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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird morgen früh um 10.00 Uhr in öffentlicher Sitzung tagen. Um 12.30 Uhr wird der Gerichtshof ergänzende Anträge auf Ladung von Zeugen und Vorlage von Dokumenten entgegennehmen, und danach wird um 15 Minuten vor ein Uhr die Verhandlung vertagt und es wird eine nichtöffentliche Sitzung stattfinden.

GENERAL RUDENKO: Angeklagter Keitel! Ich bitte Sie, mir genau zu sagen, wann Sie Ihr Offizierspatent erhalten haben; können Sie mir das sagen?

KEITEL: Am 18. August 1902.

GENERAL RUDENKO: Welche Art militärischer Ausbildung haben Sie genossen?

KEITEL: Ich bin als Offiziersanwärter eingetreten und als einfacher Soldat über die verschiedenen Dienstgrade des Gefreiten und Unteroffiziers, Fähnrich, Leutnant geworden.

GENERAL RUDENKO: Ich fragte Sie über militärische Ausbildung.

KEITEL: Ich bin Truppenoffizier gewesen bis 1909, war dann wohl beinahe sechs Jahre Regimentsadjutant, dann im ersten Weltkrieg Batteriechef, und dann ab Frühling 1915 im Generalstabsdienst.

GENERAL RUDENKO: Anscheinend ist Ihnen meine Frage nicht genau übersetzt worden. Haben Sie die Kriegsakademie oder eine andere Militärschule absolviert, das heißt haben Sie eine diesbezügliche Vorbildung genossen?

KEITEL: Ich bin niemals auf der Kriegsakademie gewesen, habe zweimal an sogenannten großen Generalstabsreisen als Regiments-Adjutant teilgenommen und war im Sommer 1914 zum Großen Generalstab kommandiert und bei Beginn des Krieges 1914 in mein Regiment zurückgekehrt.

GENERAL RUDENKO: Was für eine militärische Vorbereitung und welchen militärischen Grad besaß Hitler?

KEITEL: Ich habe erst vor wenigen Jahren von Hitler selbst erfahren, daß er nach Beendigung des ersten Weltkrieges Leutnant gewesen ist in einem bayerischen Infanterieregiment. Den Krieg hatte er als Soldat, dann als Gefreiter, vielleicht auch als Unteroffizier in letzter Zeit miterlebt.

GENERAL RUDENKO: Sollte man nicht daraus den Schluß ziehen, daß Sie, der Sie eine solide militärische Vorbildung und eine große Erfahrung besitzen, die Möglichkeit hatten, auf Hitler bei der Beschlußfassung in militärisch-strategischen Fragen, die sich auf die Wehrmacht bezogen, einen wesentlichen Einfluß auszuüben?

KEITEL: Nein. Ich muß dazu eine Erklärung geben, in welcher für den Laien und für den Berufsoffizier fast unvorstellbaren Form Hitler Generalstabswerke, Militärliteratur, taktische, operative und strategische Studien studiert hat und ein Wissen auf militärischem Gebiet besessen hat, das nur als staunenswert bezeichnet werden kann. Ich darf es vielleicht mit einem Beispiel bekunden, und die übrigen Offiziere der Wehrmacht werden es bestätigen, daß er über Organisation, Bewaffnung, Führung, Ausrüstung sämtlicher Armeen und, was noch bemerkenswerter ist, aller Flotten der Erde so unterrichtet war, daß es unmöglich war, ihm auch nur einen Irrtum nachzuweisen, und ich muß dazufügen, daß auch während des Krieges, als ich im Hauptquartier ja nun in einer räumlich näheren Umgebung war, Hitler noch in den Nächten in all den großen Generalstabswerken von Moltke, Schlieffen und Clausewitz studiert hat und daraus seine autodidaktische Kenntnis der Dinge besaß. Daher für uns die Vorstellung: Das kann nur ein Genie.

GENERAL RUDENKO: Sie werden wohl nicht verneinen, daß Sie auf Grund Ihrer militärischen Vorbildung und Ihrer Erfahrung der Berater Hitlers in einer Reihe wichtigster Fragen waren.

KEITEL: Ich habe zu seiner engsten militärischen Umgebung gehört und vieles von ihm gehört; ich habe aber gestern auf die Frage meines Verteidigers schon darauf aufmerksam gemacht, daß selbst in einfacheren alltäglichen Organisations- und sonstigen Rüstungsfragen der Wehrmacht in den betreffenden Dingen ich eigentlich – offen gestanden – der Belehrte war und nicht der Belehrende.

GENERAL RUDENKO: Von welchem Zeitpunkt an, glauben Sie, begann Ihre Zusammenarbeit mit Hitler?

KEITEL: Genau an dem Tage, an dem ich in diese Stellung berufen wurde, am 4. Februar 1938.

GENERAL RUDENKO: Also haben Sie in der ganzen Zeitspanne, in der der aggressive Krieg vorbereitet und ausgeführt wurde, mit Hitler zusammengearbeitet?

KEITEL: Ja, ich habe dazu ja schon die nötigen Erklärungen gegeben, wie sich für mich, als den Anfang Februar in diese Situation Hineintretenden, die Dinge dann aneinander gereiht haben, in oftmals überraschend neuen Lagen.

GENERAL RUDENKO: Wer hatte von den leitenden militärischen Mitarbeitern des OKW und des OKH, außer Ihnen, den Rang eines Reichsministers?

KEITEL: Den Rang von Reichsministern hatten die drei Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile, wobei der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Göring, Reichsminister der Luftfahrt außerdem war, und ebenso erhielt ich, wie ich gestern berichtete, den Rang, aber nicht die Befugnisse und nicht die Eigenschaft eines Ministers.

GENERAL RUDENKO: Wer hat von den leitenden militärischen Mitarbeitern des OKW und des OKH, außer Ihnen, die Befehle zusammen mit Hitler und den anderen Ministern unterzeichnet?

KEITEL: Im ministeriellen Bereich der Reichsregierung gab es die Form der Unterschriften des Führers und Reichskanzlers und der engstbeteiligten Minister und am Schluß des Chefs der Reichskanzlei. Im militärischen Bereich gab es das nicht, sondern nach den Gepflogenheiten in der deutschen Armee und Wehrmacht zeichneten die Hauptbearbeiter, der Chef des Stabes und derjenige, der einen Befehl gab, oder wenigstens verfaßt hatte, in Verbindung mit einer Initiale an dem Rand.

GENERAL RUDENKO: Sie haben gestern gesagt, daß Sie solche Befehle unterschrieben haben, und zwar zusammen mit anderen Reichsministern?

KEITEL: Ja, ich habe gestern einzelne Dekrete angegeben, und auch die Begründung, weshalb ich unterschrieben habe, und daß ich dabei nicht ein Reichsminister war und nicht die Eigenschaft eines amtierenden Ministers übernahm.

GENERAL RUDENKO: Welches Organ hat seit Februar 1938 die Funktion des Kriegsministeriums ausgeübt?

KEITEL: Bis zu den letzten Januar- oder ersten Februartagen der ehemalige Reichskriegsminister von Blomberg. Vom 4. Februar ab gab es weder einen Kriegsminister noch ein Kriegsministerium.

GENERAL RUDENKO: Deshalb frage ich Sie auch, welches Organ das Kriegsministerium ersetzt und seine Funktionen ausgeübt hat, da ich weiß, daß dieses Ministerium nicht mehr existierte.

KEITEL: Ich habe mit dem Wehrmachtsamt, dem damaligen Stab des Kriegsministeriums, an dessen Spitze ich stand, die Geschäfte weitergeführt und aufgegliedert, wie ich gestern eingehend bekundet habe, das heißt, alle hoheitlichen Rechte übertragen auf die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile. Das war aber nicht ein Befehl von mir, sondern ein Befehl von Hitler.

GENERAL RUDENKO: Nach der Skizze, die Sie dem Gerichtshof vorgelegt haben, sieht es so aus, als ob das OKW die zentrale, verbindende und höchste Kriegsstelle im Reich gewesen ist, die unmittelbar Hitler unterstellt war. Ist es richtig, daraus diesen Schluß zu ziehen?

KEITEL: Ja, das war der Stab, der militärische Stab Hitlers.

GENERAL RUDENKO: Von wem wurde die Ausarbeitung der militärisch-strategischen Pläne im OKW unmittelbar geleitet? Ich meine die militärischen Angriffspläne auf Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Holland, Frankreich, Norwegen, Jugoslawien und die Sowjetunion.

KEITEL: Ich glaube, daß ich das gestern ganz genau präzisiert habe dahingehend, daß die operativen und strategischen Planungen nach einer Auftragserteilung Hitlers von den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile, also für das Heer vom Oberkommando des Heeres und dem Generalstab des Heeres vorbereitet und Hitler vorgetragen, und dann darüber weitere Entscheidungen getroffen wurden.

GENERAL RUDENKO: Im Zusammenhang mit Jugoslawien möchte ich Sie folgendes fragen: Anerkennen Sie, daß die von Ihnen unterschriebene und herausgegebene Weisung über die vorläufige Aufteilung Jugoslawiens, welche die tatsächliche Vernichtung dieses Landes als eines Staates vorsieht, ein Dokument darstellt, das eine große politische und internationale Bedeutung hat?

KEITEL: Ich habe nicht mehr und nicht weniger getan, als eine Führeranordnung zu Papier gebracht und an diejenigen Stellen, die es interessierte und anging, weitergeleitet. Einen persönlichen oder politischen Einfluß auf diese Fragen habe ich überhaupt nicht gehabt.

GENERAL RUDENKO: Mit Ihrer eigenen Unterschrift?

KEITEL: Für die Unterschriften, die ich geleistet habe, habe ich gestern eine erschöpfende Erklärung gegeben, wie sie zustande kamen und welche Bedeutung sie besitzen.

GENERAL RUDENKO: Das ist richtig. Sie haben darüber gesprochen. Wir haben es gehört und davon werde ich noch sprechen. Ich möchte nun Ihre Position im Hinblick auf Jugoslawien genau feststellen. Geben Sie zu, daß unter unmittelbarer Mitwirkung des OKW provozierende Aktionen organisiert wurden, um einen Grund für den deutschen Angriff und zur Rechtfertigung dieses Angriffs vor der Öffentlichkeit zu schaffen?

KEITEL: Ich habe hier heute vormittag auf die Fragen eines Verteidigers der anderen Angeklagten klar geantwortet, daß ich an keiner Vorbereitung eines Zwischenfalles beteiligt war, und daß militärische Dienststellen auch nach dem Willen Hitlers an der Erörterung, Vorbereitung, Überlegung und Ausführung von Zwischenfällen niemals beteiligt waren. »Zwischenfall« ist hier gemeint als Provokation.

GENERAL RUDENKO: Ich verstehe zweifellos. Inwiefern hat sich das OKW an der Sicherung der Ausrüstung den Sudeten-Freikorps beteiligt?

KEITEL: Herr General, welches Freikorps? Ich weiß nicht, welches Freikorps gemeint ist.

GENERAL RUDENKO: Ich spreche über das Sudetenland.

KEITEL: Ich bin nicht unterrichtet, ob eine militärische Dienststelle dorthin Waffen – wenn ich so sagen darf – verschoben oder heimlich geliefert hat. Das weiß ich nicht. Ein entsprechender Befehl dazu war nicht gegeben, jedenfalls nicht durch meine Hand gegangen. Ich kann mich darauf nicht besinnen.

GENERAL RUDENKO: Wer hat den Befehl erteilt und warum, Mährisch-Ostrau und Witkowitz durch die deutschen Truppen am 14. März 1939 nachmittags zu besetzen, während der Präsident Hacha sich zu dieser Zeit noch auf dem Weg nach Berlin befand, um dort Besprechungen mit Hitler zu führen?

KEITEL: Den Befehl hat letzten Endes ausgelöst und entschieden der Führer. Es war vorbereitet, dieses Gebiet mit dem bekannten großen modernen Stahlwerk, das in der Gegend von Mährisch-Ostrau liegt – der Name fällt mir eben nicht ein – handstreichartig und vor dem ursprünglich gedachten Einmarschtag in die Tschechoslowakei zu besetzen. Als Begründung für diesen Entschluß hat mir Hitler gesagt, es geschehe, um zu verhindern, daß die Polen plötzlich von Norden her einen Zugriff machten und das modernste Walzwerk der Welt eventuell in Besitz nehmen. Das hat er mir als Grund gesagt und die Operation, das heißt die Besetzung, hat tatsächlich in den späten Abendstunden des 14. März stattgefunden.

GENERAL RUDENKO: Ja, aber zur selben Zeit befand sich der Präsident Hacha auf der Reise nach Berlin zwecks Besprechungen mit Hitler, ist das richtig?

KEITEL: Ja, das stimmt.

GENERAL RUDENKO: Das ist doch eine Gemeinheit!

KEITEL: Ich glaube nicht, daß ich zu dem Tatbestand noch ein Werturteil abgeben muß. Es ist richtig, daß diese Besetzung an diesem Abend erfolgte. Die Gründe habe ich angegeben, und der Präsident Hacha hat es erst erfahren, als er in Berlin eintraf. Jetzt erinnere ich mich an den Namen, das Stahlwerk war Witkowitz.

GENERAL RUDENKO: Ich habe an Sie mehrere Fragen im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Sowjetunion zu stellen. Sie haben gestern dem Gerichtshof Ihre Erklärungen üben diesen Gegenstand bereits abgegeben. Sie haben Ihre Stellungnahme, was den Angriff auf die Sowjetunion betrifft, auseinandergesetzt. Sie haben dem Gerichtshof jedoch gesagt, daß der Befehl für die Vorbereitung des Falles »Barbarossa« im Monat Dezember 1940 erteilt wurde. Stimmt das?

KEITEL: Ja.

GENERAL RUDENKO: Sie erinnern sich genau daran und können Sie es auch mit Bestimmtheit behaupten?

KEITEL: Ich weiß oder erinnere mich nicht an irgendeinen bestimmten Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht, das diesen Plan, kurz »Barbarossa« genannt, schon durch einen vorhergehenden Befehl angeordnet hätte. Ich habe gestern allerdings ausgeführt, daß schon, wohl im September, eine Anweisung ergangen war in Bezug auf das Transport- und Eisenbahnwesen und ähnliche Dinge. Ob ich diese Anweisung unterschrieben habe, das ist mir nicht mehr in Erinnerung, aber eine solche vorbereitende Anweisung zur Verbesserung der Transportverhältnisse vom Westen nach Osten habe ich gestern schon hier angeführt.

GENERAL RUDENKO: Im September, meinen Sie?

KEITEL: Das kann im September oder Oktober gewesen sein, ich kann mich auf die Zeit nicht mehr festlegen.

GENERAL RUDENKO: Ich möchte es genau wissen.

KEITEL: Genauere Angaben kann vielleicht in einem späteren Stadium der General Jodl machen, der das besser wissen muß.

GENERAL RUDENKO: Ja, wenn er verhört wird, werden wir ihn in dieser Angelegenheit befragen. Ich möchte gern, daß Sie in Kürze sich an alle Umstände erinnern: Zum erstenmal haben Sie über den Plan Hitlers, die Sowjetunion anzugreifen, im Sommer 1940 gehört. Nicht wahr?

KEITEL: Nein, im Sommer 1940 hat dieses im Tagebuch Jodls verzeichnete Gespräch – ich glaube, daß Sie daran denken, Sie meinen doch das Gespräch aus dem Tagebuch Jodls – dieses offenbar sehr flüchtige und sehr kurze Gespräch habe ich nicht erlebt und nicht gehört. Meine Überlegungen aus damaliger Zeit rechtfertigen auch meine Ansicht, das nicht erlebt zu haben, weil ich fast täglich mit dem Flugzeug damals unterwegs war und den Lagevorträgen damals nicht beigewohnt habe.

GENERAL RUDENKO: Und wann hatten Sie das Gespräch mit Ribbentrop?

KEITEL: Das kann in den letzten Tagen August, ich glaube, Anfang September gewesen sein. Aber den genauen Tag kann ich nicht mehr angeben. Ich konstruiere den Zeitpunkt darnach, daß ich erst etwa am 10. August in Berchtesgaden wieder eingetroffen bin und in der späteren Zeit dann diese Denkschrift verfaßt habe, von der ich gestern gesprochen habe.

GENERAL RUDENKO: Sie behaupten also hier vor dem Gerichtshof, über den Plan Hitlers, die Sowjetunion anzugreifen, zum erstenmal aus Ihrem Gespräch mit Ribbentrop erfahren zu haben?

KEITEL: Nein, nein, sondern nach einer etwa vierzehntägigen Abwesenheit aus Berchtesgaden, teils Urlaub, teils Dienst in Berlin, kam ich in das Hauptquartier Berchtesgaden zurück und habe dann an einem der folgenden Tage, etwa Mitte August, zum erstenmal Gedankengänge Hitlers dieser Art gehört. Darauf setzte meine Überlegung, meine Denkschrift an.

GENERAL RUDENKO: Also ist meine Frage richtig gestellt, wenn ich sage, daß es im Sommer 1940 war, daß Sie von den Plänen Hitlers Kenntnis erhielten?

KEITEL: Ja, Mitte August ist letzten Endes auch noch Sommer.

GENERAL RUDENKO: August ist immer noch Sommer, darüber wollen wir nicht streiten. Weiter: Ich möchte Sie dann noch an die Aussagen des Zeugen Paulus erinnern, die er am 11. Februar dieses Jahres vor diesem Gerichtshof gemacht hat. Sie werden sich daran erinnern, daß Paulus dem Gerichtshof mitgeteilt hat, daß, als er seinen Dienst im OKH am 3. September 1940 antrat, er unter anderen Plänen auch einen vorläufigen, noch nicht beendeten operativen Plan für einen Angriff auf die Sowjetunion vorgefunden hat. Dieser Plan ist unter dem Namen »Barbarossa« bekannt. Erinnern Sie sich an diese Aussagen des Zeugen Paulus?

KEITEL: Ich erinnere mich nur insoweit, als er sagte, es sei eine Studie oder Entwurf für ein Kriegsspiel gewesen, und daß er seinerzeit bei seiner Versetzung zum Oberkommando des Heeres, Generalstab des Heeres, eine Unterlage vorgefunden habe. Diese ist mir unbekannt und konnte mir auch nicht bekannt sein, weil mir die Unterlagen, Akten und sonstigen Studien des Generalstabs des Heeres niemals zur Verfügung und niemals zur Einsicht standen.

GENERAL RUDENKO: Ich möchte einen Umstand feststellen: Sie bestreiten also, daß im September 1940 im OKH bereits Pläne im Zusammenhang mit dem Plan »Barbarossa« ausgearbeitet wurden?

KEITEL: Wenn man das Zeugnis des Generalfeldmarschalls Paulus hat, dann kann ich nicht sagen, daß es nicht wahr ist, weil ich es nicht wissen kann, ob es wahr gewesen ist. Ich kann es weder bestreiten, noch kann ich es bejahen.

GENERAL RUDENKO: Gut. Sie haben hier dem Gerichtshof erklärt, daß Sie ein Gegner des Krieges gegen die Sowjetunion gewesen sind. Stimmt das?

KEITEL: Ja.

GENERAL RUDENKO: Sie haben ebenfalls erklärt, daß Sie Hitler aufsuchten, um ihm den Vorschlag zu machen, er möge seine Pläne hinsichtlich der Sowjetunion abändern. Stimmt das?

KEITEL: Ja, nicht nur abändern, sondern diesen Plan fallen lassen und keinen Krieg gegen die Sowjetunion führen. Das war der Inhalt meiner Denkschrift.

GENERAL RUDENKO: So habe ich es auch gemeint. Ich will Sie jetzt über die Ihnen offenbar bekannte Besprechung befragen, die am 16, Juli 1941, das heißt drei Wochen nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion, stattfand. Erinnern Sie sich an diese Besprechung, welche die Aufgaben der Kriegführung gegen die Sowjetunion zum Gegenstand hatte?

KEITEL: Nein, ich weiß im Augenblick nicht, was gemeint ist. Ich weiß es nicht.

GENERAL RUDENKO: Ich habe nicht die Absicht, Ihnen jetzt dieses Schriftstück vorzulegen. Sie werden sich daran erinnern, daß ich dieses Dokument dem Angeklagten Göring vorgelegt habe, und zwar zu der Zeit, als die Frage der Aufteilung und Angliederung der Sowjetunion erörtert wurde. Erinnern Sie sich jetzt?

KEITEL: Es ist ein Dokument, das ich kenne. Es hat, glaube ich, oben die Bezeichnung »BO-FU«, und ich habe es doch hier bei meinem Verhör als eine Niederschrift von dem Reichsleiter Bormann charakterisiert.

GENERAL RUDENKO: Sehr richtig.

KEITEL: Die Feststellung stammt von mir. Ich habe auch damals hier ausgesagt, daß ich erst im zweiten Teil dieser Besprechung zugezogen worden bin, dem ersten Teil nicht beigewohnt habe, und habe ausgesagt, daß es kein Protokoll ist, sondern eine freie Niederschrift des Reichsleiters Bormann, ein Diktat.

GENERAL RUDENKO: Aber Sie erinnern sich daran, daß schon damals, am 16. Juli, die Frage der Angliederung der Krim, der baltischen Gebiete, der Gebiete am Wolgafluß, der Ukraine, Weißrußlands und anderer Gebiete an Deutschland behandelt wurde.

KEITEL: Nein, ich glaube, das war im ersten Teil dieser Besprechung erörtert worden. Ich habe die Besprechung in der Erinnerung etwa von dem Stadium an, als Personalfragen besprochen worden sind über bestimmte einzusetzende Persönlichkeiten. Das war mir in Erinnerung. Diese Niederschrift habe ich erst hier gesehen und kannte sie nicht vorher, und die erste Hälfte der Besprechung habe ich nicht miterlebt.

GENERAL RUDENKO: Erlauben Sie mir, dann die Frage anders zu formulieren: Welche Endziele wurden damals von Hitler und seiner Umgebung, den Krieg gegen die Sowjetunion betreffend, verfolgt?

KEITEL: Ich habe die tieferen Gründe dieses Krieges nach den Darstellungen, wie sie Hitler mir gegeben hat, so gesehen, daß er davon überzeugt war, im Laufe der nächsten Jahre würde zwischen dem großslawisch-kommunistischen Reich und dem Deutschen Reich des Nationalsozialismus es zu einem Kriege so oder so kommen, und die Begründungen, die mir gegenüber gegeben worden sind, waren die: Wenn ich schon glaube, überzeugt bin, daß diese Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Völkern stattfinden wird, dann ist es besser jetzt als später. So kann ich es formulieren. Die Fragen, die in diesem Dokument drinstehen über die Aufteilung einzelner Gebietsteile, die sind mir auch nicht erinnerlich oder nicht gegenwärtig und sie waren vielleicht Phantasiegebilde.

GENERAL RUDENKO: Sie behaupten unter Eid vor dem Gerichtshof, daß Sie nichts von Hitlers Plänen wußten, sich die Gebiete der Sowjetunion anzueignen und sie zu kolonisieren?

KEITEL: Nein, das ist nicht ausgesprochen worden in dieser Form. Es ist mir wohl zum Bewußtsein gekommen, die baltischen Provinzen in eine Abhängigkeit von Deutschland zu bringen, die Ukraine in ein enges Verhältnis von Ernährungs- oder wirtschaftlichen Beziehungen zu bringen, aber konkrete Eroberungsobjekte sind mir nicht bekannt, und diese sind, wenn sie mal gestreift worden sind, von mir nicht als ernstes Problem angesehen worden. So habe ich es damals aufgefaßt, ich darf ja nicht darstellen, wie ich es heute sehe, sondern wie ich es damals gesehen habe.

GENERAL RUDENKO: Hatten Sie davon Kenntnis, daß bei dieser Besprechung vom 16. Juli Hitler erklärte, daß es notwendig wäre, die Stadt Leningrad dem Erdboden gleichzumachen?

KEITEL: Ich glaube nicht, daß in dieser Besprechung... Ich habe das Dokument auch hier nochmals gelesen. Daß es drinsteht, darauf kann ich mich jetzt nicht besinnen, aber ich habe das Dokument ja hier in der Hand gehabt, durchgelesen in Gegenwart des Herrn Anklagevertreters der Amerikanischen Delegation, und wenn es darin steht, dann kann es sich nur danach richten, ob ich es damals gehört oder nicht gehört habe, nach dem Zeitpunkt, zu dem ich in diese Besprechung hineingezogen wurde.

GENERAL RUDENKO: Ich sagte bereits, daß ich keine Absicht habe, Ihnen dieses Dokument, das schon oft vorgelegt wurde, jetzt vorzulegen. Aber in dem Protokoll, das dem Angeklagten Göring bereits zitiert wurde und das er selbst gelesen hat, steht geschrieben: »Die Finnen beanspruchen das Leningradgebiet. Der Führer will Leningrad dem Erdboden gleichmachen, um es dann den Finnen abzutreten.«

KEITEL: Ich kann nur sagen, man muß feststellen, von wann ab ich der Besprechung beigewohnt habe. Was vorher gesprochen wurde, habe ich nicht gehört, und das kann ich nur anzeigen, wenn man mir das Dokument gibt oder die Voruntersuchung aus dem Protokoll entnimmt; das habe ich damals dem vernehmenden Richter gesagt.

GENERAL RUDENKO: Gut. Wir werden Ihnen gleich das Protokoll der Besprechung vom 16. Juli vorlegen, Während diese Stelle gesucht wird, möchte ich Ihnen noch einige Fragen stellen. Inzwischen wird die Stelle gefunden werden.

War Ihnen aus anderen Dokumenten nichts über die Zerstörung von Leningrad bekannt?

KEITEL: Ich bin danach gefragt worden von der Russischen Delegation und dem Herrn General, der hier im Saale anwesend ist. Er hat mich auf ein Dokument aufmerksam gemacht.

GENERAL RUDENKO: Das war in der Voruntersuchung, ganz recht.

KEITEL: Ich kenne sowohl das Dokument, das von der Marine geschrieben war, von einem Admiral. Ich kenne auch ein zweites Dokument, das eine kurze Anweisung, ich glaube im Auftrag Jodls, enthielt wegen Leningrad. Zu beiden bin ich verhört worden. Demgegenüber kann ich nur feststellen, daß weder durch die Einwirkungen einer Belagerungsartillerie noch durch die Einwirkungen der deutschen Luftwaffe ein Zerstörungswerk in dem Sinne vonstatten gegangen ist, wie wir es an anderen Stellen besser kennen. Es ist nicht praktisch geworden, es ist nicht dazu gekommen. Es ist niemals zu einer systematischen Beschießung von Leningrad, soviel ich weiß, gekommen. Infolgedessen kann man auch nur das feststellen, was ich damals unter Eid den Herren der Sowjetrussischen Delegation gesagt habe.

GENERAL RUDENKO: Ihrem Wissen nach ist Leningrad niemals durch Artilleriefeuer beschossen worden?

KEITEL: Gewiß ist auch mit Artillerie im Raum von Leningrad geschossen worden, aber im Sinne eines Zerstörungsschießens, dazu ist es gar nicht gekommen, dazu ist es nicht gekommen. Das wäre eingetreten, Herr General, wenn es zu einem Angriff auf Leningrad gekommen wäre.

GENERAL RUDENKO: Blicken Sie auf dieses Dokument, und ich werde Ihnen nachher noch ergänzende Fragen stellen.