HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[zu Dr. Kaufmann gewandt]

Das ist keine Antwort auf Ihre Frage. Sie haben den Zeugen gefragt, wie sein Verhalten war als er erfuhr, daß Auschwitz ein Vernichtungslager sei, und zwar im Februar oder März 1944, und nun hält er eine lange Rede über Heydrich.

DR. KAUFFMANN: Halten Sie sich möglichst an die Beantwortung, die unmittelbare Beantwortung dieser Frage. Welches war Ihre Einstellung, nachdem Sie davon gehört hatten? Ganz kurz und prägnant, bitte.

KALTENBRUNNER: Ich habe sofort nach Erlangen dieser Kenntnis, ebenso wie ich es auch früher getan habe, nicht nur gegen die Endlösung, sondern auch gegen diese Art der Behandlung des Judenproblems angekämpft, und aus diesem Grunde wollte ich erklären, wie ich zur gesamten Judenfrage hingeführt wurde aus meinen nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, und was ich dagegen getan habe.

VORSITZENDER: Wir wissen noch nicht, was Sie getan haben?

DR. KAUFFMANN: Was haben Sie getan? Ich frage Sie zum letzten Male.

KALTENBRUNNER: Um zu erklären was ich getan habe, muß ich erklären wie ich reagiert habe, ebenso wie ich Ihnen sagen muß, was ich darüber gehört habe.

DR. KAUFFMANN: Sie brauchen uns nur Ihre Reaktion zu erklären.

KALTENBRUNNER: Ich habe sowohl bei Hitler erstmals, als auch an einem anderen Tage nach Hitler bei Himmler Vorstellungen erhoben. Ich habe aber nicht nur auf meine persönliche Einstellung und auf meine total andere Auffassung, die ich aus Österreich mitgenommen hatte, hingewiesen, auf meine Bedenken humanitärer Art, nicht allein auf die, sondern ich habe sofort am ersten Tage, in fast jedem meiner Augenblickslageberichte in der nächsten Zeit bis zum Schluß gesagt, daß es keine Feindmacht geben könne, die mit diesem Reiche, das sich mit dieser Schuld beladen hat, in irgendein Gespräch einlasse. Das Verlangen Himmlers, Hitlers und verschiedener anderer Dienststellen an mich ist es ja gewesen, gerade durch den Nachrichtensektor, daß irgendwo eine Gesprächsatmosphäre aufzubauen sei zur Herbeiführung eines Gesprächs mit den Feindmächten.

DR. KAUFFMANN: Wann ist die Judenverfolgung eingestellt worden?

KALTENBRUNNER: Oktober 1944.

DR. KAUFFMANN: Wollen Sie behaupten, daß diese Einstellung auf Ihre Intervention zurückzuführen ist?

KALTENBRUNNER: Ich bin felsenfest überzeugt davon, daß ich hieran den Hauptanteil trage, obgleich verschiedene andere Persönlichkeiten in gleicher Richtung operiert haben. Aber ich glaube nicht, daß jemand irgendwie bei jeder Begegnung Himmler diesbezüglich in den Ohren gelegen ist, und ich glaube auch nicht, daß jemand anderes mit solcher Offenheit und solcher Selbstverleugnung mit Hitler gesprochen hat.

DR. KAUFFMANN: War der Auftrag an Eichmann ein Auftrag, der zunächst von Hitler und Himmler an das Reichssicherheitshauptamt ging und dann an Eichmann, oder war dieser Auftrag ein ganz persönlicher Auftrag, der außer der Kompetenz des Reichssicherheitshauptamtes lag?

KALTENBRUNNER: Ich kann mir das heute nur teilweise rekonstruieren, dabeigewesen bin ich ja nicht, als diese Befehle erteilt wurden. Ich habe Anhaltspunkte dafür, daß die Befehlsgebung auf dem Wege Hitler-Heydrich-Eichmann erfolgt ist, daß Himmler kurz nach Heydrichs Tod mit Eichmann wahrscheinlich sehr oft auch unter Umgehung Müllers unmittelbar weitergearbeitet hat.

DR. KAUFFMANN: Der hier vernommene Zeuge Wisliceny, das will ich Ihnen noch vorhalten, hat am 3. Januar bekundet, daß zwischen April 1942 bis Oktober 1944 die Endlösung praktisch durchgeführt wurde. Wisliceny hat berichtet von einem persönlichen Befehl Himmlers und bekundet ferner, daß Eichmann der persönliche Beauftragte gewesen sei. Er sagte dann aber weiter folgendes: daß die Judenvernichtung unter Kaltenbrunner ohne Schwächung oder Abänderung durchgeführt worden sei. Entsprechende Berichte Eichmanns seien in regelmäßigen Abständen über Müller an Kaltenbrunner gegangen. Eichmann sei 1944 persönlich bei Kaltenbrunner gewesen, und Wisliceny habe die Unterschriften Kaltenbrunners in solchen Berichten an Himmler gesehen.

Das ist die Aussage Wislicenys. Und nun meine Frage: Ist diese Aussage im wesentlichen der Wahrheit entsprechend?

KALTENBRUNNER: Die Aussage ist falsch. Ich kann sie aber aufklären. Wisliceny kann eine einzige Unterschrift von mir gesehen haben, aber nicht in einem Bericht an Himmler, welchen ich von Eichmann-Müller bekommen habe, sondern auf einem Brief, den ich an Himmler geschrieben habe, und welche Abschrift ich Müller und Eichmann zur Kenntnis gegeben habe, in dem ich Bezug nehme auf meinen letzten Vortrag bei Himmler über die Judenfrage. Da habe ich auch zum erstenmal gehört, daß Eichmann in dieser Richtung tätig gewesen sei und, um es klarzustellen für Eichmann, daß ich nichts mit dieser Tätigkeit gemein habe, habe ich über Müller dem Mann eine Abschrift dieses Briefes an Himmler gegeben.

In diesem Brief an Himmler ist enthalten gewesen, daß ich von ihm nunmehr um Stellungnahme bäte, da ich vom Führer wiederum zum Vortrag bestellt sei und dem Führer recht klar über die Tätigkeit Himmlers berichten wolle und rechtzeitig Entscheidung haben wolle.

DR. KAUFFMANN: Der Zeuge Höttl hat in einem Affidavit bekundet, er habe von Eichmann gehört, daß insgesamt eine Zahl von vier bis fünf Millionen jüdischer Menschen vernichtet worden sei. Davon in Auschwitz etwa zwei Millionen. Haben Sie derartige Zahlen gehört?

KALTENBRUNNER: Ich habe niemals derartige Zahlen gehört. Ich habe zu Himmler aber davon gesprochen, ob er denn überhaupt einen Überblick über alle bisherigen Verbrechen besitze. Ich habe deshalb diese Frage an ihn gerichtet, damit er das Ausmaß der Katastrophe, die sich anschließen muß, erkennen möge. Er hat mir erklärt, daß er keine Zahlen habe. Ich glaube dies nicht, ich glaube, er hat etwas gehabt.

DR. KAUFFMANN: Wollen Sie in diesem Punkt eine Verantwortung übernehmen, oder wollen Sie die Verantwortung in diesem Punkt ablehnen?

KALTENBRUNNER: Ich muß in diesem Punkt die Verantwortung ablehnen, und zwar, weil ich hoffe auch durch Burckhardt beweisen zu können, daß es niemanden gegeben hat, der sich mehr exponiert hätte in dieser Frage zugunsten einer anderen Lösung.

DR. KAUFFMANN: Ich komme nun zu einem Dokument, welches R-135 ist, US-289. Es ist dies ein Brief des Reichskommissars aus Riga vom 18. Juni 1943, betrifft die Judenaktion im Gefängnis von Minsk, und zwar einen Brief des Strafanstaltsverwalters aus Minsk, gerichtet an den Generalkommissar für Weißruthenien in Minsk. Wollen Sie zu diesem Dokument eine Erklärung abgeben?

KALTENBRUNNER: Sowohl aus der Unterschrift als auch aus dem Namen des Empfängers geht hervor, daß dieser Brief mir nicht zur Kenntnis kommen konnte. Aber auch von seinem materiellen Inhalt weiß ich nichts.

Es dürften ja dies auch Ereignisse sein, die sich vor meinem Amtsantritt ereignet hatten, denn wenn der Betreffende im Juni 1943 berichtet, berichtet er jedenfalls über Vorgänge, die sich früher ereignet haben, und die auch zu seiner Unterrichtung eine gewisse Zeit benötigten.

DR. KAUFFMANN: Ich komme dann zu dem nächsten Dokument, Dokument D-473, US-522. Es ist ein Brief des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 4. Dezember 1944. Auch hieraus leitet die Anklagebehörde eine schwere Verantwortung für den Angeklagten Kaltenbrunner ab. Es betrifft die

»Bekämpfung der Kriminalität unter den polnischen und sowjetrussischen Zivilarbeitern«.

»Als Mittel der Ahndung«, heißt es in diesem Schreiben, »stehen der Kriminalpolizei zur Verfügung: die Polizeihaft... und die Einweisung in ein Konzentrationslager als asozialer oder gemeingefährlicher Vorbeugungshäftling.«

Das Dokument ist unterzeichnet »Dr. Kaltenbrunner«. Welches ist Ihre Stellungnahme hierzu?

KALTENBRUNNER: Mir ist nicht erinnerlich, daß ich jemals einen solchen Erlaß unterzeichnet hätte.

DR. KAUFFMANN: Bestreiten Sie, diesen Brief überhaupt unterzeichnet zu haben, näher gesagt, haben Sie von der Sachlage keine Kenntnis?

KALTENBRUNNER: Nein!

DR. KAUFFMANN: Ich lege nunmehr das Dokument 1276-PS, US-525, vor. Die Anklagebehörde bezieht sich auch auf dieses Dokument. Es ist eine Auswirkung des Hitlerbefehls vom 18. Oktober 1942. Danach sollen Fallschirmjäger und aufgegriffene Sabotagetrupps vernichtet werden und die Kommandos sollen dem Sicherheitsdienst unterstellt werden. In einem Brief mit der Unterschrift Müller vom 17. Juni 1944 an das Oberkommando sollten derartige Fallschirmspringer in englischer Uniform gemäß diesem Hitler-Befehl behandelt werden.

Ich frage Sie nun, haben Sie von diesem von Müller unterzeichneten Schreiben vom 17. Juni 1944 Kenntnis, und haben Sie überhaupt von diesem Sachverhalt, der dem Dokument zugrundeliegt, Kenntnis gehabt?

KALTENBRUNNER: Ich habe von diesem Sachverhalt und von diesem Dokument keine Kenntnis gehabt. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auf folgendes verweisen: Ich habe von diesem Befehl Hitlers und von seiner Grundeinstellung zu dieser Frage später Kenntnis bekommen. Ich glaube, es war im Führerhauptquartier im Februar 1945, und ich habe dort vor Zeugen und in aller Öffentlichkeit erklärt, daß ich eine solche Behandlung von Soldaten und Gefangenen nicht nur persönlich ablehne, sondern jeden derartigen Befehl Hitlers nicht ausführen würde. Ich glaube, es ist von einem anderen Angeklagten hier ein Zeuge namens Koller aufgerufen, und ich bitte Sie, an diesen Zeugen, der damals Chef des Stabes der Luftwaffe gewesen ist, die Frage zu richten, wie ich, ich glaube, noch in persönlicher Gegenwart Hitlers erklärt habe, wie ich zu dieser Frage stehe, die mir persönlich erstmals 1945 zur Kenntnis gekommen ist. Ich kann nicht mehr tun, als was ich vor diesem gewaltigen und allmächtigsten Manne, den es in diesem Reiche je gegeben hat, getan habe, der erklärte: »Wer meinem Befehl nicht gehorcht, gleich welcher Kommandeur, wird erschossen.« Und ich kann nicht mehr tun, als was ich in seiner Gegenwart dem Stabschef der Luftwaffe und anderen Offizieren erklärte: »Ich werde einen solchen Befehl nicht befolgen.«

DR. KAUFFMANN: Ich komme nunmehr auf das Dokument 2990-PS, US-526. Es ist dies eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen Schellenberg. Danach fand im Jahre 1944 anläßlich einer Amtsbesprechung ein Gespräch statt zwischen Kaltenbrunner und Müller. Kaltenbrunner soll erklärt haben, daß gegen Aktionen der Bevölkerung gegen Terrorflieger nicht eingegriffen werden dürfe, daß im Gegenteil die feindliche Stimmung möglichst gefördert werden müsse.

Ich lese dazu noch wenige Sätze aus der Zeugenvernehmung des Zeugen Schellenberg vom 3. Januar 1946 vor. Er sagt:

»Im Jahre 1944 bei einer anderen Gelegenheit, aber auch im Laufe einer Amtschefbesprechung, faßte ich Bruchstücke eines Gesprächs zwischen Kaltenbrunner und Müller auf. Mir ist fest erinnerlich die folgende Bemerkung Kaltenbrunners:

Alle Dienststellen des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei sind davon in Kenntnis zu setzen, daß gegen Pogrome der Bevölkerung gegen englische und amerikanische Terrorflieger nicht eingeschritten werden darf; umgekehrt soll die feindliche Stimmung gefördert werden.«

Ist Ihnen Schellenberg bekannt?

KALTENBRUNNER: Ich muß über die Person Schellenbergs...

DR. KAUFFMANN: Bitte mit wenigen Sätzen.

KALTENBRUNNER:... und seine Glaubwürdigkeit in Bezug auf dieses Dokument sagen: Schellenberg war ein Protektionskind Heydrichs, und als ich mein Amt angetreten habe, hat er das Amt VI geführt.

VORSITZENDER: Er möchte wissen, ob Sie Schellenberg kennen. Das ist eine Frage, die Sie beantworten können. Die Frage lautete: »Kennen Sie Schellenberg?« Und er fängt schon wieder an, eine lange Rede zu halten, ohne die Frage zu beantworten.

DR. KAUFFMANN: Kannten Sie Schellenberg oder nicht?

KALTENBRUNNER: Ja, freilich, Schellenberg war der Führer des Amtes VI.

DR. KAUFFMANN: Meine Fragen: In welchem Verhältnis standen Sie zu diesem Chef VI? Halten Sie diese Aussage für wahr oder nicht?

KALTENBRUNNER: Diese Aussage ist nicht wahr, und zwar möchte ich auch die Begründung dafür geben, damit das Gericht den Wert dieser Aussage ermessen kann. Schellenberg ist der intimste Freund Himmlers gewesen. Er ist auf Himmlers Befehl bis zum letzten Tage bei ihm geblieben. Er ist der Mann, der für Himmler die letzte Vermittlertätigkeit zu dem schwedischen Grafen Bernadotte zustande gebracht hat; er ist der Mann gewesen, der im letzten Augenblick eine Verbindung über Herrn Mühse in der Schweiz zustande gebracht hat, auf welchem Wege ganz wenige jüdische Häftlinge in die Schweiz, in das Ausland entlassen wurden, damit die Herren Himmler und Schellenberg im Ausland noch rasch einen günstigen Namen sich sicherten, und er ist es gewesen, der zusammen mit einem zweiten Freund Himmlers eine Aktion unternommen hat, um über eine Rabbinerorganisation Nordamerikas vertragsmäßig herbeizuführen, daß in einigen größeren Zeitungen Amerikas eine bessere Besprechung und Reportage der Person Himmlers erwirkt werde, und diese Machenschaften habe ich Himmler gegenüber und Hitler gegenüber kritisiert beziehungsweise in Mißkredit gebracht und erklärt, es sei der Sache und des Reiches unwürdig, in einer so wichtigen Frage Methoden, wie sie Himmler und Schellenberg hier anwenden, zu handhaben. Der einzige korrekte Weg sei der einer sofortigen Aufnahme der Beziehungen zum Internationalen Roten Kreuz, und daher habe ich Himmler rechtzeitig Präsident Burckhardt präjudiziert und ihn gezwungen, in dieser Frage eine andere Stellung einzunehmen, indem ich Burckhardt selbst gebeten habe, in die Lager sich zu begeben.

DR. KAUFFMANN: Ich habe eine völlig andere Frage gestellt.

KALTENBRUNNER: Ich muß dies aber vorausschicken, damit Sie ermessen können, wie enttäuscht Schellenberg und Himmler von meiner Arbeit sein müssen und weshalb er jetzt ein Interesse hat, mich, wie es in einem Affidavit geschehen ist, des internationalen Wortbruchs zu bezichtigen.

DR. KAUFFMANN: Also, Sie wollen sagen, Schellenberg stand im Widerspruch und im Gegensatz zu Ihnen und belastet Sie zu unrecht?

KALTENBRUNNER: Jawohl!

DR. KAUFFMANN: Nun, in diesem Dokument von Schellenberg ist der Vorgang bezüglich der fünfzig Flieger erwähnt, und Schellenberg berichtet, daß Sie mit Müller und Nebe zusammen eine Besprechung gehabt hätten, und daß Sie zusammen eine Ausrede angestrebt hätten, um in der Öffentlichkeit diese wahren Vorgänge zu kaschieren.

Ich frage Sie, wann haben Sie erstmals von der Erschießung der fünfzig Flieger gehört?

KALTENBRUNNER: Das ist der Fall »Sagan«.

DR. KAUFFMANN: Wann haben Sie davon gehört, das ist eine einfache Frage?

KALTENBRUNNER: Das ist mir erstmals vielleicht sechs Wochen nach seinem Eintritt bekanntgeworden.

DR. KAUFFMANN: Meine weitere Frage: Wollen Sie damit sagen, daß Sie an der Erschießung in keiner Weise beteiligt waren, daß Sie sich vielmehr erst nachträglich mit der Angelegenheit befassen konnten?

KALTENBRUNNER: Ja, das will ich sagen.

DR. KAUFFMANN: Wollen Sie weiter sagen, daß die Besprechung Schellenbergs sich auch ausschließlich auf diesen späteren Verdunkelungsversuch bezieht?

KALTENBRUNNER: Er kann sich nur darauf bezogen haben.

DR. KAUFFMANN: Ich komme dann zu dem Dokument 835-PS, US-527. Auch dieses Dokument wird von der Anklagebehörde dem Angeklagten zur Last gelegt. Es handelt sich um den sogenannten »Nacht- und-Nebel«-Erlaß, ein Befehl Hitlers vom 7. Dezember 1941.

Ist Ihnen der Begriff »Nacht-und-Nebel«-Erlaß geläufig gewesen? Wann haben Sie erstmals davon gehört?

KALTENBRUNNER: Ich habe erstmals davon im Juni 1945 in London gehört.

DR. KAUFFMANN: Dieses Schreiben, dieses Dokument, das ich Ihnen zur Einsicht vorgelegt habe, ist ein Schreiben des OKW vom 2. September 1944 an die deutsche Waffenstillstandskommission, unterzeichnet Dr. Lehmann. Es heißt hierin:

»Nach den Bezugserlassen sind alle nichtdeutschen Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht durch Terror- und Sabotageakte oder in anderer Weise gefährdet haben, der Sicherheitspolizei und dem SD zu übergeben.«

Bei einer so wichtigen Angelegenheit erscheint es unwahrscheinlich, daß Sie von diesem Sachverhalt und von diesem »Nacht-und-Nebel«-Erlaß keine Kenntnis gehabt haben.

KALTENBRUNNER: Ich habe keine Kenntnis gehabt und bitte, das aufklären zu dürfen. Darf ich vielleicht vorausschicken, daß in keinem Dokument besser hervorleuchtet, daß dem SD zu unrecht eine Exekutiv-Vollmacht beigemessen wird, wie aus diesem Dokument. Es heißt in Zeile 4:

»...oder in anderer Weise gefährdet haben, der Sicherheitspolizei und dem SD zu übergeben.«

Erstens ist es schon Nonsens, zu behaupten, daß man ein und dieselbe Sache zwei verschiedenen Körperschaften übergibt; entweder der Sicherheitspolizei oder dem SD. Aber es ist dieser Irrtum in den deutschen Sprachgebrauch, selbst in den Führererlaß deshalb hineingekommen, weil Heydrich Chef Sipo und Sicherheitsdienst, im Sprachgebrauch kurz Chef SD genannt wurde. Es ist aber ein glatter Irrtum. Wobei bitte keineswegs der SD von mir, weiß Gott wie, entlastet werden soll von anderen Dingen, die er vielleicht begangen hat, aber ich will damit feststellen, daß seine exekutive Zuständigkeit hiermit falsch festgestellt wird.

DR. KAUFFMANN: Aber es ist ja nicht nur von dem SD die Rede, sondern auch von der Sicherheitspolizei.

KALTENBRUNNER: Ja, hierzu möchte ich folgendes sagen: Dieser Führererlaß aus dem Jahre 1941 ist mir nicht bekannt gewesen. Ich bitte, sich in meine Situation zu versetzen. Ich bin Anfang Februar 1943 nach Berlin gekommen. Ich habe mit Ausnahme weniger Antrittsbesuche im Mai meine Tätigkeit aufgenommen. Im vierten Kriegsjahr haben sich die Befehle und Erlasse des Deutschen Reiches auch auf dem exekutiven Sektor zu vielen Tausenden bereits auf den Tischen und in den Schränken der Beamtenschaft befunden. Es ist einem Menschen ganz unmöglich gewesen, diese auch selbst nur im Laufe eines Jahres zu Ende zu lesen. Ich konnte unmöglich die Existenz aller dieser Befehle, selbst wenn ich mich dazu verpflichtet gefühlt hätte, zur Kenntnis nehmen. Ich war aber dazu gar nicht verpflichtet, und dann bitte ich, doch folgendes zu berücksichtigen:

Mein Antrittsdatum war 1. Februar 1943. Am 2. Februar ist Stalingrad übergeben worden. Die größte militärische Katastrophe...

VORSITZENDER: Das ist eine lange Rede als Antwort auf die Frage, ob er diesen Befehl gesehen hat. Er sagt, er hat das Schreiben nicht gesehen, und dann hält er eine lange Rede.

DR. KAUFFMANN: Ich stelle Ihnen nunmehr die Frage:

Wann ist es Ihnen zur Kenntnis gekommen, welche Bedeutung dieser »Nacht-und-Nebel«-Erlaß hatte? Was darunter zu verstehen war bezüglich der Behandlung der betroffenen Personen. Genaue Antwort, bitte!

KALTENBRUNNER: Herr Dr. Kauffmann! Ich habe vom Bestehen des Erlasses nichts gewußt. Wenn ich gewußt hätte, daß mir hier diese Sache vorgehalten wird, dann hätte ich rechtzeitig einen Zeugen dafür namhaft machen können aus der Gefangenschaft in London, der beweisen kann, daß ich auch drüben keinerlei Ahnung hatte. Wir hatten in der Zelle selbst darüber gesprochen.

DR. KAUFFMANN: Das Endergebnis ist also Unkenntnis?

KALTENBRUNNER: Restlose Unkenntnis des Führererlasses.

DR. KAUFFMANN: Ich komme nunmehr zu der von der Anklage angezogenen Urkunde 526-PS, US-502.