HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Zeuge Dr. Hans Heinrich Lammers im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wünscht noch ein anderer Verteidiger Fragen an diesen Zeugen zu richten?

DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN HESS UND FRANK: Herr Zeuge! Können Sie sich erinnern, was Hitler in der Kabinettssitzung über seine politischen Ziele und das Programm der neuen Regierung gesagt hat?

LAMMERS: Hitler hat eine sehr lange Ansprache gehalten, in der auch die einzelnen Minister zu Worte gekommen sind. Von den Einzelheiten ist mir besonders in Erinnerung geblieben, daß der Führer gesprochen hat in erster Reihe von der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die unbedingt erreicht werden müsse. Zweitens davon, daß für einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands gesorgt werden müsse. Und drittens ist davon eingehend die Rede gewesen, daß erreicht werden müsse die Revision des Versailler Vertrages; daß versucht werden müsse, ein Ende zu machen mit der Diffamierung Deutschlands, die in dem Versailler Vertrag lag, und daß für das Deutsche Reich erstrebt werden müsse die Gleichberechtigung im Kreise der Nationen.

Und diese ganzen Ausführungen Hitlers wurden in einer ausdrücklich formulierten Regierungserklärung niedergelegt. Mir ist auch noch in Erinnerung, daß auch in dieser Regierungserklärung besonders die Rede war von dem Schutz des positiven Christentums. Auf die Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern. Aber das sind nach meiner Überzeugung die wesentlichen Punkte, um die es sich gehandelt hat.

Es ist nichts erörtert worden, was einer besonderen Geheimhaltung bedürftig gewesen wäre, und das, was besprochen worden ist, ist auch im wesentlichen niedergelegt worden in der in der Presse veröffentlichten Regierungserklärung.

DR. SEIDL: Hat Hitler in dieser Kabinettssitzung irgend etwas darüber gesagt, daß er das Regierungssystem ändern und diktatorisch regieren wolle?

LAMMERS: Herr Hitler hat sich dahin ausgesprochen, daß das bisherige parlamentarische System in Deutschland versagt habe.

VORSITZENDER: Sie sprechen von einer Kabinettssitzung. Was ist das Datum dieser Sitzung, auf die Sie sich beziehen?

LAMMERS: Es handelt sich um die erste Kabinettssitzung, nach der mich der Herr Verteidiger gefragt hat.

Es war am 30. Januar 1933, am Tage der Machtübernahme, und der Führer hat ausgeführt, daß das bisherige Regierungssystem versagt habe. Er hat weiter ausgeführt, die Folge dieses Versagens sei gewesen, daß der Reichspräsident genötigt gewesen sei, im Ausnahmezustand auf Grund des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung mit Hilfe von Notverordnungen zu regieren, und daß es nur möglich sei, eine stabile Reichsregierung zu schaffen, eine Reichsregierung, die für viele Jahre regiere. Und das Weitere, wie man diese Reichsregierung schaffen könne, das müsse erst mit dem Reichspräsidenten und dem Reichstag vereinbart Werden.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Hat Hitler in dieser Kabinettssitzung gesagt, daß er der NSDAP eine bevorzugte Machtstellung einräumen wolle?

LAMMERS: Er hat gesagt, daß die NSDAP als die stärkste Partei naturgemäß einen gebührenden Einfluß in der Reichsregierung haben müsse. Davon, daß er die anderen Parteien, die noch da waren, die noch im Kabinett vertreten waren, die Deutschnationalen und die Stahlhelmgruppe, daß er die beseitigen wolle oder verbieten wolle, davon hat er nichts gesagt.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Hat Hitler in dieser ersten Sitzung seine außenpolitischen Ziele entwickelt und hat er insbesondere gesagt, daß Deutschland endgültig von den Fesseln des Versailler Vertrages befreit werden und in der Völkergemeinschaft wieder den ihm gebührenden Platz einnehmen müsse?

LAMMERS: Das habe ich ja schon vorhin bejaht. Das sind die außenpolitischen Ziele gewesen, die vollkommene Revision des Versailler Diktates.

DR. SEIDL: Hat Hitler auch damals davon gesprochen, daß man es zur Erreichung dieser außenpolitischen Ziele auch auf einen neuerlichen Krieg ankommen lassen müsse, möglichenfalls auch auf einen Präventivkrieg?

LAMMERS: Von einem Krieg ist meines Wissens, meiner Erinnerung nach, nicht die Rede gewesen. Keinesfalls aber von einem Präventivkrieg oder Angriffskrieg.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Hat Hitler in der darauffolgenden Zeit bei Kabinettssitzungen oder bei anderen Zusammenkünften aller oder zahlreicher Minister einen Gesamtplan zur Erreichung seiner außenpolitischen Ziele dargelegt?

LAMMERS: Nein, einen Gesamtplan, etwas anderes als wie das allgemeine, was ich vorhin erwähnt habe, ist mir nicht bekannt. Einen Gesamtplan hat Hitler weder in der Sitzung noch in späteren Sitzungen entwickelt, wie er ja meinem Empfinden nach überhaupt Gesamtpläne, die auf eine weite Sicht hingingen, nie eingehend besprochen und erörtert hat.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Was hat Hitler bewogen, Heß a) zum Stellvertreter des Führers der NSDAP, b) zum Reichsminister zu machen?

LAMMERS: Der Führer hat Heß zum Stellvertreter des Führers nach meiner Überzeugung gemacht, weil er als Reichskanzler jetzt nicht mehr die Geschäfte der Partei führen wollte und für die technische Führung der Partei einen verantwortlichen Mann haben mußte.

Zum Reichsminister hat der Führer Heß deshalb gemacht, um eine Verbindung zwischen Partei und Staat herzustellen, um einen Mann im Reichskabinett zu haben, der in der Lage war, die Wünsche und Auffassungen der Partei im Kabinett zu vertreten. Er hat ja vielleicht dabei in Aussicht gehabt, das, was später Gesetz geworden ist, so eine Einheitsfront zwischen Partei und Staat zu schaffen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Stand die hohe Generalität in Fühlung zur Reichsleitung und dem Politischen Führerkorps der Partei a) vor der Machtergreifung und b) nach der Machtergreifung?

LAMMERS: Vor der Machtergreifung ist meines Wissens die Fühlung zwischen der Partei und der Generalität als solche nicht vorhanden gewesen. Das können nur einzelne persönliche Fühlungnahmen zwischen einzelnen Parteimitgliedern und einzelnen Generalen gewesen sein.

Nach der Machtergreifung hatte ich Gelegenheit, anwesend zu sein, wie der Führer Anfang Februar 1938 die Generalität, die hohe Generalität, die Oberbefehlshaber, sich vorstellen ließ und dabei hatte ich den Eindruck, daß der Führer die Mehrzahl dieser Herren nicht kannte, denn sie waren ihm alle vorgestellt worden, und ich stand daneben, und ich habe nur das Empfinden gehabt, daß er nur einige wenige von diesen Herren schon vorher gekannt hat.

Nun wurden natürlich nach der Machtergreifung dann die Beziehungen zwischen der Parteiführung und der Generalität etwas enger, nachdem die Partei stark in den Staat eingeschaltet wurde. Ich möchte mich aber dahin äußern, daß die Beziehungen, die allgemeinen Beziehungen, zwischen der Partei, namentlich der Reichsleitung der Partei und dem Politischen Führerkorps auf der einen Seite und der hohen Generalität auf der anderen Seite und auch vielleicht der Generalität etwas weiter herunter, der niedereren Generalität, daß sie nie hinausgegangen sind über das Formelle und über sogenannte gesellschaftliche Beziehungen, die auf einem gesellschaftlichen Pflichtverkehr beruhten, wo man sich bei feierlichen Veranstaltungen und öffentlichen Kundgebungen oder sonstigen Sachen gelegentlich trat. Enger sind nach meinem Gefühl diese gesamten Beziehungen zwischen Reichsleitung der Partei und dem Politischen Führerkorps auf der einen Seite und der Generalität auf der anderen Seite keinesfalls gewesen.

DB. SEIDL: Herr Zeuge, hat sich an dieser Art der Beziehungen etwas geändert, nachdem Hitler Staatsoberhaupt und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht geworden ist?

LAMMERS: Soweit die Generalität in Frage kommt, bin ich der Ansicht, daß sich Wesentliches nicht geändert hat, denn die Generalität erblickte ja im Führer nicht den Führer der Partei, sondern erblickte in ihm das Staatsoberhaupt und erblickte in ihm den Obersten Befehlshaber der Wehrmacht und hat infolgedessen nicht geglaubt, besonders enge Beziehungen zur Partei herstellen zu müssen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Haben gemeinsame Sitzungen und Besprechungen zur Erörterung politischer Ziele stattgefunden zwischen der Reichsregierung, der Reichsleitung der Partei und der hohen Generalität?

LAMMERS: Also von solchen gemeinsamen Sitzungen oder Besprechungen kann nicht die Rede sein. Die haben nie stattgefunden. Das wäre auch schon des Umfanges wegen unmöglich gewesen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Waren die Mitglieder der Reichsregierung, der Reichsleitung der Partei und der hohen Generalität in der Lage, in wichtigen Lebensfragen den Nation, insbesondere in solchen, bei denen Krieg oder Frieden in Frage standen, Hitler gegenüber Stellung zu nehmen?

LAMMERS: Gemeinschaftlich konnten diese drei Gremien, wenn ich mal so sagen will, die konnten natürlich überhaupt nicht Stellung nehmen, denn sie hatten ja untereinander gar keinen Zusammenhang. Aber auch jedes einzelne dieser Gremien, Reichsleitung der Partei, Reichsregierung und Generalität konnten für sich ja auch nicht Stellung nehmen, und in erster Linie ja deshalb nicht, weil sie von den Zielen des Führers in wirtschaftlicher, in politischer Hinsicht ja überhaupt nicht unterrichtet waren. Wie sollten sie Stellung nehmen? Sie wurden einfach durch die Ausführung, durch die vollendeten Tatsachen, die geschaffen waren, überrascht und eine nachträgliche Stellungnahme wäre ein »In den Rücken fallen« gewesen in die Politik des Führers.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Dann hat also ein politischer Gesamtplan Hitlers, in dem die wichtigsten Gremien als handelnde Personen eingeschaltet waren, überhaupt nicht bestanden, und es konnte daher auch von keiner Verschwörung die Rede sein?

LAMMERS: Mir ist von einem solchen Gesamtplan nichts bekannt, ich kann aber auch das eine versichern, daß die große Mehrzahl, die große Mehrzahl der Minister, von irgendeinem solchen Gesamtplan nie irgendeine Kenntnis gehabt hat.

Inwieweit etwa der Führer einzelne Personen in einen Gesamtplan eingeweiht hat, das entzieht sich meiner Kenntnis, da bin ich nicht dabeigewesen. Vielleicht hat der Führer mal mit diesem oder jenem, sei es aus der Partei, sei es aus der Reichsleitung, sei es aus der Generalität, irgendwelche Pläne besprochen, aber was dabei besprochen worden ist, das weiß ich nicht, und ob die Herren in diesem Fall den Führer zustimmend oder ablehnend beraten haben, das kann ich natürlich nicht wissen. Ich kann auch nicht wissen, ob sie kurz vor der Ausführung irgendwelcher großer, politischer Pläne, wie zum Beispiel eines Einmarsches in die Tschechoslowakei oder so etwas, ob sie kurz vorher den Führer noch haben beraten können, ob sie ihm zugestimmt haben oder ob sie ihm widersprochen haben, oder ob sie bloß einen Befehl entgegengenommen haben, den sie ausführen mußten.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Wenn ich Sie recht verstehe, dann wollen Sie offenbar sagen, daß Hitler alle großen Entschlüsse allein gefaßt hat?

LAMMERS: Die großen politischen Entschlüsse sind von ihm sicher allein gefaßt worden, allenfalls unter Zuziehung und Beteiligung einiger weniger Personen erfolgt, aber nie unter Beteiligung der Reichsregierung; denn die Reichsregierung ist also, wenn ich das aufzählen darf... Beim Austritt aus dem Völkerbund, da hat Hitler das letzte Mal noch vor der Aktion die Reichsregierung informiert. Dann kam als große, wichtige Aktion der Einmarsch in die Rheinlandzone. Die Reichsregierung wurde informiert, daß wir aus dem Völkerbund austreten würden; sie wurde noch vorher informiert. Vom Marsch ins Rheinland war niemand informiert. Erst nachdem der Einmarsch erfolgt war, hat der Führer das Reichskabinett unterrichtet. Beim Einmarsch nach Österreich, beim Einmarsch in den Sudetengau, beim Einmarsch nach Prag, vor Ausbruch des Polenkrieges, vor Beginn der weiteren Feldzüge gegen Norwegen, Frankreich, Rußland und so weiter, ist die Reichsregierung vom Führer weder vorher gehört, noch ist sie nachträglich informiert worden, so daß unter allen Ministern eine gewisse Verstimmung darüber herrschte, daß sie über diese großen Pläne, die auch für die Zivilressorts gewisse Folgen hatten, vorher in keinem Fall unterrichtet wurden, sondern nachträglich erst die vollendeten Tatsachen der Reichsregierung mitgeteilt worden sind. Also insofern kann ich sagen, hat der Führer alle diese Entschlüsse allein gefaßt und inwieweit er sich mit einzelnen Herren beraten hat, das entzieht sich meiner Kenntnis. In der Gesamtheit jedenfalls ist die große Mehrzahl der Minister über alle diese Aktionen nicht unterrichtet, ist darüber nur unterrichtet worden im allgemeinen, wie jeder Zeitungsleser und wie jeder Rundfunkhörer; dieser oder jener hat, wie zum Beispiel ich, manchmal auch ein paar Stunden vorher, wenn die Sache an die Presse herausgegeben wurde, von solchen Aktionen Kenntnis gehabt. Eine vorherige Befragung durch den Führer, auch nur eine Information, die ist nicht erfolgt.

DR. SEIDL: Nun bitte ich, mir aber doch zu sagen, wie es nun eigentlich gekommen ist, daß die gesamte Regierungsgewalt derart auf den Führer übergegangen ist?

LAMMERS: Dieser Übergang hat sich, ich möchte sagen, in einem allmählich sich entwickelnden Staatsgewohnheitsrecht vollzogen.

DR. SEIDL: Langsam bitte.

LAMMERS: Zunächst einmal hatte der Führer ja und die Reichsregierung durch das bekannte Ermächtigungsgesetz des Reichstages die Befugnis erhalten, auch die Verfassung zu ändern. Davon hat die Reichsregierung Gebrauch gemacht im Wege der ausdrücklichen Gesetzgebung. Es ist aber natürlich davon auch Gebrauch gemacht worden im Wege der stillschweigenden Duldung, im Wege der Bildung eines Staatsgewohnheitsrechtes, wie es ja in allen Ländern eigentlich anerkannt ist. So hat sich dann ganz selbst im Laufe der ersten Jahre, nachher auch in den weiteren Jahren, ein Staatsgewohnheitsrecht dahin entwickelt, daß also der Führer selbständiger handelte, als wie es eigentlich nach der Weimarer Verfassung möglich gewesen wäre. Der Führer hat die großen politischen Fragen alle aus dem Kabinett von Anfang an zurückgedrängt.

Schon im Jahre 1933, und noch im Jahre 1934 als Hindenburg noch lebte, wünschte der Führer nicht, daß allgemeine politische Fragen im Kabinett von irgendeinem Minister erörtert wurden. Ich habe wiederholt verschiedenen Ministern mitteilen lassen sie möchten davon absehen, Fragen, die nicht unmittelbar ihr Ressort berührten, im Kabinett zur Erörterung zu bringen.

Zum Beispiel habe ich eine solche Mitteilung machen müssen den Herren, die die Kirchenpolitik besprechen wollten. Mir war es verboten, allgemeine politische Fragen auf die Tagesordnung einer Kabinettssitzung zu setzen. Und wenn trotzdem ein Minister in der Kabinettssitzung eine politische Frage anschnitt, dann hat meist der Führer selbst das Wort ergriffen und hat den Betreffenden abgetan oder ihn auf eine Einzelbesprechung verwiesen. Und so entwickelte sich das weiter mit der Zeit.

Als nach dem Tode von Hindenburg der Führer gleichzeitig Staatsoberhaupt war, wurden solche Debatten überhaupt im Kabinett zurückgedrängt. Sie durften gar nicht mehr erörtert werden. Die Minister durften sich nicht als politische Minister fühlen. Ich habe das wiederholt im Auftrag des Führers einzelnen Herren mitteilen müssen, sie möchten davon absehen, in solchen Fragen im Reichskabinett Stellung zu nehmen.

Dann kam die Zeit, die ich bereits geschildert habe, der großen Aktionen, da gab es keine Kabinettssitzungen mehr Da hat der Führer allein gehandelt, da hat er sämtliche Erklärungen im Namen der Reichsregierung... die hat er selbst allein für sich abgegeben, ohne vorher sie gefragt zu haben. Ich muß zugeben, daß sich das Kabinett vielfach darüber beschwert hat, es hat sich aber gegen den Führer nicht durchsetzen können.

So ist allmählich die Regierungsgewalt, wenn ich jetzt Regierung auffasse, in dem eigentlichen Sinn, wie es im angelsächsischen Recht gemeint ist mit »Government«, so hat es eine Reichsregierung seit 1936 in ihrer Gesamtheit von Reichskanzler und den Reichsministern, also eine Reichsregierung als Kollegium, die hat es seit 1936 überhaupt nicht mehr gegeben. Der Führer war die Reichsregierung und diese Gewalt war zu ihm abgeglitten. Man wird natürlich sagen, sie hätte nicht abgleiten dürfen. Da kann ich nur sagen, das mag falsch gewesen sein, das mag dumm gewesen sein, aber es ist kein Verbrechen gewesen; das ist eine politische Entwicklung, wie sie sich in der Geschichte vielfach vollzogen hat. Ich darf noch in Erinnerung rufen, daß im alten Rom, als der Senat die Gewalt hatte und daß damals...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht nicht eine Geschichtsbeschreibung vom alten Rom zu hören.

LAMMERS: Gewiß.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Sie haben die Entwicklung des Überganges der Regierungsgewalt auf Hitler geschildert?

LAMMERS: Ja, nicht vollständig.

DR. SEIDL: Ich bitte Sie, dann fortzufahren mit Ihrer Erzählung. Aber alle Schilderungen...

VORSITZENDER: Wir haben jetzt genug gehört. Wir verstehen wohl seine Ausführungen, daß Hitler die ganze Macht übernommen hat und überhaupt auf keine weitere Diskussion eingehen würde. Es ist vollkommen klar, daß er das gesagt hat.

DR. SEIDL: Ja.

Herr Zeuge! Ich bitte, mir noch zu sagen, was die letzte Frage in diesem Zusammenhang war. Bitte wollen Sie uns sagen, ob Sie als Reichsminister und als Chef der Reichskanzlei, die von Ihnen geschilderte Entwicklung für legal gehalten haben?

LAMMERS: Ich habe diese Entwicklung betrachtet in erster Linie mit den Augen des Staatsrechtlers. Ich habe auch über diese Fragen wiederholt mit Hitler gesprochen, und ich halte diese Entwicklung für durchaus legal und kann das, wenn es gewünscht wird im einzelnen darlegen. Besonders hielt ich diese Entwicklung für legal auf Grund des bekannten Ermächtigungsgesetzes und späterer Gesetze, durch die die Reichsregierung die volle Gewalt bekommen hatte, also auch in der Lage war, von dieser Gewalt wiederum etwas abzugeben an den Führer und diese Gewalt abzuleiten, und auf diese Weise ist, welche von der Reichsregierung als Gouvernement...

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Der Gerichtshof ist wirklich nicht daran interessiert, ob es legal oder nicht legal war. Wofür der Gerichtshof sich interessiert, ist zu wissen, ob Verbrechen gegen andere Nationen begangen wurden. Wir wollen selbstverständlich das nicht in solchen Einzelheiten hören.

DR. SEIDL: Ja, aber der Hauptanklagepunkt ist Anklagepunkt 1 in der Anklageschrift. Er beschäftigt sich mit der von der Anklage behaupteten Verschwörung.

VORSITZENDER: Der Hauptanklagepunkt in der Anklageschrift war nicht, ob es nach deutschem Recht zulässig war, daß Hitler die Befugnisse der Reichsregierung übernahm. Es gibt keinen derartigen Anklagepunkt in der Anklageschrift.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Ich gehe nun auf einige Fragen über, die den Angeklagten Dr. Frank betreffen.

Seit wann kennen Sie Dr. Frank? Was war seine Tätigkeit bis zum Ausbruch des Krieges?

LAMMERS: Ich habe Herrn Frank kennengelernt im Laufe des Jahres 1932. Wenn ich richtig verstanden habe, wollen Sie seine Tätigkeit nur vom Ausbruch des Krieges an hören?

DR. SEIDL: Bis zum Ausbruch des Krieges.

LAMMERS: In der Partei war er Leiter des Rechtsamtes der Partei, dann war er parteimäßig der Leiter des Nationalsozialistischen Juristenbundes, aus dem später der sogenannte Rechtswahrerbund wurde. Dann war er Mitglied des Reichstages und bei der Machtergreifung 1933 wurde er bayerischer Justizminister. Gleichzeitig wurde er Reichskommissar für die Justizreform, und dann wurde er später – das Jahr kann ich nicht genau angeben – Reichsminister ohne Geschäftsbereich, war Präsident der Akademie für Deutsches Recht und ist dann schließlich Generalgouverneur geworden

VORSITZENDER: Uns wurden die Stellungen des Angeklagten Frank schon bewiesen, und ich glaube, schon mehr als einmal. Wir brauchen nicht Dr. Lammers dafür.

DR. SEIDL: Ich kann eine andere Frage an den Zeugen richten. Herr Zeuge! Wie war das Verhältnis zwischen Frank und Hitler?

LAMMERS: Das Verhältnis zwischen beiden war anfangs, möchte ich sagen gut, korrekt, aber nicht sonderlich eng. Er gehörte jedenfalls in der ganzen Zeit nicht zu denjenigen Leuten, die man als die engsten Berater des Führers bezeichnen kann.

DR. SEIDL: Wie war die Einstellung Dr. Franks zum Polizeistaat und zur Frage der Konzentrationslager?

LAMMERS: Frank hat wiederholt öffentliche Reden gehalten, in denen er sich eingesetzt hat für den Rechtsstaat, für Recht und Gesetz, indem er den Polizeistaat bekämpft hat und in denen er auch, wenn auch nicht in sehr krasser Form, immer wieder Stellung genommen hat gegen die Haft in den Konzentrationslagern, weil diese Haft ja ohne eine Rechtsgrundlage erfolgt war.

Und diese Reden, die Frank gehalten hat, die haben ihm mehrfach die scharfe Mißbilligung des Führers eingebracht, so daß ich schließlich vom Führer den Auftrag bekam, ihm ein Redeverbot zuzustellen, und ferner, daß ihm auch die Herausgabe, die gedruckte Herausgabe dieser Reden, verboten wurde. Und letzten Endes hatte diese Tätigkeit von Frank, in der er sich für den Rechtsstaat einsetzte, zur Folge, daß er entfernt wurde aus seinem Amt als Reichsleiter des Rechtsamtes der Partei.

DR. SEIDL: Wurde er aus diesen Gründen nicht dann abgesetzt als Präsident der Akademie für Deutsches Recht?

LAMMERS: Ja, das erfolgte gleichzeitig und auch als Leiter des Rechtswahrerbundes.

DR. SEIDL: Eine andere Frage. Hatte Dr. Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur eine umfassende Machtstellung, oder war es nicht vielmehr so, daß seine Stellung in vieler Hinsicht weitgehend durchlöchert war?

LAMMERS: Man kann schon ruhig sagen, daß die Machtstellung Franks in vieler Hinsicht durchlöchert war. Es gibt hier eine Reihe von Argumenten, erstens, also was selbstverständlich war, durch die Wehrmacht. Die hat ihn aber am wenigsten belastet, denn in den besetzten Gebieten waren die Reichskommissare ja nie Mitglieder des Oberkommandos der Wehrmacht. Das war immer getrennt. Dann hatte Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan umfassende Befehlsbefugnisse an Partei und Staat in allen besetzten Gebieten, also auch im Generalgouvernement und konnte insofern dem Generalgouverneur Weisung geben und auch seine Anordnungen, wenn es nötig war, im allgemeinen Interesse nötig war, durchbrechen und aufheben. Drittens war die Machtstellung des Generalgouverneurs Frank stark beschränkt durch die Polizei, indem Himmler als Chef der Deutschen Polizei unmittelbare Polizeibefugnisse hatte, über die er sich allerdings ins Einvernehmen setzen sollte mit dem Generalgouverneur, was aber nicht immer geschah. Dann hat der Generalgouverneur eine weitere Einbuße in seiner Machtvollkommenheit gehabt dadurch, daß Himmler Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums war und als solcher die Umsiedlungen machen konnte und auch machte, ohne daß er Generalgouverneur Frank irgendwie befragte. Dann waren es gewisse Durchlöcherungen zugunsten des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, obwohl hier auf diesem Gebiet die Durchbrechung der Machtvollkommenheiten nach meiner Auffassung die geringsten waren, denn der Gauleiter Sauckel hat sich immer nach Möglichkeit vorher mit den örtlichen Stellen geeinigt; schließlich waren es noch Vorbehalte seitens des Reichsministers Speer auf dem Gebiete der Rüstung und Technik. Es gab dann noch Vorbehalte für die Post, Eisenbahn und für andere. Aber im wesentlichen sind das die Durchlöcherungen, wie Sie, Herr Rechtsanwalt sagen, der Machtstellung Franks.

DR. SEIDL: Wie war nach Ihren Beobachtungen die grundsätzliche Einstellung Dr. Franks gegenüber dem polnischen und ukrainischen Volk, und welche Politik hat er versucht, durchzusetzen?

LAMMERS: Nach meiner Auffassung hat Frank immer versucht, eine Politik der Mäßigung zu betreiben und eine deutschfreundliche Stimmung in Polen zu schaffen. Allerdings hat er sich damit dann vielfach nicht durchsetzen können, er hat sich im besonderen deshalb nicht durchsetzen können, weil die Polizeigewalt und die Gewalt Himmlers auf dem Gebiet der Umsiedlung zu groß war, so daß seine Maßnahmen und seine Absichten gestört wurden. Es war ihm schwer, sich durchzusetzen.

DR. SEIDL: Hat Dr. Frank sich mit Germanisierungsabsichten getragen, oder war es nicht vielmehr so, daß er der Umsiedlungspolitik Himmlers als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums Widerstand entgegensetzte, wo immer es nur ging?

LAMMERS: Daß Frank Germanisierungsabsichten gehabt hat, für so töricht würde ich ihn nicht halten, daß er Polen zu Deutschen machen wollte. Er wird wahrscheinlich versucht haben, die deutschstämmigen Leute in Polen für das Deutschtum zu gewinnen; und mit den Umsiedlungen hat er viel Schwierigkeiten gehabt, indem er vorher nicht gefragt wurde und ihm einfach im Wege der Umsiedlung Menschen in das Generalgouvernement hereingeschoben wurden. Darin befand er sich durchaus in Übereinstimmung mit mir. Ich habe auch wiederholt beim Führer vorgetragen, daß diese Massenumsiedlungen nicht auf einmal ohne Zustimmung des Generalgouvernement hereingeschoben können, daß der Generalgouverneur nicht regieren kann, wenn er diese Maßnahmen über die Umsiedlung nicht vorher kennt, ja, wenn er auf diese Maßnahmen auch nicht einmal einen Einfluß hat.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Sie haben vorher erklärt, daß die gesamte Sicherheitspolizei und der SD im Generalgouvernement unmittelbar Himmler beziehungsweise dem Höheren SS- und Polizeiführer unterstanden. Hat der Generalgouverneur Frank nicht versucht, gegen die Gewaltpolitik dieser beiden Männer Verwahrung einzulegen und Abhilfe zu schaffen?

LAMMERS: Er hat sich in diesem Punkte wiederholt bei mir beschwert, und zwar mit dem Ziele, daß ich diese Beschwerden an den Führer bringe, was mir allerdings nur zum Teil möglich gewesen ist. In einem Punkt aber wollten wir ihm durchaus helfen. Es wurde im Generalgouvernement nachher ein Staatssekretariat eingerichtet für das Sicherheitswesen und unter dem damaligen Höheren SS- und Polizeiführer Krüger. Das hat aber nur vier oder sechs Wochen lang funktioniert, dann sind Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiete wieder ausgebrochen. Krüger, der Staatssekretär des Sicherheitswesens, erklärte, ich bekomme meine Weisungen von Himmler. Wenn sich der Generalgouverneur darüber beschwerte, dann sagte Himmler, das sind ja alles unwichtige Dinge, die muß ich doch unmittelbar befehlen können, der Generalgouverneur sagte, für mich sind diese Dinge nicht unwichtig, für mich sind auch diese Dinge wichtig; also es war der Befehlsweg und die Zusammenarbeit mit dem Generalgouverneur nicht eingehalten, so daß es in der Tat begreiflich ist, daß Herr Frank eine sehr schwierige Stellung gehabt hat in Bezug auf das Polizeiwesen.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß der Generalgouverneur wiederholt, und zwar schriftlich und mündlich seinen Rücktritt erklärt hat und was waren die Gründe dafür?

LAMMERS: Frank hat mehrfach seinen Rücktritt erklärt, und zwar wegen dieser starken Konflikte, die er im besonderen mit Himmler hatte, und deswegen, weil er in diesen Konflikten nicht recht bekam, sondern beim Führer bekam meistens Himmler recht. Es sind mehrere Rücktrittsabsichten oder Rücktrittswünsche an mich gebracht worden, die ich zum Teil dem Führer gar nicht vorlegen durfte. Ich habe aber dem Führer über diese Rücktrittsabsichten des Generalgouverneurs berichtet, und der Führer hat mehrere Male den Rücktritt von Frank abgelehnt.

DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, daß der Reichsführer- SS Himmler auf die Beseitigung Dr. Franks hingearbeitet hat?

LAMMERS: Der Reichsführer Himmler war persönlich zweifellos ein Gegner von Frank. Ich habe Anlaß, aus verschiedenen abfälligen Äußerungen, die Himmler über Frank getan hat, anzunehmen, daß Himmler es sehr gerne gesehen hätte, wenn Frank aus seiner Stellung beseitigt worden wäre; und an demselben Strang mitgezogen hat der Reichsleiter Bormann, der der Persönlichkeit Franks auch nicht wohlgesinnt war.

DR. SEIDL: Wem unterstanden im Generalgouvernement die Konzentrationslager, und wer war für die Errichtung und Verwaltung zuständig?

LAMMERS: Die Konzentrationslager hatte Himmler unter sich und für die Verwaltung und Organisation waren Organe, Abteilungen von Himmler da. Es war ein Wirtschaftsamt, glaube ich, ein Wirtschaftsamt der SS, das die Verwaltung hatte, aber die Konzentrationslager als solche, die unterstanden Himmler.

DR. SEIDL: Wer war für alle Fragen im Zusammenhang mit der sogenannten Judenpolitik zuständig, und zwar im Generalgouvernement?

LAMMERS: In den besetzten Gebieten war für die Judenpolitik, ich möchte sagen, in all den großen Dingen, Himmler derjenige Mann, der das leitete. Natürlich war der Generalgouverneur auch mit Dingen auf dem Gebiet der Judenpolitik befaßt, oder Maßnahmen gegen die Juden befaßt, zum Beispiel Bekämpfung des Fleckfiebers, ich glaube, auch die äußere Kennzeichnung. Alle die persönlichen Maßnahmen sind von der Polizei beim Generalgouverneur beantragt worden; aber die Hauptpolitik gegen die Juden hat, wie ich nachträglich erfahren habe, Himmler völlig allein gemacht und er hatte dafür vom Führer die Vollmachten.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß der Generalgouverneur bereits vom Jahre 1940 an laufend Beschwerden über die Tätigkeit des Höheren SS- und Polizeiführers Krüger erhoben hat?

LAMMERS: Das kann ich bestätigen, das ist mehrfach geschehen. Ganz besonders richteten sich die Beschwerden dagegen, daß die SS- und Polizeigerichte sich im Generalgouvernement Zuständigkeiten anmaßten, die sie gar nicht hatten und infolgedessen die Gerichtstätigkeit hier auch der zuständigen Behörde des Generalgouvernements entzogen wurde. Da sind auch Geiselerschießungen vorgekommen. Darüber hat er sich auch mehrfach beschwert, wobei ich bemerke, daß alle Beschwerden an mich,... es waren ja keine Beschwerden bei meiner Person, sondern sie wurden ja immer nur an mich deshalb gebracht, damit sie von mir an den Führer gebracht würden.

DR. SEIDL: Ist es richtig, daß der Generalgouverneur laufend Vorstellungen gegen eine übermäßige Inanspruchnahme des Generalgouvernements durch das Reich, insbesondere in Bezug auf Getreidelieferungen, erhoben hat?

LAMMERS: Er hat häufig Einwendungen erhoben, aber seine Auflagen, die er bekommen hat, sind sogar noch erhöht worden. Er hat sie allerdings meistens erfüllt, was ihm besonders schwer gefallen sein mag.

DR. SEIDL: Ist Ihnen bekannt, daß der Generalgouverneur gegen die Verschleppung von Kunstwerken durch die Organisationen Himmlers protestiert hat?

LAMMERS: Ja, das ist mir so ganz schwach in Erinnerung. Es ist möglich, daß er sich auch über die Wegschaffung von Kunstwerken beschwert hat, aber auf Einzelheiten kann ich mich darauf nicht mehr entsinnen.

DR. SEIDL: Und nunmehr die letzte Frage: Ist es richtig, daß der Generalgouverneur in zahlreichen Schriftsätzen, und zwar bereits vom Jahre 1940 an, Vorschläge über eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung des Generalgouvernements beim Führer gemacht hat, und daß erst sehr viel später dann der Führer die von Dr. Frank von Anfang an befürwortete hohe Politik als richtig anerkannte.

LAMMERS: Herr Frank hat sich vielfach gegen eine Ausbeutungspolitik ausgesprochen und mehr im Sinne einer Aufbaupolitik, auch einer kulturellen Aufbaupolitik. Zum Beispiel hatte er vorgeschlagen, daß man zu den Behörden beim Gouverneur schon und zu den Kreishauptleuten und so weiter polnische beratende Gremien gebe, und das ist abgelehnt worden. Er hat sich ausgesprochen für die Errichtung von Gymnasien, Priesterseminaren und ähnlichen kulturellen Bestrebungen. Das ist alles abgelehnt worden.

Er hat auch einmal eine große Denkschrift eingereicht, da war eine polnische Organisation, die nannte sich »Pflug und Schwert«, Die hatte die Mitarbeit mit den Deutschen angeboten, und da hat Frank eingehende Vorschläge in einer größeren Denkschrift gemacht, daß man die Polen nur zur Mitarbeit gewinnen könne, wenn man ihnen entsprechend entgegenkomme. Alle diese Vorschläge Franks sind von Hitler abgelehnt worden. Es ist nicht richtig, was Sie sagen, Herr Rechtsanwalt, daß erst im letzten Augenblick der Führer ihm zugestimmt hat. Ich kann nur sagen, daß er alles abgelehnt hat, restlos.

DR. SEIDL: Ich habe keine Fragen mehr.

DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Der Angeklagte Rosenberg ist durch Erlaß vom 17. Juli 1941 zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete ernannt worden. Möchten Sie bitte dem Gerichtshof ganz kurz sagen, durch welche Erlasse die Befugnisse im Osten eingeschränkt wurden?

LAMMERS: Das kann ich ganz kurz tun, indem ich wiederhole, es sind dieselben Einschränkungen, die der Generalgouverneur gehabt hat. Diese Einschränkungen, die ich eben aufgezählt habe. Ich muß aber dabei noch einen Zusatz machen. Die Stellung des Reichsministers Rosenberg war besonders erschwert dadurch, daß die Meinungsverschiedenheit, die er auf dem Gebiet der Propaganda hatte, mit Herrn Minister Goebbels, ihn besonders stark beeinträchtigt hat. Denn nach der Meinung des Führers sollte Rosenberg die Ostpolitik machen und Goebbels die Propaganda machen, und beides war nie miteinander in Einklang zu bringen. Es waren starke Meinungsverschiedenheiten zwischen Rosenberg und Goebbels, die nur nach langwierigen Verhandlungen beigelegt wurden. Im Ergebnis aber war der Erfolg immer ein geringer, denn die kaum beigelegten Meinungsverschiedenheiten waren in den nächsten Wochen sofort wieder da. Außerdem noch eine weitere Einschränkung, die sich unterschied von den anderen hier, von dem Generalgouvernement, daß Herr Rosenberg ja für die besetzten Ostgebiete zwei Reichskommissare hatte, den Reichskommissar Lohse und den Reichskommissar Koch.

DR. THOMA: Darauf komme ich später zurück.

Erinnern Sie sich, daß vor dem Erlaß vom 17. Juli 1941 eine Führerbesprechung stattgefunden hat am Tage vorher, am 16. Juli 1941, in welcher Rosenberg sich von Anfang an dagegen beklagt hat, daß sein Ministerium keine Polizeihoheit bekommen soll, sondern daß die ganze Polizeihoheit auf Himmler übertragen werden soll?

LAMMERS: Herr Rosenberg war natürlich mit der Polizeihoheit beim Himmler nicht ganz einverstanden und hat dagegen auch Widerspruch erhoben, aber erfolglos. Die Polizeiangelegenheiten waren in den anderen besetzten Gebieten bereits so geregelt wie hier. Der Führer ging nicht davon ab.

DR. THOMA: In der allgemeinen Instruktion der Reichskommissare, da kommt die Stelle vor, daß der Höhere SS- und Polizeiführer dem Reichskommissar persönlich und unmittelbar unterstellt sei. Hatte das die Bedeutung, daß der Polizeiführer auch dem Reichskommissar auch in fachlicher Beziehung Befehle geben konnte?

LAMMERS: Normalerweise nicht, die fachliche Weisung hatte sich Himmler vorbehalten. Der SS- und Polizeiführer war gehalten, sich hier mit dem Reichskommissar in Verbindung zu setzen und natürlich seine politische Weisung zu berücksichtigen, nicht die fachlichen.

DR. THOMA: Nicht die fachlichen? Ich möchte Sie bitten, dem Gerichtshof darüber etwas zu sagen, aber auch ganz kurz, welche politischen Konzeptionen Rosenberg von Anfang bis zum Ende bezüglich der Behandlung der Ostvölker hatte.

LAMMERS: Er hatte meines Erachtens immer eine gemäßigte Politik betreiben wollen. Er war zweifellos gegen eine Politik der Ausrottung und gegen eine Politik der Deportationen, die vielfach gepredigt wurde. Er hat sich Mühe gegeben, die Landwirtschaft in Ordnung zu bringen durch die Agrarordnung, das Schulwesen in Ordnung zu bringen, die kirchlichen Angelegenheiten, die Universitäten, die Schulen und ähnliches. Er ist nur schwer damit durchgekommen, weil der eine Reichskommissar, namens Koch, in der Ukraine die Maßnahmen Rosenbergs abgelehnt hatte, ja, ich möchte sogar sagen, einfach die Befehle Rosenbergs in dieser Hinsicht nicht befolgt hat.

DR. THOMA: Ich meine allerdings jetzt die große politische Konzeption. Hat Herr Rosenberg Ihnen gegenüber sich einmal dahin geäußert, daß ihm vorschwebe, die Ostvölker zu einer gewissen Autonomie zu bringen und ihnen eine solche Autonomie zu gestatten?

LAMMERS: Das kann ich bejahen.

DR. THOMA: Hat er Ihnen auch davon gesprochen, daß er beabsichtigte, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch auf die besetzten Ostgebiete ausgedehnt werden sollte?

LAMMERS: Ob er es in dieser Form getan hat, daran kann ich mich nicht genau entsinnen. Er war jedenfalls für eine Herstellung einer gewissen Selbständigkeit der Ostvölker.

DR. THOMA: Also einer Autonomie. Und lag ihm deshalb die kulturelle Betreuung dieser Ostvölker besonders am Herzen?

LAMMERS: Ja, hier hatte er besonderes Interesse, das weiß ich deshalb, weil er sich auch für das Schulwesen, für die Kirche und für die Universitäten interessiert hat.

DR. THOMA: War das vielleicht die Ursache des Konfliktes, den er besonders mit dem Reichsminister Koch hatte?

LAMMERS: Dieses und auch vieles andere. Koch war vor allen Dingen ein starker Gegner der Agrarordnung. Die Agrarordnung, die Rosenberg für besonders günstig hielt im Interesse seiner Ziele, diese Agrarordnung ist von Koch sabotiert worden.

DR. THOMA: Können Sie noch andere Gebiete nennen, auf denen Koch dem Ostminister Schwierigkeiten machte?

LAMMERS: Im Moment fallen mir keine ein.

DR. THOMA: Wissen Sie, daß es dann zu einem unmittelbaren Krach kam. Wo Sie den Auftrag bekamen im Benehmen mit Bormann, zwischen den beiden zu verhandeln, und daß das dann Rosenberg abgelehnt hat und verlangt hat, die Sache müsse vor den Führer kommen?

LAMMERS: Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Rosenberg und Koch waren sehr zahlreich. Sie haben viele Bände Akten gefüllt. Der Führer hatte den Auftrag gegeben, daß Bormann und ich die Sachen untersuchen sollten. Darüber sind viele Wochen vergangen. Es ist aber nach der Untersuchung, ich möchte sagen, nie zu einer Entscheidung des Führers gekommen. Der Führer hat die Entscheidung in diesen Sachen immer hinausgezogen. Einmal, vielleicht ist das der Fall, den Sie, Herr Rechtsanwalt, im Auge haben, waren die Meinungsverschiedenheiten wieder besonders scharf. Da bestellte der Führer Herrn Rosenberg und Herrn Koch zu sich und statt die Meinungsverschiedenheiten zu entscheiden, kam eine Einigung wieder nicht zustande. Es kam an Stelle einer sachlichen Entscheidung die salomonische Entscheidung; die beiden Herren sollen sich jeden Monat einmal treffen und sollen sich miteinander ins Einvernehmen setzen. Das war natürlich eine Angelegenheit, die für Rosenberg als den vorgesetzten Minister zunächst einmal unerträglich war, sich mit dem ihm unterstellten Reichskommissar in jedem Fall ins Einvernehmen setzen zu müssen. Zweitens war es aber praktisch kaum durchführbar. Erstens haben sich die Herren vielleicht höchstens ein- oder zweimal getroffen, und zweitens, wenn sie sich getroffen haben, dann war eine Einigung auch nicht zustande zu bringen, und letzten Endes bekam Herr Koch beim Führer recht.

DR. THOMA: Wie ist das zum Ausdruck gekommen, daß der Koch recht bekam?

LAMMERS: Indem der Führer über die nach meiner Meinung berechtigten Beschwerden von Rosenberg keine Entscheidung traf. Dadurch verblieb es bei den Tatsachen, die Koch getroffen hatte.

DR. THOMA: Der Angeklagte Rosenberg sagt, das Ergebnis sei gewesen, daß er den Auftrag von Hitler bekommen habe, sich in der Verwaltung der Ostgebiete auf das Grundsätzlichste zu beschränken. Ist das richtig?

LAMMERS: Ungefähr so ist der Auftrag des Führers gewesen. Beide hatten auch das gegenseitige Einverständnis abgestellt, bei der Gelegenheit, wo der Führer die Bedenken hatte.

DR. THOMA: Wie hat sich denn das Verhältnis Rosenbergs zum Führer überhaupt gestaltet? Wann war der letzte Vortrag Rosenbergs bei Hitler?

LAMMERS: Meines Wissens ist Herr Rosenberg zum letztenmal Ende 1943 beim Führer gewesen und vorher, da hatte er auch schon immer starke Schwierigkeiten, zum Führer hinzukommen. Es ist ihm das nicht häufig gelungen.

DR. THOMA: Hatte dieses gespannte Verhältnis dazu geführt, daß Rosenberg im Herbst 1940 ein Rücktrittsgesuch eingereicht hat?

LAMMERS: Ja, nun es war kein ausdrückliches Rücktrittsgesuch; denn Rücktrittsgesuche hat ja der Führer verboten, aber er hatte gesagt, wenn er nicht mehr die Geschäfte führen könne zur Zufriedenheit des Führers, dann bäte er, abgesetzt zu werden, also es kam im Ergebnis auf ein Rücktrittsgesuch hinaus.

DR. THOMA: Können Sie dem Gerichtshof Mitteilungen darüber machen, inwiefern Rosenberg bei der Bevölkerung in den besetzten Gebieten Einfluß hatte und beliebt war. Ist es insbesondere richtig, daß eine Reihe von Kirchenführern aus den besetzten Ostgebieten Danktelegramme an ihn gerichtet haben wegen seiner toleranten Haltung und wegen der freien Kultusausübung, die er ihnen gestattet hat?

LAMMERS: Mir ist das nur aus persönlichen Mitteilungen von Rosenberg oberflächlich bekannt. Er mag mir so etwas erzählt haben.

DR. THOMA: Ich habe noch eine Frage. Es ist in diesem Prozeß wiederholt zu Tage getreten, daß die militärische Umgebung Hitlers diesen für ein militärisches Genie angeschaut hat. Wie war das nun auf dem Verwaltungssektor? Hitler war zunächst oberster Gesetzgeber, oberster Regierungschef und Staatsoberhaupt. Wurde er auch von seiner Verwaltungsumgebung darin bestärkt, daß alle seine Entschlüsse richtig seien, und daß er da Außergewöhnliches leiste, oder wer hat ihn darin bestärkt?

LAMMERS: Der Führer hatte auch auf diesem Gebiet eine außerordentlich rasche Auffassungsgabe und fast immer eine richtige Beurteilung der Dinge gehabt und war in der Lage, von der großen Linie, die er für Gesetzgebung und für Verwaltung selbständig zu bestimmen hatte, häufig Gebrauch zu machen. Es war dann Sache der ausführenden Herren, zunächst mal der Minister, dann aber auch zum Teil meine Aufgabe, das, was der Führer an seinen Tendenzen und Grundgedanken niedergelegt hatte, in eine entsprechende Form zu bringen. Wenn sich dabei Bedenken ergaben, dann lieh der Führer meist diesen Bedenken durchaus Gehör, wenn sie nicht das Prinzip berührten; also für Härten, für Milderungen, für Verschärfungen, wenn sie nötig waren, für andere Formulierungen, für andere Konstruktionen war er vielfach zu haben, aber nicht, wenn es sich darum handelte, eine Grundtendenz zu bekämpfen. Das war bei ihm außerordentlich schwer.

DR. THOMA: Ja, und in den einzelnen Problemen wurde dann das alles von ihm persönlich sachlich entschieden, oder war er da irgendwie gehemmt durch seinen Zweck durch bestimmte Ziele, die er im Auge hatte?

LAMMERS: Also, es ist ihm ja nicht viel vorgetragen worden Ich habe normalerweise in den letzten Jahren sachliche Vorträge alle sechs bis acht Wochen gehabt, also im Jahre sechs- oder achtmal, vielleicht, wenn es hoch kam, zehnmal. Dabei konnten ja Probleme nicht erörtert werden. Der Führer hat im allgemeinen für die Verwaltung... hat er das seinen Ministern überlassen...

VORSITZENDER: Wir haben immer wieder über Hitler gehört.

DR. THOMA: Ich habe nur noch eine Frage: Haben Sie etwas davon gewußt, daß Hitler sich entschieden hat, die Judenfrage durch die Endlösung, das heißt durch die Vernichtung der Juden, zu lösen?

LAMMERS: Ja, darüber ist mir sehr vieles bekannt. Die Endlösung der Judenfrage ist mir zum erstenmal bekanntgeworden 1942. Da habe ich erfahren, daß der Führer angeblich über Göring einen Auftrag gegeben hat an den SS-Obergruppenführer Heydrich zur Lösung der Judenfrage. Den näheren Inhalt dieses Auftrages kannte ich nicht und infolgedessen, da ich keine Zuständigkeiten hatte, habe ich mich zunächst ablehnend verhalten, als ich aber dann etwas wissen wollte, habe ich mich selbstverständlich zunächst mit Himmler in Verbindung setzen müssen und ihn gefragt, was denn eigentlich unter Endlösung der Judenfrage zu verstehen sei. Da hat mir Himmler erwidert, er habe vom Führer den Auftrag, die Endlösung der Judenfrage herbeizuführen, beziehungsweise Heydrich und sein Nachfolger hätten diesen Auftrag, und dieser Auftrag bestände im wesentlichen darin, daß die Juden aus Deutschland evakuiert werden sollten, Ich habe mich mit dieser Zusage zunächst einmal beruhigt und mich abwartend verhalten, weil ich annahm, ich würde ja nun irgendwie, ich hatte ja keine Zuständigkeiten, ich würde irgend etwas in dieser Frage von Heydrich oder von seinem Nachfolger Kaltenbrunner bekommen. Da nun nichts einging, wollte ich mich selbst darüber informieren und habe auch noch im Jahre 1942 einen Vortrag beim Führer angemeldet, worauf mir der Führer gesagt hat, ja, es wäre richtig, er hätte Himmler den Auftrag zur Evakuierung erteilt, er wünschte aber im Krieg keinen Vortrag mehr über diese Judenfrage. Inzwischen oder kurz nachher, das war schon anfangs 1943, sind vom Reichssicherheitshauptamt Einladungen ergangen zu einer Sitzung mit dem Thema »Endlösung der Judenfrage«. Ich hatte schon vorher den Befehl ausgegeben für meine Beamten, daß ich in der Sache keine Stellung nehme, weil ich sie dem Führer vortragen wollte. Ich hatte nur befohlen, daß, wenn zu einer Sitzung eingeladen wird, sich einer meiner Beamten hinbegibt, sozusagen als Horchposten, und da hat auch eine Sitzung nachher stattgefunden in dieser Frage, aber ohne ein Ergebnis. Es wurden Protokolle verwendet und die Ressorts sollten dazu Stellung nehmen. Als das Protokoll bei mir einging, ergab sich auch nichts Wesentliches. Ich habe zum zweitenmal verboten, Stellung zu nehmen. Ich habe selbst eine Stellung abgelehnt, und zwar ist mir das noch sehr genau in Erinnerung, weil das Schreiben, das ich bekommen habe, erstens von einem Herrn gezeichnet war, der mir gegenüber gar nicht hätte zeichnen können, und dann, das war irgendein kleiner Mann, der mich fragte, warum ich noch nicht Stellung genommen hätte, und zweitens war die Anfrage sehr unfreundlich. Es hätten alle Stellung genommen, bloß ich nicht. Ich habe befohlen, daß zu antworten sei, ich lehnte eine Stellungnahme ab, ich müßte die Angelegenheit erst beim Führer zum Vortrag bringen. Inzwischen habe ich mich nochmals an Herrn Himmler gewandt. Herr Himmler meinte, eine Erörterung dieser Frage wäre nötig, es wäre eine Reihe von Problemen zu lösen, ganz besonders, weil die Absicht, die Endlösung der Judenfrage auch zu erstrecken auf die Mischlinge ersten Grades und auch auf die sogenannten privilegierten Ehen, das heißt die Ehen, bei denen nur ein Teil arisch und der andere jüdisch war. Der Führer erklärte mir wiederum nur, er wolle keinen Vortrag, er habe aber gegen die Beratung dieser Probleme keine Bedenken. Daß inzwischen irgendwelche Evakuierungen vollzogen worden sind, hatte ich erfahren. Von Tötung der Juden war damals jedenfalls nicht das geringste überhaupt bekannt; soweit krasse Einzelfälle vorkamen, habe ich mich immer an Himmler gewandt, und Himmler hatte diese Einzelheiten immer sehr entgegenkommend erledigt. Schließlich aber im Jahre 1943 tauchten Gerüchte auf, daß Juden umgebracht wurden. Ich hatte keine Zuständigkeiten auf diesem Gebiet, keine andere als die, daß ich gelegentlich Beschwerden bekam, und auf Grund dieser Beschwerden bin ich den Gerüchten nachgegangen, diese Gerüchte haben sich aber jedenfalls für mich nur als Gerüchte erwiesen. Jeder sagte, er habe es vom anderen gehört, aber keiner wollte irgend etwas ausdrücklich versichern. Ich bin sogar der Ansicht, daß es meistens beruhte auf dem Abhören ausländischer Sender, und daß die Leute dann nicht sagen wollten, wo sie es her hatten. Das veranlaßte mich erneut, in dieser Angelegenheit einen Vorstoß zu unternehmen. Ich habe erstens, da ich ja auf dem Himmlerschen Gebiet meinerseits keine Untersuchungen anstellen konnte, mich nochmals an Himmler gewandt. Himmler hat die gesetzliche Tötung abgeleugnet und hat mir gesagt, er berief sich auf den Befehl des Führers, ich habe die Juden zu evakuieren und bei solchen Evakuierungen da gibt es natürlich alte, kranke Leute, da kommen Todesfälle vor, da kommen Unglücksfälle vor, da kommen Fliegerangriffe vor, ja er sagte auch weiter noch, da gibt es Revolten, die ich natürlich stark und blutig niederdrücken muß als abschreckendes Beispiel. Im übrigen werden die Leute im Osten untergebracht in Lagern. Da holte er eine Menge Bilder und Albums und zeigte mir, wie in den Lagern von den Juden gearbeitet wird, für den Kriegsbedarf, Schuhwerkstätten, Schneiderwerkstätten und ähnliches und sagte mir dann: »Das ist ein Auftrag des Führers; wenn Sie glauben, daß Sie dagegen vorgehen müssen, dann sagen Sie das dem Führer, und dann sagen Sie mir die Leute, die Ihnen das berichtet haben!« Die konnte ich ihm natürlich nicht nennen; erstens wollten sie nicht genannt sein, und zweitens wußten sie es nur vom Hörensagen; also ich konnte ihm da, wie ich sagte, kein Material in die Hand geben. Ich habe aber gleichwohl noch einmal diese Angelegenheit beim Führer zum Vortrag gebracht, und da hat der Führer mir genau dieselbe Antwort gegeben, wie sie mir Himmler gegeben hat. Er sagte mir: »Ich werde später bestimmen, wohin die Juden kommen, vorläufig sind sie da untergebracht«. Und dann sagte er dasselbe, was Himmler sagte. Das hat bei mir den Eindruck erweckt, als ob Himmler dem Führer gesagt hat, der Lammers wird kommen und ihnen darüber wahrscheinlich etwas melden.

Nun habe ich aber gleichwohl diese Endlösung der Judenfrage In meiner Vortragsmappe gehabt und wollte sie unbedingt noch einmal zur Sprache bringen beim Führer; und das ist mir nur gelungen aus Anlaß einiger krasser Fälle in dieser Frage, die so waren, daß der Führer sich auf eine Unterhaltung darüber eingelassen hat. Ich muß da den ganzen Fall beispielshalber erwähnen.

Wenn ein Jude mit einer Deutschen verheiratet war, dann galt er als privilegiert, das heißt, er wurde nicht evakuiert. Wenn die Frau gestorben war...

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte...

DR. THOMA: Herr Vorsitzender, ich möchte selbst den Zeugen bitten, sich etwas kürzer zu fassen. Aber die eine Frage bitte ich noch zuzulassen. Der Zeuge will meines Erachtens schildern, daß diese ganze Endlösung der Judenfrage geheim, und zwar unter Belügung der Umgebung Hitlers, gemacht wurde, und deswegen bitte ich, den Zeugen ausreden zu lassen, weil hier eine ganz entscheidende Frage zur Debatte steht. Aber ich bitte Sie, Herr Zeuge, sich recht kurz zu fassen.

Ich stelle jetzt an Sie die Frage: Hat Himmler jemals zu Ihnen gesagt, daß die Endlösung der Juden durch deren Vernichtung erfolgen soll?

LAMMERS: Davon ist nie die Rede gewesen. Er hat nur von Evakuierung gesprochen.

DR. THOMA: Er hat nur von Evakuierung gesprochen?

LAMMERS: Nur von Evakuierung.

DR. THOMA: Wann haben Sie gehört, daß diese fünf Millionen Juden vernichtet worden sind?

LAMMERS: Davon habe ich hier vor einiger Zeit gehört.

DR. THOMA: War das also dann eine ganz geheime Sache, die nur ganz wenige Persönlichkeiten wußten?

LAMMERS: Ich nehme an, daß das Himmler so gemacht hat, daß niemand etwas erfahren hat, und er die Kommandos so gebildet hat, daß niemand etwas davon gewußt hat. Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Menschen, die davon etwas gewußt haben müssen.

DR. THOMA: Können Sie mir sagen, welche Menschen etwas davon gewußt haben müssen, außer denen, die die Vernichtung unmittelbar vollzogen haben? Wer muß sonst etwas davon gewußt haben?

LAMMERS: Zunächst muß Himmler doch anderen den Auftrag weitergegeben haben, und da müssen einige leitende Leute da gewesen sein. Diese leitenden Leute müssen natürlich wieder andere leitende Leute nach unten gehabt haben, die die Kommandos weggebracht haben, und die eben absolut alles geheimgehalten haben.

DR. THOMA: Ich habe keine Frage mehr.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof unterbricht die Verhandlung.