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[Pause von 10 Minuten.]

DR. KURT KAUFFMANN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KALTENBRUNNER: Herr Präsident! Gestatten Sie mir ganz wenige Fragen nur, die auf die Person des Angeklagten Kaltenbrunner Bezug haben. Herr Zeuge...

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann! Wir sind im Begriff, den Zeugen Wielen zu verhören. Sie wissen das?

DR. KAUFFMANN: Ja.

VORSITZENDER: Aber Sie wünschen, diesen Zeugen zu befragen, nicht wahr?

DR. KAUFFMANN: Der Name Kaltenbrunner wurde hier erwähnt, dazu nur einige Fragen.

Herr Zeuge! Sie sprachen vorhin davon, daß Sie mit der Gestapo gesprochen hätten, und daß Sie von der Gestapo keine Auskunft bekommen hätten. Wissen Sie, mit wem Sie damals gesprochen haben?

WESTHOFF: Nein, die Besprechungen mit der Gestapo waren ja laufend. Bei Fällen, wenn wir Kriegsgefangene vermißten und nicht wußten, wo die geblieben waren, wurde laufend bei der Gestapo angefragt. Ich bin aber einmal bei Herrn Kaltenbrunner gewesen, und zwar auf Veranlassung einer anderen Geschichte, die mit Kriegsgefangenen der Alliierten nichts zu tun hatte. Und da ich bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit hatte, Herrn Kaltenbrunner persönlich zu sprechen, habe ich diese Sache sofort ins Gespräch gebracht und habe versucht, diesen Befehl rückgängig zu machen. Anwesend war seinerzeit Herr Kaltenbrunner und Müller.

DR. KAUFFMANN: Sie haben dann in Berlin später, nach dem Fall »Sagan«, mit Kaltenbrunner persönlich gesprochen?

WESTHOFF: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Wurde da über den Fall »Sagan« gesprochen?

WESTHOFF: Da, habe ich mit Herrn Kaltenbrunner über diese »Sagan«-Geschichte gesprochen und habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Sache unhaltbar sei.

DR. KAUFFMANN: Wieviel später war das ungefähr nach dem Fall »Sagan«?

WESTHOFF: Das kann ich nun nicht mehr sagen, das kann vielleicht vier Wochen später gewesen sein.

DR. KAUFFMANN: Wie hat sich denn Kaltenbrunner zu diesem Problem gestellt? Was hat er Ihnen gesagt?

WESTHOFF: Kaltenbrunner selbst hat so gut wie gar nicht mit mir gesprochen, sondern das Wort hat der Müller geführt, und ich bin fortgegangen und habe weder ein Ja noch ein Nein bekommen.

DR. KAUFFMANN: War Müller auch bei der zweiten Besprechung in Berlin anwesend?

WESTHOFF: Ich bin nur einmal in Berlin gewesen.

DR. KAUFFMANN: War nicht Gegenstand dieses Gespräches überhaupt die Frage, wie man in Zukunft das Kriegsgefangenenwesen gestalten sollte?

WESTHOFF: Nein.

DR. KAUFFMANN: Also, ausschließlich der Fall »Sagan« wurde besprochen?

WESTHOFF: Nicht ausschließlich der Fall »Sagan«, sondern ich bin zu Herrn Kaltenbrunner bestellt worden aus einem anderen Grund, und zwar wegen deutscher Kriegsgefangener, und habe diese Gelegenheit wahrgenommen, mit ihm über diesen Fall sofort zu sprechen. Das ist das einzige Mal, daß ich Herrn Kaltenbrunner überhaupt gesehen habe.

DR. KAUFFMANN: Bei dieser Besprechung haben Sie weder eine positive noch negative Antwort bekommen?

WESTHOFF: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Mit welchem Eindruck verließen Sie diese Besprechung?

WESTHOFF: Der Eindruck war, daß da anscheinend nicht viel gemacht werden konnte.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie dann über diese Besprechung Ihren Vorgesetzten Nachricht gegeben?

WESTHOFF: Jawohl, ich habe dem Allgemeinen Wehrmachtsamt seinerzeit darüber Mitteilung gemacht.

DR. KAUFFMANN: Welches war der Inhalt dieser Mitteilung?

WESTHOFF: Daß ich mit Herrn Kaltenbrunner darüber nochmal gesprochen hätte.

DR. KAUFFMANN: Das allein wird ja wohl nicht genügen, Herr Zeuge. Sie werden doch in dieser wichtigen Frage auch dann über den Inhalt dieser Besprechungen Mitteilung gemacht haben, nicht nur über die Tatsache?

WESTHOFF: Natürlich habe ich über den Inhalt Mitteilung gemacht, daß ich die Sache nochmal zur Sprache gebracht habe, und daß die Gestapo sich abwartend verhalten hätte.

DR. KAUFFMANN: Ich habe keine Fragen mehr, Herr Präsident.

DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Herr Zeuge! Haben Sie die Tatsache, daß bei der von Ihnen erwähnten Besprechung zwischen Hitler, Himmler und Keitel über die Flucht dieser 80 Flieger, die in Gegenwart des Reichsmarschalls Göring stattgehabt haben soll, aus eigenem Wissen bekundet, oder haben Sie diese Tatsache nur durch den Feldmarschall Keitel erfahren?

WESTHOFF: Das habe ich nur durch den Feldmarschall Keitel erfahren.

DR. STAHMER: Ich habe keine weiteren Fragen.

VORSITZENDER: Dr. Laternser, wenn Sie im Namen des Oberkommandos der Wehrmacht fragen wollen,... wollten Sie das?

DR. LATERNSER: Ich wollte im Namen des Generalstabs und OKW wenige Fragen an den Zeugen richten.

VORSITZENDER: Der Zeuge hat Aussagen gemacht über die Tatsache, daß das OKW nichts mit diesen Dingen, die im Zusammenhang mit dem Kriegsgefangenenwesen standen, zu tun hatte, und er wurde von der Anklagebehörde nicht darüber ins Kreuzverhör genommen. Die Sache ist nicht bestritten worden. Und deshalb glaubt der Gerichtshof, daß Fragen Ihrerseits nicht notwendig sind. Spezifizieren Sie Ihre Fragen lieber.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Es war doch bisher so gehandhabt worden, daß bei jedem erscheinenden Zeugen jedem Verteidiger Gelegenheit gegeben war, die Fragen an diesen Zeugen zu richten, die er für erforderlich hielt. Soll davon nunmehr abgewichen werden?

VORSITZENDER: Ich wollte nicht mit Ihnen über diese Sache argumentieren, sondern ich bat Sie, Ihre Fragen zu spezifizieren.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Waren Sie selbst beim Ostfeldzug eingesetzt?

WESTHOFF: Jawohl.

DR. LATERNSER: In welcher Eigenschaft?

WESTHOFF: Zunächst als Bataillonskommandeur und dann als Regimentskommandeur.

DR. LATERNSER: In welchem Abschnitt war Ihre Einheit ein gesetzt?

WESTHOFF: Zunächst in der Ukraine, später vor Leningrad und dann bei Staraja-Russa.

DR. LATERNSER: Haben Sie vor Beginn des Ostfeldzugs Ihren Kompaniechefs besondere Anweisungen gegeben?

WESTHOFF: In welcher Beziehung?

DR. LATERNSER: Nachdem Sie den Befehl zum Angriff bekommen haben, werden Sie, wie ich vermute, Ihre Kompaniechefs zusammengenommen haben als Bataillonskommandeur und mit ihnen irgendwelche Anweisung vor Beginn des Feldzugs besprochen haben.

WESTHOFF: Ich sagte ihnen, wie sie sich im Kampf zu benehmen haben, wie sie sich der russischen Bevölkerung gegenüber zu benehmen haben, und wie sie sich den Kriegsgefangenen gegenüber zu benehmen haben.

DR. LATERNSER: Ja, was haben Sie denn Ihren Kompaniechefs für Anweisungen erteilt?

WESTHOFF: Ganz kurz habe ich den Kompaniechefs die Anweisungen gegeben, daß sie jeden Kriegsgefangenen so zu behandeln haben, wie er selbst behandelt werden möchte, wenn er in Gefangenschaft kommt.

DR. LATERNSER: Das haben Sie ausdrücklich erklärt?

WESTHOFF: Jawohl, das ist befohlen worden.

DR. LATERNSER: Wie verhielt sich die Truppe beim Einmarsch?

WESTHOFF: Wir haben den Einmarsch bis nach Kiew fast kämpfend gemacht und marschierend und sind mit Zivilbevölkerung kaum zusammengekommen.

DR. LATERNSER: Haben Sie beim Vorrücken in Rußland umfangreiche Zerstörungen festgestellt?

WESTHOFF: Teilweise ja, teilweise waren Dörfer zerstört und auch kleine Städte zerstört.

DR. LATERNSER: Bahnanlagen?

WESTHOFF: Bahnanlagen auch, jawohl.

DR. LATERNSER: Industriewerke?

WESTHOFF: Ja, das habe ich nachher vor Leningrad gesehen, jawohl.

DR. LATERNSER: Ist bei Ihnen der Befehl angewandt worden, nach dem sowjet-russische Kommissare nach ihrer Gefangennahme zu erschießen seien?

WESTHOFF: Damit hatten wir nichts zu tun. Die Kriegsgefangenen, die wir machten, wurden alle sofort zurückgeschickt an die Division. Wir selber, die Truppenkommandeure, Regiments- und Bataillonskommandeure, hatten damit nichts zu tun, hatten auch gar keine Gelegenheit, dies zu machen.

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben meine Frage nicht richtig beantwortet. Ich habe Sie gefragt, ob bei Ihnen dieser Befehl angewendet worden ist?

WESTHOFF: Ich weiß davon nichts.

DR. LATERNSER: Haben Sie jemals den Befehl bekommen, gegen jüdische Bevölkerung vorzugehen in Rußland?

WESTHOFF: Nein.

DR. LATERNSER: Sind durch Ihre Truppen Zivilisten oder Gefangene mißhandelt oder erschossen worden?

WESTHOFF: Nein. Es bestand da ein besonderer Befehl zur Aufrechterhaltung der Disziplin, daß das nicht gemacht werden durfte.

DR. LATERNSER: Waren Plünderungen erlaubt?

WESTHOFF: Nein, die waren ausdrücklich verboten.

DR. LATERNSER: Sind welche vorgekommen?

WESTHOFF: Bei meiner Truppe nicht.

DR. LATERNSER: Haben Angehörige Ihrer Truppe Vergewaltigungen begangen?

WESTHOFF: Nein, kein Fall bekannt.

DR. LATERNSER: Mußte die Zivilbevölkerung die von der Truppe belegten Häuser vollständig räumen?

WESTHOFF: Nein, es bestand nur ein Befehl, daß die Häuser zu räumen seien, in denen die Geschäftszimmer waren. Die anderen Häuser brauchten nicht geräumt zu werden, und es wurde in der Regel so gemacht, daß ich zum Beispiel, wenn ich einquartiert war, immer mit den Leuten in einer Stube geschlafen habe.

DR. LATERNSER: Haben Sie Zerstörungen erlebt, die militärisch nicht bedingt waren?

WESTHOFF: Nein.

DR. LATERNSER: Haben Sie gelegentlich oder häufig hungernde Zivilbevölkerung aus der Feldküche verpflegt?

WESTHOFF: Dem Regiment war befohlen, daß alles, was das Regiment an Verpflegung übrig hatte, grundsätzlich mittags und abends der Bevölkerung auszugeben war, soweit wir überhaupt mit der Bevölkerung zusammenkamen.

DR. LATERNSER: Ja. Herr Zeuge! Dann noch eine letzte Frage: Halten Sie es für möglich, daß deutsche Soldaten russische Kinder zum Kaffee einluden, und diese Kinder mit vergiftetem Kuchen vergifteten und töteten?

WESTHOFF: Nein.

DR. LATERNSER: Ich habe keine weiteren Fragen.

VORSITZENDER: Dr. Laternser, Sie wollen doch nicht behaupten, daß dies ein Zeuge für das OKW ist?

DR. LATERNSER: Nein, nein.

VORSITZENDER: Sind Sie der Meinung, Sie sollten das Recht haben, jeden Zeugen, der irgendeinen militärischen Rang hat, für das OKW zu verhören?

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Es war bisher die Regel, soweit ich sie verstanden habe, so gehandhabt worden, daß jedes Beweismittel, also auch Zeugen, die vorgeführt wurden, von jedem der Verteidiger gefragt werden konnten, und an diese Regel habe ich mich bisher gehalten und habe mich auch verpflichtet gefühlt, die Fragen, die ich an den Zeugen gerichtet habe, zu richten.

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Ich habe Sie ganz einfach gefragt, ob Sie glauben, das Recht zu haben, Fragen in Bezug auf das OKW an jeden zu richten, der hier vorgeladen wird und irgendeinen militärischen Rang hat?

DR. LATERNSER: Jawohl, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Es scheint mir das doch höchst kumulativ zu sein. Wir würden dann für das OKW Aussagen von möglicherweise 30 bis 40 Zeugen haben. Und wenn Sie mir jetzt erwidern, das sei früher zulässig gewesen, so haben sich doch alle anderen Verteidiger, soweit wie möglich, auf nicht kumulative Beweismittel beschränkt. Aus diesem Grunde habe ich Sie unterbrochen. Es scheint mir nämlich, daß die Aussagen Ihrer Zeugen äußerst kumulativ werden, wenn Sie, wie Sie es bis jetzt getan haben, das Recht für sich in Anspruch nehmen, alle Zeugen, die einen militärischen Rang hatten, zu befragen.

DR. LATERNSER: Herr Präsident, man...

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Die Fragen, die Sie an diesen Zeugen gerichtet haben, waren Fragen, die gestellt wurden, um zu beweisen, daß die Regimentsoffiziere und Soldaten in der deutschen Armee sich richtig verhalten haben, und daß man von ihnen kein unkorrektes Benehmen erwarten konnte.

Das scheint doch nicht erheblich zu sein dafür, ob das OKW eine verbrecherische Organisation ist oder nicht. Auf jeden Fall, zumindest meines Erachtens, würde das kumulativ sein.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Es ist, insbesondere von der Russischen Anklagebehörde derart viel belastendes Material vorgebracht worden gegen die Wehrmacht, so daß von der Russischen Anklage selbst geschlossen worden ist, daß entsprechende Befehle von oben, also den im Kreise des Generalstabs und OKW zusammengefaßten Personen herausgegeben worden sind, und ich wollte durch Befragung dieses Zeugen, der Regimentskommandeur gewesen ist, feststellen, ob irgendwelche Auswirkungen bis nach unten sich ergeben haben, und das hat mir die Aussage bestätigt, daß das nicht der Fall gewesen ist. Ich müßte andernfalls...

VORSITZENDER: Auf jeden Fall, Dr. Laternser, kennen wir Ihre Ansicht jetzt, und der Gerichtshof wird prüfen, wieweit Ihnen in Zukunft gestattet werden kann, in dieser Weise zu verfahren.

DR. LATERNSER: Jawohl.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, bitte.

OBERST POKROWSKY: Herr Zeuge! Sie sind doch am 28. Dezember 1945 von einem Vertreter der Sowjetischen Anklagebehörde vernommen worden. Ist das richtig?

WESTHOFF: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Haben Sie dabei wahrheitsgemäß ausgesagt?

WESTHOFF: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Wollen Sie bitte einige der Antworten bestätigen, die Sie auf die Ihnen seinerzeit gestellten Fragen gegeben haben? Ich will Ihnen diese Fragen ins Gedächtnis zurückrufen.

WESTHOFF: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Nach Ihrer Aussage bestand Ihre Abteilung aus sechs Gruppen. Ist das richtig?

WESTHOFF: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Sie sagten, daß die erste Gruppe der Abteilung, ich meine die Allgemeine Abteilung, die sich mit Kriegsgefangenenfragen befaßt hat und der Sie vom 1. März 1943 bis 31. März 1944 vorstanden... so war es, glaube ich?

WESTHOFF: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Die erste Gruppe dieser Abteilung befaßte sich im allgemeinen mit der Behandlung von Kriegsgefangenen, insbesondere aber mit den Fragen der gerichtlichen Verfahren und der Bestrafung. Diese Gruppe erhielt die Berichte über die Stimmung und stand im Briefwechsel mit der Abteilung Abwehr. Ist das richtig?

WESTHOFF: Mit der Abwehr, ja.

OBERST POKROWSKY: Nun bitte ich Sie, im Zusammenhang mit der Antwort, die Sie auf diese Frage gegeben haben, dem Gerichtshof zu sagen, was Sie über die Behandlung von russischer Kriegsgefangenen wußten, und zwar sowohl in den Lagern selbst als auch in der Zeit, wenn sie sich auf dem Transport von einem Lager in das andere befanden.

WESTHOFF: Soweit mir bekannt, sind die russischen Kriegsgefangenen bis 1942 nach rein politischen Grundsätzen behandelt worden. Ab 1942 ist dies geändert worden und ab 1943, solange ich im Oberkommando der Wehrmacht gewesen bin, sind die Kriegsgefangenen gemäß des Genfer Abkommens behandelt worden, das heißt die Behandlung ist in allem der Behandlung der anderen Kriegsgefangenen angepaßt worden. Die Verpflegung ist dieselbe gewesen wie bei den anderen. Und der Arbeitseinsatz und die Behandlungsweise sind in allen Einzelheiten den Kriegsgefangenen der anderen Mächte angepaßt worden mit bestimmten Ausnahmen.

OBERST POKROWSKY: Wenn ich mich nicht irre, war die vierte Gruppe Ihrer Abteilung besonders mit Fragen der Ernährung und Bekleidung von Kriegsgefangenen betraut. Stimmt das?

WESTHOFF: Die Aufgabe der Gruppe IV war verwaltungsmäßige Angelegenheit. Sie hatte die Verordnungen zu bearbeiten über Verpflegung, in Verbindung mit dem Ernährungsministerium, und hatte die Bekleidungsfrage zu behandeln.

OBERST POKROWSKY: Wenn ich Ihre Antwort richtig verständen habe, so haben Sie gesagt, daß bis zu Ihrem Eintritt in Ihre Abteilung die russischen Kriegsgefangenen auf Grund von Nachrichten, die Sie erhalten haben, nicht nach Grundsätzen des Völkerrechts behandelt wurden. Habe ich Sie richtig verstanden?

WESTHOFF: Nein, ich habe gesagt, die Kriegsgefangenen wurden in den ersten Jahren nach politischen Grundsätzen behandelt, die nicht vom OKW, sondern von Hitler selbst gegeben waren.

OBERST POKROWSKY: Was wollen Sie damit sagen?

WESTHOFF: Damit will ich sagen, daß sie nicht nach der Genfer Konvention behandelt wurden bis 1942.

OBERST POKROWSKY: Mit anderen Worten, nicht nach Völkerrecht?

WESTHOFF: Darüber kann ich keine näheren Auskünfte geben, weil ich zu der Zeit ja noch an der Front war, und im einzelnen über diese Bestimmungen nicht Bescheid weiß.

OBERST POKROWSKY: Gut. Sagen Sie mir, hatte das OKW eine besondere Abteilung die sich mit den Fragen des Transports von Kriegsgefangenen beschäftigte?

WESTHOFF: Das Oberkommando der Wehrmacht hatte bei mir eine Gruppe, die die Transporte der Kriegsgefangenen veranlaßte. Die Transporte selber waren nicht Sache des Oberkommandos, sondern das war Sache der einzelnen Lagerkommandanten.

OBERST POKROWSKY: Ist Ihnen bekannt, unter welchen Bedingungen diese Transporte der Kriegsgefangenen stattgefunden haben?

WESTHOFF: Die Transporte der Kriegsgefangenen wurden vom Oberkommando der Wehrmacht befohlen. Die Ausführung der Transporte der Kriegsgefangenen war Sache der einzelnen Lagerkommandanten, die dazu ihre Befehle bekamen von den Kommandeuren der Kriegsgefangenen in den Wehrkreisen. Mit den Transporten selber hatte das Oberkommando nichts zu tun.

OBERST POKROWSKY: Meine Frage lautete, ob es Ihnen bekannt ist, unter welchen Bedingungen die Transporte von einem Platz zum anderen stattfanden? Ist es Ihnen bekannt, daß Tausende von Kriegsgefangenen auf diesen Transporten an Kälte und Hunger starben? Wissen Sie etwas darüber oder nicht?

WESTHOFF: Die Transporte, auf denen Kriegsgefangene umgekommen sind, können höchstens in den ersten Jahren liegen, in denen ich noch nicht im Oberkommando war. Solange wie ich dagewesen bin, habe ich keine größeren Meldungen bekommen, daß Leute in größeren Mengen umgekommen sind. Die Befehle, die das Oberkommando der Wehrmacht über die Transporte der Kriegsgefangenen herausgegeben hat, waren eindeutig und so, daß die Kommandanten der absendenden Lager dafür verantwortlich waren, daß die Transporte ordnungsgemäß durchgeführt wurden.

OBERST POKROWSKY: Sie haben soeben bestätigt, daß Sie darüber Bescheid wüßten, daß Kriegsgefangene auf den Transporten massenhaft starben. Ich lege Ihnen nun ein Dokument vor, und zwar 1201-PS, USSR-292. Dieses Schriftstück, meine Herren Richter, ist eine dokumentarische Niederschrift der Kriegswirtschaftsverwaltung des OKW. Sie ist dem Gerichtshof noch nicht vorgelegt worden. Diese dokumentarische Niederschrift ist am 19. Februar 1942, 10.00 Uhr vormittags, in der Reichswirtschaftskammer während des Vertrags von Ministerialdirektor Dr. Mansfeld vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz gemacht worden. Die drei Zeilen, die mich besonders interessieren, sind in dem Ihnen vorliegenden Dokument rot angestrichen. Zeuge, sehen Sie sich dieses Dokument an. Dort heißt es:

»Der Einsatz dieser Russen ist ausschließlich eine Transportfrage. Es ist unsinnig, diese Arbeitskräfte in offenen oder ungeheizten geschlossenen Güterwagen zu transportieren, um am Ankunftsort Leichen auszuladen.«

Ist das richtig?

WESTHOFF: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Haben Sie etwas von solchen Transporten gehört, wenn an Stelle eines Zuges mit lebenden Menschen Leichen ausgeladen wurden? Hat Ihnen niemand von solchen Zuständen erzählt, bevor Sie Ihre Stellung im OKW antraten?

WESTHOFF: Ich habe von diesen Transporten nichts gehört, weil ja das auch nicht im Bereich des Oberkommandos der Wehrmacht lag, sondern das war ja, wie das hieraus hervorgeht, im Bereich des Operationsgebiets. Der Bereich des Oberkommandos der Wehrmacht umschloß ja in der Hauptsache das Deutsche Reich und die Grenzstaaten, und nur hier hatte das Oberkommando der Wehrmacht Verfügung über die Kriegsgefangenen, nicht im Operationsgebiet, nicht im rückwärtigen Heeresgebiet. Insofern ist das eine Angelegenheit, die überhaupt an das Oberkommando der Wehrmacht nicht herangekommen ist. Wir bekamen die Kriegsgefangenen vom Heer, und da wurde uns angemeldet, soundso viele Kriegsgefangene bekommen sie und übernahmen sie dann in unsere Lager. Was im Operationsgebiet mit den Leuten geschehen ist, das konnten Wir im einzelnen nicht kontrollieren. Im übrigen ist ja auch diese Geschichte, sie ist von 1942, auch zu einer Zeit, wo ich noch an der Front war.

OBERST POKROWSKY: Wenn Sie sich das Dokument links oben ansehen, so finden Sie dort eine Bemerkung, daß dieses Dokument vom Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt stammt, nicht wahr? Links in der Ecke, dort wo steht K. 32/510.

WESTHOFF: Mit dem Rüstungsamt hat meine Dienststelle überhaupt nie etwas zu tun gehabt.

OBERST POKROWSKY: Gut. Scheint dieses Dokument nicht die Tatsache zu bestätigen, daß das OKW über solche Transporte Bescheid wußte? Herr Vorsitzender, ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Da dieses Dokument noch nicht eingereicht wurde, und da nicht feststeht, ob es übersetzt worden ist, sollten Sie doch den ersten Absatz verlesen, er scheint wesentliches Beweismaterial zu enthalten.

OBERST POKROWSKY: Sofort. Der erste Absatz des Dokuments lautet in der russischen Übersetzung folgendermaßen:

»Aktenvermerk.

Betrifft: Vortrag von Ministerialdirektor Dr. Mansfeld, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, über allgemeine Fragen des Arbeitseinsatzes.

Zeit: 19. Februar 1942, 10.00 Uhr; Ort: Reichswirtschaftskammer. Anwesend: Von Wi Rü Amt KVR Dr. Grotius.

Die gegenwärtigen Schwierigkeiten im Arbeitseinsatz wären nicht entstanden, wenn man sich rechtzeitig zu einem großzügigen Einsatz russischer Kriegsgefangener entschlossen hätte.«

Herr Vorsitzender, das ist der erste Abschnitt. Weiter unten im selben Schrittstück interessieren mich folgende drei Zeilen...

VORSITZENDER: Setzen Sie fort.

OBERST POKROWSKY:

»Es standen 3,9 Millionen Russen zur Verfügung, davon sind nur noch 1,1 Millionen übrig. Allein von November 1941 bis Januar 1942 sind 500000 Russen gestorben.«

Herr Vorsitzender! Habe ich genug aus diesem Dokument vorgelesen? Ich glaube, daß man es weiter gar nicht zu verlesen braucht.

VORSITZENDER: Fahren Sie bitte fort!

OBERST POKROWSKY:

»Die Zahl der gegenwärtig beschäftigten russischen Kriegsgefangenen (400000) dürfte sich kaum erhöhen lassen. Wenn die Typhuserkrankungen abnehmen, besteht vielleicht die Möglichkeit, noch weitere 100000 bis 150000 Russen in die Wirtschaft zu bringen.

Demgegenüber gewinnt der Einsatz ziviler Russen immer größere Bedeutung. Es stehen insgesamt 600000 bis 650000 zivile Russen zur Verfügung, davon 300000 Industriefacharbeiter und 300000 bis 350000 für die Landwirtschaft. Der Einsatz dieser Russen ist ausschließlich eine Transportfrage. Es ist unsinnig...«

VORSITZENDER: Das haben Sie bereits verlesen.

OBERST POKROWSKY: Das ist richtig. Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs nochmals darauf lenken, daß das Dokument das Aktenzeichen des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes trägt. In der linken oberen Ecke.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky, dies ist in unserer Übersetzung nicht enthalten, aber ich nehme an, daß Sie recht haben. Wenigstens kann ich es nicht finden. Wollen Sie uns Ihr Dokument zeigen?

OBERST POKROWSKY: Das Original ist soeben übergeben worden. Das Aktenzeichen steht oben links in der Ecke.

VORSITZENDER: Diese Buchstaben und Ziffern bedeuten OKW, obwohl es nicht ausdrücklich erwähnt ist, nicht wahr?

OBERST POKROWSKY: Jawohl.

VORSITZENDER: Wie können Sie das sagen? Die tatsächlichen Buchstaben lauten wie folgt: »Rü III Z St Az i K 32/510 Wi Rü Amt/Rü III Z St.«

OBERST POKROWSKY: Wenn man diese Abkürzungen entziffert, was bereits von unseren amerikanischen Kollegen durchgeführt wurde, kann man feststellen, daß diese Buchstaben und Ziffern dem der Amerikanischen Anklagebehörde vorliegenden Organisationsplan des OKW entsprechen. Es handelt sich um die üblichen Abkürzungen der Abteilungen und Ämter.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte Sie bitten, den Zeugen zu fragen, ob ihm irgend etwas über die Stellung des Dr. Grotius, der auf der rechten Seite, etwas weiter unten, erwähnt ist, bekannt ist.

Ich werde ihn selbst fragen.