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[Dem Zeugen wird das Dokument ausgehändigt.]

VORSITZENDER: Welche Nummer hat das Dokument?

GENERAL RUDENKO: 884-PS. Es ist ein Dokument vom 12. Mai 1941 und trägt den Titel »Behandlung gefangener politischer und militärischer russischer Funktionäre«.

KEITEL: Es ist kein Befehl, sondern eine Vortragsnotiz von der Abteilung Landesverteidigung mit dem Bemerken, daß Entscheidungen des Führers noch erforderlich sind. Die Vortragsnotiz bezieht sich wohl auf den Vorschlag eines Befehls, das ist mir jetzt erinnerlich. Ich habe es auch damals gesehen und das Ergebnis des Vortrages ist nicht vermerkt, sondern lediglich ein Vorschlag, der hier festgelegt worden ist für die Regelung. Meines Wissens ist die Regelung im Sinne dieses Vorschlages dann dem Heer, dem Oberkommando des Heeres, mitgeteilt worden, als vom Führer genehmigt oder unmittelbar zwischen dem Führer und dem Oberbefehlshaber des Heeres erledigt oder besprochen oder abgeschlossen worden.

GENERAL RUDENKO: Was meinen Sie, wenn Sie von »Regulierung« sprechen, denn wir kennen soviele Ausdrücke in der deutschen Armee: »Regulierung«, »Spezialbehandlung«, »Exekution«, all das in eine direkte Sprache übersetzt heißt Ermordung. Woran denken Sie, wenn Sie »Regulierung« sagen?

KEITEL: Ich habe nicht »Regulierung« gesagt, ich weiß nicht, welches Wort als »Regulierung« verstanden worden ist. Ich habe gesagt, daß im Sinne der Vortragsnotiz nach meiner Erinnerung die Anordnungen dem Heer gegenüber von Hitler damals getroffen worden sind, das heißt die Zustimmung zu dem Vorschlag, der auf der Vortragsnotiz steht.

GENERAL RUDENKO: Sie verneinen also nicht, daß bereits im Mai, also mehr als einen Monat vor Kriegsbeginn, ein Entwurf für die Vernichtung russischer politischer Kommissare und Militärs vorlag? Das verneinen Sie doch nicht?

KEITEL: Nein, das verneine ich nicht, sondern es war das Ergebnis der Anordnungen, die mitgeteilt und von den Generalen hier schriftlich ausgearbeitet worden sind.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.

[Das Gericht vertagt sich bis

6. April 1946, 10.00 Uhr.]

Einhunderterster Tag.

Samstag, 6. April 1946.

Vormittagssitzung.

GENERAL RUDENKO: Angeklagter Keitel! Ich werde Sie über den Befehl gegen die sogenannte kommunistische Aufstandsbewegung in den besetzten Gebieten fragen. Gestern hat Ihr Verteidiger Ihnen diesen Befehl vorgelegt. Es ist ein Befehl vom 16. September 1941, Nummer R-98. Ich möchte Ihnen eine Stelle aus diesem Befehl in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Dort steht geschrieben:

»Um die Umtriebe im Keime zu ersticken, sind beim ersten Anlaß unverzüglich die schärfsten Mittel anzuwenden, um die Autorität der Besatzungsmacht durchzusetzen und einem weiteren Umsichgreifen vorzubeugen.«

Und weiter heißt es:

»Dabei ist zu bedenken, daß ein Menschenleben in den betroffenen Ländern ›absolut‹... nichts gilt und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann.«

Erinnern Sie sich an diesen Punkt, den grundlegenden Punkt dieses Befehls, »daß das Menschenleben absolut nichts gilt«. Erinnern Sie sich an diesen Satz?

KEITEL: Ja.

GENERAL RUDENKO: Haben Sie diesen Befehl mit dieser darin enthaltenen Behauptung unterschrieben?

KEITEL: Ja.

GENERAL RUDENKO: Sind Sie der Ansicht, daß dieser unheilvolle Befehl durch die Notwendigkeit verursacht wurde?

KEITEL: Die Ursachen dieses Befehls habe ich gestern zum Teil schon dargelegt und darauf hingewiesen, daß diese Anweisung in erster Linie gerichtet war an den Oberbefehlshaber beziehungsweise die Wehrmachtsdienststellen im Südosten; das ist das Balkangebiet, in welchem ein umfangreicher Partisanenkrieg und Krieg der Führer untereinander ungeheuerliche Ausmaße angenommen hatte, zweitens, weil im gleichen Umfange oder in ähnlichem Umfange solche Beobachtungen und Feststellungen auch in gewissen begrenzten Teilen des besetzten Gebietes der Sowjetunion beobachtet wurden und festgestellt waren.

GENERAL RUDENKO: Sie sind also der Ansicht, daß dieser Befehl richtig war?

KEITEL: Ich habe meinen grundsätzlichen Standpunkt zu allen Anordnungen, die in Bezug auf die Behandlung der Bevölkerung gegeben wurden, schon eingehend auf Befragen dargelegt. Ich habe den Befehl unterschrieben und damit im Rahmen meiner Dienstbefugnisse auch eine Verantwortung übernommen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie diese Frage nicht beantwortet haben. Die Frage konnte mit Ja oder Nein beantwortet und die Erklärung nachher gegeben werden. Ihre Erklärung, daß Sie die Angelegenheit Ihrem Verteidiger bereits auseinandergesetzt haben, ist keine Antwort auf die Ihnen gestellte Frage.

GENERAL RUDENKO: Ich frage Sie noch einmal, sind Sie der Ansicht, daß dieser Befehl – ich unterstreiche – gerade dieser Befehl, in dem es heißt, daß »das Menschenleben absolut nichts gilt« richtig ist. Halten Sie ihn für richtig?

KEITEL: Diese Worte stehen nicht darin, aber die Tatsache, daß in den Südostgebieten und auch zum Teil in den Sowjetgebieten das Menschenleben nicht in dem Umfange geachtet wurde, das war mir auch bekannt aus den langen Jahren der Tatsachen vorher.

GENERAL RUDENKO: Sie sagten, daß diese Worte nicht in dem Befehl stehen?

KEITEL: Meines Wissens stehen sie nicht absolut darin, sondern es steht darin, daß in diesen Gebieten das Menschenleben wenig gilt, so ähnlich ist meine Erinnerung.

GENERAL RUDENKO: Ihrem Wissen nach erinnern Sie sich, daß der General Alexandrow Sie am 9. November 1945 verhört hat. Auf die Frage diesen Satz betreffend, haben Sie geantwortet: »Ich muß anerkennen, daß dieser Satz authentisch ist, jedoch hat ihn der Führer persönlich in diesen Befehl eingefügt«. Erinnern Sie sich Ihrer Erklärungen?

KEITEL: Das stimmt. Das ist auch richtig.

GENERAL RUDENKO: Ich kann Ihnen diesen Befehl vorlegen. Ich habe es bisher nicht getan, weil Sie ihn ja gestern zu lesen bekommen haben.

KEITEL: Ich habe ihn aber gestern nicht mehr in allen Punkten durchgelesen, sondern nur sein tatsächliches Bestehen anerkannt.

VORSITZENDER: Es wäre uns eine Hilfe, wenn Sie eine Übersetzung des Dokuments hätten. Wenn Sie ein Kreuzverhör über ein Dokument machen, insbesondere, wenn es auf den genauen Wortlaut ankommt, ist es für uns sehr unbequem, wenn wir dieses Dokument nicht vor uns haben.

GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender, ich werde gleich dem Angeklagten diesen Befehl vorlegen.