[Zum Zeugen gewandt:]
Angeklagter, ich werde Ihnen das deutsche Dokumentenbuch vorlegen lassen. Seite 279 im britischen Dokumentenbuch und Seite 289...
KEITEL: Nummer 731?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist Seite 289. Ich weiß nicht, in welchem Band, Teil 2, glaube ich. Sie werden den Zweck dieses Erlasses sehen, und zwar einige Zeilen vom Anfang an, wo gesagt wird, daß in allen anderen Fällen, wo die Todesstrafe nicht ausgesprochen und innerhalb acht Tagen vollstreckt worden ist,
»... sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Strafsachen hier betrieben werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahmen liegt: a) in dem spurlosen Verschwindenlassen der Beschuldigten, b) darin, daß über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf.«
Beide Absichten, werden Sie wohl zugeben, waren äußerst grausam und brutal, nicht wahr?
KEITEL: Ich habe damals und gestern auch schon ausgesagt, daß ich persönlich der Ansicht war, daß die heimliche Abtransportierung für mein Gefühl außerordentlich viel grausamer war, als ein Todesurteil im Einzelfalle. Das habe ich...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schlagen Sie Seite 281 – bei Ihnen 291 auf. 281 im englischen Text.
KEITEL: Ja, ich habe es.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen, daß das Ihr Begleitschreiben ist:
»Der Führer ist der Ansicht:« – Zeile 4 – »Bei solchen Taten werden Freiheitsstrafen, auch lebenslängliche Zuchthausstrafen, als Zeichen von Schwäche gewertet. Eine wirksame und nachhaltige Abschreckung ist nur durch Todesstrafen oder durch Maßnahmen zu erreichen, die die Angehörigen und die Bevölkerung über das Schicksal des Täters im Ungewissen halten.«
Sie werden zugeben, daß auch hier wieder die Sätze des Führers, die Sie hier übermitteln, grausam und brutal waren, nicht wahr?
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, was ich...
KEITEL: Ich darf da noch etwas hinzufügen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich. So kurz wie möglich, bitte.
KEITEL: Ich habe gestern eine Erklärung auch hierzu gegeben und insbesondere hingewiesen auf die Worte: »Es ist der lang erwogene Wille des Führers«, womit ich auch den diesen Befehl empfangenden Generalen sagen wollte, was da zwischen den Zeilen zu verstehen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie wissen doch, Angeklagter, daß dies keineswegs das Ende dieser Reihe von Erlassen war, nicht wahr? Dieser Erlaß war, trotz seiner Grausamkeit und Brutalität, hinsichtlich der Erfüllung seines Zweckes erfolglos, nicht wahr? Dieser Erlaß, der Nacht-und-Nebel-Erlaß, war hinsichtlich der Erfüllung seines Zweckes, in dieser Form, erfolglos. Er hat das nicht verhindert, was verhindert werden sollte. Ist das richtig?
KEITEL: Nein, es hat nicht aufgehört.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So daß Sie 1944 einen noch grausameren Erlaß herausgeben mußten. Sehen Sie sich bitte Dokument D-762 an. Euer Lordschaft! Das wird als GB-298 eingereicht werden.
[Zum Zeugen gewandt:]
Dort steht:
»Die ständig zunehmenden Terror- und Sabotageakte in den besetzten Gebieten, die mehr und mehr von einheitlich geführten Banden begangen werden, zwingen zu schärfsten Gegenmaßnahmen, die der Härte des uns aufgezwungenen Krieges entsprechen. Wer uns im entscheidenden Stadium unseres Daseinskampfes in den Rücken fällt, verdient keine Rücksicht.
Ich befehle daher:
I. Alle Gewalttaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten gegen die Deutsche Wehrmacht, SS und Polizei und gegen Einrichtungen, die deren Zwecken dienen, sind als Terror- und Sabotageakte folgendermaßen zu bekämpfen:
›1. Die Truppe,‹ – SS und so weiter – ›haben Terrori sten und Saboteure... sofort an Ort und Stelle niederzukämpfen.
2. Wer später ergriffen wird, ist der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben.
3. Mitläufer, besonders Frauen, die nicht unmittelbar an Kampfhandlungen teilnehmen, sind zur Arbeit einzusetzen. Kinder sind zu schonen‹.«
Sehen Sie sich jetzt Abschnitt II an:
»Die erforderlichen Durchführungsbestimmungen erläßt der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Er ist zu Änderungen und Ergänzungen befugt, soweit ein Bedürfnis der Kriegsführung es gebietet.«
Hielten Sie dies für eine grausame und strenge Verordnung oder nicht?
KEITEL: Ja, das glaube ich. Ich darf aber kurz ein Wort berichtigen, es ist wohl falsch bei mir durchgekommen, es lautet:
»Frauen sind zur Arbeit einzusetzen. Kinder sind zu schonen«, heißt es in dem Original, das ich hier vor mir habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe auch »schonen« gesagt. »Schonen« heißt, daß Kinder nicht auf diese Weise behandelt werden sollten. Ich habe das ausdrücklich erwähnt.
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Sie hatten die Befugnis zu Änderungen und Ergänzungen. Haben Sie durch Änderungen und Ergänzungen in irgendeiner Weise versucht, diesen Befehl zu mildern?
KEITEL: Ich erinnere mich nicht, daß ich irgendwelche zusätzlichen Milderungen herausgegeben habe. Ich darf auch sagen, daß ich niemals etwas herausgegeben hätte, ohne es vorher dem Führer vorzulegen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Lassen Sie uns mal sehen, was Sie herausgegeben haben. Sehen Sie sich Dokument D-764 an. Es ist GB-299.
Das ist Ihr Durchführungserlaß, gegengezeichnet, glaube ich, von dem Oberfeldrichter, und er enthält Ihren auf dieser Verordnung beruhenden Befehl. Wollen Sie sich bitte Absatz 4 und 5 ansehen?
»4. Laufende gerichtliche Verfahren wegen aller Terror- und Sabotageakte und aller sonstigen Straftaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht gefährden, sind auszusetzen. Anklagen sind zurückzunehmen. Die Vollstreckung ist nicht mehr anzuordnen. Die Täter sind mit den Vorgängen der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben. Für bereits rechtskräftige Todesurteile bleibt es bei den bisher geltenden Bestimmungen.
5. Straftaten, die deutsche Interessen zwar berühren, aber die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besat zungsmacht nicht gefährden, rechtfertigen nicht, die Gerichtsbarkeit gegen nichtdeutsche Zivilpersonen in den besetzten Gebieten beizubehalten. Ich ermächtige die Befehlshaber der besetzten Gebiete, im Einvernehmen mit dem höheren SS- und Polizeiführer eine andere Regelung zu treffen.«
Und dann fordern Sie, in erster Linie eine Übergabe dieser Leute zur Zwangsarbeit an den SD in Betracht zu ziehen.
Das war ganz bestimmt keine Abschwächung des Befehls, nicht wahr? Sie haben ihn nicht gemildert?
KEITEL: Es kommen hier noch ein paar Sätze dazu. Das ist aus den täglichen Erörterungen dieser Dinge dann entstanden und von mir später behandelt im Sinne des ersten Erlasses. Ich machte entsprechende Erläuterungen, und die habe ich unterschrieben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, das nannten Sie Terror und Sabotage. Wollen wir uns einmal ansehen, was mit den Leuten geschah, die sich geringerer Vergehen als Terror und Sabotage schuldig gemacht haben. Sehen Sie sich Dokument D-763 an. Das ist GB-300. »Nichtdeutsche Zivilpersonen.«
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE:
»Nichtdeutsche Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungs macht in anderer Weise als durch Terror- und Sabotageakte gefährden, sind dem SD zu übergeben. Auch für sie gilt Abschnitt I, Nummer 3 des Führerbefehls.«
Das ist der Teil des Führerbefehls, in dem es heißt, daß Frauen zur Arbeit herangezogen und Kinder verschont werden sollen.
Sie wußten doch ganz genau, was mit denjenigen geschehen würde, die dem SD ausgeliefert wurden. Sie wurden aller Wahrscheinlichkeit nach getötet, bestimmt aber in ein KZ gesteckt. Nicht wahr?
KEITEL: Das war mir eigentlich in dem Sinne nicht klar, sondern es lautete immer »zum Arbeitseinsatz«. Aber aus den mir hier bekanntgewordenen Dingen ist offenbar das Ende häufig das KZ gewesen. Uns und mir gegenüber wurde es immer als ein »Arbeitslager« gekennzeichnet. Die Bezeichnung war »Arbeitslager der Geheimen Staatspolizei«.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, aber das war im August 1944. Sie werden zugeben, daß dies eine sehr harte Maßnahme gegen Leute ist, die sich eines geringeren Vergehens als der Sabotage und des Terrors schuldig gemacht haben, meinen Sie nicht auch?
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, lassen Sie uns...
KEITEL: Über die Ursache und die Entstehung, glaube ich, wünschen Sie nicht, daß ich hier spreche, sonst könnte ich Erklärungen abgeben, aber ich werde nur die Frage beantworten. Die Antwort ist: Ja, es war eine sehr harte Maßnahme. Die Erklärung, wenn ich sie in kurzen Worten geben darf, ist die, daß ja bekanntlich bei den täglichen und stundenlangen Vorträgen über die Lage und die Vorkommnisse in allen besetzten Gebieten mir vom Führer Befehle und Anweisungen gegeben wurden, die dann in solcher Form ihren Niederschlag fanden, wie in diesem Dokument; und wie ich in solchen Dingen mich mit ihm verständigt und wie ich gearbeitet habe, habe ich, glaube ich, hier schon eingehend vorgetragen, indem ich grundsätzlich nie etwas herausgegeben und nichts unterschrieben habe, was seinem grundsätzlichen Willen nicht entsprach.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war für Ihre Begriffe nur drei Wochen lang hart genug, nicht wahr, denn am 4. September, kaum drei Wochen später, haben Sie einen weiteren Befehl herausgegeben: Dokument D-766, GB-301. Dieser Befehl wurde, wie daraus hervorgeht, in Übereinstimmung mit Himmler, Kaltenbrunner, dem Reichsjustizminister und Dr. Lammers herausgegeben. Sehen Sie sich einmal Ziffer I an:
»Nichtdeutsche Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die wegen einer Straftat gegen die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht von einem deutschen Gericht rechtskräftig verurteilt worden sind und sich in den besetzten Gebieten oder im Heimatkriegsgebiet in Strafhaft (Verwahrung) befinden, sind mit den Vorgängen der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben. Ausgenommen sind rechtskräftig zum Tode Verurteilte, bei denen die Vollstreckung der Strafe angeordnet ist.
II. Verurteilte, die nach den Richtlinien des Führers für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten... keinen Verkehr mit der Außenwelt haben dürfen, sind besonders zu kennzeichnen.«
Hatten Sie eine Ahnung, wieviele Menschen durch diesen Befehl betroffen wurden?
KEITEL: Nein, ich kann darüber nichts sagen. Ich weiß nur, daß es durch die laufende Verschärfung der Lage in den besetzten Gebieten, mangels der Möglichkeit, durch Truppen die Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, nötig gewesen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie in dieser Angelegenheit eine Konferenz einberiefen. Das geht aus Dokument D-765 hervor, und der Bericht über diese Konferenz, den ich Ihnen auch zeigen werde, ist D-767. Sie brauchen sich nicht um D-765 zu kümmern, es besagt nur, daß eine Konferenz stattfinden wird. Aber D-767 – das wird Beweisstück GB-303 – enthält einen Bericht über diese Konferenz.
Der zweite Absatz lautet:
»Laut Schreiben des Reichsführers-SS« – Himmler – »handelt es sich um rund 24000 in Haft und Untersuchungshaft befindliche nichtdeutsche Zivilpersonen, deren schnellste Übergabe an den SD er fordert.« Hören Sie dies an: »Die im Laufe der Besprechung aufgetauchte Frage, wodurch diese Übergabe an den SD in dem jetzigen Zeitpunkt notwendig geworden sei, wo doch nicht unerhebliche Verwaltungsarbeit damit verbunden sei, blieb dahingestellt.«
Können Sie mir jetzt darauf antworten, weshalb diese 24000 verurteilten Leute der Gnade des SD ausgeliefert werden sollten?
KEITEL: Ich darf diesen Vermerk lesen, ich kenne ihn nicht. Ich bitte ihn jetzt noch lesen zu dürfen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich, bitte. Sie werden sehen, daß ich Sie nicht mit dem Ganzen belästigt habe, aber daraus geht hervor, was ich Ihnen bereits vorgehalten habe, daß die Nacht-und-Nebel- Erlasse angesichts dieses Terror- und Sabotagebefehls überflüssig geworden waren, und daß die Rechtsabteilung der Wehrmacht diese Sachen zur Diskussion vorgelegt hat.
Können Sie uns eine Antwort geben, weshalb diese 24000 unglücklichen verurteilten Personen der Gnade des SD ausgeliefert werden sollten?
KEITEL: Ich muß sagen, daß mich der ganze Vorfall überrascht und daß ich den Besprechungen auch nicht beigewohnt habe und daß ich auch diesen Vermerk offenbar nicht gelesen habe, weil ich grundsätzlich auf jedes Dokument, das mir vorgelegt wurde, mein Namenszeichen, mein Signum, gesetzt habe. Ich weiß nichts von den Zahlen, ich sehe diese zum erstenmal, ich weiß und erinnere mich nicht, es müßte denn sein, daß ich noch einen Befehl dazu...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Ihnen etwas geben, das Sie wohl gelesen haben.
KEITEL: Bezüglich der Tatsache, über welche Sie fragen, die muß ich bejahen. Ich kenne die Zahl nicht, nur die Tatsache.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie können meine Frage nicht beantworten, Sie können keinen Grund angeben, weshalb die Wehrmacht und andere Dienststellen diese 24000 Leute, die schon von ordentlichen Gerichten verurteilt worden waren, dem SD übergaben? Sie können uns dafür keinen Grund angeben?
KEITEL: Nein, ich will so sagen, bis zu einem gewissen Grade schon. »SD« ist hier, glaube ich, mißverständlich. Ich denke Polizeigewahrsam, so war es gedacht, was nicht gleichbedeutend ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bestimmt nicht.
KEITEL: Ob es das gleiche gewesen wäre, weiß ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben doch diesem Prozeß lange genug beigewohnt, um wissen zu müssen, daß Auslieferung an den SD nicht Polizeigewahrsam bedeutet. Das bedeutet Konzentrationslager und gewöhnlich Gaskammer, nicht wahr? Das bedeutete es in Wirklichkeit, ob es Ihnen bekannt ist oder nicht.
KEITEL: Ich habe es nicht gewußt, aber offensichtlich ist das Ende ein KZ gewesen. Ich halte es für möglich, ich kann jedenfalls nicht sagen, daß es nicht gewesen wäre.
VORSITZENDER: Sir David, der vorletzte Absatz bezieht sich auf das OKW.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, dazu komme ich gerade.