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[Das Gericht vertagt sich bis

10. April 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertvierter Tag.

Mittwoch, 10. April 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Zeuge Lammers im Zeugenstand.]

DR. THOMA: Hohes Gericht! Herr Präsident! Ich habe gestern erklärt, die Stelle bei Lapouge sei in meinem Dokumentenbuch nicht rot angestrichen gewesen und sollte nicht verlesen werden. Meine Behauptung war nicht richtig. Zu dieser meiner Behauptung kam ich auf folgende Weise:

Mein Klient, Herr Rosenberg, übersandte mir gestern hierher, während ich plädierte, folgenden Zettel: »Im Dokumentenbuch sind doch die gewünschten Stellen rot angestrichen. Das übrige braucht ja gar nicht übersetzt zu werden.« Die genannten Stellen des französischen Textes waren nicht vorgesehen. Daraus entnahm ich, daß die Stellen nicht übersetzt werden sollten. Diese Mitteilung Rosenbergs hatte aber einen anderen Sinn. Rosenberg hatte nämlich bei einigen rot angestrichenen Dokumenten ein Zeichen gemacht, das besagen sollte, diese Stellen brauchen nicht verlesen zu werden. Dazu gehörte das Zitat von Lapouge, und dadurch ist dieser Irrtum entstanden.

Ich habe gestern auch gesagt, die Stelle, die Herr Oberrichter Jackson zitiert hat, sei unrichtig übersetzt worden. Auch das war ein Irrtum, der bei mir offenbar dadurch entstanden ist, weil mich die Hervorhebung des Wortes »Bastardisierung« schockiert hat. Ich nehme an, daß es vielleicht »Rassenmischung« heißen mußte. Ich bitte die Dolmetscherabteilung, mich zu entschuldigen. Das Dokumentenbuch selbst...

VORSITZENDER: Dr. Thoma! Es ist dem Gerichtshof durchaus verständlich, daß Ihnen ein Irrtum unterlaufen ist, und ich hoffe, niemand – und der Gerichtshof wird sich bestimmt nicht ausschließen – wird Ihnen vorwerfen, Sie hätten nicht im guten Glauben gehandelt. Der Gerichtshof ist sich klar darüber, daß ein Mißverständnis oder ein Irrtum die Ursache gewesen ist.

DR. THOMA: Ich danke vielmals.

DR. NELTE: Herr Präsident! Gestatten Sie, daß ich eine kurze Frage an den Gerichtshof stelle, die sich auf die prozessuale Behandlung des Falles Westhoff bezieht. Ich hatte gestern ja erklärt, aus welchen Gründen ich glaubte, auf den Zeugen Westhoff verzichten zu können. Nach der Erklärung der Englischen Anklagebehörde ist der Irrtum klargestellt und meine Annahme damit entfallen. Ich möchte den Gerichtshof nun fragen: Ist damit die ursprüngliche Lage automatisch wieder hergestellt und der vor dem Gericht vorgeführte Zeuge für mich als Entlastungszeuge auch in Anspruch zu nehmen, oder muß ich einen förmlichen Antrag stellen, um mir diesen Zeugen wieder zu genehmigen?

VORSITZENDER: Nein, Dr. Nelte. Der Gerichtshof verlangt nicht, daß Sie wieder einen formellen Antrag stellen. Sie können den Zeugen über alles befragen, nachdem er die Fragen beantwortet hat, die der Gerichtshof an ihn gestellt hat, und die Anklagevertretung kann natürlich auch Fragen an ihn stellen.

DR. NELTE: Ich danke Ihnen.

VORSITZENDER: Nun, Dr. Seidl, ich glaube, Sie wollen im Namen des Angeklagten Frank einige Fragen an diesen Zeugen stellen, nicht wahr? Wir hoffen, es wird nicht allzulange dauern.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Der Anklagevertreter hat gestern eine Frage an Sie gestellt im Zusammenhang mit der AB-Aktion. AB-Aktion heißt zu Ihrer Information: Außerordentliche Befriedungs-Aktion. Sie wurde notwendig im Zusammenhang mit Aufständen im Generalgouvernement im Jahr 1940. In diesem Zusammenhang hat der Anklagevertreter Ihnen ein Zitat aus dem Tagebuch Franks verlesen, und zwar vom 16. Mai 1940. Ich will Ihnen zunächst noch einen Satz aus diesem gleichen Zitat, aus dieser gleichen Eintragung verlesen, der folgendermaßen lautet:

»Jede willkürliche Aktion ist aufs strengste zu verhindern. Bei allem Vorgehen hat immer der Gesichtspunkt des notwendigen Schutzes der Autorität des Führers und des Reiches im Vordergrund zu stehen... Im übrigen ist die Aktion... bis zum 15. Juni 1940 befristet.«

Der Anklagevertreter hat Ihnen dann ein weiteres Zitat vom 30. Mai vorgehalten. Daraus könnte man den Schluß ziehen...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält es nicht für richtig, wenn Sie dem Zeugen Stellen aus Franks Tagebuch vorlesen. Sie sollten ihn nur verhören, um Tatsachen zu klären. Er hat ja das Tagebuch nie gesehen.

DR. SEIDL: Ich werde eine Frage an ihn stellen; ich muß aber vorher noch eine kurze Stelle verlesen; sonst kann er die Frage nicht verstehen.

VORSITZENDER: Was ist das für eine Frage? Sie können nur Frank bei seiner Vernehmung das Tagebuch vorlegen.

DR. SEIDL: Der Zeuge wurde gestern im Zusammenhang mit der AB-Aktion vernommen, und es wurde ihm eine Stelle vorgehalten, aus der er den Eindruck gewinnen mußte, daß eine größere Anzahl von Polen ohne jedes Gerichtsverfahren erschossen worden seien.

VORSITZENDER: Was wollen Sie ihn fragen?

DR. SEIDL: Ich will ihn fragen, ob er den Ministerialrat Wille kennt, welche Stellung er im Generalgouvernement hatte und welcher Art die Mitwirkung dieses Dr. Wille nur sein konnte, wenn er überhaupt im Rahmen dieser Aktion mitbedacht wurde.

VORSITZENDER: Gut, fragen Sie ihn das, wenn Sie wollen, Dr. Seidl, aber das Tagebuch steht mit dieser Frage gar nicht in Zusammenhang.

DR. SEIDL: Aber die Frage kann nur sinngemäß beantwortet werden, Herr Präsident, wenn ich ihm die entsprechende Stelle aus dem Tagebuch vorlese, sonst begreift er ja den Zusammenhang nicht.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof kann diesen Zusammenhang nicht erkennen, und hält es daher nicht für notwendig, ihm diese Stelle im Tagebuch zu verlesen.

DR. SEIDL: Das wird ersichtlich werden. Herr Präsident! Ich bitte noch einen Satz aus dem Tagebuch verlesen zu dürfen, und zwar vom 12. Juni 1940.

VORSITZENDER: Nein, Dr. Seidl! Sie können die Frage an ihn stellen, aber Sie dürfen nicht das Tagebuch vorlesen. Sie haben den Inhalt der Frage schon ausgesprochen, nämlich, ob dem Zeugen bekannt sei, daß jemand eine bestimmte Stellung im Generalgouvernement bekleidet habe. Sie können diese Frage stellen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge! Ist Ihnen Ministerialrat Dr. Wille bekannt?

LAMMERS: Nein, ich kann mich seiner nicht entsinnen.

DR. SEIDL: Sie wissen auch nicht, daß er Leiter der Hauptabteilung Justiz im Generalgouvernement war?

LAMMERS: Nein, auch dessen bin ich mir nicht bewußt.

DR. SEIDL: Dann ist die eine Frage schon erledigt. Die zweite Frage, die ich dem Zeugen vorzulegen hatte, bezieht sich wiederum auf einen Tagebucheintrag aus dem Tagebuch Franks, und zwar im Zusammenhang mit den Konzentrationslagern. Ich kann aber auch diese Frage nur stellen, wenn ich vorher dem Zeugen ein entsprechendes Zitat aus dem Tagebuch vorlesen kann.

VORSITZENDER: Sagen Sie, was Sie fragen wollen.

DR. SEIDL: Die Frage hätte gelautet: Ist die Ansicht, die in dem beabsichtigten Zitat aus dem Tagebuch Franks sich ergibt, die richtige, und stimmt sie überein mit seiner ersten Erklärung vom Montag, oder aber ist die Ansicht die richtige, die der Herr Anklagevertreter gestern wiederum aus dem Tagebuch Franks dem Zeugen vorgehalten hat?

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie die Frage folgendermaßen stellen können: Kennen Sie Franks Einstellung zu den Konzentrationslagern? In dieser Weise können Sie die Frage stellen.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Diese Frage hat der Zeuge im Hauptverhör schon beantwortet. Er hat erklärt, daß Frank den Konzentrationslagern gegenüber ablehnend eingestellt ist. Gestern wurde ihm nun ein Auszug aus dem Tagebuch Franks vorgelesen, aus dem sich das Gegenteil ergeben könnte. Nun befinden sich aber in dem Tagebuch Franks Dutzende von Einträgen, die die Ansicht des Zeugen bestätigen, und die zu dem im Widerspruch stehen, was ihm von der Anklage vorgehalten wurde. Ich kann daher eine vernünftige Frage an den Zeugen nur richten, wenn ich ihm etwas aus dem Tagebuch verlese.

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Sie können das alles bei Frank vorbringen. Sie können dann alle strittigen Stellen und ebenso alle erheblichen Stellen aus dem Tagebuch im Laufe Ihrer Beweisführung besprechen und können Frank die wichtigsten Stellen vorlegen.

DR. SEIDL: Die dritte Frage hätte sich auf das Telegramm bezogen...

VORSITZENDER: Dr. Seidl! Es ist ein außergewöhnliches Privileg, daß Ihnen, als Verteidiger Franks, gestattet wird, ein Rückverhör durchzuführen. Der Gerichtshof hat Ihnen erklärt, daß Sie in dieser Angelegenheit überhaupt nicht berechtigt sind, ein Rückverhör anzustellen. Wer einen Zeugen ursprünglich aufgerufen hat, darf das Rückverhör vornehmen. Wir können doch im allgemeinen nicht jedem gestatten, ein Rückverhör durchzuführen.

DR. SEIDL: Ich verzichte dann auf weitere Fragen an den Zeugen.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen. Nun wünscht der Gerichtshof, daß General Westhoff vorgeführt wird.

Sir David, könnten Sie für mich die deutsche Fassung der Erklärung des Generals Westhoff hier aus diesen Akten heraussuchen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe schon gesucht, konnte Sie aber nicht finden, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Sie können Sie nicht finden?