HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis

8. April 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertzweiter Tag.

Montag, 8. April 1946.

Vormittagssitzung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Ich möchte einige Fragen an Sie richten über die Erschießung von Offizieren, die aus dem Lager Sagan entkommen waren. Soweit ich Ihre Aussage verstanden habe, hatten Sie kurz nach der Flucht diese Unterredung mit Hitler, bei der sicherlich Himmler zugegen war. Stimmt das?

WILHELM KEITEL: Am Tage nach der Flucht war diese Besprechung beim Führer mit Himmler.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Sie sagen nun, daß bei dieser Konferenz Hitler erklärte, die Gefangenen sollten nicht zur Wehrmacht zurückgebracht werden, sondern bei der Polizei verbleiben. Waren das Ihre Worte? Ist das richtig?

KEITEL: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das haben Sie gesagt. Das war also der Hergang nach Ihrer eigenen Schilderung. Innerlich hatten Sie sich damit abgefunden, als Sie jene Konferenz verließen, daß diese Offiziere erschossen werden würden, nicht wahr?

KEITEL: Nein, das nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie folgendem zustimmen? Sie waren davon überzeugt, daß diese Offiziere höchstwahrscheinlich erschossen, werden würden?

KEITEL: Ich hatte im Unterbewußtsein, als ich nach Hause fuhr, eine entsprechende Sorge gehabt. In der Besprechung ist das nicht zum Ausdruck gekommen.

SIR DAVID MAXWELL-PYFE: Sie haben dann General von Graevenitz und General Westhoff zu sich berufen, nicht wahr?

KEITEL: Jawohl, das stimmt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern können, denn General Westhoff war Ihnen gegenüber ein rangniederer Offizier, aber er sagte, daß es die erste Gelegenheit war, bei der Sie ihn gerufen haben. Stimmt das mit Ihrer Erinnerung überein?

KEITEL: Nein, ich habe ihn nicht gerufen. Er war mitgekommen, um mir vorgestellt zu werden. Ich kannte ihn nicht. Ich hatte nur den General von Graevenitz bestellt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also haben Sie ihn nie vorher gesehen? Ist es also richtig, daß Sie mit General Westhoff, seitdem er dieses Amt übernommen hatte, niemals vorher zusammentrafen?

KEITEL: Ich habe ihn nicht vorher gesehen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das hat er auch gesagt. Nun, soweit ich Ihre Aussage verstanden habe, geben Sie zu, daß Sie sehr aufgeregt und nervös waren.

KEITEL: Ja, ich habe in einer sehr starken Form meinen Unwillen und meine Erregung zum Ausdruck gegeben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie stimmen also mit General Westhoff überein, daß Sie etwa folgendes sagten: Meine Herren, das ist eine böse Sache, oder: Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, oder etwas dergleichen?

KEITEL: Ja, ich habe gesagt, das ist eine ungeheuer ernste Angelegenheit.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: General Westhoff hat im nächsten Satz erklärt, daß Sie gesagt haben: Heute früh hat mir Göring in Gegenwart von Himmler vorgeworfen, daß ich noch weitere Kriegsgefangene habe entfliehen lassen. Es war unerhört.

KEITEL: Das muß ein Irrtum von Westhoff gewesen sein. Es war einen Tag später, denn wir waren in Berchtesgaden, und General von Graevenitz und Westhoff kamen am nächsten Vormittag zu mir. Und es muß ferner ein Irrtum sein, daß ich in diesem Zusammenhang den Namen des Reichsmarschalls Göring genannt habe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie waren also darüber nicht ganz sicher, ob Göring anwesend war oder nicht? Sie waren dessen nicht sicher, nicht wahr?

KEITEL: Ich bin nur unsicher geworden, als mir bei einem Vorverhör gesagt wurde, es sei durch Zeugen bestätigt, daß Göring anwesend war. Darauf habe ich gesagt, es ist nicht völlig unmöglich aber es ist mir nicht erinnerlich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Damit ich Sie ganz richtig verstehe: Als Sie verhört wurden, hat ein amerikanischer Offizier Ihnen denselben Satz vorgehalten, den ich Ihnen jetzt vorhalte, den Satz nämlich aus General Westhoffs Erklärung. Erinnern Sie sich daran, daß er Ihnen folgenden Satz vorlas: Meine Herren, das ist eine sehr ernste Angelegenheit, heute früh hat Göring mir vorgeworfen, daß ich noch weitere Gefangene habe entfliehen lassen Es war unerhört. Erinnern Sie sich, daß der Vernehmungsbeamte Ihnen dies vorhielt?

KEITEL: Etwas Ähnliches war bei der Vernehmung, aber ich habe gesagt, daß ich nicht wußte, daß Göring da war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Ihnen genau das vorhalten, was Sie sagten. Hören Sie aufmerksam zu! Wenn Sie in einem Punkt nicht zustimmen, sagen Sie es dem Gerichtshof. Sie sagten: Ich bitte, daß Sie General Jodl über den ganzen Zwischenfall verhören und über die Haltung, die ich während der ganzen Besprechung in Gegenwart Görings zeigte, über dessen Gegenwart bei der Konferenz ich im übrigen nicht absolut sicher bin, aber Himmler war da. Das war Ihre Ansicht, als Sie am 10. November verhört wurden. Nicht wahr? Sie sagten: Während der ganzen Besprechung in Gegenwart Görings, ich bin zwar nicht sicher, daß er bei dieser Konferenz anwesend war. Das war Ihre Ansicht am 10. November?

KEITEL: Da muß doch etwas mißverstanden im Protokoll aufgenommen worden sein. Ich habe es nie gelesen. Ich habe meiner Unsicherheit über die Anwesenheit Görings Ausdruck gegeben und im Zusammenhang mit der Frage die Bitte gestellt, den Generaloberst Jodl dazu noch zu hören, da meines Erachtens ich mir nicht sicher war, daß Göring nicht anwesend war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also Sie stimmen überein, daß Sie doch verlangt haben, daß General Jodl verhört werden soll.

KEITEL: Ich habe den Vorschlag gemacht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun gut, was haben Sie am nächsten Satz zu beanstanden?

Während der ganzen Besprechung in Gegenwart Görings, ich bin zwar nicht sicher, daß er bei dieser Konferenz anwesend war. War das nicht Ihre Ansicht?

KEITEL: Ja, ich bin überrascht worden durch das Verhör und habe dann geglaubt, als man mir vorhielt, es sei durch Zeugen bestätigt, Göring sei dagewesen, da wurde ich in dieser Frage unsicher und bat, Generaloberst Jodl noch zu hören. Inzwischen bin ich mir vollkommen klar, daß der Reichsmarschall Göring nicht anwesend war, und daß ich recht hatte in meinen ursprünglichen Auffassungen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie das mit Göring besprochen, während Sie auf die Verhandlungen des Prozesses warteten?

KEITEL: Nach meinem Verhör habe ich Gelegenheit gehabt, Reichsmarschall Göring zu sprechen und er sagte, Sie müssen doch wissen, daß ich nicht da war und ich habe mich dann auch voll erinnert.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, natürlich, der Reichsmarschall hat Ihnen gesagt, daß er nicht bei der Besprechung anwesend war. Das ist richtig, nicht wahr?

KEITEL: Generaloberst Jodl hat es mir auch bestätigt, daß der Reichsmarschall Göring nicht da war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, haben Sie General von Graevenitz und General Westhoff gesagt, daß Himmler sich eingemengt habe, und daß er sich beschwert habe, daß er noch weitere 60000 bis 70000 Mann für die Landwacht zur Verfügung stellen müsse. Haben Sie ihnen das gesagt?

KEITEL: Nein, das ist auch ein Mißverständnis. Das habe ich nicht gesagt, das ist nicht wahr.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagten, daß Himmler sich eingemischt habe?

KEITEL: Ich habe gesagt, daß Himmler nur über die Tatsache der Flucht berichtet hat, und ich beabsichtigte, an diesem Tage an Hitler keine Meldung zu erstatten, weil schön eine Anzahl der Geflüchteten wieder ins Lager zurückgekehrt war. Ich beabsichtigte nicht, an diesem Tage eine Meldung dem Führer zu erstatten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, was auch immer Sie General von Graevenitz gesagt haben, Sie geben aber doch zu, daß General von Graevenitz Widerspruch erhob und sagte: Flucht ist kein ehrloses Vergehen, das ist insbesondere niedergelegt in der Genfer Konvention. Hat er das nicht gesagt?

KEITEL: Ja, das ist klar, das hat er wohl gesagt; ich möchte aber hinzufügen, daß auch die Aussage des Generals Westhoff eine Erinnerung ist, die Jahre zurückliegt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, aber Sie stimmen zu, wie ich Ihre Aussage verstehe, daß General von Graevenitz Einspruch gegen das Vorgehen erhoben hatte, ist es nicht so?

KEITEL: Ja, das hat er getan.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und dann, als er Einspruch erhob, sagten Sie ungefähr... ich zitiere aus General Westhoffs Aussage: Verflucht, was kümmert es mich. Wir haben es in Gegenwart des Führers besprochen, und es kann nicht geändert werden. Haben Sie derartige Worte gebraucht?

KEITEL: So ist es nicht gewesen, aber Ähnliches werde ich gesagt haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ähnliches?

KEITEL: Aber darum drehte es sich hier nicht...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ähnliches, der Wirkung nach?

KEITEL: Etwas Ähnliches werde ich gesagt haben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und nachher sagten Sie, daß Ihre Organisation, das Kriegsgefangenenwesen, in den Kriegsgefangenenlagern, in denen sich Kriegsgefangene befanden, eine Bekanntmachung zu veröffentlichen habe, damit allen Kriegsgefangenen zur Abschreckung mitgeteilt werde, was für Maßnahmen in diesem Fall unternommen worden waren.

Haben Sie diesen Generalen, ihren Leitern des Kriegsgefangenenwesens, die Instruktion erteilt, in den Lagern eine Bekanntmachung über die ergriffenen Maßnahmen anzubringen, damit sie als Abschreckung diene?

KEITEL: Ich habe mir das aus Kenntnis des englischen Regierungsberichts eingehend überlegt und bin der Ansicht, daß hier eine Verwechslung in Bezug auf die zeitliche Differenz dieser Anordnung vorliegt. In dieser Besprechung habe ich das meiner Überzeugung nach nicht gesagt, sondern ich habe das erst später gesagt, und zwar einige Tage später.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, Sie werden es in der Aussage des Generals Westhoff, die wir vorgelegt haben, unten auf Seite 3 finden. General Westhoff erklärt: Der Feldmarschall gab uns detaillierte Instruktionen, eine Liste in den Lagern zu veröffentlichen, in der die Namen der Erschossenen als Warnung genannt werden. Das geschah. Das war ein direkter Befehl, den wir nicht mißachten konnten.

Und in der Erklärung, die Ihr Verteidiger vorgelegt hat, sagt General Westhoff: »Meine Herren, dieses muß ein Ende nehmen. Wir können nicht zulassen, daß das noch einmal vorkommt. Die entkommenen Offiziere werden erschossen werden. Ich kann Ihnen mitteilen, daß die meisten von ihnen bereits tot sind, und Sie werden in den Kriegsgefangenenlagern eine Warnung veröffentlichen, die allen Kriegsgefangenen mitteilt, welche Maßnahmen in diesem Falle genommen wurden, um weitere Fluchtversuche zu verhindern.«

KEITEL: Darf ich mich dazu äußern?

DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Der Herr Anklagevertreter hat Bezug genommen auf ein Dokument, das ich vorgelegt habe in meinem Dokumentenbuch. Ich nehme an, daß das gemeint ist. Und zwar ist es das Dokument, das die Französische Anklagebehörde hier hat einführen wollen und dem ich widersprochen habe, weil es eine Zusammenfassung von Verhören war, die Oberst Williams angefertigt hatte. Die Einführung dieses Dokuments durch mich geschieht, um bei der Vernehmung des Generals Westhoff den Nachweis zu führen, daß dieses Dokument in 23 Punkten nicht mit dem übereinstimmt, was General Westhoff ausgesagt hat. Er hat mir diesbezüglich die erforderlichen Erklärungen abgegeben. Ich kann ihn aber erst morgen als Zeugen hier vor Gericht hören. Ich bitte deshalb, wenn der Herr englische Anklagevertreter sich auf den Zeugen Westhoff beziehen will, wenigstens diejenige Erklärung von ihm vorzulegen, die er auf Anfordern des amerikanischen Anklagevertreters Oberst Williams eidesstattlich versichert hat, und dieses Affidavit ist bis jetzt nicht vorgelegt worden, während alle übrigen Vorlagen nur Berichte enthalten, die weder Westhoff zur Anerkennung oder zur Unterschrift vorgelegt sind, noch mit seinem Eid bekräftigt wurden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Mein Gesichtspunkt war, um das ganz klar zu machen, daß ich nichts von der ersten Aussage vorlegte, was nicht im Dokumentenbuch des Angeklagten enthalten ist. Ich nahm an, daß die Beschwerde gerade entgegengesetzt erfolgen würde, denn, hätte ich nur unser eigenes Beweismaterial genommen, hätte es geheißen, daß ein gewisser Unterschied bestände, obwohl die Verschiedenheit gegenüber den Dokumenten, die im Dokumentenbuch der Angeklagten vorgelegt wurden, unwesentlich ist. Ich habe bereits sorgfältig miteinander verglichen, und es besteht praktisch kein Unterschied. Ich hielt es nur für fair, beide Versionen vorzulegen.

DER VORSITZENDE, LORD JUSTICE SIR GEOFFREY LAWRENCE: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das Kreuzverhör vollkommen in Ordnung ist. Natürlich, wenn Dr. Nelte den General Westhoff als Zeugen aufruft, wird er von ihm sämtliche Berichtigungen erhalten, die General Westhoff bezüglich des Affidavits, das er abgegeben hat, für notwendig hält.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft!