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[zum Zeugen gewandt]

Obwohl Sie mir sagten, daß Sie diesen Befehl Ihrem Verteidiger bereits erklärt haben, muß ich doch diese Frage in einer etwas anderen Form an Sie richten. Waren Sie der Ansicht, daß ein Offizier das Recht hatte, Menschen ohne Gerichtsverfahren und Voruntersuchung zu erschießen?

KEITEL: In der deutschen Armee hat es von jeher gegen eigene Soldaten, ebenso wie für Gegner, Standgerichte gegeben, die stets zusammengesetzt werden konnten aus einem Offizier und ein bis zwei Soldaten, die drei als Richter auftretend. Das nennen wir ein Standgericht. Es muß nur immer ein Offizier als Oberster in diesem Gericht vorhanden sein. Ich muß aber hierzu grundsätzlich die Erklärung, die ich gestern gegeben habe, wiederholen...

GENERAL RUDENKO: Einen Augenblick bitte. Ich bitte Sie, auf folgende Frage zu antworten: Wurde nicht durch dieses Dokument ein Rechts- und Prozeßverfahren im Falle sogenannter Verdächtiger abgeschafft und den Offizieren des deutschen Heeres das Recht zur Erschießung übertragen? Ist das richtig?

KEITEL: Bei deutschen Soldaten war es richtig und war es zugelassen. Es gibt ein Kriegsgericht mit richterlichen Beamten und es gibt ein Standgericht, das sich aus Soldaten zusammensetzt. Diese sind berechtigt, im Standgerichtsverfahren gegen jeden Soldaten des deutschen Heeres ein entsprechendes Urteil zu vollziehen und zu vollstrecken.

VORSITZENDER: Sie beantworten nicht die Frage. Die Frage lautet, welches Recht dieses Dokument erteilt und nicht welche Bestimmungen im deutschen Heer galten.

GENERAL RUDENKO: Können Sie mir diese Frage beantworten: Hat dieses Dokument nicht ein Rechts- und Gerichtsverfahren abgeschafft und hat es nicht dem deutschen Offizier das Recht erteilt, wie es hier heißt, Verdächtige erschießen zu lassen?

KEITEL: Das war ein Befehl, der mir von Hitler gegeben worden ist. Er hat diesen Befehl an mich gegeben und ich habe meinen Namen daruntergesetzt. Welche Bedeutung das hat, habe ich gestern eingehend erklärt.

GENERAL RUDENKO: Sie, ein Feldmarschall, unterschrieben diese Verordnung. Sie betrachten diese Verordnung als unrichtig. Sie begreifen ihre Folgen. Warum unterschrieben Sie denn diesen Befehl?

KEITEL: Ich kann nicht mehr sagen, als daß ich meinen Namen daruntergesetzt habe und welches Maß von Verantwortung ich für meine Person damit in meiner Dienststellung übernommen habe.

GENERAL RUDENKO: Und nun noch eine Frage. Dieser Befehl ist vom 13. Mai 1941, fast einen Monat vor Beginn des Krieges gegen Rußland datiert. Sie haben also bereits im voraus die Ermordung von Menschen geplant?

KEITEL: Das verstehe ich nicht. Es ist richtig, daß dieser Befehl vier Wochen vor Beginn des Feldzuges »Barbarossa« herausgegeben worden ist und bereits weitere vier Wochen vorher ist es den Generalen in einer Erklärung Hitlers übermittelt worden. Sie wußten das schon wochenlang vorher.

GENERAL RUDENKO: Wie diese Verordnung ausgeführt wurde, das wissen Sie, ja?

KEITEL: Ich habe, wie in der Voruntersuchung auch dem mich vernehmenden General der Sowjetarmee, darüber meine Auffassung gesagt. Die Tatsache, ob Generale mit mir sich über den Befehl ausgesprochen haben, ist nicht erwähnt worden, ich weise aber darauf hin, daß hier ausdrücklich steht, daß die oberen Befehlshaber diesen Befehl mit der Gerichtsbarkeit dann zu suspendieren berechtigt sind, wenn in ihrem Gebiet Befriedung eingetreten ist. Das habe ich auch jedem General, der mich nach den Ursachen und nach den Wirkungen dieses Befehls gefragt hat, geantwortet und ihm gesagt, es steht darin, daß sie die Sache außer Kraft setzen dürfen, sobald sie ihr Gebiet als befriedet ansehen. Das ist eine individuelle subjektive Ermessensfrage des Befehlshabers. Das steht drin.

GENERAL RUDENKO: Schließlich die letzte Frage im Zusammenhang mit diesem Befehl oder Verordnung. Diese Verordnung hat tatsächlich deutschen Soldaten und Offizieren Straflosigkeit für gesetzwidrige und Willkürakte zugesichert?

KEITEL: In gewissen Grenzen, in gewissen Grenzen! Denn die Grenze war in den mündlichen Befehlen den Generalen genau gesagt worden, nämlich: Anwendung der schärfsten Disziplin in der eigenen Truppe.

GENERAL RUDENKO: Ich glaube, Angeklagter Keitel, daß Sie diese »gewissen Grenzen« bereits klar und deutlich in den verschiedenen Dokumenten, die dem Gerichtshof vorgelegt wurden und in den Filmvorführungen erkannt haben.

Ich habe nun folgende Frage: Am 12. Mai 1941 ist die Frage der Behandlung russischer politischer Kommissare und Militärgefangener bearbeitet worden. Erinnern Sie sich an dieses Schriftstück?

KEITEL: Im Augenblick weiß ich nicht, welches gemeint ist, im Augenblick ist mir nicht klar, was gemeint ist.

GENERAL RUDENKO: Ich meine das Dokument vom 12. Mai 1941, welches anordnete, die politischen Leiter der Roten Armee nicht als Kriegsgefangene anzuerkennen, sondern zu vernichten.

KEITEL: Ich habe darüber nur Prüfungsvermerke gesehen. Das Dokument ist mir im Augenblick nicht in dem Sinn gegenwärtig; der Sachverhalt ist mir bekannt. Das Dokument kann ich im Augenblick mir nicht ins Gedächtnis zurückrufen. Darf ich es einmal sehen?

GENERAL RUDENKO: Bitte sehr!