeiten gemacht, Anordnungen getroffen, die eine Beschränkung, eine Benachteiligung oder irgend etwas bedeuten konnten?

KEITEL: Nein, ich habe lediglich eine unauffällige Überwachung des Wohnortes der Familie damals vorgesehen, um seinen eventuellen Besuch bei der Familie zu erfahren. Niemals ist gegen die Familie selbst irgendeine Maßnahme getroffen worden. Sie wäre in diesem Falle auch sehr töricht gewesen.

DR. NELTE: Von Ihnen?

KEITEL: Ja.

DR. NELTE: Um das klarzustellen: Sie hatten auch von späteren eventuellen Vorkommnissen keine Kenntnis?

KEITEL: Nichts, gar nichts.

DR. NELTE: Nun, General Giraud lebt ja, und ich habe nur noch abschließend Sie, unter Berufung auf den von Ihnen geleisteten Eid, nochmals zu fragen: Können Sie bestätigen, daß Sie zu keiner Zeit irgendeinen Befehl erteilt oder irgendeine Anordnung gegeben haben, die so ausgelegt werden könnte, als solle der General getötet werden?

KEITEL: Nein, ich habe einen solchen Befehl nie gegeben, wenn nicht ein Wort wie das »wir müssen ihn wieder haben, tot oder lebendig«, irgendwie in dieser Richtung ein Gewicht besitzt. Dann habe ich niemals eine Anordnung gegeben, den General zu beseitigen oder zu töten oder irgend etwas ähnliches. Nie.

DR. NELTE: Ich bin mit der Vernehmung des Angeklagten Keitel zu Ende. Ich möchte Sie nur noch bitten, mir zu gestatten, daß ich das letzte Affidavit in dem Dokumentenbuch 2, Nummer 6, als Beweisstück überreiche. Es ist im Dokumentenbuch Seite 51 und folgende und soll das Beweisstück K-...

VORSITZENDER: Haben Sie das nicht gestern als Beweisstück K-12 eingereicht?

DR. NELTE: Ja, ich habe heute K-13...

VORSITZENDER: Welches Datum trägt das Affidavit, das Sie jetzt einzureichen wünschen, und wo ist es zu finden?

DR. NELTE: Es ist Seite 51 und folgende und trägt das Datum vom 9. März 1946.

VORSITZENDER: Ja, ich habe es gefunden.

DR. NELTE: Dieses Affidavit ist auch von dem Generaloberst Jodl eidesstattlich versichert. Ich bitte darum, ihn, wenn er selbst auf den Zeugenstand kommt, darüber zu befragen, beziehungsweise ihm dieses Dokument zur Bestätigung vorlegen zu dürfen.

VORSITZENDER: Ja, gut.

MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Wir haben die Angelegenheit des angeblichen Verhörs des Generals von Falkenhorst, auf das Dr. Nelte gestern hingewiesen hat, geprüft. Soweit wir feststellen konnten, wurde diese Urkunde von keinem Mitglied der Anklagebehörde als Beweisstück vorgelegt. Herr Dubost hat sich darauf berufen, das heißt, er hat sich nicht darauf berufen, aber es war in seinem Schriftsatz enthalten. Ich habe mich nicht darauf bezogen und es auch nicht als Beweisstück vorgelegt. So ist es in Dr. Neltes Hände gekommen, freilich nicht als Beweisstück.

VORSITZENDER: Will Dr. Nelte es jetzt als Beweisstück einreichen?

DR. NELTE: Ich bitte es als Dokument K-14 als Beweis entgegenzunehmen.

VORSITZENDER: Hat es eine PS-Nummer oder irgendeine andere Nummer?

DR. NELTE: Nein, Herr Präsident, es hat gar keine Nummer.

VORSITZENDER: Danke.

Wünscht einer der anderen Verteidiger Fragen an den Zeugen zu richten?

DR. STAHMER: Herr Zeuge! Nachdem Sie in Berichtigung Ihrer früheren Aussage vorhin auf die Frage Ihres Verteidigers bereits erklärt haben, daß der Reichsmarschall Göring nicht zugegen war bei der Lagebesprechung, in der Hitler das Verbleiben der aus dem Lager Sagan geflohenen Flieger bei ihrer Wiederergreifung bei der Polizei anordnete, und nachdem Sie ferner versichert haben, daß auch eine Besprechung mit dem Reichsmarschall Göring in Berlin nicht stattgefunden hat, habe ich zu diesem Komplex nur noch folgende Fragen: Haben Sie einige Wochen nach dieser erwähnten Flucht von dem Generalstab der Luftwaffe, und zwar von dem Generalquartiermeister, ein Schreiben erhalten, in dem die Luftwaffe erklärte, daß sie ihre Gefangenenlager abgeben wolle und um Übernahme durch das OKW ersuchte?

KEITEL: Jawohl, das trifft zu. Dieses Schreiben ist auch bei mir eingegangen und dann auch, nach Vortrag bei Hitler, von mir abgelehnt worden.

DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Der Angeklagte Dr. Frank war zu Beginn des Krieges Leutnant im 9. Infanterieregiment. Ist das richtig?

KEITEL: Jawohl, das stimmt.

DR. SEIDL: Erinnern Sie sich, im Jahre 1942 einen Brief des damaligen Generalgouverneurs Dr. Frank erhalten zu haben, in dem dieser Sie um die Wiedereinberufung zur Wehrmacht gebeten hat? Der Zweck dieses Schreibens war natürlich, auf diese Weise von seinem Amt als Generalgouverneur entbunden zu werden. Ist das richtig?

KEITEL: Ja, einen solchen Brief habe ich damals erhalten. Ich habe ihn dann dem Führer vorgelegt, der nur mit einer Handbewegung sagte, »das kommt überhaupt nicht in Frage«. Das habe ich dann durch den Offizier, der beim Generalgouverneur Frank damals zeitweise war, ihm mitteilen lassen.

DR. SEIDL: Das ist alles.

DR. DIX: Euer Lordschaft! Es ist drei Minuten vor 13.00 Uhr. Ich habe nicht lange, aber es könnte nach 13.00 Uhr werden. Ist es nicht vielleicht besser, wenn wir jetzt Pause machen und ich dann mit meinen Fragen nach der Mittagspause beginne?

VORSITZENDER: Gut. Wir vertagen die Sitzung nunmehr bis 2.00 Uhr.