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[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Stehen Sie auf, Zeuge.

ZEUGE MAX WIELEN: Jawohl.

VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

WIELEN: Max Wielen.

VORSITZENDER: Ihr voller Name, Vor- und Nachname?

WIELEN: Max Wielen.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

MR. G. D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Max Wielen! Sie haben in London zwei Erklärungen an Oberst Hinchley Cook abgegeben.

WIELEN: Jawohl.

MR. ROBERTS: Sind dies die Photokopien der zwei Erklärungen? Die erste ist vom 26. August 1945, die zweite vom 6. September 1945 datiert.

[Die Dokumente werden dem Zeugen überreicht.]

Sind das die Photographien des Protokolls Ihrer wahrheitsgemäßen Aussagen? Können Sie sie identifizieren? Sehen Sie am Ende jeder Aussage Ihre Unterschrift?

WIELEN: Jawohl.

MR. ROBERTS: Und haben Sie in diesen beiden Erklärungen die Wahrheit ausgesagt?

WIELEN: Ich habe die Wahrheit gesagt.

MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Ich möchte nun einige Stellen daraus verlesen, damit sie in das Protokoll aufgenommen werden können.

[Zum Zeugen gewandt:]

Nehmen Sie bitte die erste Aussage zuerst zur Hand. Die Erklärung beginnt mit Ihrem Namen und der Aufzählung der Stellungen, die Sie in der SS und in der Kriminalpolizei bekleidet haben. Das stimmt, nicht wahr?

WIELEN: Ja.

MR. ROBERTS: Wollen Sie sich nun den Beginn dieser Erklärung ansehen.

WIELEN: Von welcher Erklärung, vom 6. September?

MR. ROBERTS: Ich sagte: die erste.

WIELEN: Die erste, jawohl.

MR. ROBERTS: Folgen Sie meiner Verlesung. Ich verlese die ganze erste Seite:

»Oberregierungs- und Kriminalrat SS-Obersturmbannführer...«

WIELEN: Oberregierungs- und Krimmalrat der Kriminalpolizei, nicht der SS.

MR. ROBERTS: Folgen Sie bitte meiner Verlesung. Ich werde die ganze erste Seite verlesen:

»Oberregierungsrat und Kriminalrat SS-Obersturmbannführer...«

Ich will nicht, daß Sie mitlesen, hören Sie mir nur zu...

»... früherer Offizier der Kriminalpolizeileitstelle Breslau.

Auf die Frage, ob ich etwas über die Erschießung der kriegsgefangenen englischen Fliegeroffiziere aus dem Gefangenenlager Sagan wisse, habe ich zu erklären, daß ich darüber unterrichtet bin und rückhaltlos aussagen will:

Die Erschießung erfolgte auf ausdrücklichen persönlichen Befehl des früheren Führers Adolf Hitler und ist durch Beamte der Geheimen Staatspolizei ausgeführt worden.

Leiter der Staatspolizeileitstelle Breslau war damals Oberregierungsrat SS-Obersturmbannführer Dr. Scharpwinkel. Seine Auftraggeber waren der Chef der Sicherheitspolizei, SS-Obergruppenführer Dr. Kaltenbrunner und der Amtschef IV des Reichssicherheitshauptamtes SS-Gruppenführer Müller. Die anderen Leiter von Dienststellen der Geheimen Staatspolizei, die in ihren Bezirken Erschießungen durchgeführt haben, vermag ich nicht zu benennen. Einschalten darf ich hier eine kleine Skizze, aus der die Organisation der Sicherheitspolizei ersichtlich ist.«

Ich komme nun zu Seite 2 unten der englischen Übersetzung, es ist auf Seite 3 unten auf dem Exemplar, das der Zeuge in seiner Hand hat:

»Im Laufe der Zeit«, Sie sprechen hier von Stalag Luft III, »waren 99 Ausbruchstollen gegraben worden; sie waren immer von militärischer Seite entdeckt worden. Der hundertste Stollen im März 1944 brachte den Erfolg, daß 80 gefangene Offiziere entweichen konnten.

Nach Eingang der entsprechenden telephonischen Meldung des Lagerkommandos bei der Kriminalpolizeileitstelle hatte ich bestimmungsgemäß Kriegsfahndung im Rahmen der gegebenen Alarmpläne auszulösen, und zwar auf Vorschlag Dr. Absalons mit Rücksicht auf die bereits verstrichene Zeit ›Großfahndung‹. Außerdem mußte der Leiter des Reichskriminalpolizeiamtes unterrichtet werden, der die Alarmstufe ›Großalarm‹ billigte und bestätigte.

Die in allen Teilen Deutschlands durchgeführten Fahndungsmaßnahmen führten nach und nach zur Wiederergreifung fast aller entwichenen englischen Offiziere, ich glaube, bis auf drei. Ein großer Teil wurde noch in Schlesien erfaßt, einzelne waren bis Kiel, Straßburg und bis ins Allgäu gekommen.

In diesen Tagen erreichte mich eines Mittags die telegraphische Anordnung des Generals Nebe, daß ich sogleich nach Berlin kommen müsse, um von einem Geheimbefehl Kenntnis zu erhalten. Abends in Berlin angekommen, zeigte mir Nebe in seinem im Dienstgebäude am Werderschen Markt 5/7 gelegenen Dienstzimmer, nachdem ich ihm über den gesamten Vorgang und den augenblicklichen Stand der Angelegenheit kurz Vortrag gehalten hatte, einen Fernschreibebefehl, unterzeichnet Dr. Kaltenbrunner, in dem gesagt wurde, auf ausdrücklichen persönlichen Befehl des Führers seien über die Hälfte der in Sagan entwichenen Fliegeroffiziere nach Wiederergreifung zu erschießen. Amtschef IV, Gruppenführer Müller, habe entsprechenden Befehl bekommen und werde der Staatspolizei nähere Anweisung geben. Die militärischen Stellen seien unterrichtet.

General Nebe zeigte sich selbst über diesen Befehl erschüttert; er war sehr mitgenommen. Man erzählte mir nachher, daß er schon nächtelang nicht mehr sein Bett aufgesucht, sondern auf einer Bank in seinem Büro genächtigt habe.

Ich war auch über die beabsichtigte grausame Maßnahme bestürzt und widersprach ihrer Ausführung; ich sagte, daß sie gegen die Kriegsgesetze verstoße und daß sie naturgemäß zu englischen Repressalien gegen unsere eigenen, in englischen Lagern befindlichen kriegsgefangenen Offiziere führen müsse, und daß ich natürlich jede Verantwortung ablehne. General Nebe antwortete mir, daß ich ja im vorliegenden Falle gar keine Verantwortung übernehme, da die Staatspolizei vollkommen selbständig handeln werde, und daß es ja schließlich auch gegen einen Befehl des Führers keinen Einspruch gäbe. Ich bemerke, daß ich, als ich zunächst widersprach, nur ganz impulsiv gefühlsmäßig handelte und selbstverständlich bei den innerhalb der Sicherheitspolizei in der letzten Zeit eingerissenen Verhältnissen gar nicht mit einem Erfolge rechnen durfte.

Nebe fügte dann hinzu, daß meinerseits natürlich vollkommene Geheimhaltungsverpflichtung bestehe. Mir sei der Befehl deshalb im Original vorgelegt worden, damit ich der Staatspolizei keine Zuständigkeitsschwierigkeiten mache. Meine sonst bestehende Zuständigkeit in Bezug auf den Transport eines Teils der Gefangenen werde auf die Geheime Staatspolizei übertragen.

Dazu darf ich noch ausführen, daß der Transport der Gefangenen zum Lager nach bisherigen Bestimmungen Sache der Kriminalpolizei war; entweder hatte sie ihn selbst durchzuführen, oder der Gefangene wurde zur Abholung durch die Kommandantur des Ortes bereitgehalten. Auf Befragen erkläre ich auch noch, daß bei der Besprechung mit General Nebe auch Oberregierungsrat Dr. Schulze zugegen war; dieser hatte, meinem Einspruch durch Kopfnicken zustimmend, in das Gespräch nicht eingegriffen.

Nach Breslau zurückgekehrt erfuhr ich von Dr. Scharpwinkel, daß die Geheime Staatspolizei durch Gruppenführer Müller entsprechend unterrichtet worden sei. Über den Inhalt der Anweisung habe ich nichts erfahren. Mir ist auch nicht bekannt, ob ein gleichlautender Befehl an sämtliche Leiter der Staatspolizeileitstellen ergangen ist, oder nur von Fall zu Fall eine Anweisung denen übermittelt wurde, in deren Dienstbereich Festnahmen stattfanden und Erschießungen stattfinden sollten.

Bestimmungsgemäß hatten die Polizeien der Ergreifungsorte dem Reichskriminalpolizeiamt (Kriegsfahndungszentrale) von erfolgten Festnahmen der kriegsgefangenen Offiziere telegraphisch oder fernschriftlich Meldung zu erstatten, ebenso wie der Kriminalpolizeileitstelle Breslau.

Wie die Erschießung stattgefunden hat, ist mir nicht bekanntgeworden, doch nehme ich an, daß, nachdem die Staatspolizei die betreffenden Offiziere aus den Gefängnissen abgeholt hatte, sie an irgendeinem abgelegenen Ort, Wald oder dergleichen mit der Pistole, Dienstpistole der Stapo, erschossen worden sind.

Auf die Frage, ob die Offiziere womöglich totgeschlagen worden sind, erwidere ich, daß ich das nicht glaube, da ja der Befehl des Führers ›Erschießung‹ angeordnet hatte.

Die Staatspolizei hatte, wie ich von Dr. Scharpwinkel erfuhr, die Erschießung dem Reichssicherheitshauptamt, Amt IV, auftragsgemäß so dargestellt, als sei sie auf dem Transport zum Zwecke der Abwehr eines Angriffs oder zur Vereitelung der Flucht erfolgt.

Vom RSHA (Amt V) erhielt die Kriminalpolizeileitstelle Breslau später ein Schreiben, das dem Lagerkommandanten bekanntgegeben werden sollte mit dem Ersuchen, den Text den englischen gefangenen Offizieren zur Abschreckung mitzuteilen. Das Schreiben führte aus, daß die Erschießung aus den oben angegebenen Gründen erfolgt sei. Der Inhalt ist dem Oberst Lindeiner oder einem der Lageroffiziere übermittelt worden.

Was die Auswahl der zu erschießenden Offiziere anbetrifft, so waren auf einer dem Amt V zugegangenen vom Lager aufgestellten Liste wunschgemäß diejenigen Offiziere besonders bezeichnet worden, die als Unruhestifter, Anstifter, Rädelsführer anzusehen waren. Die Auswahl hatte der Kommandant oder einer seiner Offiziere getroffen. Daraufhin ist dann vom Amt IV die Erschießung namentlich angeordnet und den Staatspolizeien entsprechender Befehl zugesandt worden.«

Ich überspringe den nächsten Absatz und gehe auf Seite 4 unten des englischen Exemplars über. Es ist Seite 7 unten auf dem Exemplar des Zeugen.

Zeuge! Wollen Sie bitte Seite 7 aufschlagen. Sie werden die Stelle unten auf der Seite 7 mit Bleistift angezeichnet finden. Haben Sie die Seite? Ich habe die Seiten sorgfältig numeriert.

WIELEN: Es ist hier nicht angezeichnet.

MR. ROBERTS: Wenn Sie aber umblättern, werden Sie eine Stelle finden, die angezeichnet ist.

WIELEN: Es ist nichts angezeichnet auf Seite 7, jedoch auf Seite 8.

MR. ROBERTS: Sie werden ganz am Ende der Seite 7 eine Stelle finden, die angezeichnet ist. Wollen Sie jedenfalls dort weiterlesen, wo es heißt »Um wieder auf die Erschießungen zurückzukommen...«

WIELEN: Ja, ich habe es jetzt gefunden.

MR. ROBERTS:

»Die ungefähr 40 von der Staatspolizei nicht erfaßten, von der Kriminalpolizei transportierten englischen Offiziere waren inzwischen dem Lager wieder zugeführt worden.«

Wollen Sie mir bitte nur die folgende Frage beantworten. Zeuge. Sie sprachen von »ungefähr 40 Offizieren«, Sie kannten also die genaue Zahl nicht?

WIELEN: Die Zahl stimmt nicht, es waren nicht 40. Ich habe es damals nicht gewußt.

MR. ROBERTS: Das stimmt. Die Zahl ist nicht richtig. Ich glaube, es waren 50.

WIELEN: Ich habe mich damals geirrt.

MR. ROBERTS: Stimmt.

»Ihnen ist kein Haar gekrümmt worden, und ich muß annehmen, daß...«

WIELEN: 15 wurden außer diesen noch zurückgebracht.

MR. ROBERTS: Ja, ja. Ich möchte nur, daß Sie die Freundlichkeit besitzen, mir zuzuhören:

»... und ich muß annehmen, daß ihre Behandlung vollkommen korrekt war. Sie in Polizeigefängnisse einzuweisen, hatte sich bei den damaligen allgemeinen Zuständen nicht vermeiden lassen.

Wer die Offiziere in den Polizeigefängnissen vernommen hat, weiß ich nicht. Ich nehme an, daß das von den örtlichen Polizeiorganen gemacht worden ist, da zwangsläufig jeder Festnahmeanzeige eine Vernehmung zu folgen hat. Die Namen der Beamten der Staatspolizei und der Gemeindepolizei, die bei der Aktion mitgewirkt haben, kenne ich nicht, doch wird Dr. Absalon auf diese Fragen Antwort geben können.«

Ich gehe jetzt zum Absatz über, Herr Vorsitzender, der mit den Worten beginnt: »Die Urnen...«

»Die Urnen mit den Aschenresten der erschossenen Offiziere wurden der Kriminalpolizei von den verschiedenen Staatspolizeien zugestellt. Welche Krematorien von der Staatspolizei in Anspruch genommen worden sind, weiß ich nicht. Die Urnen wurden dem Lagerkommandanten übermittelt (Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes) zur Beisetzung in Form eines militärischen Begräbnisses. Durch diese Zurückgabe über die Kripo sollte die Mitwirkung der Staatspolizei verschleiert werden.«

Ich übergehe den nächsten Absatz und lese nur einen Satz auf der nächsten Seite:

»Aus welchem Grunde fünf Offiziere in Berlin vernommen worden sind, weiß ich nicht.«

Nun, Herr Vorsitzender, gehe ich auf Seite 6 über. Zeuge! Wollen Sie Seite 10 unten Ihres Exemplars aufschlagen. Seite 10, unten. Blättern Sie ganz einfach um. Herr Vorsitzender! Es ist der Absatz in der Mitte der Seite. Ich will von Seite 6 nur zwei Absätze verlesen:

»In dem gesamten Zusammenhang wird noch interessant sein, daß Kriminalkommissar Dr. Absalon mir noch vor meiner Reise nach Berlin erzählte, er habe im Lager Sagan erfahren – ihm sei das sehr geheimnisvoll mitgeteilt worden –, daß zur Abschreckung Erschießungen stattfinden sollten. Daraus läßt sich entnehmen, daß das Lager bereits vor der Auftragserteilung an Dr. Kaltenbrunner von der befohlenen Erschießung auf dem militärischen Wege Kenntnis bekommen hat.

Es wäre sehr zweckdienlich festzustellen, was Göring von der ganzen Angelegenheit weiß, da der Führer ihn doch sicher von seinem Befehl unterrichtet haben wird, handelt es sich doch um ein Lager der Luftwaffe.« (Dokument UK-48.)

Herr Vorsitzender! Das ist alles, was ich aus dieser Erklärung verlesen wollte. Ich werde mich sehr bemühen, aus der zweiten Erklärung soviel wie möglich auszulassen, weil dort sehr viele Wiederholungen vorkommen.

Nehmen Sie jetzt bitte die zweite Aussage zur Hand, Zeuge. Leider ist auf dieser Erklärung nichts angezeichnet worden.

Herr Vorsitzender! Ich möchte hier auf der ersten Seite der Erklärung den dritten und vierten Absatz verlesen.

»Wann die Staatspolizei mit den Erschießungen begonnen hat, vermag ich nicht zu sagen, vermutlich aber zu dem Zeitpunkt, als nur noch sehr wenige fehlten, mit deren Rückkehr nicht mehr zu rechnen war.

Über den Zeitraum zwischen Auslösung der Großfahndung und Einsichtnahme in den Schießbefehl kann ich nur sagen, daß es sich um wenige Tage gehandelt hat; genauerer Daten entsinne ich mich nicht mehr. Zuverlässig weiß ich aber, daß bis zur Einsichtnahme in den Befehl Erschießungen nirgends stattgefunden hatten.«

Dann möchte ich noch den letzten Absatz auf dieser Seite verlesen:

»Vor dem letzten Massenausbruch hatte ich nichts gehört davon, daß schärfere Maßnahmen gegen die Gefangenen ergriffen werden sollten; das war erst nach dem letzten Ausbruch der Fall als ich den Erschießungsbefehl in Berlin noch nicht gesehen hatte. Da hatte mir Absalon gesagt, daß er im Saganer Lager – von wem weiß ich nicht, doch glaube ich von Oberst Lindeiner – davon gehört habe, daß demnächst mit Erschießungen vorgegangen werde. Für mich schien dies, nachdem mir in Berlin der betreffende Befehl gezeigt worden war, lediglich ein Beweis dafür zu sein, daß die militärische Seite hinter dieser grausamen Maßnahme stände oder mindestens früher als das RSHA davon unterrichtet gewesen sei.

Was den Ausdruck ›mehr als die Hälfte‹ in dem Befehl Dr. Kaltenbrunners anbetrifft, so schwebt mir diese Wortfassung jetzt allerdings so vor; es ist aber durchaus möglich, daß doch eine feste Zahl angegeben war und ich im Augenblick des schnellen Lesens das in den Gedanken umsetzte ›das ist ja mehr als die Hälfte!‹, so daß es mir so in Erinnerung geblieben ist.«

Herr Vorsitzender! Ich möchte die ersten paar Absätze, die eigentlich Wiederholungen sind, auslassen und einen Absatz gleich unterhalb der Mitte der Seite verlesen:

»In welcher Form die Geheime Staatspolizei die zu erschießenden Offiziere bei den örtlichen Polizeigefängnissen abgefordert hat, ist mir nicht bekannt, doch besteht die Möglichkeit, daß von der Stapo mit den örtlichen Stellen der Kriminalpolizei Verbindung aufgenommen worden ist.

Die Erschießungskommandos in Niederschlesien sind vom Leiter der Staatspolizei, Dr. Scharpwinkel, oder in seinem Auftrag aufgestellt worden; wer dazu gehört hat, habe ich nie erfahren.«

Dann der letzte Absatz auf dieser Seite:

»Zu der Frage, warum nicht die Kripo die Erschießung ausgeführt hat, erkläre ich, daß die Kriminalpolizei sich bei ihren Diensthandlungen grundsätzlich durch die gesetzlichen Bestimmungen der Strafprozeßordnung und des Reichsstrafgesetzbuches gebunden fühlt und ihre Beamten entsprechend erzogen hat. Die Staatspolizei dagegen hat im Kriege – angetrieben durch Himmler – eine großzügigere Auffassung entwickelt: sie führte Exekutionen auf Befehl des RSH-Amtes oder mit dessen Zustimmung auf Antrag aus. Damit erklärt es sich auch, daß die allgemeine Abneigung des deutschen Staatsbürgers gegen die Staatspolizei auf die Institution der Kriminalpolizei sich nicht ausgedehnt hat.

Die Urnen wurden offenbar nur deshalb der Kriminalpolizei zugestellt, damit der Eingriff der Staatspolizei nach außen hin nicht in die Erscheinung treten, das heißt den englischen Offizieren im Lager nicht zur Kenntnis kommen sollte.« (Dokument UK-48.)

Ich glaube, das ist alles, was ich verlesen wollte, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Hat einer der Verteidiger Fragen an den Zeugen?

DR. NELTE: Herr Zeuge! Sind Sie während Ihrer Tätigkeit in dieser furchtbaren Angelegenheit mit dem OKW oder mit dem Angeklagten Generalfeldmarschall Keitel irgendwie in Berührung gekommen?

WIELEN: Nein, weder mit dem OKW noch mit Generalfeldmarschall Keitel, noch einem der sonstigen hohen Offiziere.

DR. NELTE: Habe ich Sie richtig verstanden, wenn Sie bekundet haben, daß der Befehl, um den es sich hier handelt, nach Ihrer Kenntnis den Weg gegangen ist: Hitler-Himmler-Reichssicherheitshauptamt und dann die unteren Stellen?

WIELEN: Jawohl, das ist der organisatorisch richtige Weg.

DR. NELTE: Von wem wurde die Liste angefordert, von der Sie gesprochen haben, die Liste, die die Störenfriede enthalten sollte?

WIELEN: Sie wurde vom Reichssicherheitshauptamt angefordert.

DR. NELTE: Im zweiten Teil der heutigen Verlesung ist ein Satz enthalten, der etwa lautet: »Der Lagerkommandant muß schon vorher durch militärische Stellen von beabsichtigten Erschießungen Kenntnis erhalten haben.« Wollen Sie diesen Satz...

WIELEN: Ja, das möchte ich nicht in dieser Schärfe wiederholen. Es ist möglich, weil ja im Lager von Erschießungen gesprochen worden sein soll, daß es sich da überhaupt um eine schärfere Anwendung der Waffe handeln kann gegen englische Offiziere bei neuerlichen Entweichungen. Also, über den Zusammenhang ist mir nichts Näheres bekannt. Ich meine über diese Zusammenhänge, in denen diese Bemerkung eine Rolle gespielt hat.

DR. NELTE: Also, Sie wollen nicht aufrechterhalten, daß es sich hier um Bemerkungen handelt, die vor der Flucht liegen?

WIELEN: Ja, jedenfalls nicht was diese Erschießungen anbelangt jedenfalls nicht unbedingt bezüglich auf diese Flucht.

DR. NELTE: Man kann ja nicht vorher wissen, ob jemand flieht, deswegen frage ich, ob sich diese Bemerkung etwa auf eine Besprechung bezieht, die Im Anschluß an die Flucht der 80 Offiziere stattgefunden hat, und die sich vielleicht, sage ich, auf die zukünftige Verhinderung von Fluchten bezogen hat.

WIELEN: Das wäre durchaus möglich, denn Fluchtversuche waren ja in Sagan an der Tagesordnung.

DR. NELTE: Dann wollen Sie bitte auch die Bemerkung aufklären, wonach Oberst Lindeiner gesagt haben soll, daß militärische Stellen hinter den Maßnahmen standen und vorher unterrichtet waren. So lautete...

WIELEN: Ich glaube nicht, daß ich mich so ausgedrückt habe. Wenn ich bitten darf, mir das nochmals zu wiederholen.

DR. NELTE: Nach meinen Notizen haben Sie gesagt, daß Oberst Lindeiner meinte, daß die militärischen Stellen hinter der Maßnahme standen und vorher unterrichtet waren.

WIELEN: Ich kann mir nicht denken, daß ich mich so ausgelassen haben sollte.

DR. NELTE: Also, wollen Sie sagen, daß Sie nicht begründen können, daß Oberst Lindeiner eine solche Äußerung getan hat.

WIELEN: Ich habe nie den Eindruck gehabt, daß Oberst Lindeiner darüber persönlich unterrichtet gewesen ist, jedenfalls habe ich nicht die geringsten Beweise dafür anzuführen.

DR. NELTE: Danke, ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. STAHMER: Herr Zeuge! Sie haben nach dem Protokoll erklärt, daß Herr Kriminalkommissar Absalon schon vor Ihrer Abreise nach Berlin Ihnen mitgeteilt habe, er habe im Lager Sagan gehört, daß Erschießungen stattfinden sollten.

WIELEN: Darüber habe ich mich ja bereits eben ausgelassen.

DR. STAHMER: Ist das, was Sie eben...

WIELEN: Das ist dieselbe Angelegenheit.

DR. STAHMER: Dann eine weitere Frage: Bei der Besprechung, die Sie mit dem General Nebe in Berlin gehabt haben, soll Ihnen Herr General Nebe erklärt haben, die militärischen Dienststellen seien unterrichtet und Ihnen nähere Angaben darüber gemacht haben, um welche militärischen Dienststellen es sich handelte.

WIELEN: Nein, das ist mir nicht gesagt worden. Ich weiß auch nicht, ob diese Absicht auch tatsächlich in die Tat umgesetzt worden ist, denn eigentlich sollten die militärischen Dienststellen ja nicht unterrichtet werden, weil die ganze Angelegenheit als geheim zu betrachten war und geheimgehalten werden sollte.

DR. STAHMER: Sie haben hier in Ihrer Aussage die Person des Reichsmarschalls Göring erwähnt. Haben Sie irgendwelche Unterlagen dafür, daß der Reichsmarschall Göring von diesen Erschießungen wußte, oder beruht Ihre Erwähnung auf irgendeiner Vermutung?

WIELEN: Nein, ich bitte aus dem Satz und aus der Satz-Stellung zu entnehmen, daß ich eben diese Frage vollkommen offen lassen wollte. Ich habe deswegen auch gesagt, ich weiß es nicht positiv, habe keine Beweise dafür; aber da es sich um ein Lager der Luftwaffe gehandelt hat, deswegen bitte ich, oder schlage ich vor, den Herrn Reichsmarschall darüber zu hören, der ja darüber Auskunft erteilen wird.

DR. STAHMER: Es war also von Ihnen nur eine Anregung, den Reichsmarschall Göring darüber zu vernehmen, ob er unterrichtet sei?

WIELEN: Es war eben nur, weil ich die Frage offen lassen mußte, meine Anregung, um überhaupt in der Angelegenheit weiter zu kommen.

DR. STAHMER: Das ist alles.

DR. KAUFFMANN: Herr Zeuge! Sie haben bekundet, daß der Befehl von Kaltenbrunner und Müller gegeben worden sei. Nun frage ich Sie: War dieser Befehl in Form eines Fernschreibens oder war es ein Telegramm, oder haben Sie den Befehl gesehen mit der Originalunterschrift?

WIELEN: Ich glaube mich genau darauf besinnen zu können, daß es sich um ein Fernschreiben gehandelt hat.

DR. KAUFFMANN: Wissen Sie genau, daß es keine Originalunterschrift war?

WIELEN: Keine Originalunterschrift. Ich bin mir sogar im Zweifel gewesen nachher. Und man kann sich denken, daß ich mir die Sache hundertemal habe durch den Kopf gehen lassen, daß es auch durchaus möglich wäre...

DR. KAUFFMANN: Sprechen Sie langsamer.

WIELEN:... daß die Unterschrift von Himmler gewesen ist, aber organisatorisch hätte es ja eben Kaltenbrunner sein müssen.

DR. KAUFFMANN: Also können Sie auch nicht, wie ich eben verstanden habe, genau sagen, daß wirklich die Unterschrift von Kaltenbrunner unter diesem Fernschreiben gestanden hat, sondern Sie mutmaßen nur aus Ihrer Kenntnis der Organisation?

WIELEN: Ich war durch den Inhalt des Schreibens und durch die Folgen, und durch die Notwendigkeiten der Vorbereitung der Entwicklung der ganzen Angelegenheit dermaßen beeindruckt, daß ich auf diese Umrahmung, also auf die Äußerlichkeit, wenig Wert gelegt habe, infolgedessen sie sich dem Gedächtnis nicht so eingeprägt hat, daß ich das jetzt noch mit aller Zuverlässigkeit sagen könnte.

DR. KAUFFMANN: Danke schön.

MR. ROBERTS: Keine weiteren Fragen.

VORSITZENDER: Dann kann der Zeuge sich entfernen.

Dr. Nelte, ist damit der Fall des Angeklagten Keitel beendet?

DR. NELTE: Das schließt den Fall Keitel, soweit es sich um die Zeugen handelt. Ich habe noch einige Bemerkungen zum Zwecke des Beweisverfahrens zu machen.

Das Gericht hat ein Affidavit von Krieger durch Beschluß vom 6. April 1946 genehmigt. Ich bitte den Gerichtshof zu gestatten, daß ich dieses Affidavit nunmehr als Beweismittel vorlege, und zwar als Dokument K-15. Ich habe das Original in deutsch hier, und ich will nur denjenigen Teil des Affidavits kurz verlesen, der das Verhältnis Hitlers zu Keitel behandelt. Es handelt sich um drei Absätze, die kurz sind.

»Das Verhältnis Hitlers zu dem früheren Generalfeldmarschall Keitel war dienstlich korrekt, von seiten Hitlers augenscheinlich im ganzen vertrauensvoll, von Wertschätzung oder Respekt gegenüber einem eifrigen Mitarbeiter getragen, von seiten Keitels aufrecht und soldatisch. Es entbehrte andererseits einer freundschaftlichen oder vertraulichen Note. Abgesehen von offiziellen Empfängen und so weiter nahm Keitel, soweit dies festgestellt werden konnte, auch kaum an Mahlzeiten bei Hitler oder an zwanglosen Unterhaltungen mit ihm teil. Auch Berufungen Keitels zu Unterredungen mit Hitler außerhalb der offiziellen Besprechungen und ohne Anwesenheit von Stenographen wurden nicht beobachtet.

Bei der Vorbereitung von Entscheidungen oder bei Textformulierungen von Befehlen und so weiter brachte Keitel seine eigene Stellungnahme auch bei Verschiedenheiten der Auffassungen in sachlicher, soldatisch nüchterner Form zum Ausdruck. Offenbar kannte er aus der Erfahrung seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Hitler genau die Grenzen der Möglichkeit, ihn in seiner Meinung oder in seinen Entscheidungen zu beeinflussen oder umzustimmen. Deshalb nahm er im allgemeinen Entscheidungen Hitlers als Befehl in soldatischer Art entgegen. In einzelnen Fällen versuchte und erreichte er jedoch auch durch nachdrücklichere Begründung die Abänderung oder mindestens die Hinausschiebung und nochmalige Überprüfung der Entscheidung.

Daß Hitler mindestens zeitweise nicht ganz frei von Mißtrauen gegenüber Keitel war, glaube ich aus einer Bemerkung Hitlers schließen zu können...«

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Der Gerichtshof hält es für unnötig, das zu verlesen. Keitel hat es schon einmal gesagt und es ist daher für ihn kumulativ. Das Dokument liegt als Beweismittel vor, und wir können es infolgedessen selbst lesen.

DR. NELTE: Es ist nicht nötig, es ist insofern bestätigend gegenüber dem, was gesagt ist. Deswegen kann ich es als...

VORSITZENDER: Es genügt, daß Sie uns das sagen.

DR. NELTE: Ich habe außerdem noch die Beantwortung einiger Fragebogen erhalten, die mir vom Gericht gestattet worden sind.

Es ist einmal die Beantwortung des Fragebogens durch Herrn Rommilly. Ich kann auch diese beschworene Beantwortung einfach als Beweisstück dem Gericht vorlegen und auf Verlesung verzichten.

Das gleiche gilt von der Beantwortung des Fragebogens der Zeugin Rotraud Römer zu der Frage des Brennens sowjetrussischer Kriegsgefangener. Die Fragebogen des Botschafters Scarpini und Professor Dr. Naville können noch nicht vorliegen. Ich werde sie überreichen, sobald sie eingehen. Es bleibt...

VORSITZENDER: Hat die Anklagevertretung diese Dokumente?

DR. NELTE: Jawohl.

VORSITZENDER: Haben Sie diese Dokumente numeriert? Sie haben das letzte Affidavit als Dokument Keitel 15 bezeichnet. Sie sollten die anderen ebenfalls numerieren.

DR. NELTE: Rommilly ist Dokument K-16 und Römer ist Dokument K-17.

Ich habe jetzt nur noch das Affidavit des inzwischen verstorbenen Generalfeldmarschalls von Blomberg. In Beschluß des Gerichts vom 26. Februar ist die Befragung des Generalfeldmarschalls von Blomberg genehmigt. Ich habe das Original der Anklagebehörde zugeleitet und ich bitte, diese eidesstattlich versicherten Antworten des Generalfeldmarschalls von Blomberg als Beweisstück entgegenzunehmen. Es ist im Dokumentenbuch 1 schon enthalten und der Anklagebehörde und dem Gericht bekannt.

VORSITZENDER: Ja.

DR. NELTE: Damit schließe ich meine Beweisaufnahme ab.

VORSITZENDER: Danke schön... Und jetzt, Dr. Horn, glaube ich... Dr. Nelte, Sie übergeben also die Dokumente mit den Nummern K-16, K-17 und K-18 dem Generalsekretär?

DR. NELTE: Jawohl.

VORSITZENDER: Sind sie schon übersetzt worden?

DR. NELTE: Jawohl.

VORSITZENDER: Sehr gut.

Dr. Nelte! Wir haben noch keine Übersetzung von K-16 gesehen, aber Sie sind doch ganz sicher, daß es übersetzt worden ist, nicht wahr?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe eine englische Übersetzung davon gesehen.

VORSITZENDER: Wirklich?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wurde mir gezeigt als sie eintraf. Ich erinnere mich ganz fest daran, sie gelesen zu haben.

VORSITZENDER: Gut, dann kann vielleicht das Amt des Generalsekretärs uns die Übersetzungen verschaffen.

Ja, ich denke, das ist das Dokument K-16.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sicher, ich denke Rommilly ist Keitel-16. Ich habe es gesehen.

VORSITZENDER: Sehr gut.

Dr. Horn! Erinnern Sie sich daran, daß wir diese Dokumente verlesen haben, als wir sie zugelassen haben?

DR. MARTIN HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Jawohl, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Es wird daher wohl nicht viel Zeit beanspruchen, sie als Beweismittel vorzulegen.

DR. HORN: Ich werde mich auf ein Minimum beschränken, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Danke schön.

DR. HORN: Ich darf das Gericht bitten, zunächst Dokument Ribbentrops Exhibit Nummer 75, enthalten in Band 3 des Dokumentenbuches Ribbentrop auf Seite 191, zur amtlichen Kenntnis entgegenzunehmen. Es handelt sich um einen Vertrag zwischen den alliierten und assoziierten Hauptmächten und Polen vom Jahre 1919. Dieser Vertrag stellt die Rechte der deutschen Volksgruppe in Polen klar. Aus Artikel 12 dieses Vertrags, er befindet sich auf Seite 3 dieses Dokuments, steht, daß Polen einverstanden ist, daß, insoweit die Bestimmungen des vorstehenden Artikels Personen einer völkischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit betreffen, diese Bestimmungen, Verpflichtungen von internationalem Interesse begründen und unter die Garantie des Völkerbundes gestellt werden.

In den folgenden Jahren hat Polen diesen Vertrag wiederholt verletzt. Dies geht aus den beiden folgenden Urkunden Nummer 82, die sich auf Seite 208 des Dokumentenbuches 4 befinden, hervor. Es handelt sich hier um ein Rechtsgutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs. Das Gutachten ist vom 10. September 1923. Um Zeit zu sparen, darf ich den Schluß verlesen, wo es heißt:

»Der Gerichtshof ist der Ansicht,... daß die unter a und b des erwähnten Beschlusses bezeichnete Haltung der Polnischen Regierung nicht im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen steht.«

Ich bitte das Gericht, auch dieses Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen, ebenso das nächste Dokument Nummer 84, das sich auf Seite 212 und 212 a des vierten Dokumentenbuches Ribbentrop befindet. Auch hier handelt es sich wieder um ein Gutachten eines vom Völkerbundsrat eingesetzten Juristenausschusses über Minderheitenfragen. Ich bitte das Gericht, auch dieses Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen.

Sofort nach der Regierungsübernahme durch die Regierung Hitler versuchte diese ein gutes Verhältnis zu Polen herzustellen. Zum Beweis dafür beziehe ich mich auf Ribbentrops Exhibit Nummer 85, das sich auf Seite 213 des Dokumentenbuches befindet. Ich verlese da aus diesem Dokument auf Seite 2...

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte. Ist das Dokumentenbuch 4?

DR. HORN: Das ist Dokumentenbuch Nummer 4, Herr Präsident, Seite 213. Ich verlese davon auf Seite 214 aus der Mitte des letzten Absatzes wie folgt:

»Er, der Kanzler, möchte nur wünschen, daß die zwischen Deutschland und Polen schwebenden politischen Fragen einmal von den beiderseitigen Staatsmännern leidenschaftslos geprüft und behandelt würden. Er sei überzeugt, daß sich dann auch ein Ausweg aus der jetzigen unhaltbaren Lage ergeben könnte. Deutschland wolle den Frieden. Eine gewaltsame Enteignung polnischen Gebiets liege ihm ferne. Er behalte sich aber vor, diejenigen Rechte, die ihm vertragsmäßig zuständen, je derzeit und nach Gutdünken in Anspruch zu nehmen.«

Über diese Besprechung wurden zwei amtliche Kommuniqués auf Wunsch des Polnischen Botschafters herausgegeben. Es handelt sich um Ribbentrops Exhibit Nummer 86. Es ist dies das deutsche Kommuniqué. Ich bitte das Gericht, es zur amtlichen Kenntnis zu nehmen und das nächste Dokument Nummer 87, auf Seite 216 des Dokumentenbuches. Es handelt sich um das polnische Kommuniqué. Aus Zeitersparnis werde ich die Kommuniqués nicht verlesen.

Am 15. Juli 1937 liefen wesentliche Teile des deutsch-polnischer Abkommens über Oberschlesien, das im Jahre 1922 in Genf geschlossen war, ab. Es mußte daher ein neuer vertraglicher Zustand zwischen den beiden Staaten geschaffen werden, um so mehr, da wieder Schwierigkeiten in der Minderheitenfrage und der Behandlung der deutschen Minderheiten aufgetreten waren.

Zum Beweise dafür beziehe ich mich auf Dokument Ribbentrops Exhibit Nummer 117, auf Seite 257 des Dokumentenbuches. Ich darf den zweiten Absatz verlesen, wo es heißt:

»Der Herr Reichsminister hat den Polnischen Botschafter auch darauf hingewiesen, daß wir den rigorosen polnischen Standpunkt hinsichtlich der Ausweisung der Optanten nicht akzeptieren könnten.«

VORSITZENDER: Ich konnte das auf Seite 254 nicht finden.

DR. HORN: Seite 257, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Ja, ich habe es jetzt.

DR. HORN: Der Erfolg dieser Besprechung zwischen Polen und Deutschland war der unter Ribbentrops Nummer 123 vorgelegte Vertrag, der sich auf Seite 263 des Dokumentenbuches findet. Er enthält eine übereinstimmende Erklärung der Deutschen und der Polnischen Regierung über den Schutz der beiderseitigen Minderheiten. Er wurde veröffentlicht am 5. November 1937. Ich kann, um Zeit zu sparen, darauf verweisen, daß den deutschen Minderheiten diejenigen Rechte zugestanden wurden, die zwischen zivilisierten Staaten in diesem Falle üblich sind. Ich darf noch darauf verweisen, daß dieser Vertrag nichts enthält, was als eine Sanktionierung vorherigen Unrechts auf diesem Gebiet aufgefaßt werden könnte. Dieser Gesichtspunkt wurde neulich von der Staatsanwaltschaft vorgetragen.

Um auch zwischen Danzig, der Freien Stadt Danzig, und der Polnischen Regierung aufgetretene Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Minderheiten und wirtschaftlichen Gebieten zu bereinigen, wurde am 5. August 1933 ein Übereinkommen abgeschlossen, das sich unter Ribbentrops Nummer 127 auf Seite 270 des Dokumentenbuches befindet. Ich darf das Gericht bitten, auch dieses Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen.

Da trotz dieser vertraglichen Regelungen in der Minderheitenfrage und in der Frage der Freien Stadt Danzig zwischen beiden Staaten laufend Schwierigkeiten auftraten, beauftragte Hitler im Anschluß an die Lösung der Sudetenfrage im Oktober 1938 den Angeklagten von Ribbentrop, Verhandlungen über die Danzig- und Korridorfrage und die Minderheitenfrage einzuleiten. Aus diesem Grunde wurde der damalige polnische Außenminister, Oberst Beck, nach Berchtesgaden eingeladen.

Die Abmachungen, die Besprechungen, die anläßlich dieses Besuches zwischen Hitler und dem polnischen Außenminister stattfanden, sind in Ribbentrops Exhibit Nummer 149, auf Seite 301 des Dokumentenbuches 5 enthalten. Ich darf daraus auf Seite 2 dieses Dokuments verlesen, worum es sich im wesentlichen bei dieser Besprechung handelte. Auf Seite 6 heißt es dort wie folgt:

»Von deutscher Seite gäbe es außer der Memelfrage, die ihre Regelung in deutschem Sinne finden würde (es habe den Anschein, daß die Litauer an einer vernunftgemäßen Lösung mitwirken wollten), im direkten deutsch- polnischen Verhältnis das für Deutschland gefühlsmäßig sehr schwierige Problem des Korridors und Danzig zu lösen.«

Auf Seite 3 des gleichen Dokuments, letzte Zeile des vorletzten Absatzes, versprach Außenminister Beck, »er wolle jedoch das Problem gern einmal in Ruhe überlegen«.

Damit sah Deutschland die Verhandlungen über diese Frage als eröffnet an.

Am 24. Januar... am nächsten Tag, hatte der damalige Reichsaußenminister von Ribbentrop noch eine Besprechung mit dem polnischen Außenminister Beck, in der auch noch einmal die Minderheitenfrage angeschnitten wurde. Diese Unterhaltung ist in Ribbentrops Exhibit Nummer 150, auf Seite 304 festgehalten. Ich bitte das Gericht, dieses Dokument zur amtlichen Kenntnis zu nehmen.

Auf Einladung des damaligen Außenministers Beck begab sich am 24. Januar 1939 der damalige deutsche Außenminister von Ribbentrop nach Warschau. Dort wurden noch einmal die gesamten Fragen besprochen.

Am 21. März, nach der Regelung der Frage betreffend die Tschechei, wurde eine neue Ordnung auch im Ostgebiet notwendig. Der damalige Reichsaußenminister bat daher den Polnischen Botschafter am 21. März 1939 zu sich. Der Inhalt dieser Besprechung ist in Ribbentrops Exhibit Nummer 154, auf Seite 310 des Dokumentenbuches niedergelegt.

Ich darf auf Seite 2, dritter Absatz, kurz verlesen, was der wesentliche Inhalt dieser Besprechung war:

»Allgemein werde die Korridorregelung als die schwerste Belastung des Versailler Vertrags für Deutschland empfunden.«

Einige Zeilen weiter:

Der Reichsaußenminister von Ribbentrop erklärte:

»Voraussetzung hierfür sei aber die Rückkehr des rein deutschen Danzig zum Reich, sowie die Schaffung einer exterritorialen Bahn- und Autoverbindung zwischen dem Reich und Ostpreußen.«

Er versprach, daß Deutschland hiefür eine Garantie des Korridors übernehmen werde.

»Botschafter Lipski versprach, Außenminister Beck zu informieren und alsdann Nachricht zu geben.«

Ich bitte das Gericht, auch diese Urkunde zur amtlichen Kenntnis zu nehmen.

Obgleich die damalige Deutsche Regierung erwartete, daß auf Grund dieser Besprechungen die Minderheitenfrage und die Frage über Danzig und des Korridors einer Regelung zugeführt würde, hatte diese Besprechung die gegenteilige Wirkung. Aus Ribbentrops Exhibit 155, auf Seite 313, und Ribbentrops Exhibit 156, auf Seite 314 des Dokumentenbuches, geht hervor, daß Polen damals eine Teilmobilmachung anordnete. Diese Teilmobilmachung konnte nur gegen Deutschland gerichtet sein.

Im übrigen hatte die Erledigung der tschechoslowakischen Frage am 15. März 1939 zu einem Stimmungsumschwung in England geführt. Der damalige Ministerpräsident Chamberlain hatte unter dem Druck der Opposition Konsultationen mit verschiedenen europäischen Staaten eingeleitet.

Zum Beweis dafür beziehe ich mich auf Ribbentrops Exhibit 159, das sich auf Seite 317 des Dokumentenbuches befindet. Es handelt sich um eine Unterredung des Reichsaußenministers von Ribbentrop mit dem Polnischen Botschafter Lipski in Berlin vom 26. März 1939. Ich darf daraus den Anfang verlesen, der lautet:

»Die Britische Regierung schlug zunächst am 21. März in Warschau, ebenso wie in Paris und Moskau, die Abgabe einer ›formellen Deklaration‹ durch die Englische, Französische, Russische und Polnische Regierung vor.«

Dann darf ich einige Zeilen überspringen und weiter verlesen wie folgt, von der siebenten Zeile von unten:

»Die Polnische Regierung, die am 23. März eine Teilmobilmachung anordnete, war mit diesem britischen Konsultationsvorschlag keineswegs zufrieden, sondern sie verlangte vielmehr konkrete Bindungen Englands gegenüber Polen. So erteilte Außenminister Beck ebenfalls am 23. dem Polnischen Botschafter in London, Graf Eduard Raczynski, die Weisung, der Britischen Regierung folgenden Vorschlag eines englisch-polnischen Bündnisses zu unterbreiten:

Ich beziehe mich auf den englischen Vorschlag‹ – heißt es weiter – ›vom 21. März und bitte Sie, Lord Ha lifax zu fragen, ob:

1. angesichts der Schwierigkeiten und der unvermeidlichen Komplikationen und des daraus folgenden Zeitverlustes...‹«

MR. DODD: Herr Vorsitzender! Darf ich mir erlauben, hierzu etwas zu bemerken. Ich kann keinen Grund zur Verlesung auch nur eines Teiles aus einem dieser Dokumente finden. Sie liegen alle, wie ich annehme, als Beweismittel vor oder werden noch vorgelebt werden, und es scheint, daß wir sie nur noch numerieren müssen. Ich weiß, daß wir sie seinerzeit verlesen und besprochen haben als die Anklagebehörde die Anklage vortrug. Aber es liegen jetzt keine zwingenden Gründe hierzu vor, und diese Angeklagten werden auch nicht davon betroffen.

VORSITZENDER: Herr Dodd! Der Gerichtshof möchte gerne wissen, was Sie unter den zwingenden Gründen, auf die Sie Bezug genommen haben, verstehen.

MR. DODD: Ich will das gerne tun. Zu jener Zeit war es der Anklagevertretung physisch unmöglich, ihr Beweismaterial in alle vier Sprachen, oder richtiger von der Originalsprache in die drei anderen Sprachen übersetzen zu lassen. Nunmehr haben die Angeklagten diese Behelfe. Wäre es uns damals möglich gewesen, alle unsere Dokumente übersetzen zu lassen, so hätten wir sie vorgelegt und nicht besprochen. Aber wir mußten sie besprechen, weil wir alles, was ins Protokoll aufgenommen werden sollte, über das Lautsprechersystem verlesen mußten, und wenn wir eine Menge unzusammenhängender Auszüge aus Dokumenten verlesen hätten, wären wir nicht in der Lage gewesen, dem Gerichtshof einen vernünftigen Beweisgrund vorzulegen.

Ich behaupte aber, daß die Verteidigung dies nun tun kann, sie kann das ganze Dokument vorlegen, und später, soweit ich das Statut und die Verfahrensregeln kenne, wird der Verteidiger Gelegenheit haben, darüber als Beweismittel zu diskutieren und es zu erläutern.

VORSITZENDER: Sie werden sich aber erinnern, daß über diese Angelegenheit ungefähr vor einer Woche diskutiert wurde, und wenn ich mich richtig erinnere, trat Dr. Dix dafür ein, daß die Verteidiger auch weiterhin berechtigt sein sollten, die Stellen, die sie zur Verlesung bringen wollten, mit kurzen verbindenden Bemerkungen zu verlesen; und wir haben dieses Verfahren beibehalten.

MR. DODD: Es war mir nicht bekannt, daß der Gerichtshof eine solche Verfügung getroffen hatte. Ich erinnere mich an die Erklärung von Dr. Dix. Meines Erachtens wollte er, und dies hielt ich für den wesentlichen Beweggrund seines Verhaltens, Gelegenheit haben, diese Informationen der Presse oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sollte das immer noch der Grund sein, so sind sie nun für alle Informationen der Presse zugänglich. Die Presse kann sie erhalten, ohne daß sie über dieses Mikrophon verlesen werden müssen. Ich will jedoch auf dieser Sache nicht weiter bestehen, wenn der Gerichtshof bereits entschieden hat.

VORSITZENDER: Das ist auch meine Meinung.

GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Ich möchte einige Worte zu dem Vorschlag Mr. Dodds sagen. Ich unterstütze vollkommen...

VORSITZENDER: General Rudenko! Ich habe gerade Mr. Dodd darauf hingewiesen, daß wir eine besondere Verfügung dazu erlassen haben. Nach Ansicht des Gerichtshofs hat Dr. Horn seine Aufgabe mit großer Besonnenheit durchgeführt.

GENERAL RUDENKO: Ich möchte doch bitten, mir zu gestatten, ein paar Bemerkungen zum Vorschlage Herrn Dodds zu machen.

Wie sich der Gerichtshof erinnern wird, hat die Verteidigung kurz vor Beginn des Verhörs des Angeklagten Keitel das vollständige Verzeichnis der Dokumente für Keitel überreicht. Der Gerichtshof hat jedes Dokument ausdrücklich geprüft und darüber entschieden, welches als Beweisstück anzunehmen und welches zu verwerfen sei.

VORSITZENDER: General Rudenko! Sie haben dieselben Worte wiederholt, die ich an Dr. Horn vor Beginn seines Vertrages gerichtet habe. Wie ich sage, ist der Gerichtshof der Meinung, daß Dr. Horn den Verfügungen des Gerichtshofs entsprochen und die Verlesung seiner Dokumente entsprechend kurz gehalten hat.

GENERAL RUDENKO: Ich verstehe, Herr Vorsitzender. Jedoch ist die Sowjetische Anklagevertretung der Ansicht, daß die Erläuterungen Dr. Horns zu weitgehend sind, da der Angeklagte bereits ausführlich genug über das Thema gesprochen hat.

VORSITZENDER: Dr. Horn! Ich bin sicher, daß Sie weiterhin alles tun werden, um Ihren Vortrag so kurz wie möglich zu gestalten.

DR. HORN: Ich hoffe, Herr Präsident, ich habe das Gericht schon davon überzeugt, daß ich mich so kurz wie möglich fassen werde, daß ich so wenig wie möglich verlesen werde; nur das, was unbedingt notwendig ist, um zu verstehen, warum ich diese Urkunden vorlege.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nunmehr unterbrechen.