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[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGE DR. HANS HEINRICH LAMMERS: Hans Heinrich Lammers.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir folgenden Eid nachsprechen: Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wünschen.

DR. NELTE: Herr Zeuge! Ich hatte Sie in der Hauptsache befragen wollen über den Begriff des OKW, seine Zuständigkeit und die Stellung, die der Feldmarschall Keitel als Chef des OKW eingenommen hat. Wir haben darüber ja auch in Besprechungen uns unterhalten, die wir hatten. Da mir dieser Komplex aber durch die Aussagen des Reichsmarschalls Göring, durch die Aussagen des Angeklagten, und auch noch durch andere spätere Zeugen noch erklärt werden, möchte ich Sie, auch um Zeit zu sparen, über diese Fragen im allgemeinen oder im einzelnen nicht hören. Ergänzend möchte ich Sie als den Chef der Reichskanzlei über Dinge fragen, die die anderen nicht so wissen können wie Sie, der Sie zumindest an der Formulierung bei der Entstehung des maßgebenden Erlasses vom 4. Februar 1938 mitgewirkt haben. Ich bitte Sie, mir deshalb zunächst zu sagen: Wie ist es zu dem Groß-Revirement vom 4. Februar 1938 gekommen?

LAMMERS: Der Führer teilte mir mit, daß der Reichskriegsminister von Blomberg aus seinem Amte ausscheide, und daß er bei dieser Gelegenheit einige andere Personalveränderungen in der Reichsregierung vornehmen wolle, im besonderen, daß Herr Außenminister von Neurath zurücktreten werde, daß auch hier eine Änderung eintreten werde, daß auch im Oberbefehl des Heeres eine Änderung eintreten werde. Im Anschluß daran gab der Führer den Auftrag, einen Erlaß auszuarbeiten über die Führung in der Wehrmacht. Ich sollte dabei mitwirken im Benehmen mit dem Wehrmachtsamt des Kriegsministeriums. Als Richtlinie hierfür gab der Führer mir folgende Weisung: »Ich will in Zukunft keinen Reichskriegsminister mehr haben, und ich will auch in Zukunft keinen Oberbefehlshaber der Wehrmacht haben, der zwischen mir, als Oberstem Befehlshaber, und den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile steht.«

Dementsprechend wurde nun der Erlaß formuliert, indem zunächst das Oberkommando der Wehrmacht eingerichtet wurde als ein militärischer Stab, der dem unmittelbaren Befehl des Führers unterstehen sollte. Der Führer wünschte an dieser Stelle keine selbständige Dienststelle, die zwischen ihm und zwischen den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile eingeschaltet war. Infolgedessen hatte der damals zum Chef des OKW ernannte General der Artillerie Keitel keine eigene Kommandogewalt über die Wehrmachtsteile. Eine solche Kommandogewalt wäre ja wohl auch schon aus Autoritätsgründen kaum in Frage gekommen.

VORSITZENDER: Ist dieser Punkt von dem Angeklagten Keitel nicht selbst genügend behandelt worden? Im Kreuzverhör wurde ihm keine Frage gestellt, um irgendeine seiner Aussagen mit Bezug auf die Organisation des OKW anzuzweifeln. Dem Gerichtshof erscheint deshalb alles das, unnötig.

DR. NELTE: Herr Präsident! Ich hatte das dem Zeugen auch bei meiner Einleitung schon gesagt. Ich hatte ihn nur über die Entstehung des Revirements vom 4. Februar 1938 eine Frage vorgelegt, und da mußte er wohl etwas über den Erlaß vom 4. Februar 1838 sagen. Ich werde das Verhör mit dem Zeugen Dr. Lammers so kurz machen, wie es der Sachlage entspricht. Ich glaube auch, daß die Verhältnisse des Chefs OKW absolut geklärt sind. Immerhin eine grundsätzliche Frage: Wenn eine Persönlichkeit wie Dr. Lammers das bestätigen kann, so wird das den Beweiswert des Vortrags, glaube ich, etwas stärken.

VORSITZENDER: Wenn die Anklagebehörde irgendeine Frage im Kreuzverhör gestellt hätte, die eine Ungenauigkeit in der Aussage des Angeklagten Keitel über diesen Gegenstand angedeutet hätte, dann wäre es Ihnen natürlich freigestanden und es wäre notwendig für Sie, weiteres Beweismaterial vorzubringen. Aber wenn der Gegenstand in keiner Weise bestritten wird, so ist es nicht notwendig, ihn zu bestätigen.

DR. NELTE: Dann, Herr Präsident, brauche ich den Zeugen überhaupt nicht zu befragen, denn worüber ich ihn hören wollte, war die Stellung des Angeklagten als Chef OKW, seine Stellung als Minister, seine Funktion als sogenannter Reichsverteidigungsratsvorsitzender und seine Funktion als Mitglied des Dreier- Kollegiums. In all diesen Fällen ist seitens der Anklagebehörde keine Beanstandung vorgenommen worden.

VORSITZENDER: Dr. Nelte, die Anklagebehörde hat die Frage aufgeworfen, ob der Angeklagte Keitel an irgendwelchen politischen Handlungen teilgenommen hat. Darüber können Sie ihn fragen.

DR. NELTE: Ich danke sehr!

Herr Dr. Lammers! Was können Sie aus Ihrer eigenen Kenntnis darüber sagen, ob der Angeklagte Feldmarschall Keitel sich mit politischen Dingen, kraft seiner Stellung als Chef OKW, zu befassen hatte oder sich damit befaßt hat?

LAMMERS: Als Chef OKW hatte er ja als solcher mit politischen Dingen zunächst mal überhaupt nichts zu tun. Ich verstehe Ihre Frage, Herr Rechtsanwalt, so, daß ich mich darüber äußern soll, was Herr Keitel in seiner Eigenschaft, soweit er kriegsministerielle Befugnisse ausübte, an der Politik mitgewirkt hat. Ich verstehe die Frage nicht.

DR. NELTE: Es hat das weder mit seiner Stellung, Dienststellung, als Chef OKW, Stabschef oder kriegsministeriellen Funktionen zu tun. Was Sie bekunden sollen, ist, ob Sie wissen, daß der Angeklagte Keitel sich, während er in der Stellung als Chef OKW war, mit politischen, das heißt also außenpolitischen Dingen in erster Linie befaßt hat?

LAMMERS: Also, von den großen Dingen der Politik, insbesondere von außenpolitischen Dingen, kann ich über Herrn Keitel nichts aussagen, da ich selber ja an diesen Fragen nicht mitgewirkt habe.

DR. NELTE: Dann will ich Sie einmal konkret fragen. Sie wissen, daß Feldmarschall Keitel bei Empfängen zugegen war, wenn der Präsident Hacha da war, wenn es sich um Zusammenkünfte handelte mit anderen Staatsmännern. Sie werden doch teilweise auch dabeigewesen sein. Können Sie sagen, ob bei diesen Beteiligungen an solchen Empfängen, an solchen Besprechungen, die Funktion des Feldmarschalls Keitel die war, an den politischen Besprechungen teilzunehmen oder daran nicht teilzunehmen?

LAMMERS: Herr Keitel hat vielfach, meines Wissens, an solchen Besprechungen mit ausländischen Persönlichkeiten teilgenommen. Ich habe an solchen Besprechungen in der Regel nicht teilgenommen. Sie haben, Herr Rechtsanwalt, den Staatspräsidenten Hacha genannt. Das war ein Ausnahmefall, wo ich dabei war, denn die Angelegenheiten des Protektorats wurden bei uns nicht als außenpolitische Angelegenheiten behandelt. Bei außenpolitischen Besprechungen mit kompetenten Leuten des Auslands, Besprechungen politischer Art, bin ich so gut wie nie zugegen gewesen und kann deshalb nicht sagen, in welchem Umfange Herr Keitel sich bei diesen Besprechungen betätigt hat. Ich nehme an, daß er bei solchen Besprechungen häufig zugegen gewesen ist.

DR. NELTE: Also, Sie können mir über diese Frage überhaupt nicht aus eigener Wissenschaft antworten. Dann frage ich Sie: Sollte nach dem Willen des Urhebers des Erlasses vom 4. Februar 1938, Hitler, mit dem Sie ja über die Zwecke gesprochen haben, der Mann, der das Amt des Chefs OKW bekam, irgendeine politische Funktion haben?

LAMMERS: Als Chef OKW sollte er, meiner Überzeugung nach, eine politische Funktion nicht haben, denn er war dem unmittelbaren Befehl des Führers unterstellt.

DR. NELTE: Ist Ihnen das jemals bekanntgeworden oder haben Sie jemals den Eindruck gehabt, daß der General Keitel ein politischer General war in dem Sinn, wie man ihn einen politischen General zu benennen pflegt?

LAMMERS: Diesen Eindruck habe ich nie gehabt.

DR. NELTE: Herr Präsident! Dann möchte ich den Zeugen nicht mehr weiter befragen, da alles übrige, was er sagen sollte, geklärt ist

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie vielleicht mißverstanden haben, was ich gesagt habe, als ich Ihnen sagte, Sie sollten einige Fragen an den Angeklagten Keitel über seine Eigenschaft als Mitglied des Reichsverteidigungsrates stellen. Wenn der Zeuge über diesen Punkt Aussagen machen kann, so können Sie ihn darüber befragen.

DR. NELTE: Herr Zeuge! In dem Gesetz, Reichsverteidigungsgesetz, vom Jahre 1938 sind Sie als Chef der Reichskanzlei zum ständigen Mitglied des Reichsverteidigungsrates bestimmt. Wissen Sie, ob dieses Reichsverteidigungsgesetz mit dem darin verankerten Reichsverteidigungsrat in Wirksamkeit getreten ist?

LAMMERS: Das Reichsverteidigungsgesetz ist gemacht worden, ist aber als solches nie verkündet worden. Es ist nach meiner Auffassung infolgedessen auch nie Gesetz geworden. Der Inhalt des Reichsverteidigungsgesetzes wurde aber teilweise, sozusagen als geheime Anordnung des Führers, angewendet. In dem Reichsverteidigungsgesetz war ein Reichsverteidigungsrat vorgesehen. Dieser Reichsverteidigungsrat hat als solcher meines Wissens nicht getagt, denn ich habe zu diesem Reichsverteidigungsrat nie eine Einladung erhalten, habe auch, meiner Erinnerung nach, nie an einer Sitzung dieses Reichs Verteidigungsrates teilgenommen.

Es sollen allerdings, wie ich gehört habe, zwei Sitzungen stattgefunden haben, die als Sitzungen des Reichsverteidigungsrates bezeichnet worden sind. Ich glaube aber, daß diese Sitzungen, schon ihrer großen Versammlungsteilnehmerzahl nach, von 60 bis 80 Leuten, wohl Sitzungen waren, die der Beauftragte für den Vierjahresplan in dieser Eigenschaft einberufen hatte. An solchen Sitzungen teilgenommen zu haben, kann ich mich erinnern. Ich habe sonst von dem Reichsverteidigungsgesetz, seitdem es formuliert war im Entwurf, die ganzen Jahre so wenig gehört, daß ich selber nicht mehr gewußt habe, daß ich in diesem Reichsverteidigungsrat als ständiges Mitglied aufgeführt bin. Und jedenfalls, in diesen Sitzungen, wenn das Sitzungen des Reichsverteidigungsrates gewesen sein sollten, an denen ich teilgenommen habe, sind keine Dinge der unmittelbaren Reichsverteidigung erörtert worden.

DR. NELTE: Wissen Sie etwas über die Aufgaben, die der Reichsverteidigungsrat haben sollte?

LAMMERS: Über die Aufgaben ist mir nicht mehr bekannt, als in dem nicht verkündeten Reichsverteidigungsgesetz dringestanden hat, und soweit ich mich dessen entsinne, sind das nur ganz allgemeine Formulierungen gewesen, die dort zu erledigen sind – alle Aufgaben der Reichsverteidigung.

DR. NELTE: Es ist von der Anklagebehörde hier vorgetragen worden, daß der Reichsverteidigungsrat ein Instrument zur Planung von Angriffskriegen, jedenfalls zur Aggression, zur Wiederaufrüstung gewesen sei. Ist Ihnen etwas bekannt darüber, ob im Reichsverteidigungsrat oder durch den Reichsverteidigungsrat solche Aufgaben übernommen oder durchgeführt wurden?

LAMMERS: Darüber ist mir nicht das geringste bekannt.

DR. NELTE: Ich möchte Sie nun doch noch über den Geheimen Kabinettsrat befragen, dem Sie ja auch nach dem Gesetz angehört haben sollen. Der Angeklagte Keitel soll Mitglied des Geheimen Kabinettsrates gewesen sein, und so steht es auch in einem Gesetz. Was können Sie uns über dieses Gesetz sagen?

LAMMERS: Als Herr von Neurath von dem Amt als Außenminister zurücktrat, hatte der Führer den Wunsch, nach außen hin die Person des Herrn von Neurath in jeder Hinsicht hervorzuheben und gab mir den Auftrag, einen Erlaß über einen Geheimen Kabinettsrat zu formulieren, in dem Herr von Neurath als Präsident mit dem ausdrücklichen Titel Präsident des Geheimen Kabinettsrats Vorsitzen sollte. Mitglieder waren außerdem noch, nach meiner Erinnerung, der Reichsaußenminister, der Stellvertreter des Führers Reichsminister Heß, dann war es Feldmarschall Keitel und ich. Ich glaube, das sind alle. Ich habe aber bei Schaffung dieser Einrichtung aus Äußerungen, die der Führer getan hat, den Eindruck gewonnen, daß es sich hier lediglich um eine äußere Formangelegenheit handelte, bei der Herr von Neurath in eine besondere Stellung gerückt werden sollte, der Öffentlichkeit gegenüber. Ich war überzeugt davon, daß der Führer diesen Geheimen Kabinettsrat nie einberufen würde, und in der Tat ist dieser Geheime Kabinettsrat auch nie zusammengetreten, nicht einmal zu einer konstituierenden Sitzung. Er hat keinerlei Aufgaben vom Führer über mich irgendwie überwiesen bekommen, er hat lediglich auf dem Papier gestanden.

VORSITZENDER: Zeuge! Wenn das ein Geheimnis war, wie konnte es dann die Öffentlichkeit beeinflussen?

LAMMERS: Es sollte der Öffentlichkeit gegenüber durch die Hebung der Person des Reichsministers von Neurath dargetan werden, daß zwischen dem Führer und dem Reichsaußenminister von Neurath keinerlei Differenzen waren, die sein Ausscheiden begründeten. Es sollte dargetan werden, daß zwischen dem Führer und Herrn von Neurath alles in Ordnung ist, daß sogar Herr von Neurath wegen seiner wertvollen außenpolitischen Fähigkeiten und Kenntnisse noch eine Art gehobene Stellung in der Außenpolitik bekommen hatte als Präsident des Geheimen Kabinettsrates.

DR. NELTE: Also es war eine Tarnung des Abganges und eine Resignation gleichzeitig?

LAMMERS: Ja.

DR. NELTE: Ich habe noch eine Frage. Feldmarschall Keitel ist als Chef OKW daraus ein Vorwurf gemacht worden, daß er gewisse Gesetze mitunterzeichnet hat, und ich frage Sie: Welche Bedeutung hatte diese Mitunterzeichnung der Gesetze durch den Chef OKW?

LAMMERS: Da Herr Keitel die Befugnisse des Kriegsministers wahrnahm, mußte er die Gesetze in Ausübung dieser Befugnisse mitzeichnen, indem er dem Führer gegenüber dafür die Verantwortung hatte, daß, soweit die Wehrmacht und alles, was mit dem früheren Kriegsministerium zusammenhängt, genügend berücksichtigt war. Im Innen Verhältnis hatte Keitel ja die kriegsministeriellen Befugnisse nur auszuüben im Auftrag des Führers, wie in dem Erlaß ausdrücklich bestimmt ist. Infolgedessen war er im Innenverhältnis zum Führer genötigt, den Führer zu fragen, ob er diese Mitzeichnung leisten dürfe oder nicht, denn er hatte ja in Ausübung der Befugnisse des Kriegsministers beschränktere Befugnisse als wie jeder andere Minister, der einfach als Minister zeichnete, während der Feldmarschall Keitel im Auftrage des Führers die kriegsministeriellen Befugnisse ausübte.

DR. NELTE: Also, wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie sagen, der Generalfeldmarschall Keitel war nicht Minister?

LAMMERS: Er war nicht Minister, das geht schon daraus hervor, daß ihm in dem Erlaß ausdrücklich beigelegt worden ist der Rang eines Ministers.

DR. NELTE: Sie meinen also, wenn er Minister gewesen wäre, brauchte man ihm nicht den Rang eines Ministers beilegen?

LAMMERS: Keinesfalls.

DR. NELTE: Er war nun aber auch Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung. Wurde er dadurch nicht Minister?

LAMMERS: Durch diese Mitgliedschaft hat sich in seiner Stellung in der Reichsregierung nichts geändert.

DR. NELTE: Also Sie meinen, nein.

LAMMERS: Nein.

DR. NELTE: Ich danke schön.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr auf 14.00 Uhr.