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[zum Zeugen gewandt]

Sie haben sich die Worte nicht angesehen. Er wurde gefragt: »Was der regelmäßige Dienstweg...« Die Frage lautet: »War der regelmäßige Dienstweg für einen Befehl von Himmler an Sie und dann zu Müller?«

KALTENBRUNNER: Euer Lordschaft! Ich habe die Frage schon einmal erklärt, wie die Zuständigkeit von Himmler selbst geregelt worden ist. Vergegenwärtigen Sie sich den Zeitpunkt Juni 1942, Heydrichs Tod. Von diesem Tage an – schriftlicher Befehl, auch in der Öffentlichkeit verlautbart – führt Himmler das gesamte Reichssicherheitshauptamt in Übernahme aller Aufgabengebiete Heydrichs an sich persönlich. Im letzten Januar 1943 meine Bestellung zum Chef des RSHA, nachdem festgestellt wurde, daß exekutive Tätigkeit und Zuständigkeit der Ämter Staatspolizei und Kriminalpolizei bei Himmler bleiben und sich daran nichts ändert, und diese Amtschefs IV und V, also Müller und Nebe, weiterhin seiner direkten Befehlsgebung unterstehen. Aus diesem Grunde ist ein Organisationsschema, das zu Heydrichs Zeiten bestanden hat, zu meiner Zeit für die Ämter IV und V nicht gültig gewesen.

DR. KAUFFMANN: Nun zur Frage 3a. Da heißt es: »Und waren Dr. Kaltenbrunner die Zustände in den Konzentrationslagern bekannt?«

Es ist auch hier nicht erläutert, was unter »Zuständen« in den KZ zu verstehen ist, es aber wohl dahin zu interpretieren ist, daß die den von dem Zeugen bekundeten Zustände gemeint sein sollen.

Der Zeuge antwortet mit Ja.

KALTENBRUNNER: Herr Dr. Kauffmann! Sie übersehen hier einen ungeheuer wichtigen Satz, den letzten Satz der Frage 3. Hier tragt die Staatsanwaltschaft: »Hatte das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt die Überwachung aller Konzentrationslager, soweit es die Verwaltung, den Arbeitseinsatz und Aufrechterhaltung der Disziplin angeht?« Dieser Satz ist enorm wichtig, und zwar aus folgenden Gründen, weil damit die Anklagebehörde die gesamte Schuld für Menschenlebenvernichtung aus dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt herüberziehen will in die Sphäre und Zuständigkeit des RSHA, und wenn der Hohe Gerichtshof aber die Wahrheit finden will...

VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte! Das ist wieder eine lange Argumentierung. Die einzige Frage, die nach meiner Ansicht in Bezug auf Frage 3a entstehen könnte, ist: Haben Besprechungen stattgefunden zwischen Kaltenbrunner, Pohl und dem Chef der Konzentrationslager? Wenn er sagt, daß sie nicht stattgefunden haben, ist das eine Antwort zum Affidavit.

DR. KAUFFMANN: Ja, das war nicht die Frage, das ist auch meine Auffassung.

[Zum Zeugen gewandt:]

Antworten Sie bitte mit Ja oder Nein auf die eben an Sie gestellte Frage. Haben derartige Besprechungen mit Pohl, Müller und Ihnen stattgefunden?

KALTENBRUNNER: Ich habe mit Pohl und Müller nie Besprechungen abgehalten. Ich habe halbjährliche Besprechungen mit Pohl haben müssen, weil Pohl als Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der Finanzminister der gesamten SS und Polizei gewesen ist, und mein gesamter Nachrichtendienst alle Mittel aus der Hand Pohls zu empfangen hatte, soweit sie nicht vom Reichsfinanzminister als Personalmittel zur Verfügung gestellt wurden.

DR. KAUFFMANN: Jetzt, bitte beantworten Sie mir noch eine weitere Frage: Die Verwaltung der Konzentrationslager, die Verpflegung und Behandlung, wem unterstanden diese Dinge?

KALTENBRUNNER: Die gesamten Zuständigkeiten im Konzentrationslager von dem Augenblicke, an welchem ein Häftling die Schwelle des Konzentrationslagers überschritten hat, bis zu seiner Entlassung, oder bis zu seinem Tod im Konzentrationslager, oder im dritten Fall, bis zum Kriegsende, bei welchem er befreit wurde, ist ausschließlich in der Zuständigkeit des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes gelegen gewesen.

DR. KAUFFMANN: Nun eine weitere Frage, zur völligen Klarstellung. Ich gehe davon aus, daß diese Dinge ausschließlich diesem besonderen Hauptamt unterstanden, die nichts mit dem RSHA zu tun hatten. Aber es ist doch wohl richtig, daß erst auf Grund der Tätigkeit der Geheimen Staatspolizei durch Ausstellung von Schutzhaftbefehlen die Einlieferung in diese Lager erfolgen konnte. Ich will nur einmal klar diese Abgrenzung herausstellen, ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Es ist gar kein Zweifel, das ist richtig, und zwar hinsichtlich der Einzeleinweisungen auf Grund der einzelnen Schutzhaftbefehle mit dieser, ich gebe es zu und habe es auch heute schon ausgeführt, zum Teil sogar rechtswidrigen Begründung. In der Masse sind aber die Einweisungen nicht durch das Reichssicherheitshauptamt, sondern die Einweisungen sind aus den besetzten Gebieten erfolgt, und von dort kamen zum Beispiel die großen Transporte, wie sie Fichte im ersten Dokument genannt hat.

DR. KAUFFMANN: Aber es sind doch dann zweifellos die Stellen, die mit der Einweisung beschäftigt waren, Staatspolizeistellen oder Staatspolizeileitstellen.

KALTENBRUNNER: Keineswegs allein.

DR. KAUFFMANN: Aber Sie waren mit daran beteiligt?

KALTENBRUNNER: Nein, nicht allein. Eine Art der Einlieferung war der Schutzhaftbefehl der Staatspolizei, eine andere Art war der Schutzhaftbefehl der Kriminalpolizei, oder der Gerichte.

DR. KAUFFMANN: Nun, eine weitere Erklärung. Wollen Sie bitte eine Erklärung abgeben zu der Frage 5, die Aktion in Dänemark.

VORSITZENDER: Haben Sie sich mit Frage 4 schon belaßt?

DR. KAUFFMANN: Noch nicht, Herr Präsident.

Frage 4: Ob es nicht eine Tatsache ist, daß im Juli oder August 1944 ein Befehl an die Kommandeure von Himmler durch Kaltenbrunner, als Chef, herausgegeben worden sei, wonach Mitglieder aller anglo- amerikanischen Kommandotruppen der Sipo von der Wehrmacht übergeben werden sollten.

Herr Präsident! Diese Frage wollte ich bei anderer Gelegenheit eingehend behandeln an Hand von Dokumenten, aber ich kann sie auch jetzt hier schon behandeln.

VORSITZENDER: Es ist mir ganz gleich, wie Sie es machen wollen. Ich dachte nur, daß Sie jetzt das ganze Dokument besprechen.

KALTENBRUNNER: Ich darf sie vielleicht jetzt gleich beantworten, Hohes Gericht.

Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Die Staatsanwaltschaft selbst hat durch ein Dokument in ganz anderer Form die Behauptung aufgestellt, die Staatspolizei habe sich schuldig gemacht, indem sie diesen Tatbestand gesetzt hat. In diesem Dokument sagt die Staatsanwaltschaft selbst, daß es von Müller erlassen sei; hier wird aber dem Zeugen gesagt: von Himmler durch Kaltenbrunner als Chef der Sicherheitspolizei und des SD herausgegeben. Das Dokument ist, soweit mir erinnerlich ist – die Nummer habe ich nicht im Kopf –, unterschrieben mit Müller.

DR. KAUFFMANN: Ich will Ihnen dieses Dokument vorlegen. Es ist das Dokument 1650-PS und US 246.

VORSITZENDER: Nicht 1625-PS?

DR. KAUFFMANN: 1650, US-246.

Das Dokument ist überschrieben:

»Geheime Staatspolizei-Staatspolizeistelle Köln. Außendienststelle Aachen; 4. März 1944 Fernschreiben... Geheime Reichssache...

Betrifft: Maßnahmen gegen wiederergriffene flüchtige kriegsgefangene Offiziere und nichtarbeitende Unteroffiziere mit Ausnahme britischer und amerikanischer Kriegsgefangener.«

VORSITZENDER: Das hat bestimmt nichts damit zu tun. Dieses Dokument ist vom März 1944, und das Dokument, auf das sich diese Frage bezieht, ist vom Juli oder August 1944.

DR. KAUFFMANN: Ich kann nichts hören.

VORSITZENDER: Das Dokument, auf das Sie sich beziehen, ist ein Dokument vom März 1944. Die Frage Nummer 4 bezieht sich auf ein Dokument vom Juli oder August 1944.

DR. KAUFFMANN: Juli oder August 1944? Ich habe kein solches Dokument, meine Herren. Vielleicht kann der Angeklagte jetzt erklären, ob ein solcher Befehl Himmlers bestand, und ob ein solcher Befehl Himmlers durch ihn weitergegeben worden ist. Ja oder nein?

KALTENBRUNNER: Ich habe vom Bestehen eines solchen Befehls hier zum erstenmal gehört, und ich glaube, es ist auf einen Irrtum der Anklagebehörde zurückzuführen, daß die Frage an Mildner »Juli oder August« lautet. Ich glaube, daß die Anklagebehörde das Dokument vom 4. März 1944 meint.

DR. KAUFFMANN: Sie sagen also, dieser Befehl vom Juli ist Ihnen nicht bekannt?

KALTENBRUNNER: Dieser Befehl ist mir weder bekannt gewesen noch in meiner Amtszeit bekanntgeworden.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann, es ist vollkommen klar, daß das Dokument, auf das Sie sich beziehen, gar nichts mit dieser Frage zu tun hat, weil dieses Dokument vom März sich auf Maßnahmen bezieht, die gegen wiederergriffene flüchtige kriegsgefangene Offiziere und Unteroffiziere mit Ausnahme amerikanischer und britischer Kriegsgefangener getroffen wurden.

DR. KAUFFMANN: Ein solches Dokument vom Juli/August 1944 habe ich nicht.

VORSITZENDER: Ich weiß nicht, ob es überhaupt ein Dokument vom Juli oder August 1944 gibt. Ich sage nur, daß das Dokument, das Sie dem Zeugen jetzt vorlegen, vom März 1944, nicht das Dokument sein kann, auf das sich die Frage Nummer 4 bezieht, da es sich mit einem ganz anderen Tatbestand befaßt.

DR. KAUFFMANN: Ja, das ist richtig, Herr Präsident. Ich glaube, ich kann es aufklären. Ich vermute, daß diese Bekundung des Zeugen auf den sogenannten Kommandobefehl Hitlers vom 18. Oktober 1942 zurückgeht, und das hier eine Auswirkung dieses Befehls aus dem Jahre 1942 ist. So wird es sein.

VORSITZENDER: Oberst Amen! Können Sie uns sagen, ob die Anklagevertretung sich auf ein Dokument vom März 1944 oder auf ein Dokument vom Juli oder August 1942 bezogen hat, als diese Frage gestellt wurde?

OBERST AMEN: Herr Vorsitzender! Wir haben uns auf keines der Dokumente bezogen, die der Zeuge erwähnt, aber inzwischen haben wir durch ein anderes Dokument, das, glaube ich, jetzt hier vorliegt, die Bestätigung erhalten, und zwar bezieht es sich auf das gleiche Dokument oder ein Dokument gleichen Datums. Der Zeuge hatte den Eindruck, daß das Dokument zerstört wurde, nachdem es gelesen worden war. Daß aber ein derartiger Befehl bestanden hat, geht aus einem anderen Dokument hervor, das wir jetzt hier haben und das dem Gerichtshof überhaupt noch nicht vorgelegt wurde. Mit anderen Worten, dieses Dokument ist in erster Linie vom Zeugen selbst gebracht worden.

VORSITZENDER: Hat das Dokument vom März 1944, auf das sich Dr. Kauffmann bezog, etwas damit zu tun?

OBERST AMEN: Dies ist nicht das fragliche Dokument und hat überhaupt nichts damit zu tun.

DR. KAUFFMANN: Dann darf ich zur nächsten Frage übergehen?

VORSITZENDER: Ja.

DR. KAUFFMANN: Es handelt sich um die Judenverfolgung in Dänemark. Wollen Sie dazu eine Erklärung abgeben?

KALTENBRUNNER: Die Erklärung in dem Affidavit Mildner, das heute früh von Ihnen verlesen worden war, ist allein richtig.

DR. KAUFFMANN: Ist das Ihre Erklärung?

KALTENBRUNNER: Ich habe mit einer Entfernung von Juden aus Dänemark niemals irgend etwas zu tun gehabt. Ein solcher Befehl kann nur von Himmler gegeben worden sein und wurde auch als ein direkter Himmler-Befehl von Mildner bestätigt.

DR. KAUFFMANN: Diese Ziffer c der Frage 5 sagt indessen, »daß kurz nach Ihrer Rückkehr von Kopenhagen Sie« – das ist der Zeuge Mildner – »einen direkten Befehl von Himmler empfangen haben, der durch Kaltenbrunner als Chef... kam«

KALTENBRUNNER: Ich habe niemals einen solchen Befehl durch meine Hände gehen lassen und auch niemals einen solchen Befehl von Himmler selbst bekommen. Es ist auch vollkommen unmöglich, weil ja Dänemark seinen eigenen Höheren SS- und Polizeiführer hatte, der als direkter Repräsentant Himmlers an Ort und Stelle ihm unterstand, nicht dem Reichssicherheitshauptamt, und dieser Höhere SS- und Polizeiführer der jeweilige Befehlshaber der Sicherheitspolizei war. Ich konnte ja auch organisatorisch keinen solchen Befehl nach Dänemark geben.

DR. KAUFFMANN: Zur Frage 6, ob es nicht richtig sei, daß die Aktion Eichmann nicht erfolgreich gewesen sei, und daß Müller dem Mildner befohlen habe, einen entsprechenden Bericht abzufassen, daß eben dieser Bericht direkt an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Kaltenbrunner, gesandt worden sei; das hat der Zeuge bejaht. Ist Ihnen ein solcher Bericht aus Dänemark bekannt?

KALTENBRUNNER: Mir ist von diesem Bericht nicht nur nichts bekannt, sondern ich weiß mit Bestimmheit, ich habe ja Himmler nicht einmal, sondern dutzendemal in dieser Frage angesprochen, daß er jeden Bericht Eichmanns unmittelbar erhalten hat, meist sogar, ohne Müller dabei zu beteiligen.

DR. KAUFFMANN: Dann bitte ich, zum Affidavit Höttls überzugehen; da ist, soweit ich es übersehen habe, keine wesentliche Abänderung enthalten gegenüber dem mir abgegebenen Affidavit. Wünscht das Gericht, daß ich hier eine Frage stelle?

Dann komme ich zur Frage 5 b:

»Daß Befehle von Einlieferung in Konzentrationslager und Freilassung von dort vom Reichssicherheitshauptamt kamen, ist mir bekannt. Daß alle derartigen Befehle vom Reichssicherheitshauptamt stammten, wußte ich nicht. Über Hinrichtungsbefehle durch das Reichssicherheitshauptamt habe ich keine Kenntnis.«

Wie ist hierzu Ihre Stellungnahme?

KALTENBRUNNER: Hinrichtungsbefehle durch das Reichssicherheitshauptamt konnten nur dann gekommen sein, wenn Himmler Müller die Weitergabe dieser Befehle befohlen hatte. Ich glaube aber, daß dies nur in ganz seltenen Fällen der Fall gewesen sein mag, und meistens nur dann, wenn Müller vorher ein Gerichtsurteil Himmler bekanntgemacht hat.

DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Der Angeklagte hat mich vor einigen Minuten gebeten, noch eine Erklärung zu dem besprochenen Dokument 1063-PS abzugeben. Er hatte seine Unterschrift bestritten; ich glaube, er will jetzt sagen, daß diese Unterschrift von ihm stammt. Es ist dies das Dokument des Reichssicherheitshauptamtes vom 26. Juli 1943. Wollen Sie das Dokument?

VORSITZENDER: Dr. Kaufmann, ist es 1063-PS? Haben Sie das Original?

DR. KAUFFMANN: Das Original? Ich habe nur eine Photokopie; das Original habe ich nicht?

VORSITZENDER: Ja, stellen Sie die Fragen.

DR. KAUFFMANN: