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[Zum Zeugen gewandt:]

Ich lasse Ihnen noch einmal das Canaris-Dokument USSR-356, zu dem Herr General Rudenko noch Ihre handschriftliche Notiz vorgelegt hat, sowie die von dem Herrn englischen Anklagevertreter überreichten Dokumente: D-762, 764, 766, 765 und 770 überbringen.

Nach Ihren Aussagen im Kreuzverhör scheint mir Ihre Erklärung über die Verantwortlichkeit einer ergänzenden Klarstellung zu bedürfen. Sie hatten gesagt, daß Sie die Befehle Hitlers in Kenntnis ihres Inhaltes weitergegeben haben. Ich knüpfe an die Frage des Herrn Dodd an, wenn ich Ihnen sage, für Ihre persönliche Beurteilung muß ich Sie noch fragen, weil es von größter Bedeutung ist, wie es möglich war, und wie Sie es erklären wollen, daß Sie diese rücksichtslosen und gegen die Gesetze des Kriegsrechts verstoßenden Anordnungen vollzogen haben, oder, wie es in der Notiz auf dem Canaris-Dokument heißt, warum Sie sie gedeckt haben. Sie hatten Bedenken, wie Sie uns hier gesagt haben. Es handelt sich um einen Vorgang, der nur durch Sie selbst aufgeklärt werden kann, weil er ein innerer Vorgang ist, und sich auch nicht aus den Dokumenten als solchen ergibt. Sie haben mir gegenüber wiederholt und auch jetzt wieder betont, daß es Ihr Wunsch sei, an der restlosen, wahrheitsgemäßen Aufklärung der Dinge mitzuwirken.

Ich frage Sie deshalb, wie war es möglich, und wie wollen Sie erklären, daß diese Befehle und Anordnungen von Ihnen vollzogen und weitergegeben wurden, und daß wirksamer Widerstand nicht geleistet wurde?

KEITEL: Auf Grund dieser Erörterung muß ich sagen, daß ich es verstehe, daß manche Befehle, auch Vermerke auf Dokumenten, die vorgefunden sind dieser Art, die also von mir gezeichnet wurden, und den Befehlen... oder als Befehle weitergegeben worden sind, daß ich es verstehe, daß Dritten, daß Unbeteiligten, insbesondere auch den Ausländern, das unbegreiflich erscheinen muß.

Um eine Erklärung finden zu können, muß ich sagen, daß man den Führer kennen muß, daß man wissen muß, in welchem Milieu ich Tag und Nacht jahrelang gearbeitet habe; und daß man letzten Endes nicht unberücksichtigt lassen kann die jeweils bestehenden Umstände, unter denen diese Dinge sich ereignet haben. Ich habe hier mehrfach bekundet, und habe das auch getan, ich habe meine Bedenken und meine Einwände geltend machen wollen und auch geltend gemacht. Der Führer legte dann diejenigen Gründe dar, die ihm bestimmend erschienen und die er für bestimmend hielt; und er tat das in der ihm eigenen, ich muß sagen, zwingenden Beweisführung, mit militärisch-politischer Notwendigkeit, mit der Sorge um das Wohlergehen seiner Soldaten und ihrer Sicherheit, und auch mit der Sorge um die Zukunft des Volkes. Ich muß sagen, daß ich hierdurch, aber auch durch unsere sich ja ständig und erheblich steigernde Zwangslage militärischer Art, das ist die Notwendigkeit solcher Maßnahmen und ihre Richtigkeit, mich meist überzeugt habe, mich habe überzeugen lassen. Ich habe dann die getroffenen Anordnungen weitergeleitet und herausgegeben, ohne mich noch beirren zu lassen durch die möglichen Auswirkungen, die sich daraus ergaben.

Man mag das als Schwäche ansehen und man mag es mir zur Schuld anrechnen. Es ist jedenfalls Tatsache, so, wie ich es eben geschildert habe. Ich habe in der Vernehmung durch Sir David selbst zugebilligt und eingeräumt, daß ich mich oft in sehr großer Gewissensnot befunden habe, daß ich oft in der Lage gewesen bin, die Konsequenzen aus diesen Dingen in irgendeiner Form selber zu ziehen. Aber woran ich nicht gedacht habe, das war, gegen das Staatsoberhaupt und den Obersten Befehlshaber der Wehrmacht zu revoltieren oder ihm den Gehorsam zu versagen. Für mich als Soldat ist die Treue ein unantastbarer Begriff, man mag mir Irrtum und Irren, man mag mir falsches Handeln und man mag mir auch Schwäche gegenüber dem Führer Adolf Hitler zum Vorwurf machen, man soll mir aber nicht nachsagen, daß ich feige war, daß ich unwahrhaftig war, und daß ich treulos war.

Das ist das, was ich hierzu zu bekennen habe.

DR. NELTE: Herr Präsident! Ich bin am Ende meiner Vernehmung. Ich möchte Sie nur noch darum bitten, die im Laufe dieser Vernehmung dem Gerichtshof angebotenen Dokumente Nummer l und 2 im Dokumentenbuch Nummer 2, welche bezeichnet sind als Dokument K. Nummer 8 und K. Nummer 9, als Beweisstücke entgegennehmen zu wollen, ohne daß ich hieraus etwas verlesen will. Die Anklagebehörde kennt die Dokumente und ist damit einverstanden.

VORSITZENDER: Angeklagter! Ich möchte eine Frage an Sie richten.

Behaupten Sie, daß Sie Ihren Protest oder Ihren Einspruch auf Befehle Hitlers jemals schriftlich vorgelegt haben?

KEITEL: Einmal habe ich es schriftlich an ihn gegeben, das weiß ich bestimmt. In den anderen Fällen hat es sich, meiner Erinnerung nach, in mündlichen Aussprachen ergeben.

VORSITZENDER: Haben Sie eine Abschrift dieses Protestes angefertigt?

KEITEL: Ich habe nichts mehr, gar nichts, kein Stück Papier.

VORSITZENDER: Hatten Sie eine Abschrift dieses Protestes? Ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie eine Abschrift besaßen. Ich habe Sie gefragt, ob Sie eine Abschrift angefertigt hätten. Fertigten Sie eine Abschrift an?

KEITEL: Ich habe sowohl einen Entwurf gehabt, wie eine handschriftlich geschriebene Vorlage, die ich damals durch den Chefadjutanten auch habe vorlegen lassen. Den Entwurf habe ich wohl bei meinen Handakten gehabt, ich habe ihn aber nicht mehr und weiß auch nicht mehr, wo diese Akten geblieben sind. Sie könnten in den Händen gewesen sein des Chefs des Wehrmachtszentralamtes für Personalien, die bei mir bearbeitet wurden, dann aber erst später, oder beim Chefadjutanten des Führers, dem General Schmundt. Das weiß ich nicht. Dort müßte auch eigentlich das Original vorliegen oder vorgelegen haben, das ich damals geschickt habe.

VORSITZENDER: Und bei welcher Gelegenheit haben Sie protestiert?

KEITEL: Im Zusammenhang wieder mit einer Vertrauenskrise, mit einem Mißtrauensausdruck, und in dem Zusammenhang, in den sich laufend ergebenden Gegensätzlichkeiten in den grundlegenden Anschauungen der Kriegsführung.

VORSITZENDER: Aber wann?

KEITEL: Ich glaube, das ist 1940 gewesen, 1939/40. Im Winter 1939/40.

VORSITZENDER: Sie können nicht mehr darüber sagen, als daß es sich auf grundsätzliche Angelegenheiten bezog?

KEITEL: Es war ganz klar ausgesprochen, daß ich um die Entbindung von meiner Dienststellung gebeten habe, aus den mir gemachten Vorwürfen und aus den von mir angeführten Gründen.

VORSITZENDER: Das ist alles. Der Angeklagte kann auf seinen Platz zurückkehren.

DR. NELTE: Darf ich die beiden Dokumente dem Gericht überreichen?

Ich sprach vorhin davon.

VORSITZENDER: Ja, sicherlich.

Werden Sie weitere Zeugen aufrufen?

DR. NELTE: Ich habe darum gebeten, den Zeugen Dr. Lammers auf die Zeugenbank zu bringen.

VORSITZENDER: Gut.

DR. NELTE: Den Zeugen Dr. Lammers bitte.