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[Zum Zeugen gewandt:]

Es ist hier die Frage: Erstens, ob alle unterzeichneten Schutzhaftbefehle Ihren Namen tragen, sei es in Faksimile, sei es mit Maschine. Und der zweite Fall, ob Sie derartige Befehle erlassen haben, ob also Originalbefehle vorliegen, und weiter, ob Sie, wenn beides nicht zutrifft, davon Kenntnis hatten? Geben Sie bitte eine Erklärung zu diesem Dokument.

KALTENBRUNNER: Ich muß hier erklären, daß ich in meinem ganzen Leben nicht einen einzigen Schutzhaftbefehl persönlich gesehen oder unterzeichnet habe. Es sind mir in der Voruntersuchung eine Reihe von Schutzhaftbefehlen, die meinen Namen tragen, bei meiner damaligen Befragung vorgehalten worden. Es hatte jeder dieser Schutzhaftbefehle diese Unterschrift, das heißt meinen Namen mit Maschine oder mit Fernschreiber, ich glaube, auch in ein oder zwei Fällen eine Faksimileunterschrift getragen.

DR. KAUFFMANN: Sie werden zugeben, daß an sich diese Erklärung nicht sehr glaubwürdig erscheint. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, daß der Chef des Amtes nicht darüber orientiert ist, daß derartige Befehle seinen Namen tragen. Wie erklären Sie sich diese Tatsache, eine Tatsache, die sich an Hand der Dokumente, die Ihre Unterschriften tragen, ergibt?

KALTENBRUNNER: Ich bin auch mit meiner Aufklärung noch nicht zu Ende. Ich habe erklärt, daß diese Unterschrift »Kaltenbrunner« unter Schutzhaftbefehle nur in der Form zustande gekommen sein kann, daß der Amtschef Müller, so wie er es zur Zeit Heydrichs getan hatte und damals auch tun durfte, den Namen des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes unter den Schutzhaftbefehl setzte und hierzu seine Abteilungen, zum Beispiel die Schutzhaftabteilung, eben anwies. Er hat dies offensichtlich auch zu meiner Zeit getan; denn sonst wären mir diese Befehle jetzt nicht vorgehalten worden. Er hat mich aber hiervon niemals verständigt, und er hat hierzu niemals von mir eine Vollmacht erteilt bekommen. Im Gegenteil war dies schon deshalb ausgeschlossen, andererseits aber auch überflüssig, weil Himmler ihn sich ja unmittelbar unterstellt hatte, und er von Himmler die Vollmacht hatte. Er hätte also genau so gut schreiben können »Himmler« oder »I.A. Himmler«. Ich gebe zu, daß dies eine Tatsache bleibt, die das Gericht mir nicht glauben wird, es war aber nicht anders, und Himmler hat mir keinen Anlaß gegeben, meine Haltung diesbezüglich zu definieren, weil er ja mir gegenüber gesagt hatte, daß ich diese exekutiven Aufgaben nicht zu führen hätte.

DR. KAUFFMANN: Sie wollen also sagen, daß es bei der Verwendung Ihrer Unterschrift sich um einen Mißbrauch Ihrer Unterschrift handelte?

KALTENBRUNNER: Müller war hierzu nicht berechtigt.

DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen bekanntgewesen, daß die Schutzhaft überhaupt möglich und zulässig ist und oft durchgeführt worden ist?

KALTENBRUNNER: Ich habe über den Begriff »Schutzhaft« mit Himmler, wie ich erzählte, schon 1942 gesprochen. Ich glaube aber auch, vorher bereits zweimal ausführlich, einmal mit ihm und einmal mit Thierack, über die Begriffe korrespondiert zu haben. Ich halte die Schutzhaft, wie sie im Deutschen Reich gehandhabt worden ist, nur in den geringsten Fällen, in einer kleineren Anzahl von Fällen, für eine Staatsnotwendigkeit oder besser gesagt für eine Maßregel, wie sie der Krieg rechtfertigte. Im übrigen habe ich mich gegen diesen Begriff und gegen die Handhabung jeder Schutzhaft grundsätzlich, und oft sehr tief rechtshistorisch fundiert, ausgesprochen und gewendet. Ich hatte einige Vorträge bei Himmler, aber auch bei Hitler darüber gehalten. Ich habe in einer Versammlung von Staatsanwälten, ich glaube im Jahre 1944, öffentlich dagegen Stellung genommen, weil ich seit je und je auf dem Standpunkt gestanden bin, daß die Freiheit eines Menschen zu seinen höchsten Gütern zählt, und nur ein ordentliches, in der Verfassung verwurzeltes Gericht und sein Urteil ihm diese Freiheit beschränken oder rauben darf.

DR. KAUFFMANN: Ich bespreche jetzt mit Ihnen die Begründung, die in einem solchen Schutzhaftbefehl enthalten war. Als Begründung ist unter anderem angegeben: reichsfeindliche Betätigung oder Verbreitung von Greuelnachrichten oder tätliche Angriffe, Arbeitsverweigerung, religiöse Propaganda. Geben Sie mir Ihre Stellungnahme zu der Begründung dieser Schutzhaftbefehle; ist das zu billigen?

KALTENBRUNNER: Nein, ich halte eine solche Begründung eines Schutzhaftbefehls für falsch. Sie mag daher im einzelnen erläutert werden. Mein Standpunkt rührt daher, daß alle diese hier aufgezählten Delikte ebensogut in einem ordentlichen Gerichtsverfahren durch den Staat geahndet hätten werden können. Aus diesem Grunde halte ich die Schutzhaft an sich, noch dazu mit dieser Begründung, für falsch.

DR. KAUFFMANN: Wenn ich Sie also recht verstehe, bemerke ich zusammenfassend zu Ihrer Stellungnahme folgendes: Sie wollen sagen, Sie haben von den Schutzhaftbefehlen keine Kenntnis gehabt, keine Vollmachten dazu gehabt, keine Unterschriften dazu gegeben; aber da diese Schutzhaftbefehle im Rahmen des Amtes IV ausgestellt wurden, hätten Sie von der Anordnung solcher Schutzhaftbefehle Kenntnis haben müssen. Ist diese Zusammenfassung richtig oder unrichtig?

KALTENBRUNNER: Sie ist richtig.

DR. KAUFFMANN: Wir kommen dann zu einem nächsten Ihnen von der Anklage gemachten Vorwurf. Die Anklage nimmt Sie als intellektuellen Täter oder Teilnehmer dafür in Anspruch, daß Sie sich als Chef der Sipo und des SD der Ermordung und Mißhandlung von Zivilpersonen durch die sogenannten Einsatzgruppen schuldig gemacht hätten. Ich trage dazu mit wenigen Sätzen das vor, was der Zeuge Ohlendorf hier am 3. Januar 1946 bekundet hat. Die Aussage Ohlendorfs stellt für Sie eine Belastung dar. Ich möchte Sie zu einer Stellungnahme dazu auffordern. Ohlendorf sagt in Bezug auf die Einsatzgruppen, nach seinem Eintritt hätte sich Kaltenbrunner mit dieser Frage beschäftigen müssen, und er müßte daher auch die Unterlagen der Einsatzgruppen, die seine Dienststellen waren, gekannt haben. Er sagte dann weiter bezüglich der den exekutierten Personen abgenommenen Wertgegenstände, diese seien an das Reichsfinanzministerium oder an das Reichssicherheitshauptamt abgeliefert worden, und er bekundete schließlich, daß das Offizierspersonal für diese Einsatzgruppen aus dem Führungspersonal der Staatspolizei und in geringem Prozentsatz vom SD genommen worden seien.

Welches ist Ihre Stellungnahme zu der Frage, ob Sie die Existenz und die Bedeutung der Einsatzgruppen gekannt haben?

KALTENBRUNNER: Ich habe von der Existenz dieser von Ohlendorf beschriebenen Einsatzkommandos keine Ahnung gehabt. Ich habe davon, daß sie bestanden hatten, später, und zwar viele Monate später gehört. Ich muß hierzu folgendes ausführen. Es ist dem Gerichtshof bekannt aus der Aussage Ohlendorfs und aus hier besprochenen Erlassen Hitlers und Himmlers, daß Befehle zur Tötung von Menschen gegeben waren. Diese Einsatzkommandos sind in meiner Amtszeit nirgends zu einer Neuaufstellung gekommen. Die bis dorthin tätig gewesenen Einsatzkommandos sind aber ebenfalls vor meiner Dienstübernahme aufgelöst gewesen oder in neue Unterstellungsverhältnisse gekommen. Ich weiß nicht, ob der Zeuge Ohlendorf hier bekundet hat, wann er von seinem Einsatzkommando zurückgekommen ist.

DR. KAUFFMANN: 1942.

KALTENBRUNNER: Also vor meiner Zeit. Die Einsatzkommandos müssen später in die Zuständigkeit der Höheren SS- und Polizeiführer in den besetzten Gebieten oder, was wahrscheinlicher ist, in die Zuständigkeit des Chefs der Bandenkampfverbände gekommen sein. Ich kann diese Frage hier nicht mit Sicherheit beantworten, weil mir seit einjähriger Haft Möglichkeiten der Überprüfung dieses Organisationsverhältnisses nicht zur Verfügung stehen.

Sie haben mich, glaube ich, weiter gefragt, ob mir bekannt ist, daß Wertsachen, die exekutierten Personen abgenommen worden sind, an dieses Amt oder an das Reichsfinanzministerium gesandt wurden. Von solchen Sendungen weiß ich nichts. Ich weiß aber, daß Himmler einen Befehl an alle gegeben hatte, nicht nur an die Sicherheitspolizei, sondern auch an andere Organisationen, die in den besetzten Gebieten gewesen sind, sei es die Ordnungspolizei oder seien es Antibanditeneinheiten oder seien es die ihm unterstehenden Wehrmachtsteile, einen Befehl gegeben hat, daß jedes derartige Eigentum an das Reichsfinanzministerium abzugeben ist.

DR. KAUFFMANN: Handelte es sich bei diesen Einsatzgruppen um einen Befehl Hitlers oder um einen Befehl des Reichssicherheitshauptamtes?

KALTENBRUNNER: Es kann sich nur um einen Befehl Hitlers handeln.

DR. KAUFFMANN: Sie sagten eben, Sie hätten im Laufe der Zeit von der Existenz und der Bedeutung der Einsatzgruppen Kenntnis bekommen. Wann, zeitlich gesehen, können Sie diese Kenntnis fixieren?

KALTENBRUNNER: Ich nehme an, daß dies zu der Zeit meines Antrittsbesuchs bei Hitler oder bei dem am selben Tage stattfindenden Vortrag bei Himmler im November 1943 gewesen ist.

DR. KAUFFMANN: 1943?

KALTENBRUNNER: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Wenn Sie damals Kenntnis hatten von den Einsatzgruppen und ihrer Bedeutung, dann erhebt sich die Frage, wie Sie darüber dachten, und für den Fall, daß Sie die Einsatzgruppen als solche verurteilten, was Sie unternommen haben, um die Einsatzgruppen abzuschaffen? Bestand denn hierzu die Möglichkeit oder nicht?

KALTENBRUNNER: Ich sagte schon, daß unter meiner Leitung oder Befehlsgebung niemals ein Einsatzkommando aufgestellt worden ist. Die Existenz, die vergangene Tätigkeit solcher Einsatzkommandos, habe ich im Spätherbst 1943 kennengelernt und gewußt, daß ich mich gegen einen solchen Mißbrauch dem Reichssicherheitshauptamt unterstehender Männer zur Wehr zu setzen habe. Ich habe Hitler, ich glaube am 13. September 1943, anläßlich des Besuches des soeben befreiten Mussolini gesehen. Mein Versuch, mit ihm zu sprechen, ist aber mißlungen auf diesen Staatsbesuch hin. Ich mußte daher zu einer offiziellen Meldung über meine bisherige Tätigkeit im November – Himmler hat dies wiederholt hinausgeschoben – neuerlich in das Hauptquartier reisen. Bei dieser Gelegenheit habe ich dem Führer über die mir bekanntgewordene Tätigkeit der Einsatzkommandos Vortrag gehalten, aber nicht nur darüber, sondern auch bei dieser Gelegenheit erstmals ihm Vorstellungen machen können über das gesamte Judenproblem und über die mir ebenfalls in diesem Zeitpunkt klargewordene Befehlsgebung seiner Person und Himmler gegen Juden. Ich bitte aber, dazu genau ausführlich Stellung nehmen zu dürfen, wenn Sie dieses Problem mit mir selbst eingehend durchgehen werden.

DR. KAUFFMANN: Ich lege nun...

KALTENBRUNNER: Ich möchte nur noch ergänzen, daß die Einsatzkommandos für mich deshalb nicht mehr in Erscheinung getreten sind, weil das gesamte Personal, ich glaube, auf den Tag genau, zum selben Zeitpunkt in die Bandenbekämpfung beziehungsweise zum Höheren SS- und Polizeiführer gekommen sind, an dem ich selbst das Amt in Berlin angetreten habe. Ich glaube, mich bestimmt zu erinnern, daß von dem Bach-Zelewski zum Chef der Bandenbekämpfung, am 30. Januar 1943 ernannt worden ist. Darin mag auch die Ursache liegen, daß ich keinerlei Berichte der Einsatzkommandos selbst gesehen hatte.

DR. KAUFFMANN: Ich komme zu einem weiteren Dokument, L-51, US-521. Es handelt sich hierbei um ein außerordentlich gravierendes Dokument, zu dem Sie Stellung nehmen wollen. Zutter ist der Adjutant des Lagerkommandanten von Mauthausen gewesen. Er berichtet über einen...

KALTENBRUNNER: Ist die Photokopie das gleiche, wie das, was hier in Maschinenschrift vorliegt?

DR. KAUFFMANN: Ja, sie ist dasselbe. Er berichtet über einen Exekutionsbefehl in Bezug auf zwölf oder fünfzehn im Jahre 1945 eingelieferte amerikanische Fallschirmabspringer.

Sehen Sie das Dokument durch und erklären Sie dem Gericht, ob Sie diesen Befehl erteilt haben, ob Sie für die Erteilung des Befehls zuständig waren.

KALTENBRUNNER: Ja, Sie haben mit mir dasselbe Dokument noch gestern besprochen. Es ist mir daher bekannt. Ich erkläre, daß ich von diesem Vorgang und von dieser Befehlsgebung niemals bis zur Vorlage dieses Dokuments beziehungsweise durch den Inhalt im Untersuchungsverhör Kenntnis hatte.

DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen Ziereis bekannt?

KALTENBRUNNER: Ich habe, wie ich schon einmal erklärte, niemals Befugnis gehabt, einen sogenannten Exekutionsbefehl, das heißt ein Todesurteil, selbständig zu unterzeichnen. Eine diesbezügliche Befugnis hat im ganzen Reich, außer Hitler, nur Himmler und der Reichsjustizminister gehabt.

DR. KAUFFMANN: Dazu will ich ergänzend bemerken, daß die Anklage auch Exekutionsbefehle vorgelegt hat, die mit der Unterschrift Müller versehen sind. Wollen Sie dazu etwas sagen?

KALTENBRUNNER: Wenn ein Exekutionsbefehl die Unterschrift Müller getragen hat, so kann er sich damit nur auf einen Befehl Himmlers gestützt haben, oder auf ein vorliegendes Gerichtsurteil.

DR. KAUFFMANN: Es ist naheliegend, zu sagen, daß, wenn selbst Müller die Befugnis zu Exekutionsbefehlen hatte Sie diese Befugnis im besonderen Maße hätten haben müssen. Stimmt das?

KALTENBRUNNER: Nein, das stimmt deshalb nicht, weil Himmler mir niemals solche Befugnisse erteilt hat; noch die Konstruktion des Gesamtunterstellungsverhältnisses: Staatspolizei bleibt unter Himmler seit Heydrichs Tod, auch nach meinem Amtsantritt, und er hätte dem widersprochen.

DR. KAUFFMANN: Dieser in diesem Dokument erwähnte Vorgang ist von solcher Bedeutung, zumal es sich um ausländische Fallschirmabspringer handelt, daß man zunächst davon ausgehen müßte, es wäre in den hohen Stellen in Berlin, ja also auch im Reichssicherheitshauptamt, bekanntgeworden. Erhielten Sie später keine Kenntnis von der Angelegenheit?

KALTENBRUNNER: Dazu will ich noch ergänzend sagen: Der Vorgang ist bestimmt nicht zu meiner Kenntnis gelangt.

VORSITZENDER: Sind Sie mit Dokument L-51 fertig?

DR. KAUFFMANN: Ich bin jetzt noch beim Dokument L-51, verlasse aber das Dokument gleich.

VORSITZENDER: Sollten Sie ihn nicht auf einen besonderen Vorfall am Ende des Dokuments verweisen, wo es heißt:

»In Verbindung mit der amerikanischen Militärkommission, die hinter der deutschen Hauptkampflinie im slowakischen oder ungarischen Gebiet im Januar 1945 abgesetzt wurde.«

Es heißt dann weiter, ich glaube der Adjutant des Lagers sagte:

»Jetzt hat Kaltenbrunner die Exekution genehmigt. Das Schreiben war geheim und trug die Unterschrift: Kaltenbrunner.«

Ich glaube, Sie sollten ihm das vorhalten.

DR. KAUFFMANN: Ja, gewiß. Er kennt das Dokument. Ich glaube, er kennt jedes einzelne Wort des Dokuments, aber ich will es ihm noch einmal vorlegen. Es heißt hier:

»Ich schätze die Zahl der Eingelieferten auf zwölf bis fünfzehn Mann. Sie trugen eine Uniform, die amerikanisch oder kanadisch war: Braungrüne Farbe und Bluse und Tuchmütze. Acht bis zehn Tage nach der Ankunft kam der Exekutionsbefehl in Form eines Funkspruches oder eines Fernschreibens. Standartenführer Ziereis« – das ist der Lagerkommandant – »kam zu mir ins Dienst zimmer und sagte: Jetzt hat Kaltenbrunner die Exekution genehmigt. Das Schreiben war geheim und trug die Unterschrift: gez. Kaltenbrunner.

Diese Leute wurden dann standrechtlich erschossen und die Effekten mir durch Oberscharführer Niedermayer übergeben.«

Wollen Sie noch einmal ganz kurz hierzu Stellung nehmen?

KALTENBRUNNER: Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß dieser Vorgang jemals zu meiner Kenntnis oder mit meiner Mitwirkung geschehen sein kann. Es handelt sich hier nicht um ein Verbrechen gegen das Kriegsrecht schlechthin, sondern vor allem um eine Aktion, die die allergrößten außenpolitischen Konsequenzen nach sich ziehen konnte oder mußte.

Ja, in einem solchen Vorgang ist es ausgeschlossen, daß Müller oder selbst ich als Vorgesetzter Müllers gehandelt hätte; in einem solchen Fall müssen unbedingt vorherige eingehende Aussprachen zwischen Himmler selbst und dem Führer stattgefunden haben.

Es ist dann anzunehmen, daß unbedingt irgend jemand, etwa die zuständige Völkerrechtsabteilung, gehört worden wäre, und daß ein solcher Vorgang dann selbstverständlich eine Führerentscheidung oder eine Himmler-Entscheidung, auf jeden Fall ein Befehl einer dieser beiden Persönlichkeiten gewesen wäre. Aber auch das ist mir nicht bekanntgeworden.

Wenn es daher dieser Zutter hier wiedergibt, daß der Befehl meinen Namen getragen hat, so kann es sich nur um einen Befehl gehandelt haben, der, wie vorhin geschildert, meinen Namen zu Unrecht getragen hat, weil ich niemals eine Befugnis zur Erteilung eines Exekutionsbefehls hatte. Er hätte daher die Unterschrift »Himmler« oder »Im Auftrage Himmlers: Müller« haben müssen.

DR. KAUFFMANN: Sie führen also diese Unterschrift auch auf einen Mißbrauch zurück?

KALTENBRUNNER: Nein, sondern ich glaube, daß es sich hier überhaupt nicht um meine Unterschrift gehandelt haben kann, sondern hier Ziereis »Himmler« zu sagen gehabt hätte. Es ist nicht anzunehmen, daß Müller in seinem oder mit meinem Namen so gezeichnet hätte.

DR. KAUFFMANN: Wir kommen jetzt auf ein anderes Gebiet. Es ist dies eine Urkunde, Dokument 1063 (b)-PS, US-492. Es handelt sich um einen Brief des Reichssicherheitshauptamtes vom 26. Juli 1943 mit der Unterschrift: »gez.: Dr. Kaltenbrunner«. Der Brief ist gerichtet an alle Höheren SS- und Polizeiführer und betrifft die Errichtung von Arbeitserziehungslagern. Sehen Sie sich diesen Brief an. Die Anklage macht Ihnen die Errichtung von Arbeitserziehungslagern zum Vorwurf. Erklären Sie, wie Sie sachlich dazu standen, und ob der Brief von Ihnen herrührt.

KALTENBRUNNER: Hierzu muß ich folgendes erklären. Aus dem Umstande, daß mein Name hier mit Maschinenschrift eingezeichnet steht, schließe ich, daß dieser Befehl mir vor seinem Ausgang nicht gezeigt worden ist, sonst hätte ich ja eigenhändig unterschrieben.

DR. KAUFFMANN: Ist Ihnen ein Befehl Himmlers bekannt?

KALTENBRUNNER: Es ist mir aber, soweit ich mich erinnere, nachträglich zur Kenntnis gekommen.

DR. KAUFFMANN: Was versteht man unter »Arbeitserziehungslagern«? Sind diese identisch mit Konzentrationslagern?

KALTENBRUNNER: Nein, die Arbeitserziehungslager waren Lager, in denen Männer waren, die ihrer Arbeitsdienstpflicht, wenn sie Deutsche gewesen sind, nicht nachgekommen sind, und zwar trotz wiederholter Warnung. Oder ausländische Arbeiter, die ohne Bewilligung ihren Arbeitsplatz verlassen hatten und wieder ergriffen waren, oder Arbeiter, die bei irgendwelchen Razzien auf Eisenbahn, Bahnhöfen, auf Landstraßen ergriffen wurden und in keinem ständigen Arbeitsverhältnis gestanden hatten. Die Haft in solchen Arbeitserziehungslagern war vorgesehen auf die Dauer von vierzehn Tagen bis zu sechsundfünfzig Tagen.

DR. KAUFFMANN: In diesem Schreiben heißt es, daß diese Arbeitserziehungslager verwaltungsmäßig und befehlsmäßig den Staatspolizeistellen unterstehen, ferner den Kommandeuren der Sicherheitspolizei und des SD. Haben Sie hiervon Kenntnis gehabt?

KALTENBRUNNER: An sich war ein sogenannter Arbeitsvertragsbruch im Reich oder die Verletzung der notwendigen Arbeitspflicht eines deutschen Staatsbürgers ein Delikt, welches ebensogut hätte von den Gerichten geahndet werden können. Einschlägige Strafgesetzbestimmungen hierzu hat es gegeben, es wäre aber angesichts der ungeheuren, im gesamten Reich eingesetzten Anzahl von Arbeitskräften, und zwar nicht nur der inländischen vielleicht fünfzehn oder zwanzig Millionen Menschen betragenden Zahl, auch der acht Millionen ausländischen Arbeitskräfte, unmöglich gewesen, in Hunderttausenden von Fällen von Arbeitsbummelei, von Arbeitsvertragsbruch, von böswilligem Verlassen des Arbeitsplatzes und so fort. Hunderttausende von Verfahren bei Gerichten anhängig zu machen. Auch haben selbstverständlich die Polizeidienststellen keinerlei Gefängnisvorrichtungen gehabt, die ausreichend gewesen wären, solche Fälle kurzfristig zu bestrafen. Aus diesem Grunde ist am Sitze der Staatspolizei oder Kriminalpolizeidienststelle ein solches Arbeitserziehungslager eingerichtet worden.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie also grundsätzlich die Errichtung von Arbeitserziehungslagern gebilligt?

KALTENBRUNNER: Die Errichtung von Arbeitserziehungslagern habe ich grundsätzlich gebilligt. Ich habe zwar bei diesem Befehl selbst nicht mitgewirkt. Ich habe ihn aber nachträglich zur Kenntnis bekommen und habe ihn, angesichts der damaligen im Reich herrschenden Zustände, der Not am Arbeitsmarkt, für richtig gehalten.

DR. KAUFFMANN: Hatten Sie eine Kenntnis über die Behandlung der Häftlinge, auf welche Dauer sich die Unterbringung in die Arbeitserziehungslager bezog, wie die Verpflegung war, wie ihre Beschäftigung war?

KALTENBRUNNER: Es war, wie ich schon sagte, in Arbeitserziehungslagern gedacht, daß eine Haft von allerhöchstens sechsundfünfzig Tagen verhängt werden könne. Dieses, glaube ich, war aber auch nur möglich, nachdem der Mann drei einschlägige Vorstrafen hatte. Normalerweise hat sich die Einweisung in Arbeitserziehungslager...

VORSITZENDER: Die Ihnen gestellte Frage lautete, ob Sie die Verhältnisse in den Lagern kannten? Sie beantworten die Frage überhaupt nicht.

DR. KAUFFMANN: Kommen Sie jetzt auf die Antwort.

KALTENBRUNNER: Ich glaube, Sie hatten mich gefragt...

DR. KAUFFMANN:...ob Sie Kenntnis hatten über die Behandlung, Verpflegung und Beschäftigung der Häftlinge innerhalb der Arbeitserziehungslager?

KALTENBRUNNER: Ich wußte nur, daß die Arbeitserziehungslager die Aufgabe hatten, im öffentlichen Arbeitseinsatz tätig zu werden, also öffentliche Bauwerke, wie Straßen, Bahnerhaltung und in erster Linie Schäden aus Luftangriffen zu beseitigen. Bei dieser Beschäftigung sind auch Häftlinge von Arbeitserziehungslagern von der ganzen Bevölkerung gesehen worden, so daß der Eindruck, den diese Häftlinge gemacht haben...

VORSITZENDER: Sie haben die Frage immer noch nicht beantwortet.

DR. KAUFFMANN: Ich habe drei bestimmte Fragen vorgelegt: Die Kenntnis über die Behandlung, Kenntnis über die Verpflegung und die Kenntnis über die Beschäftigung. Haben Sie diese Kenntnis gehabt, ja oder nein?

KALTENBRUNNER: Ich habe erklärt, hinsichtlich der Beschäftigung...

DR. KAUFFMANN: Haben Sie Kenntnis gehabt?

KALTENBRUNNER: Ja, ich habe Kenntnis gehabt, die anderen Dinge habe ich mit eigenem Augenschein nicht gekannt.

DR. KAUFFMANN: Wurde Ihnen einmal von Beamten des Amtes IV hierüber Bericht erstattet?

KALTENBRUNNER: Nicht von Beamten des Amtes IV. Aber wiederholt ist im innenpolitischen Nachrichtendienst natürlich auch über dieses Problem gesprochen worden, und zwar über den Einsatz solcher Arbeitskräfte für Notstandsarbeiten.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie sich nicht veranlaßt gesehen, einzuschreiten?

KALTENBRUNNER: Gegen die Arbeitserziehungslager als Mißbrauch hatte ich keinen Anlaß einzuschreiten, weil der Mißbrauch mit den Lagerhäftlingen selbst nicht bekanntgeworden ist.

DR. KAUFFMANN: Ich komme nun zu einem weiteren Dokument, 2542-PS, US-489. Es ist dies eine Erklärung, eidesstattliche Erklärung des Lindow, der bekundet, daß bis Anfang 1943 auf Befehl Himmlers sowjetrussische politische Kommissare und jüdische Soldaten aus den Kriegsgefangenenlagern ausgesondert und zur Erschießung überführt worden seien in ein Konzentrationslager. Er bekundet weiter, daß der Amtschef IV, Müller, den Exekutionsbefehl unterzeichnet hat. Wenn der Gerichtshof wünscht, lese ich einige Sätze aus diesem Dokument vor. Welche Erklärung geben Sie zu diesem Dokument ab?

KALTENBRUNNER: Mir ist dieser Befehl Himmlers nicht bekanntgewesen, und ich darf wohl darauf verweisen, daß er in den Jahren 1941 bis 1943 durchgeführt worden ist, also jedenfalls zum größten Teil zu der Zeit, wo ich nicht in Berlin gewesen bin.

DR. KAUFFMANN: Ich verlese einen besonders belastenden Absatz: Absatz 4. Sie wollen dazu Stellung nehmen und erklären, ob auch dieser Bericht über diese Tatsachen sich auf die Zeit nach 1943 bezieht oder vorher, oder was Sie über diese Zeit sagen können.

KALTENBRUNNER: Ich kenne diese Stelle.

DR. KAUFFMANN:

»In den Kriegsgefangenenlagern der Ostfront bestanden kleinere Einsatzkommandos, die von Angehörigen der Geheimen Staatspolizei (Unterbeamten) geleitet wurden. Diese Kommandos waren dem Lagerkommandan ten zugeteilt und hatten die Aufgabe, die Kriegsgefangenen, die für eine Exekution, gemäß den ergangenen Befehlen, in Frage kamen, auszusondern und dem Geheimen Staatspolizeiamt zu melden.«

KALTENBRUNNER: Mir ist von diesen...

DR. KAUFFMANN: Einen Augenblick! Im Absatz 2 verlese ich noch den letzten Absatz:

»Die betreffenden Kriegsgefangenen wurden vorerst formell entlassen, dann in ein Konzentrationslager zur Exekution überführt.«

Welche Kenntnis, frage ich, haben Sie von diesen Tatsachen?

KALTENBRUNNER: Ich habe von diesen Tatsachen keine Kenntnis. Es ist auch ausgeschlossen, daß ich davon Kenntnis hätte erhalten können, von Befehlen, die im Jahre 1941 erlassen worden waren, und die sich, wie hier dieser Zeuge sagt, bis Mitte 1943 noch praktisch erstreckt hatten; es ist ausgeschlossen, daß ich solche Befehle jemals noch rechtzeitig, um sie vielleicht auch noch in den letzten Tagen ihrer Wirksamkeit abzustoppen...

DR. KAUFFMANN: Aber an sich ist nicht zu bestreiten, daß innerhalb des Reichssicherheitshauptamtes ein Referat IV A 1 bestand, also der Geheimen Staatspolizei unterstand, daß dieses Referat von 1941 bis Mitte 1943 ausgeübt wurde, und daß dieses Referat derartige Befehle durchgeführt hat. Nun liegt es nahe, anzunehmen, daß auch Sie über diese außerordentlich einschneidende, human unmögliche und völkerrechtlich verbotene Sachlage orientiert gewesen waren?

KALTENBRUNNER: Ich bin davon nicht unterrichtet worden.

DR. KAUFFMANN: Ich will nun den Komplex der Konzentrationslager behandeln und die Verantwortung des Angeklagten auf diesem Gebiet.

VORSITZENDER: Wir vertagen nunmehr die Verhandlung.