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[Das Dokument wird dem Zeugen überreicht.]

VORSITZENDER: Es dürfte Zeit sein, eine Pause von zehn Minuten eintreten zu lassen.

[Pause von 10 Minuten.]

GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es ist gemeldet worden, daß der Angeklagte Göring von dieser Sitzung abwesend sein wird.

DR. KAUFFMANN: Haben Sie das Dokument 1650-PS, US-246, gelesen?

KALTENBRUNNER: Jawohl, ich habe das Dokument gelesen.

DR. KAUFFMANN: Es handelt sich hierbei, wie hervorgehoben, um den berüchtigten sogenannten »Kugel-Erlaß«. Wann haben Sie hiervon erfahren?

KALTENBRUNNER: Ich habe den »Kugel-Befehl« selbst nicht gekannt. Es muß das ein Erlaß gewesen sein, der lange Zeit vor meiner Amtsübernahme herausgegeben wurde. Ich hatte auch dieses mir hier in Fernschreiben-Kopie gegebene Dokument nicht gesehen.

DR. KAUFFMANN: Ich verweise Sie auf die Unterschrift, die lautet: »Müller«.

KALTENBRUNNER: Dazu war der Mann an sich berechtigt, wenn ein solcher Erlaß überhaupt vorgelegen hat. Ich habe aber, das möchte ich hier ergänzend sagen, um die Wende des Jahres 1944/45 vom Verbindungsführer Himmler zu Hitler, namens Fegelein, in einer meiner Meldungsübergaben im Hauptquartier, welches damals, glaube ich, schon in Berlin gewesen ist, den Namen »Kugel-Befehl« gehört, der für mich ein völlig fremder Begriff gewesen ist, weshalb ich ihn fragte, was das sei. Er sagte mir, ein Führerbefehl, mehr wüßte er nicht, sondern nur davon, daß es sich um eine spezielle Art von Kriegsgefangenen handle. Mit dieser Auskunft gab ich mich nicht zufrieden und habe am selben Tage an Himmler fernschriftlich geschrieben, ich bäte ihn um Einsichtnahme in einen Befehl des Führers, der sich »Kugel-Erlaß« nennt. Ich wußte auch damals noch nicht, daß die Staatspolizei mit dem »Kugel-Erlaß« selbst befaßt sei.

Wiederum einige Tage später erschien Müller bei mir im Auftrag Himmlers und gab mir Einsicht in einen Erlaß, der aber nicht von Hitler, sondern von Himmler stammte, und in welchem Himmler erklärte, er gäbe mir einen mündlichen Führerbefehl weiter. Ich habe auf das hin Himmler geantwortet, daß ich in diesem Führererlaß natürlich feststellen müsse, daß die primitivsten Prinzipien der Genfer Konvention gebrochen seien, wenn auch schon zu einer Zeit, die lange vor meiner Tätigkeit und nach Setzung späterer Rechtsbrüche geschehen sei. Ich bäte ihn, dagegen beim Führer vorstellig zu werden und habe diesem Schreiben den Entwurf eines Schreibens Himmlers an Hitler beigelegt, in welchem Himmler den Führer bittet: a) diesen Erlaß aufzuheben, b) auf jeden Fall die nachgeordneten Dienststellen von dieser seelischen Belastung zu entlasten.

DR. KAUFFMANN: Wie war der Erfolg?

KALTENBRUNNER: Der Erfolg war positiv. Es ist zwar nicht der »Kugel-Erlaß« aufgehoben worden und nicht eine Reihe anderer, ebenso bedrückender Befehle, es ist aber insofern positiv gewesen, als mir im Februar 1945 zum ersten Male überhaupt von Hitler die Fühlungnahme mit dem Internationalen Roten Kreuz gestattet wurde, die bis dorthin strengstens verboten gewesen ist.

DR. KAUFFMANN: Ist diese Aktion des Roten Kreuzes durch Sie eingeleitet worden, und bezog sich diese Aktion auf Besichtigung der Konzentrationslager?

KALTENBRUNNER: Hier muß ich sagen ja und nein, denn sie traf sich zeitlich mit dem Ersuchen des Roten Kreuzes seinerseits, und zwar des Präsidenten Burckhardt, auf sofortige und direkte Fühlungnahme. Ich möchte sagen, hier haben sich beide Wege zeitlich begegnet. Ich bitte, mich aber nicht mißzuverstehen. Es haben selbstverständlich außerdem und früher viele Versuche stattgefunden mit dem Roten Kreuz, ich möchte sagen, hinter dem Rücken Hitlers in Fühlung zu kommen, wobei ich zum Beispiel auf die ständige Verbindung des Auswärtigen Amtes verweise.

DR. KAUFFMANN: Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie das an Professor Burckhardt gestellte Ansinnen, die Konzentrationslager zu besuchen, als eine Entlastung für sich selbst anführen?

KALTENBRUNNER: Ja, selbstverständlich, aber ich bitte darüber noch viel ausführlicher und an anderer Stelle sprechen zu dürfen, weil es eigentlich jetzt nicht hineinpaßt.

DR. KAUFFMANN: Die Anklage hat behauptet, während Ihrer Amtszeit seien zwei Konzentrationslager errichtet worden, und zwar neu: Lublin und Herzogenbusch. Haben Sie hierüber irgend etwas erfahren? Wer könnte die Errichtung dieser Konzentrationslager befohlen haben?

KALTENBRUNNER: Über den Zeitpunkt der Errichtung dieser beiden Lager bin ich nicht orientiert. Das eine, Lublin, das andere, Herzogenbusch, unterstehen befehlsmäßig über das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt den Höheren SS- und Polizeiführern der betreffenden besetzten Gebiete, also hatten die Hauptämter in Berlin damit nichts zu tun.

DR. KAUFFMANN: Nun, nur auf die Frage bitte ich mir zu antworten: Ja oder nein. Ist Ihnen das Konzentrationslager Auschwitz als solches bekanntgewesen?

KALTENBRUNNER: Nein, es ist mir erst bekanntgeworden im November 1943.

DR. KAUFFMANN: War Ihnen gleichzeitig mit der Kenntnis der Existenz dieses Konzentrationslagers auch die Bedeutung dieses Lagers bekannt, nämlich als ein ausgesprochenes Vernichtungslager für von Eichmann eingelieferte Juden?

KALTENBRUNNER: Nein, als solches konnte es auch niemandem bekannt sein, da auf die Frage an Himmler, warum dort ein so großes Konzentrationslager errichtet worden sei, er stets die Antwort gegeben hat: wegen der Nähe der großen Rüstungsbetriebe. Ich glaube, er hat dann Witkowitz und andere genannt. Jedenfalls hat er um Auschwitz, das muß besonders gesagt werden, eine derartige dichte Absperrung und Geheimhaltung dieses Lagers und der Vorgänge darin getroffen, daß die Behauptung nicht nur der Angeklagten, sondern jedermann, der hier von den Amerikanern gefragt wird: »Was wissen Sie davon?« und der mit Nein antwortet, als glaubwürdig angenommen werden muß.

DR. KAUFFMANN: Eine der furchtbarsten Ausschreitungen betrifft dieses genannte Lager Auschwitz. Dieses Konzentrationslager stand unter der geistigen Leitung des berüchtigten Eichmann. Nun frage ich Sie: »Wann haben Sie Eichmann kennengelernt?«

KALTENBRUNNER: Ich habe Eichmann kennengelernt in meiner Heimatstadt Linz. Die Anklagebehörde behauptet, und heute in einem Affidavit ist es zu konstruieren versucht worden, ich sei ein Freund oder ein zumindest naher Bekannter Eichmanns gewesen. Dazu möchte ich Ihnen folgendes auf besondere Berufung auf meine Wahrheitspflicht erwidern: Ich habe einen anderen Begriff von naher Bekanntschaft oder gar von Freundschaft. Ich habe von der Existenz Eichmanns in Linz deshalb erfahren, weil sein Vater als Direktor der Elektro-Baugesellschaft in Linz, den mein Vater rechtsfreundlich zu vertreten hatte, bekanntgewesen ist, und er als Sohn seines Vaters im selben Gymnasium wie mein Bruder studierte. Es ist also auch die Behauptung Höttls, zum Beispiel ich hätte ihn in einem SS-Sturm kennengelernt, falsch, denn als ich in die SS gekommen bin, war, wie ich später erfahren habe, Eichmann längst ins Reich geflohen. Zweitens: Ich habe diesen selben Eichmann – die Anklage behauptet es, und es kann auch sein, daß ich ihn 1932 zum ersten Male gesehen habe – in Linz zum zweiten Male gesehen im Februar oder März 1945; habe ihn also dreizehn Jahre nicht gesehen und nach diesem letzten Sehen auch wiederum nicht, so daß ich also aus zwei persönlichen Begegnungen oder Berührungen mit Eichmann wohl den Schluß ziehen darf, daß ich mit ihm weder befreundet noch besonders bekanntgewesen bin. Es ist richtig, daß bei dieser zweiten persönlichen Berührung Eichmann sich an mich herangemacht hat und mir gesagt hat: »Obergruppenführer, Eichmann ist mein Name, ich stamme aus Linz.« Es ist möglich, daß ich ihm darauf gesagt habe: »Freut mich, wie geht's zu Hause?«, aber hatte jedenfalls keine dienstliche Berührung mit ihm.

DR. KAUFFMANN: Es war gestern vom Zeugen Lammers bekundet worden, daß im Reichssicherheitshauptamt eine Besprechung über die sogenannte Endlösung stattgefunden hat. Haben Sie davon Kenntnis erhalten?

KALTENBRUNNER: Nein, ich glaube, daß der Zeuge Lammers und auch ein anderer Zeuge erklärten, daß von Eichmann vielleicht in meinem Namen eine Besprechung im Reichssicherheitshauptamt Februar oder März 1943 einberufen worden sei, eine sogenannte Referentenbesprechung verschiedener Ressorts. Ich muß dazu erklären, daß ich erstens zwar nominell am 30. Januar abends in Berlin meinen Dienst angetreten habe, dann aber bis Mai, mit Ausnahme einiger Antrittsbesuche in Berlin, überhaupt nicht in Berlin gewesen bin, sondern in Wien, und den Kern meines Nachrichtenapparates vergrößerte, um ihn dann restlos nach Berlin zu überführen.

DR. KAUFFMANN: Eine andere Frage dazu. Wann haben Sie erstmalig davon gehört, daß das Lager Auschwitz ein Vernichtungslager sei?

KALTENBRUNNER: Das hat mir Himmler im Jahre 1944, Februar oder März, gesagt, das heißt, er hat es mir nicht gesagt, sondern er hat es zugegeben.

DR. KAUFFMANN: Welches war, nachdem Sie Kenntnis genommen hatten, Ihre Einstellung dazu?

KALTENBRUNNER: Verstehe ich nicht.

DR. KAUFFMANN: Wie haben Sie sich verhalten, nachdem Sie davon Kenntnis erhalten hatten?

KALTENBRUNNER: Ich habe von dem Befehl Hitlers an Heydrich zur Endlösung der Judenfrage zum Zeitpunkt meines Antritts in das Amt keine Kenntnis gehabt. Ich habe im Sommer 1943 aus der ausländischen Presse, aus Feindfunknachrichten und durch...

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