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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. DIX: Meine Herren Richter! Dieser Zeuge ist zuständig und sachkundig, um dem Gerichtshof bestimmte Zahlen über die Rüstungsausgaben des Reiches zu geben. Aber der Zeuge kann ja diese Zahlen nicht immer im Kopf haben. Mein Herr Mitverteidiger, Professor Kraus, hat deshalb schon während meiner Abwesenheit die Freundlichkeit gehabt, diese Zahlen mit dem Zeugen abzustimmen sowie schriftlich niederzulegen. Diese schriftliche Niederlegung ist damals zur Vermeidung jedes Mißverständnisses vom Zeugen unterschrieben worden. Zur Stützung seines Gedächtnisses betreffend diese Zahlen bitte ich nun, dem Zeugen diese von ihm unterschriebene Niederschrift vorlegen zu dürfen. Ich habe von dieser Niederschrift Übersetzungen anfertigen lassen, und zwar in den drei in Frage kommenden Sprachen, und überreiche dem Gerichtshof acht Exemplare. Außerdem habe ich vier Exemplare für die vier Delegationen und in deutsch Exemplare für die Herren Verteidiger von Keitel, Raeder, Dönitz und OKW. Darf ich nun um einen Moment bitten, damit der Zeuge dies in Ruhe lesen kann?

[Zum Zeugen gewandt:]

Wollen Sie sich bitte, Herr Zeuge, nur die erste Spalte, welche die Überschrift »Gesamtausgaben« trägt, ansehen. Die zweite und dritte Spalte, welche die Aufbringung dieser Summen durch die Reichsbank einerseits und von anderer Seite andererseits aufteilt, sind dann Zahlen, die ich bei der Vernehmung von Schacht durch ihn feststellen lassen werde, weil dies Errechnungen von Schacht sind, also der Zeuge hier darüber keine Auskunft geben kann. Darf ich Sie hinsichtlich dieser Rüstungsausgaben des Reiches ab Etatsjahr 1935 – das Etatsjahr läuft vom 1. April bis 31. März-fragen: Sind die hier angegebenen Ziffern mit 5 Milliarden für 1935, 7 Milliarden für 1936, 9 Milliarden für 1937, 11 Milliarden für 1938 und 20,5 Milliarden für 1939 richtig?

KEITEL: Nach meiner Überzeugung sind die Zahlen richtig. Ich darf hinzufügen, daß ich auch Gelegenheit hatte, in der ersten Zeit meiner Gefangenschaft mit dem Reichsfinanzminister über diese Zahlen zu sprechen und mit ihm Übereinstimmung meiner Ansichten damals herzustellen.

DR. DIX: Nun noch eine Frage über den Rüstungsstand des Reiches am 1. April 1938. Ist es richtig, daß damals bestanden; 24 Infanterie-Divisionen, 1 Panzer-Division, keine Motor-Division, 1 Gebirgs- Division und 1 Kavallerie-Division, und daß ferner in Aufstellung waren: 10 Infanterie-Divisionen, 1 Panzer-Division? Wenn ich noch ergänzen darf, daß von den drei Reserve-Divisionen am 1. April 1938 noch keine fertig war und nur 7 bis 8 in Aufstellung, die bis zum 1. Oktober 1938 fertig sein sollten.

KEITEL: Ich halte diese Zahlen für richtig und habe sie infolgedessen auch in diesem Affidavit anerkannt.

DR. DIX: Soweit diese schriftliche Niederlegung. Ich möchte jetzt noch zwei Fragen an den Zeugen stellen, die nicht besprochen worden sind, hinsichtlich derer ich also nicht weiß, ob er die in Frage kommenden Zahlen im Kopf hat.

Ich halte es für möglich, den Gerichtshof interessiert das Kräfteverhältnis zwischen dem Reich einerseits und der Tschechoslowakei andererseits zur Zeit des Einmarsches Hitlers in die Tschechoslowakei, also das Kräfteverhältnis a) die bewaffnete Macht betreffend und b) die Zivilbevölkerung betreffend.

KEITEL: Genaue Zahlen darüber sind mir nicht gegenwärtig. Ich bin bereits im Vorverhör hierzu einmal gehört worden. Ich glaube richtige Zahlen zu nennen, wenn im Herbst 1938 zahlenmäßig, gemessen an Verbänden, Divisionsverbänden...

DR. DIX: Ich meinte jetzt den Zeitpunkt des Einmarsches Hitlers in die Tschechoslowakei, im Frühling 1939.

KEITEL: Das war im selben Mobilmachungsjahr, also damals zahlenmäßig weniger Divisionen als die Tschechoslowakei noch besaß. Im Herbst 1938 waren es wohl die gleichen Zahlen von Verbänden, Divisionsverbänden. Im Frühling 1939, bei dem Einrücken in die Tschechoslowakei, ist das Kräftemaß, das damals dazu aufgeboten wurde, geringer gewesen wie das, was im Herbst 1938 bereitstand. Genaue Zahlen, wenn sie für den Gerichtshof von Wichtigkeit sind, sind zweckmäßig bei General Jodl zu erfragen.

DR. DIX: Über die Anzahl der Divisionen, über die die Tschechoslowakei im März 1939 verfügte, können Sie keine Angaben machen?

KEITEL: Nein, das weiß ich nicht genau.

DR. DIX: Da werde ich später eventuell Herrn General Jodl noch befragen.

VORSITZENDER: Vielleicht wollen Sie dieses Dokument besser als Beweis vorlegen, wenn der Angeklagte Schacht als Zeuge aussagen wird? Beabsichtigen Sie das zu tun?

DR. DIX: Ich werde es noch als Beweisstück vorlegen, es kommt in mein Dokumentenbuch. Jetzt ist es nicht notwendig, daß die Herren es behalten, da ich bei der Vernehmung Schachts darauf zurückkommen muß und Sie es im Dokumentenbuch dann finden werden. Dagegen würde ich anregen, daß das Exemplar, welches ich dem Zeugen gegeben habe, Teil des Protokolls werden würde. Es wird ganz sinnvoll sein, wenn man diese Niederschrift als Teil des Protokolls gibt.

VORSITZENDER: Wenn Sie es zu einem Teil des Protokolls machen wollen, wäre es jetzt besser, es mit einer Nummer zu versehen. Nennen wir es S-1.

DR. DIX: Euer Lordschaft! Darf ich vielleicht anregen, Sch-1?

VORSITZENDER: Ja.

DR OTTO STAHMER (in Vertretung von Dr. Robert Servatius), VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Zeuge! Am 4. Januar 1944 soll eine Besprechung beim Führer mit Sauckel über die Frage der Arbeiterbeschaffung stattgefunden haben. Waren Sie bei dieser Besprechung zugegen?

KEITEL: Jawohl.

DR. STAHMER: Hatte Sauckel bei dieser Gelegenheit erklärt, daß er die Forderung der Bedarfsträger in der geforderten Höhe nicht erfüllen könne?

KEITEL: Jawohl, das hat er eingehend erörtert und auch begründet.

DR. STAHMER: Welche Gründe hat er dafür angeführt?

KEITEL: Er trug vor die großen Schwierigkeiten in den Gebieten, aus denen er die Arbeitskräfte ausheben oder rekrutieren sollte, die starke Banden- und Partisanentätigkeit in diesen Gebieten, die großen Erschwerungen, die nötigen Polizeikräfte dafür zur Sicherung zur Verfügung zu haben, und ähnliche Gründe. Einzelnes weiß ich nicht mehr.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Feldmarschall, waren Sie Führer der Deutschen Delegation, welche die Kapitulation unterschrieb, mit der der Krieg in Europa beendet wurde?

KEITEL: Ja.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann und wo war das?

KEITEL: In Berlin, am 8. Mai, beziehungsweise in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurde von Ihnen eine Vollmacht verlangt, die Sie zum Führen der Kapitulationsverhandlungen ermächtigte?

KEITEL: Ja. Ich habe eine Vollmacht mitgenommen nach Berlin. Diese Vollmacht war ausgefertigt von Großadmiral Dönitz in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Wehrmacht und enthielt in kurzen Worten, daß er mich ermächtigt und beauftragt hat, die Verhandlungen zu führen und die Kapitulation zu vollziehen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurde diese Vollmacht von alliierter Seite geprüft und anerkannt?

KEITEL: Im Laufe des Nachmittags des 8. Mai wurde die Vollmacht von mir erbeten, sie ist dann offensichtlich geprüft worden und wurde mir einige Stunden später von einem hohen Offizier der Roten Armee wieder übergeben mit den Worten, diese Vollmacht hätte ich bei der Unterschrift vorzuzeigen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie die Vollmacht vorgezeigt?

KEITEL: Ich habe die Vollmacht dann bei dem Kapitulationsakt zur Hand gehabt und habe sie damit auch zu den Akten gegeben.

PROFESSOR DR. HERMANN JAHRREISS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Herr Zeuge, Sie haben bei Ihrer Vernehmung Aufschluß gegeben über die Organisation des Oberkommandos der Wehrmacht. Diese Organisation beruhte auf einem Erlaß des Führers und Reichskanzlers vom 4. Februar 1938 und in diesem Erlaß wird das Oberkommando der Wehrmacht als der militärische Stab des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht bezeichnet.

Sie waren also, so gesehen, Chef des Stabes. Nun hat die Anklagebehörde mehrfach Jodl als Ihren Stabschef bezeichnet. Ist das richtig?

KEITEL: Nein, der General Jodl ist niemals mein Stabschef gewesen, sondern er war der Chef des Wehrmachtführungsstabes und ein Amtschef des Oberkommandos der Wehrmacht, wie ich bereits ausgesagt habe, wenn auch der Erste unter Gleichen.

PROF. DR. JAHRREISS: Das heißt also, der Chef von mehreren nebeneinanderstehenden koordinierten Ämtern.

KEITEL: Einen Chef des Stabes bei mir hat es nie gegeben.

PROF. DR. JAHRREISS: Es ist hier zur Sprache gekommen die Unterredung zwischen Hitler und Schuschnigg auf dem Obersalzberg am 12. Februar 1938, Sie entsinnen sich? Über diese Unterredung ist dem Gerichtshof eine Eintragung Jodls in seinem Tagebuch vorgelegt worden. Ist denn Jodl bei dieser Besprechung dabeigewesen?

KEITEL: Nein, er war nicht anwesend, und seine Kenntnis stammt aus der von mir geschilderten Besprechung mit ihm und Canaris über die Nachrichten, die lanciert werden sollten, über gewisse militärische Vorbereitungen in den Tagen nach der Besprechung mit Schuschnigg. Es ist also ein Eindruck, den der General Jodl von der Darstellung der Dinge entnommen hat.

PROF. DR. JAHRREISS: In der Vorbereitung zur Aufrollung der tschechoslowakisch-deutschen Frage, der Sudetenfrage, hat ein etwa zu konstruierender Zwischenfall eine Rolle gespielt. Haben Sie etwa der Abteilung Abwehr II unter Canaris einen Auftrag gegeben, einen solchen Zwischenfall herbeizuführen, in der Tschechoslowakei oder an der Grenze?

KEITEL: Nein, solche Aufträge sind niemals der Abwehr gegeben worden, von mir jedenfalls nicht.

PROF. DR. JAHRREISS: Nach München, also Oktober 1938, Herr Feldmarschall, ist der damalige Chef der Landesverteidigung, der Angeklagte Jodl, aus dieser Position ausgeschieden. Er wurde versetzt nach Wien. Wer war sein Nachfolger?

KEITEL: Jodl wurde an die Front versetzt, wurde Artillerieführer bei einer Division in Wien, und sein Nachfolger war Warlimont, damals Oberst Warlimont.

PROF. DR. JAHRREISS: Also der Nachfolger...

KEITEL: Jawohl.

PROF. DR. JAHRREISS: Das heißt, wenn ich Sie recht verstehe, daß Jodl nicht bloß beurlaubt war, sondern ausgeschieden war?

KEITEL: Jodl war aus dem Oberkommando der Wehrmacht ausgeschieden, Truppenoffizier einer Division, und Warlimont war nicht Vertreter, sondern Nachfolger in dieser Stellung.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, nun ist von der Anklagebehörde gesagt worden, daß bei jener berühmten Besprechung vom 23. Mai 1938 – nein 1939, Herr Warlimont dabeigewesen sei als späterer Stellvertreter Jodls. Was hat Jodl mit dieser Besprechung zu tun?

KEITEL: Gar nichts, er war damals Frontoffizier und Befehlshaber in Wien.

PROF. DR. JAHRREISS: Warum haben Sie dann Jodl zum Chef des Wehrmachtführungsstabes prädestiniert?

KEITEL: Das war die Folge der Zusammenarbeit aus den Jahren von 1935 bis 1938. Ich war der Auffassung, daß man einen geeigneteren Mann für diesen Posten nicht finden könnte.

PROF. DR. JAHRREISS: Wie hat sich denn Jodl seine militärische Laufbahn gedacht, wenn etwa das Kommando als Artilleriekommandeur in Wien oder Brünn beendet wäre?

KEITEL: Ich kannte seine Passion und den Wunsch, Kommandeur einer Gebirgsdivision zu werden. Das hat er mir gegenüber mehrfach ausgesprochen.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, wäre denn eine Chance gewesen, ein solches Kommando zu bekommen?

KEITEL: Ja. Ich habe mich dafür verwendet beim Oberbefehlshaber des Heeres und ich erinnere mich auch, daß ich im Sommer 1939 ihm geschrieben habe, daß sein Wunsch, Kommandeur einer Gebirgsdivision in Reichenhall zu werden – ich weiß nicht mehr die Nummer –, in Erfüllung gehen werde. Ich freute mich, ihm dies mitteilen zu können.

PROF. DR. JAHRREISS: War die Entscheidung in Ihrer Hand gewesen oder beim OKH?

KEITEL: Ich hatte es beim Oberbefehlshaber des Heeres erbeten und der hatte es so entschieden.

PROF. DR. JAHRREISS: Und wenn ich recht verstehe, Sie haben es selbst Jodl mitgeteilt?

KEITEL: Ich habe ihm einen Brief geschrieben, weil ich wußte, daß ich ihm damit eine besondere Freude machte.

PROF. DR. JAHRREISS: Darf ich fragen, Herr Feldmarschall, haben Sie in regelmäßigen brieflichen Beziehungen zu Jodl gestanden?

KEITEL: Nein, ich glaube, das ist der einzige Brief gewesen, den ich ihm in diesem Jahr geschrieben habe.

PROF. DR. JAHRREISS: Ich frage aus einem bestimmten Grund: Also Jodl scheidet aus aus dem OKW. Er weiß, daß er für den Notfall Chef des späteren sogenannten Wehrmachtführungsstabes sein wird. Also immerhin eine wichtige Position. Er geht an die Front, wie Sie sagen. Nun sollte man doch meinen, daß er dann nicht nur einmal einen Privatbrief von Ihnen bekommt, sondern regelmäßig auf dem laufenden gehalten wird.

KEITEL: Das ist von meiner Seite aus bestimmt nicht geschehen, und nach meinem persönlichen Empfinden ist jeder Generalstabsoffizier, der an die Front kommt, glücklich darüber, wenn er mit solchen Dingen nicht mehr belästigt wird.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, aber das Schicksal erfüllt einem ja nun nicht alles, was einen glücklich machen wird. Es könnte ja sein, daß man von Amts wegen etwa jemand einen Auftrag geben könnte: Unterrichten Sie den Herrn.

KEITEL: Ich habe das bestimmt nicht getan. Ich glaube auch nicht, daß das geschehen ist. Aber ich weiß es nicht, ob irgend jemand es probiert hat.

PROF. DR. JAHRREISS: War Jodl in der Zeit, in der er in Brünn und Wien war, also von Berlin weg, wiederholt in Berlin, etwa, um sich dort zu informieren?

KEITEL: Ich habe ihn nicht gesehen, bei mir ist er nicht gewesen. Ich halte das für unwahrscheinlich, sonst hätte er mich aufgesucht.

PROF. DR. JAHRREISS: Dann müßte ich also das dahin verstehen, daß er kurz vor Beginn des Krieges auf ein Telegramm hin nach Berlin kam und er sich dort überhaupt erst informieren mußte, was gespielt wurde?

KEITEL: Jawohl, das ist auch das erste gewesen, was sich zwischen ihm und mir zugetragen hat.

PROF. DR. JAHRREISS: Sie haben ihn informiert?

KEITEL: Jawohl.

PROF. DR. JAHRREISS: Etwas anderes noch, Herr Feldmarschall. Sie entsinnen sich vielleicht des etwas stürmischen Vormittags in der Reichskanzlei nach dem Simowitsch-Putsch, also 27. März 1941, ja?

KEITEL: Jawohl, Jugoslawien.

PROF. DR. JAHRREISS: Wenn man so an die Politik und Kriegsgeschichte der letzten 200 Jahre in Europa denkt, dann fragt man sich, hat es da niemand gegeben in der Besprechung In der Reichskanzlei, der gesagt hätte, statt gleich loszuschlagen, sollte man nicht für alle Fälle an den Grenzen des Staates, dessen Haltung uns völlig unklar war, aufmarschieren und dann durch ein Ultimatum die Klärung der Lage herbeiführen?

KEITEL: Ja, das ist bei dem vielen Hin und Her in turbulenten Umständen bei dieser Vormittagssituation meines Wissens von Jodl persönlich in die Debatte geworfen worden. Vorschlag: Aufmarschieren und Ultimatum stellen, so Ungefähr war es.

PROF. DR. JAHRREISS: Wenn ich richtig unterrichtet bin, sind Sie im Oktober 1941 zur Inspektion oder zu einem Besuch der Heeresgruppe Nord im Osten gewesen? Stimmt das?

KEITEL: Ja, ich bin im Herbst 1941 mehrfach mit dem Flugzeug bei der Heeresgruppe Nord gewesen, um Informationen für den Führer einzuholen.

PROF. DR. JAHRREISS: War Feldmarschall Leeb der Kommandierende der Heeresgruppe Nord?

KEITEL: Jawohl, von Leeb war Heeresgruppe Nord.

PROF. DR. JAHRREISS: Hat Ihnen von Leeb über besondere Sorgen berichtet, die er damals hatte?

KEITEL: Es war wohl mein letzter oder vorletzter Besuch bei von Leeb, wo die Frage einer Kapitulation beziehungsweise die Frage der Bevölkerung Leningrads eine wesentliche Rolle spielte, die ihm damals auch große Sorgen machte. Es waren schon bestimmte Anzeichen des Herausströmens der Bevölkerung aus der Stadt in ihren Bereich eingetreten. Ich erinnere mich, daß ich damals von ihm gebeten wurde, dem Führer doch den Vorschlag zu machen, da er eine Million in seinem Heere oder Gruppenbereich gar nicht aufnehmen könnte, daß man noch nach Osten, also nach dem russischen Machtbereich zu, will sagen, so eine Art Schleuse schaffen möge, daß die Bevölkerung nach dort abströmen könnte. Das habe ich damals dem Führer berichtet.

PROF. DR. JAHRREISS: Ja, strömte denn die Bevölkerung in eine andere Richtung?

KEITEL: Besonders nach Süden, in die Waldgebiete nach Süden hinein. Es war damals nach von Leebs Darstellung schon ein gewisser Druck der Bevölkerung, durch die Linien der Truppen durchzukommen, erkennbar.

PROF. DR. JAHRREISS: Und das hätte also die Operationen behindert?

KEITEL: Jawohl.

PROF. DR. JAHRREISS: Herr Feldmarschall! Ihnen ist geläufig, nachdem heute früh davon die Rede war, der Befehl des Führers als Oberster Befehlshaber über die Kommandos vom 18. Oktober 1942, also 498-PS, das hier vorgelegt worden ist. Daß ein Befehl dieser Art kommen würde, war vorher angekündigt worden in der Öffentlichkeit. Ist Ihnen das bekannt?

KEITEL: Ja, es wurde in einem täglichen Wehrmachtsbericht eine entsprechende Ziffer aufgenommen.

PROF. DR. JAHRREISS: Es handelt sich um den Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942. Da heißt es im Anschluß an die übliche Berichterstattung über das, was geschehen ist: »Das OKW sieht sich daher gezwungen, folgendes anzuordnen.« Dann kommt ein erster Punkt, der hier nicht interessiert, und dann als zweiter Punkt folgender Satz:

»In Zukunft werden sämtliche Terror- und Sabotagetrupps der Briten und ihrer Helfershelfer, die sich nicht wie Soldaten, sondern wie Banditen benehmen, von den deutschen Truppen auch als solche behandelt und, wo sie auch auftreten, rücksichtslos im Kampf niedergemacht werden.«

Herr Feldmarschall, wer hat diese Worte verfaßt?

KEITEL: Der Führer persönlich. Ich war dabei, wie er sie diktierte und korrigierte.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Ich möchte bei dem Punkt anknüpfen, wo Herr Professor Jahrreiss aufgehört hat. Es wurde vom Kommandobefehl gesprochen, 498-PS. In dem Kommandobefehl ist unter Ziffer 6 von Hitler angedroht worden, daß er alle Kommandeure kriegsgerichtlich verantwortlich machen werde, wenn sie diesen Befehl nicht durchführten. Kennen Sie nun die Erwägungen, die Hitler zu dem Passus dieses Befehls geführt haben?

KEITEL: Ja. Die sind eigentlich ziemlich klar, nämlich, der Forderung, daß diesem Befehl auch tatsächlich entsprochen wurde, weil er von den Generalen und denjenigen, die ihn ausführen sollten, bestimmt als ein außerordentlich schwerwiegender angesehen wurde, um dieser Anordnung Nachdruck zu verleihen und mit der Androhung der Strafe die Befolgung zu erzwingen.

DR. LATERNSER: Nun möchte ich an Sie einige Fragen richten, die den Charakter der angeblichen Gruppe Generalstab und OKW betreffen. Was verstehen Sie unter dem deutschen Generalstab?

KEITEL: Unter dem Generalstab verstehe ich diejenigen Offiziere, die durch eine besondere Vorbildung geschult sind, die Hilfen der höheren Führung zu sein.

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Der Angeklagte hat schon sehr viel Zeit darauf verwendet, um den Unterschied zwischen dem OKW und den verschiedenen Kommandostäben zu erklären. Die Anklagebehörde hat genau und ganz klar definiert, was unter dieser Gruppe zu verstehen ist, die der Gerichtshof für verbrecherisch erklären soll, und ich kann daher nicht einsehen, welche Bedeutung weitere Beweiserhebung zu diesem Thema haben kann. Was wollen Sie damit beweisen, wenn Sie fragen, was der Angeklagte unter dem Generalstab versteht?

DR. LATERNSER: Diese Frage hat einen rein vorbereitenden Charakter. Ich wollte an diese Frage eine weitere Frage knüpfen und dann mit der Beantwortung der Frage beweisen, daß unter der angeblichen Gruppe eine Gruppe unter falschem Namen angeklagt worden ist.

VORSITZENDER: Ich sehe nicht ein, was es ausmacht, falls der Name falsch angegeben wäre, wenn die Gruppe genau bestimmt ist. Der Angeklagte hat uns doch schon gesagt, was er sich unter dem Generalstab vorstellt. Stellen Sie bitte die zweite Frage.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Wenn die hohen militärischen Führer in einer angeblichen Gruppe zusammengefaßt und bezeichnet werden als Generalstab und OKW, halten Sie diese Bezeichnung für richtig oder irreführend?

KEITEL: Nach unseren deutschen militärischen Begriffen ist die Bezeichnung irreführend, und zwar deswegen, weil für uns der Generalstab immer nur ein Gehilfenapparat ist, während die obersten Befehlshaber von Armeen, Heeresgruppen, Kommandierende Generale das Führerkorps darstellen.

DR. LATERNSER: Die militärische Hierarchie ist in diesem Verfahren schon hinreichend besprochen worden. Ich möchte nun noch folgendes von Ihnen wissen:

War das Verhältnis dieser Stufen zueinander nur das der militärischen Unterstellung, oder hat darüber hinaus unter diesen Stellen eine weitere Organisation bestanden, die über rein soldatische Berufspflichten hinausging?

KEITEL: Nein, der Generalstab, also die Generalstabsoffiziere als Gehilfen der Führer, waren äußerlich in der Uniform erkennbar also solche. Die Führer selbst, oder die sogenannten Befehlshaber, waren in ihren Dienststellungen durch keine Querverbindungen oder sonstigen organisatorischen Institutionen miteinander verbunden.

DR. LATERNSER: Es ist Ihnen gestern bereits das Affidavit vorgelegt worden, das Generaloberst Halder ausgestellt hat. Ich möchte nun auf den letzten Satz des Affidavits eingehen. Ich werde Ihnen den Satz vorlesen, er lautet: »Dies war der tatsächliche Generalstab und die oberste Führung der Wehrmacht.«

Ist diese Angabe in diesem Satz richtig oder falsch?

KEITEL: Ich verstehe sie so, daß Halder damit sagen wollte, daß diejenigen wenigen Offiziere in Generalstabsstellungen diejenigen waren, die an der eigentlichen Arbeit im Generalstab des Heeres beteiligt waren, während das übrige Gros der weit über hundert Generalstabsoffiziere im OKH nicht beteiligt war. Das wollte er, glaube ich, damit ausdrücken – eine kleine Gruppe, die sich mit diesen. Problemen befaßte.

DR. LATERNSER: Kennen Sie irgendeinen Fall, daß Hitler jemals einen militärischen Führer in einer politischen Angelegenheit um Rat gefragt hat?

KEITEL: Nein, das hat es nicht gegeben.

DR. LATERNSER: Sie waren, wie ich annehmen darf, bei den Lagebesprechungen bei Hitler meistens anwesend. Können Sie mir nun von Gegenvorstellungen etwas bekunden, die zufällig anwesende Oberbefehlshaber, die von der Front gekommen waren, mit oder ohne Erfolg erhoben haben?

KEITEL: In der Regel vollzog sich das so, daß anwesende Frontoberbefehlshaber der allgemeinen Lagebesprechung als stumme Zuhörer beiwohnten, und daß je nach Umständen anschließend ein Sondervortrag dieses Oberbefehlshabers über seinen Bereich vor Hitler stattfand, und dann auch, wie, glaube ich, Kesselring schon hier erwähnt hat, eine Möglichkeit war, persönlich gegenseitig darüber zu sprechen und Ansichten vorzubringen. Sonst hat niemand in diesen Dingen ein Wort zu sagen gehabt.

DR. LATERNSER: Waren Sie einmal Zeuge von besonders energischen Gegenvorstellungen von irgendeinem Oberbefehlshaber Hitler gegenüber?

KEITEL: In der Lagebesprechung selbst?

DR. LATERNSER: Nein, auch bei anderen Gelegenheiten, meine ich.

KEITEL: Ich war natürlich nicht bei jeder Aussprache, die Hitler auch mit hohen und höchsten Befehlshabern in seinen Räumen vornahm, anwesend. Mir sind solche Fälle nicht bekannt. Diejenigen Fälle, die eine Rolle gespielt haben in diesem Krieg, damals der Widerstand der Generalität im Westen, vor Beginn des Krieges, den meine ich, habe ich ja zur Genüge dargestellt und Ihre Frage so verstanden, ob mir darüber hinaus noch Fälle bekannt sind.

DR. LATERNSER: Jawohl.

KEITEL: Das andere habe ich ja dargestellt und muß auch nochmals betonen, daß der Oberbefehlshaber des Heeres damals an die Grenze dessen gegangen ist, was militärisch zu rechtfertigen war.

DR. LATERNSER: Welches war die Einstellung Hitlers gegenüber dem Generalstab des Heeres?

KEITEL: Die war nicht gut. Man kann wohl so sagen, er hatte gegen den Generalstab eine innere Voreingenommenheit. Er hielt ihn für überheblich. Ich glaube, das genügt.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat dieses alles schon einmal gehört, wenn nicht öfter als einmal.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich glaube nicht, daß dieser Zeuge schon danach gefragt worden ist. Soweit ich mich erinnern kann, ist dieser Zeuge noch nicht danach gefragt worden.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt, daß er danach bereits gefragt worden ist.

DR. LATERNSER: Ich hätte auf diesen Punkt besonders geachtet und hätte dann die Frage bereits gestrichen, wenn sie durch irgendeinen meiner Vorredner gestellt worden wäre.