[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Nachmittagssitzung.
MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Dr. Kauffmann hat uns mitgeteilt, daß er in der Lage ist, zwei Gegenfragebogen zu verlesen, die wir vorzulegen beabsichtigen, und zwar die Gegenfragebogen von Dr. Rudolf Mildner und Dr. Höttl. Ich habe Dr. Kauffmann gesagt, daß es, um den Angeklagten Kaltenbrunner nicht zu beunruhigen, angebracht wäre, diese noch vor Beendigung seines Kreuzverhörs zu verlesen.
VORSITZENDER: Sind Sie auch der Ansicht, daß es besser wäre, diese Gegenfragebogen jetzt zu verlesen, so daß der Angeklagte alle Punkte erläutern kann, auf die er einzugehen wünscht?
DR. KAUFFMANN: Jawohl, dann kann es jetzt vorgelesen werden.
OBERST JOHN HARLAN AMEN, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Als erstes, Hoher Gerichtshof, die eidesstattliche Erklärung von Dr. Rudolf Mildner:
»Ich, der unterzeichnete Dr. Rudolf Mildner, gab die folgende eidesstattliche Erklärung als Antwort auf Kreuzverhöre durch Vertreter des Office of United States Chief of Counsel, betreffs meine eidesstattliche Erklärung vom 29. März 1946, die abgegeben wurde als Antwort auf Fragen von Dr. Kauffmann, zur Vorlage beim Internationalen Militärgerichtshof:
Frage Nummer 1: Bestätigen oder korrigieren Sie die folgenden biographischen Daten:
Antwort: Im Dezember 1939 wurde ich Chef der Chemnitzer Gestapo.
Im März 1941 wurde ich Chef der Kattowitzer Gestapo.
Im September 1943 wurde ich Befehlshaber der Sipo und des SD in Kopenhagen.
Im Januar 1944 wurde ich Inspekteur der Sipo und des SD in Kassel.
Am 15. März 1944 wurde ich zum stellvertretenden Gruppenleiter IV A und IV B des RSHA ernannt.
Im Dezember 1944 wurde ich stellvertretender Inspekteur der Sipo und SD in Wien.
Im Dezember 1944 wurde ich Kommandeur der Sipo in Wien.
Alle diese Ernennungen nach dem Januar 1943 wurden von Kaltenbrunner gemacht als Chef der Sicherheitspolizei und des SD.
Frage Nummer 2: Stimmt es nicht, daß Sie, während Sie Gestapoführer in Kattowitz waren, Sie oft Gefangene nach Auschwitz gesandt haben zur Einsperrung und Exekution; daß Sie Verbindung mit der politischen Abteilung in Auschwitz hatten, während der Zeit, als Sie Gestapochef in Kattowitz waren, betr. Insassen, die aus dem Kattowitzer Gebiet verschickt waren; daß Sie Auschwitz mehrere Male besucht haben; daß das Gestapo-›SS-Standgericht‹ oft in Auschwitz zusammentrat und daß Sie einige Male bei dem Verfahren gegen die Gefangenen anwesend waren; daß im Jahre 1942 und nochmals im Jahre 1943 der Kommandant von Auschwitz Ihnen auf Befehl von Gruppenführer Müller, dem Chef der Gestapo, Vernichtungseinrichtungen zeigte; daß Ihnen die Vernichtungseinrichtungen in Auschwitz bekannt waren, da Sie Juden aus Ihrem Gebiet nach Auschwitz zur Exekution zu schicken hatten?
Antwort: Jawohl, dies sind wahre Aussagen von Tatsachen.
Frage Nummer 3: Betr. Ihre Antwort zu Frage Nummer 5 in Ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 29. März 1946. Kamen alle Befehle für Hafteinlieferung in die Konzentrationslager, Bestrafung und einzelne Hinrichtungen in ihnen vom RSHA? War der regelmäßige Dienstweg für einzelne Hinrichtungsbefehle von Himmler durch Kaltenbrunner an Müller und dann zu dem Kommandanten des Konzentrationslagers? Hatte das WVHA die Überwachung aller Konzentrationslager, soweit es die Verwaltung, den Arbeitseinsatz und die Aufrechterhaltung der Disziplin angeht?
Antwort: Die Antwort ist ja zu jeder der drei Fragen.
Frage Nummer 3a: Stimmt es, daß Besprechungen zwischen SS-Obergruppenführer Kaltenbrunner und SS- Obergruppenführer Pohl, Chef des WVHA und Chef der Konzentrationslager stattgefunden haben? Und waren Dr. Kaltenbrunner Zustände in den Konzentrationslagern bekannt?
Antwort: Ja, und auf Grund dieser Besprechungen und anläßlich von Aussprachen mit den beiden Amtschefs Gruppenführer Müller IV und Gruppenführer Nebe, RSHA, mußten dem Chef der Sipo und SD, SS-Obergruppenführer Dr. Kaltenbrunner die Zustände in den Konzentrationslagern bekannt sein.
Daß regelmäßige Besprechungen zwischen dem RSHA und dem WVHA, Amtsgruppe D stattfanden, erfuhr ich von SS-Gruppenführer Müller, Amtschef IV.
Frage Nummer 4: Ist es nicht eine Tatsache, daß im Juli oder August 1944 ein Befehl an die Kommandeure und Inspekteure der Sipo und des SD von Himmler durch Kaltenbrunner als Chef der Sipo und des SD herausgegeben wurde, wonach Mitglieder aller anglo-amerikanischen Kommandogruppen der Sipo von der Wehrmacht übergeben werden sollten; daß die Sipo diese Männer verhören und nach Befragung erschießen sollte, daß das Töten der Wehrmacht bekanntgegeben werden sollte durch ein Kommuniqué, das besagte, daß die Kommandogruppe im Kampf niedergemacht worden und daß dieser Erlaß als Geheime Kommandosache bezeichnet sei und sofort nach Lesen zu zerstören sei?
Antwort: Ja.
Frage Nummer 5: Betr. Ihre Antwort auf Frage Nummer 7 Ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 29. März 1946; stimmt es nicht, daß:
a) nachdem Sie ein Telegramm an Müller geschickt haben mit dem Ersuchen, daß die Verfolgung der Juden aufhören sollte, Sie einen Befehl von Himmler empfangen haben, daß die Judenaktionen ausgeführt werden sollten;
b) daß Sie nach Berlin flogen, um persönlich mit dem Chef der Sipo und des SD Kaltenbrunner zu spre chen, aber da er abwesend war, Sie seinen Stellvertreter Müller, Chef des Amtes IV des RSHA sahen, der in Ihrer Gegenwart eine Botschaft an Himmler schrieb, die Ihr Ersuchen enthielt, daß die Judenverfolgungen in Dänemark aufhören sollten?
c) daß kurz nach Ihrer Rückkehr nach Kopenhagen Sie einen direkten Befehl von Himmler empfangen haben, der durch Kaltenbrunner als Chef der Sipo und des SD kam und der besagte, daß ›die Antijudenaktionen sofort anfangen sollen‹;
d) daß, um diese Aktion auszuführen, das ›Sonderkommando Eichmann‹, das der Gestapo unterstand, von Berlin nach Kopenhagen geschickt wurde, um die Juden in zwei Schiffen, die das genannte Kommando requiriert hatte, abzutransportieren?
Antwort: Ja, auf jede Frage a), b), c) und d).
Frage Nummer 6: Ist es nicht eine Tatsache, daß die Aktion des ›Sonderkommandos Eichmann‹ nicht erfolgreich war; daß Müller Ihnen befahl, einen Bericht abzufassen, um die Ursache für die Erfolglosigkeit der Judendeportationen zu erklären; und daß Sie diesen Bericht direkt an den Chef der Sipo und des SD Kaltenbrunner sandten?
Antwort: Jawohl, das stimmt. Ich habe die obigen Fragen und Antworten gelesen, so, wie sie dort geschrieben sind und schwöre, daß die Aussagen wahr und richtig sind,« – und so weiter.
Und nun, Hoher Gerichtshof, komme ich zum Gegenfragebogen von Wilhelm Höttl.
VORSITZENDER: