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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann! Wollen Sie jetzt den Angeklagten in den Zeugenstand rufen?

DR. KAUFFMANN: Herr Vorsitzender! Es ist mir ein kleines Versehen unterlaufen. Ich habe die Seite 5 meines Dokumentenbuches nicht verlesen. Das ist Frage 12 und 13 des Affidavits, die ich versehentlich nicht verlesen habe. Ich bitte, das zu entschuldigen und mir zu gestatten, daß ich das noch nachhole.

VORSITZENDER: Ja!

DR. KAUFFMANN: Auf Seite 5 fahre ich dann fort:

»Kaltenbrunner wollte das alte Österreich-Ungarn auf föderativer Grundlage wieder erstehen lassen.

Seit 1943 hatte ich Kaltenbrunner gegenüber die Auffassung vertreten, daß Deutschland versuchen müsse, den Krieg durch einen Frieden um jeden Preis zu beendigen. Ich hatte ihn über meine Verbindung zu einer amerikanischen Stelle in Lissabon orientiert. Ich habe auch Kaltenbrunner darüber orientiert, daß ich über die österreichische Widerstandsbewegung einen neuerlichen Kontakt mit einer amerikanischen Stelle im neutralen Ausland aufgenommen hatte. Er erklärte sich auch bereit, mit mir in die Schweiz zu fahren und persönlich die Verhandlungen mit einem amerikanischen Beauftragten aufzunehmen, um dadurch weiteres sinnloses Blutvergießen zu vermeiden.

12. Frage: Wissen Sie, daß Kaltenbrunner den Kommandanten des Konzentrationslagers Mauthausen angewiesen hat, das Lager den heranrückenden Truppen zu übergeben?

Antwort: Es ist richtig, daß Kaltenbrunner einen derartigen Befehl gegeben hat. Er hat ihn in meiner Anwesenheit zur Weiterleitung an den Lagerkommandanten diktiert.

13. Frage: Können Sie kurz etwas über die Persönlichkeit Kaltenbrunners sagen?

Antwort: Kaltenbrunner war ein völlig anderer Mensch als Himmler oder Heydrich. Zu beiden stand er deshalb in starker innerer Opposition. Seine Berufung zum Chef des RSHA erfolgte meines Erachtens, weil Himmler nicht mehr Gefahr lauten wollte, einen Rivalen zu haben, wie es Heydrich war. Als ›kleiner Himmler‹ würde man ihn falsch charakterisieren. Er hat nach meiner Auffassung das große Amt des Reichssicherheitshauptamtes nie völlig beherrscht und sich mangels Interesse für polizeiliche und exekutive Aufgaben weitaus stärker mit dem Nachrichtendienst und der Beeinflussung der gesamten Politik beschäftigt. Dies betrachtete er als seine eigentliche Domäne.«

Dann folgt Unterschrift, Datum und Beglaubigung.

VORSITZENDER: Haben Sie noch weitere Dokumente?

DR. KAUFFMANN: Nein.

VORSITZENDER: Wollen Sie jetzt den Angeklagten rufen?

DR. KAUFFMANN: Ja!

[Der Zeuge Ernst Kaltenbrunner betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie mir bitte Ihren vollen Namen nennen.

ERNST KALTENBRUNNER: Ernst Kaltenbrunner.

VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach: Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde, so wahr mir Gott helfe.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

Sie können sich setzen.

DR. KAUFFMANN: Sie waren in den beiden letzten Jahren des Krieges, seit 1943, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes und Chef des Reichssicherheitshauptamtes, des RSHA.

Sie sind sich darüber klar, daß Sie unter ganz besonders schwerer Anklage stehen. Die Anklagebehörde wirft Ihnen vor Verbrechen gegen den Frieden und Ihre intellektuelle Täterschaft oder Teilnahme wegen der Verbrechen gegen das Kriegsrecht und gegen die Humanität, und schließlich verknüpft die Anklage Ihren Namen mit dem Terror der Gestapo und den Grausamkeiten der Konzentrationslager.

Ich frage Sie nunmehr: Übernehmen Sie im Rahmen dieser großaufgezeigten und Ihnen bekannten Anklagepunkte die Verantwortung?

KALTENBRUNNER: Ich möchte in erster Linie dem Gerichtshof erklären, daß ich mir der Schwere der gegen mich erhobenen Anwürfe voll bewußt bin. Ich weiß, daß sich der Haß einer Welt gegen mich stellt, der ich – zumal ein Himmler, ein Müller, ein Pohl nicht mehr leben – hier allein der Welt und dem Gerichtshof Antwort zu stehen habe.

Ich bin mir bewußt, daß ich die Wahrheit hier auszusprechen habe, um den Gerichtshof und die Welt in die Lage zu versetzen, Vorgänge im Deutschen Reich in diesem Krieg restlos zu erkennen, zu erfassen und gerecht zu beurteilen.

Ich bin im Jahre 1943, also zwei Jahre vor Schluß, am Ende dieses Krieges in ein Amt berufen worden, worüber ich im einzelnen später Aufklärung geben darf. Ich möchte aber gleich zu Anfang erklären, daß ich die Verantwortung für alles, was seit meiner Ernennung zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes im Rahmen dieses Amtes an Unrecht begangen wurde, und soweit es unter meiner tatsächlichen Leitung geschah, ich also von den Vorgängen wußte oder wissen mußte, die Verantwortung übernehme.

Ich bitte nun, meinem Verteidiger zu gestatten, an mich zur Führung meines Gedankenganges Fragen zu stellen.

DR. KAUFFMANN: Geben Sie kurz Ihren Werdegang bis zum Eintritt in das öffentliche Leben, in die österreichische Politik, also etwa bis zum Jahre 1934 in großen Umrissen, bitte.

KALTENBRUNNER: Ich bin 1903 geboren, mein Vater und Großvater sind geachtete Rechtsanwälte gewesen. Im übrigen stamme ich von Bauern und von Sensenschmieden ab. Meine Mutter, aus einfachen Verhältnissen hervorgegangen, war adoptiert vom Belgischen Gesandten in Rumänien und lebte dort 25 Jahre. Meine Kindheit, am Lande verbracht, hat mich in einer fürsorglichen Familie einerseits der besten Erziehung, andererseits dem volksverbundenen Leben nahegebracht. Ich habe die Mittelschule besucht, Realgymnasium, Matura, und habe im Jahre 1921 die Hochschule in Gras bezogen. Ich studierte zuerst chemisch-technische Wissenschaften an der Technischen Hochschule und später, da mein Vater aus dem Kriege schwerkrank zurückgekommen war, und ich allenfalls seine Rechtsanwaltpraxis übernehmen sollte, Rechtswissenschaften. Ich habe dieses Studium mit dem Grade eines Doktors der Rechts- und Staatswissenschaften im Jahre 1926 beendet. Ich hatte eine schwierige Zeit durchzumachen. Ich mußte mir mein Studium, mein Leben selbst verdienen, war Werkstudent – ich habe zwei Jahre als Kohlenarbeiter in der Nachtschicht gearbeitet – und habe, ich danke dies meinem Schicksal, so gut wie selten jemand den deutschen Arbeiter kennengelernt.

DR. KAUFFMANN: Etwas abkürzen, bitte. Kommen Sie möglichst bald auf die Zeit nach 1934 zurück.

KALTENBRUNNER: Ich habe nach der Hochschule durch sieben oder acht Jahre die Praxis als Rechtsanwaltanwärter nach österreichischem Gesetz zu vollenden gehabt, war ein Jahr bei Gericht als Praktikant tätig, die übrige Zeit in Salzburg und Linz bei Anwälten.

DR. KAUFFMANN: Ich unterbreche Sie einen Moment mit einer Frage. Ist es richtig, daß Sie 1932 Mitglied der Partei geworden sind?

KALTENBRUNNER: Ich bin 1932 Mitglied der Partei geworden, nachdem ich vorher einige Jahre der überparteilichen Heimatschutzbewegung in Österreich angehört habe.

DR. KAUFFMANN: Sind Sie im selben Jahre 1932 der SS als Mitglied beigetreten?

KALTENBRUNNER: Ich glaube, es war Ende 1932, könnte auch Anfang 1933 gewesen sein.

DR. KAUFFMANN: Ist es richtig, daß Sie dann noch vor dem Jahre 1933, wie die Anklage behauptet, Gauredner und Rechtsberater eines SS-Abschnittes gewesen sind?

KALTENBRUNNER: Diese Behauptung ist aufklärungsbedürftig. Ich habe wohl im Gau Oberösterreich, meiner eigenen Heimat, in nationalsozialistischen Versammlungen gesprochen, in erster Linie, oder ich möchte sagen, ausschließlich im Dienste der Anschlußbewegung. Rechtsberater war ich so wie jeder andere Rechtsanwalt jeder Partei, der in der damaligen wirtschaftlichen Notzeit sich bereit erklärt hatte, am Ende des Tages einige Stunden den Mittellosen, in diesem Falle Nationalsozialisten, Rechtsauskunft zu erteilen und ihnen unentgeltlich Rechtsberatung zu geben.

DR. KAUFFMANN: Ist es richtig, daß Sie später im Jahre 1934 von der Dollfuß-Regierung festgenommen und mit anderen fühlenden Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Kaisersteinbruch verbracht wurden? Was war hier die Veranlassung?

KALTENBRUNNER: Das ist richtig. Ich glaube hierzu die damalige politische Situation in Österreich kurz schildern zu müssen:

An der Regierung befand sich eine Gruppe von Männern, die nur geringen Rückhalt im Volke hatten. Es waren zwei verschieden große Gruppen, die nicht an der Regierung beteiligt waren. In die erste Linie fällt die linksgerichtete Gruppe, die Sozialdemokratie und der Austro-Marxismus, und in zweiter Linie die damals sehr kleine Gruppe des Nationalsozialismus. Die Regierung hat damals nicht nur Nationalsozialisten, sondern ebenso Sozialdemokraten und Kommunisten in ihre Anhaltelager gesteckt, um jeden politischen Unfrieden durch Versammlungen oder Kundgebungen auszuschalten.

Unter den damals verhafteten vielleicht 1800 Nationalsozialisten befand auch ich mich.

DR. KAUFFMANN: Hatten Sie dann einen weiteren Konflikt bekommen und wurden Sie schließlich wegen eines Verfahrens wegen Geheimbündelei verurteilt und dann aus der Haft, in die Sie vorher gebracht wurden, entlassen? Geben Sie mit wenigen Sätzen die Veranlassung zu dieser Aktion an.

KALTENBRUNNER: Das war bedeutend später. Ich bin im Mai 1935 festgenommen worden. Ich muß vorausschicken, daß sich inzwischen in Österreich der Putschversuch der Nationalsozialisten im Juli 1934 ereignet hatte. Dieser Putschversuch, der auch unglücklicherweise den Mord an Dollfuß mit eingeschlossen hatte, ist niedergeschlagen worden und mit strengsten Verfahren gegen eine Unzahl von Nationalsozialisten gerächt worden. Eine besonders harte Maßnahme bestand darin, daß viele Tausende von Nationalsozialisten ihres Berufes verlustig erklärt wurden, und es bestand die Notwendigkeit, eine Befriedung, ich möchte sagen, eine Milderung der Grundsätze der Regierung herbeizuführen. Dies geschah in erster Linie durch zwei Männer: Langot, dem damaligen Hauptstellvertreter in Oberösterreich, und einen Bauern und Ingenieur, Reinthaller. Diese Befriedungsaktion begann Ende 1934, September oder Oktober, und ich wurde zu dieser Befriedungsaktion eingeladen.

DR. KAUFFMANN: Kommen Sie nun möglichst zu der Zeit von 1938.

KALTENBRUNNER: Ich war bei diesem Putschversuch vom Juli 1934 vollkommen unbelastet, und deshalb bin ich zu dieser Befriedungsaktion aufgefordert worden. Im Rahmen dieser Aktion hat die Regierung selbst verlangt, daß Männer Verbindung zur Parteileitung aufrechterhalten sollten, das heißt zu der SA, SS, zu allen Organisationen der damals verbotenen Bewegung und so weiter. Mit Wissen und Willen der Regierung und der zuständigen Polizeidienststellen habe ich die Verbindung zur SS aufgenommen.

Im Mai 1935 wurde ich unter dem Verdacht der illegalen Verbindung zur SS, mich hochverräterisch zu betätigen, festgenommen. Ich bin ein halbes Jahr lang in Untersuchungshaft gewesen und vom Militärgerichtshof in Wels angeklagt worden wegen Hochverrats, aber von diesem Verbrechen freigesprochen worden, weil die Regierung selbst eingestanden hat, daß sie mit ihrem Wissen mir diesen Auftrag gestattet hatte. Es blieb daher eine nebensächliche Verurteilung wegen Geheimbündelei übrig, die aber durch die Untersuchungshaft verbüßt gewesen ist.

DR. KAUFFMANN: Welches war Ihr Anteil an dem Umbruch in Österreich, der im März 1938 vollzogen wurde, und welches war der Anteil der SS?

KALTENBRUNNER: Kurz nach der in der Befriedungsaktion Reinthaller-Langot ausgeübten Tätigkeit habe ich Fühlung bekommen mit Kreisen erstens der Anschlußverbände und zweitens mit jenen Kreisen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, in einer revolutionären Bewegung und Entwicklung die Zustände in Österreich einer friedlichen Bereinigung zuzuführen und andererseits den Anschlußgedanken vorwärts zu treiben und die Regierung selbst dafür zu gewinnen.

Ich habe im Jahre 1937 und 1938 versucht, in ein engeres persönliches Verhältnis zum späteren Minister Seyß-Inquart zu kommen und habe seine politische Linie mir vollkommen zu eigen gemacht.

DR. KAUFFMANN: Sind Sie der Auffassung, daß die Volksabstimmung in Österreich im April 1938 dem Willen des Volkes entsprach, oder nicht?

KALTENBRUNNER: Die Volksabstimmung vom 10. April 1938 hat vollkommen dem Willen der österreichischen Bevölkerung entsprochen. Ihr Ergebnis von 99,73 Prozent für den Anschluß an das Deutsche Reich war unbedingt echt.

DR. KAUFFMANN: Wurden Sie dann anläßlich des Anschlusses zum SS-Brigadeführer und Führer eines SS-Abschnittes befördert?

KALTENBRUNNER: Ja; aber ich möchte vorerst zum Anschluß noch folgendes ergänzen:

Die Darstellung und die Meinung der Anklage ist vollkommen falsch, wenn sie glaubt, daß der Nationalsozialismus in Österreich zur damaligen Zeit irgendeinen Vergleich mit der Entwicklung, die inzwischen im Deutschen Reich stattgefunden hatte, zu ertragen habe. Der Weg der österreichischen Nationalsozialisten war vielmehr ein ganz anderer. Der Ausgangspunkt war die abnorme Wirtschaftsnot in Österreich, darüber hinweg die Anschlußbewegung und, als ihr Verwirklicher, der Nationalsozialismus. Dieser Weg von Wirtschaftsnot über Anschlußbewegung zum Nationalsozialismus war die Linie fast aller Nationalsozialisten und keineswegs die Ideologie des damaligen Parteiprogramms.

Ich glaube, daß dies vorausgesetzt werden muß, und ich glaube auch, vorausschicken zu müssen, daß die Anschlußbewegung in Österreich eine volksgetragene gewesen ist; die Abstimmung in den einzelnen Ländern, wie Tirol und Salzburg, die schon in früheren Jahren, ich glaube im Jahr 1925 bis 1928, ein mehr als 90 prozentiges Ergebnis für den Anschluß hatte, hätte hier berücksichtigt werden müssen.

Noch im Jahre 1928 haben der Nationalrat Österreichs und der österreichische Bundesrat die Unterschrift unter den Beschluß des Nationalrates vom Jahre 1918 gesetzt, der beinhaltet hat, daß sich beide Körperschaften an das Reich anzuschließen beschlossen haben und von diesem Entschluß nicht abgehen wollten.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann! Ich glaube, es ist nicht nötig, die Gründe, die für den Anschluß gesprochen haben, so eingehend darzustellen.

Wollen Sie bitte versuchen, den Zeugen zu veranlassen, sich kurz zu fassen und den wesentlichen Zeitpunkt zu behandeln?

DR. KAUFFMANN: Ich dachte, der Angeklagte wird verantwortlich gemacht für seine Beihilfe zum Umbruch. Deswegen wollte ich wenigstens einige Sätze darüber dem Gerichtshof vortragen lassen; aber ich bin jetzt bereit, auf ein anderes Gebiet überzugehen.

VORSITZENDER: Der Zeuge hat Zahlen einzelner Volksabstimmungen lange vor dem Anschluß angegeben, die völlig unerheblich zu sein scheinen.

DR. KAUFFMANN: Sie wurden dann im September 1938 zum SS-Gruppenführer befördert. Ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Ja, ich habe nach dem erfolgten Anschluß die Führung der Allgemeinen SS in Österreich in Form des SS-Oberabschnittes Donau übernommen. Damals war ich zum Brigadeführer ernannt worden, ohne die Vorstufen der einzelnen Führerschaften genau durchschritten zu haben und, im September dürfte es gewesen sein, bin ich Gruppenführer geworden in Angleichung des Dienstgrades zu allen übrigen Oberabschnittsführern des gesamten Reiches.

DR. KAUFFMANN: Darf ich Sie dann weiter fragen über Ihre Entwicklung innerhalb der SS? Wurden Sie im Jahre 1941 zum Höheren SS- und Polizeiführer in Österreich ernannt?

KALTENBRUNNER: Ich bin im März 1938 Mitglied der österreichischen Landesregierung geworden, und zwar hatte ich die Funktion des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen in Österreich zu übernehmen, welches dem Innenministerium unterstellt gewesen ist. Diese österreichische Landesregierung ist im Jahre 1941 aufgelöst worden, das heißt, sie hat ihre Tätigkeit zugunsten im Reich gehandhabter Verwaltungsformen eingestellt. Daher ist das Staatssekretariat für das Sicherheitswesen ebenfalls aufgelöst worden und, um mich etatmäßig anzugleichen, bin ich persönlich besoldungsmäßig zum Höheren SS- und Polizeiführer, glaube ich, ab Juli 1941 ernannt worden.

DR. KAUFFMANN: Und Sie wurden dann am 30. Januar 1943 zum Chef der Sicherheitspolizei und des SD, des sogenannten Reichssicherheitshauptamtes, ernannt? Wie kam es zu dieser Ernennung, hatten Sie Beziehungen zu Himmler, was wurde anläßlich Ihrer Ernennung zwischen Ihnen und Himmler besprochen?

KALTENBRUNNER: Die Tätigkeit vom Jahre 1941 bis 1943, zwei Jahre, muß ich hier ganz kurz beschreiben, um verständlich zu machen, warum ich nach Berlin berufen worden bin.

Die Anklage wirft mir vor, ich hätte in Österreich bereits die Sicherheitspolizei geführt. In dieser Richtung irrt die Anklage.

Die Staatspolizei und die Kriminalpolizei sowie auch der Sicherheitsdienst in Österreich wurden reichszentral aus Berlin geführt und waren der Zuständigkeit des damaligen verantwortlichen Ministers Seyß-Inquart und seines Stellvertreters, Kaltenbrunner, restlos entzogen. Meine Tätigkeit als Höherer SS- und Polizeiführer hat sich, zum Unterschied dieser Tätigkeit derselben Männer im Reich, daher in Österreich auf rein repräsentative oder Führungsaufgaben der Allgemeinen SS beschränkt, eine Tätigkeit, die keineswegs ausfüllend gewesen ist.

Ich habe daher in diesen zwei Jahren meinen politischen Arbeitsabsichten entsprochen und habe aus Österreich heraus nach dem Südosten einen ziemlich umfangreichen politischen Nachrichtendienst entwickelt. Ich habe dies deshalb getan, weil ich in erster Linie bedauert habe, daß sich das Reich des politischen und wirtschaftlichen, vor allem aber auch des gesamten traditionellen Reservoirs, das Österreich für das Reich hätte darstellen können, nicht bedient hatte, und weil das Reich in einer Kurzsichtigkeit sondergleichen auf die ungeheuren Mittleraufgaben Österreichs nach dem Südosten nicht zurückgegriffen hatte. Solcher Art ist es gekommen, daß meine Berichte zunehmendes Interesse in Berlin gefunden haben; und als Hitler ununterbrochen Himmler Vorwürfe machte, daß er mit seinem Nachrichtendienst, den er unter Heydrich im Reich geführt hat, ihm keine ausreichenden politischen Berichtsergebnisse zukommen lasse, hat sich Himmler acht Monate nach dem Tode Heydrichs gezwungen gesehen, sich nach einem Manne umzusehen, der ihn von diesen Vorwürfen Hitlers, keinen nennenswerten Nachrichtendienst zu besitzen, befreite.

DR. KAUFFMANN: Was haben Sie nun besprochen mit Himmler?

KALTENBRUNNER: Er hat mich im Dezember 1942 nach Berchtesgaden bestellt, wo er damals seßhaft gewesen ist, weil in der Nähe, auf dem Obersalzberg, sich das Führerhauptquartier befand. Er erzählte mir zuerst diese Vorwürfe Hitlers und verlangte von mir die Schaffung eines reichszentralen Nachrichtendienstes, worüber wir uns ausführlich und unter Bezugnahme auf meine Berichterstattung in früheren Jahren unterhalten haben. Er meinte damals, daß es am richtigsten wäre, ich übernehme das Reichssicherheitshauptamt als Übergangsbasis für die Errichtung eines solchen Nachrichtendienstes. Ich lehnte dies ab, und zwar mit der ausführlichen Begründung, daß ich in Österreich eine beobachtende und kritische Haltung gegenüber der Gesamtentwicklung, namentlich der innenpolitischen Entwicklung im Reiche, eingehalten habe. Ich habe Himmler eingehend erklärt, wodurch der Deutsche in Österreich enttäuscht sei, und worin ich Gefahren erblicke, daß eine Reichsmüdigkeit des Österreichers, der noch vier Jahre vorher begeistert sich dem Reiche zugewandt hatte, vorliege. Ich habe...

DR. KAUFFMANN: Einen Augenblick, wenn ich Sie unterbreche; es ist ja richtig, daß Sie zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes ernannt wurden. Wollen Sie damit sagen, daß Sie die Exekutive nicht mit übernommen haben?

KALTENBRUNNER: Ich komme gleich dazu. Ich muß jetzt diese erste Besprechung mit Himmler schildern, die zweite fand zwei Wochen später statt. Bei dieser habe ich dann diesen Befehl bekommen, den ersten meine ich.

Ich will aber gleich hier feststellen, und das zieht sich wie ein roter Faden durch meine Gesamttätigkeit bis zum Schlußteil des Krieges, daß ich schon damals Himmler erklärt habe, in welchen wesentlichen Punkten ich mich im Unterschied zum Nationalsozialismus, zur Innenpolitik des Reiches, zur Außenpolitik, zur Ideologie und zu den Rechtsbrüchen im Staate selbst stelle. Ich habe ihm ausdrücklich erklärt, daß die Verwaltung im Reich zu zentralistisch sei, daß Österreich an diesem Zentralismus heftigste Kritik übe, schon deshalb, weil ein gewisser Föderalismus ja den anderen Ländern, zum Beispiel Bayern, zugebilligt war. Ich habe ihm vorgehalten, daß die Schaffung eines neuen deutschen Strafrechts in der beschrittenen Form falsch sei, das deutsche Strafrecht sei ein kasuistisches Recht. Das österreichische Strafrecht mit fast hundertjähriger Geltungsdauer sei das besterprobte und auch im Ausland anerkannt. Ich erklärte ihm, daß in Österreich der Begriff einer Schutzhaft, der Begriff eines KZ-Lagers nicht gutgeheißen werde, sondern, daß in Österreich jeder Mensch unbedingt sein Recht vom Gericht gesprochen haben will. Ich erklärte ihm, daß sich der Antisemitismus in Österreich in einer grundsätzlich anderen Form sowohl entwickelt habe als auch gehandhabt werden wolle Niemand in Österreich hat daran gedacht, sich über die Grenze des Antisemitismus, wie er im Parteiprogramm vorgeschrieben gewesen ist, hinauszubegeben. In Österreich hat auch kaum ein Verständnis dafür geherrscht, daß durch die Nürnberger Gesetzgebung über diesen Rahmen des Parteiprogramms in dieser Frage hinausgegangen werde. In Österreich hatte bereits seit 1934 eine vollkommen friedliche und sachliche Abwanderungstendenz der Juden Platz gegriffen.

Es war jede persönliche und physische Verfolgung von Juden vollkommen überflüssig. Ich verweise auf ein Dokument, welches hier in irgendeinem Gerichtsakt liegt, aus dem klar hervorgeht, und zwar aus einem Bericht des Polizeipräsidiums in Wien vom, ich glaube, Dezember 1939, in welchem ziffernmäßig dargetan wird, daß von 1934 bis 1939 von, ich glaube, insgesamt 200000 Juden mehr als die Hälfte abgewandert waren ins Ausland. Über Solche Probleme habe ich damals gesprochen und damals Himmler erklärt, daß ich, wie er selbst bestens wisse, eine Vorbildung auf polizeilichem Gebiet nicht nur nicht besitze, sondern meine ganze bisherige Tätigkeit eine politisch-nachrichtendienstliche gewesen sei, und ich daher in der Übernahme des Reichssicherheitshauptamtes mit Exekutivämtern, wie es die Geheime Staatspolizei und Kriminalpolizei seien, nicht nur nichts zu tun haben wolle, sondern meine Aufgabe, zu der er mich berufe, nämlich Aufbau und Ausbau eines Nachrichtendienstes, behindert werde. Ich erklärte ihm auch, daß zwischen mir und Heydrich nicht nur persönliche stärkste Differenzen bestünden, sowie auch sachliche Unterschiede in der Richtung, daß Heydrich ein Fachmann auf polizeilichem Gebiet war, und ich es nicht bin, sondern auch, daß die Gesamtpolitik, mit welcher er und Heydrich das Reich schon bisher in Mißkredit gebracht hätten, nicht auf mich übergehen könnte. Dazu sei mir mein Name, meine Ehre und meine Familie zu heilig.

Er beruhigte mich in der Richtung, daß er sagte, »Sie wissen doch, daß Heydrich im Juni 1942 ermordet wurde, und daß ich nun selbst seit seinem Tode«, es waren das damals sechs oder sieben Monate, »sein gesamtes Amt führe. Dabei soll es auch insofern bleiben, daß ich«, nämlich Himmler, »die Exekutivämter weiterhin selbst führe. Ich habe dazu die eingearbeiteten alten Fachleute Müller und Nebe. Sie haben sich darum nicht zu kümmern. Sie nehmen sich die nachrichtendienstlichen Ämter III und VI als Übergangsbasis für Ihren Nachrichtendienst«. Ich sagte ihm damals, daß auf einem SD allein ein Nachrichtendienst nicht aufgebaut werden könne. Ein Nachrichtendienst, der bisher so engstirnig, wie ihn Heydrich besorgt hatte, immer mehr zur Exekutive gedrängt worden ist, ist von vornherein zur Nachrichtenschöpfung ungeeignet.

Ein Nachrichtendienst müsse zweitens kleiner sein, und vor allem halte ich es für einen Wahnsinn, daß eine Trennung zwischen politischem und militärischem Nachrichtendienst bestehe. Kein Land auf der ganzen Erde, außer Deutschland und Frankreich, habe sich die Zweiteilung eines Nachrichtendienstes zu eigen gemacht. Ich verlangte daher, daß er zuerst einmal einen Führerbefehl erwirke, auf Grund dessen das Nachrichtenwesen der Wehrmacht, welches im Amte OKW-Abwehr verankert gewesen ist, vereinheitlicht werde mit dem SD und mit einem personell bestens gesichteten und gesiebten neu zu gewinnenden Personenapparat...

DR. KAUFFMANN: Ich unterbreche Sie für einen Augenblick. Sagen Sie mir in einem Satz: Ist dann diese Vereinigung, von der Sie gesprochen haben, zustandegekommen?

KALTENBRUNNER: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: In dem Amt VI?

KALTENBRUNNER: Jawohl, die Vereinigung ist mit Befehl Hitlers vom 14. oder 15. Februar 1944 eingetreten.

DR. KAUFFMANN: Nun frage ich Sie, nach dem was Sie soeben ausgeführt haben, sind Sie von Himmler befreit worden von der Exekutive? Ist diese Befreiung von der Exekutive nun auch innerhalb des Reichssicherheitshauptamtes Ihren Amtschefs und so weiter bekanntgemacht worden? Ist diese Herausnahme der Exekutive irgendwie nach außen in Erscheinung getreten und eventuell in welcher Weise?

KALTENBRUNNER: Ich bin nach der Besprechung mit Himmler im Dezember 1942 von ihm verabschiedet worden, weil ich es auch nicht übernehmen wollte, das Reichssicherheitshauptamt unter den Bedingungen zu nehmen, die er mir angeboten hatte: nämlich Führung der Exekutivämter wie bisher durch ihn selbst. Er war auf mich so sehr böse, daß er mir nicht die Hand gegeben hat und mich seinen Unwillen durch andere Dinge noch in den nächsten Wochen fühlen ließ. Ich bin dann Mitte Jänner, 16. oder 18. Jänner, telegraphisch in das Hauptquartier, das sich inzwischen nach Ostpreußen begeben hatte, bestellt worden, und habe angenommen, daß so, wie ich ihn darum gebeten habe, nun mir eine Frontverwendung gegeben werde. Ich bin mit vollkommen ausgerüstetem Frontgepäck in das Hauptquartier gefahren, in der Meinung, ich hätte endlich das, was meine Brüder und meine übrige männliche Verwandtschaft damals getan hatte, auch für mich zu erwarten. Es war nicht so, sondern er erklärte mir: »Ich habe mit dem Führer gesprochen, er hält die Zentralisierung und Neuschaffung eines Nachrichtenwesens für richtig. Er wird auch die diesbezüglichen Verhandlungen mit der Wehrmacht einleiten, und Sie werden diesen Meldedienst zu organisieren und auszubauen haben. Es bleibt dabei, daß ich mit Müller und Nebe die Exekutivämter unmittelbar selbst führe.« Wenn Sie mich nun fragen, ob eine solche Abgrenzung nach außen sofort in Erscheinung treten mußte, so muß ich dazu sagen, sie ist nicht verkündet worden. Weshalb formell die Anklage im Recht sei, wenn sie mir vorwirft: »Ja, du hast ja nach außen keinen Trennungsstrich gemacht.« Ich kann dazu nur das eine sagen, daß ich mich auf die Worte meines damaligen Vorgesetzten verlassen zu können glaubte. Er hat es mir auch in Gegenwart von Nebe und Müller erklärt und hat ihnen beiden persönlich befohlen gehabt, unmittelbar mit ihm zu verkehren und unmittelbar wie bisher, seit dem Tode Heydrichs acht Monate hindurch, an ihn unmittelbar zu berichten und von ihm unmittelbar die Befehle zu erreichen.

Ich erkläre hier ausdrücklich, daß mir die Sonderaufgaben, die Heydrich zum Beispiel hatte, wie der Auftrag hinsichtlich der Judenendlösung, im damaligen Zeitpunkt nicht nur nicht bekanntgewesen sind, sondern von mir auch nicht übernommen wurden. Ich war nominell Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Als dieser habe ich als meinen unmittelbaren Aufgabenkreis, wie gesagt, den Nachrichtendienst und die Schaffung dieses neuen Meldedienstes angesehen. Diese Führung der Staatspolizei und Kriminalpolizei erfolgte durch Himmler, wie ich erst viel später feststellen konnte, vielfach im Namen des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes, also mit meinem Namen, ohne daß ich diese Befehle im Zeitpunkt ihrer Ausgabe gekannt oder gesehen hätte.

Die Chefs des Geheimen Staatspolizeiamtes und des Kriminalpolizeiamtes führten diese Befehle Himmlers also manchmal in der Weise durch, daß sie auch meinen Namen als Chef Reichssicherheitshauptamt zeichneten, und, wie ich ja später vielleicht noch im einzelnen darstellen muß, Gepflogenheiten übernahmen, die zur Zeit Heydrichs bestanden haben, der die gesamte Exekutive unter sich vereinigt hatte und diesbezügliche Vollmachten an Müller und Nebe delegieren konnte. Ich hatte aber diese Vollmachten von Anfang an nie und konnte daher auch niemals Teilvollmachten delegieren. Ich muß hier vielleicht die Erklärung meiner Verantwortlichkeit in dem Punkte also ergänzen, indem ich erklären muß, daß ich vielleicht nicht ausreichend Obsorge dafür habe walten lassen, daß klargestellt worden wäre, es hat keinerlei Befehl der Staatspolizei oder Kriminalpolizei meinen Namen zu tragen. Daß ich mich darum zu wenig gekümmert habe, ist ein Verschulden Himmlers, wohl aber auch ein Verschulden meinerseits.

DR. KAUFFMANN: Ich verweise Sie auf eine Aussage, die der Amtschef III, Ohlendorf, am 3. Januar 1946 in diesem Gericht gemacht hat. Ich halte Ihnen kurz diese Aussage vor, und Sie wollen sich dazu erklären.

Die Aussage betrifft die Frage der Exekutiv-Vollmacht. Zeuge Ohlendort sagte auf meine Frage: »Wenn Sie die Frage stellen, ob Kaltenbrunner exekutive Handlungen veranlassen konnte, so muß ich dies mit Ja beantworten. Wenn Sie weiterhin Müller und Himmler unter Ausschaltung von Kaltenbrunner nennen, so muß ich darauf hinweisen, daß nach der Konstruktion des Reichssicherheitshauptamtes Müller der Untergebene von Kaltenbrunner war, und daher auch Befehle von Himmler an Müller Befehle an Kaltenbrunner waren und Müller verpflichtet war, Kaltenbrunner zu unterrichten.«

Er sagt dann: »Ich kann sagen, daß mir absolut bekannt ist, daß – ein Ausdruck, der oft gefallen ist – ›bis zur letzten Waschfrau‹ Himmler sich persönlich die Entscheidung vorbehielt. Ob Kaltenbrunner keinerlei Macht in dieser Beziehung gehabt hat, kann ich nicht behaupten.«

Ich frage Sie nun, ist die Aussage des Zeugen Ohlendorf in den wesentlichen Punkten richtig?

KALTENBRUNNER: Sie ist aufklärungsbedürftig. Er hat insofern recht, als sich in der Konstruktion, oder besser gesagt an der Organisation des Reichssicherheitshauptamtes nichts geändert hatte seit der Zeit Heydrichs. Also konnte er ohne weiteres einen Dienstweg Himmler-Kaltenbrunner-Müller annehmen. Dies ist aber in den Besprechungen, das heißt in den Befehlsausgaben von Himmler ausdrücklich ausgeschlossen worden. Und zu der anderen Bemerkung: Himmler hätte bis zur letzten Waschfrau sich die Entscheidung vorbehalten, so zeigt dies, daß praktisch der Zustand eingetreten war, daß, anders als zur Zeit Heydrichs, sich das geändert hatte, daß das Mittelstück zwischen Himmler und Müller, das war ich, nicht in Tätigkeit gesetzt wurde; daß also nunmehr die unmittelbare Befehlsgebung Himmlers an Müller bestand.

DR. KAUFFMANN: Ich bespreche nun einzeln die von der Anklagebehörde gemachten Vorwürfe, und ich lege Ihnen zunächst ein Dokument vor, zu dem Sie sich erklären wollen. Es ist Dokument L-38, US- 517. Es wird jetzt Kr. 3. Es handelt sich um den gegen Kaltenbrunner erhobenen Vorwurf...

VORSITZENDER: Hat dieses Dokument nicht schon eine Beweisstücknummer, Dr. Kauffmann? Sie wollen ihm doch nicht eine neue Beweisstücknummer geben?

DR. KAUFFMANN: Sehr gut! Wenn es nicht erforderlich ist, verzichte ich gern darauf.