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[Zum Zeugen gewandt:]

Wieviel Menschen insgesamt sind durch Ihre Intervention in die Heimat gekommen?

KALTENBRUNNER: Sie müssen hier zwei Zeitabschnitte unterscheiden, der erste Zeitabschnitt ist die Zeit vor der persönlichen Begegnung am 12. März, und dann später.

DR. KAUFFMANN: Sie können diese Frage meines Erachtens kurz beantworten. Es kommt hier auf die Zeitabschnitte nicht an.

KALTENBRUNNER: Es sind mindestens 6000 Zivilinternierte Frankreichs, Belgiens und aller östlichen europäischen Staaten, auch Balkanstaaten, gewesen, die in diese Besprechung eingeschlossen waren. Es sind mindestens 14000 jüdische Häftlinge gewesen, die im Ort Gunskirchen dem Roten Kreuz zur unmittelbaren Betreuung übergeben wurden. Es betrifft das ganze Lager von Theresienstadt.

DR. KAUFFMANN: Und ist es richtig schließlich, ich bitte ganz kurz zu bejahen oder zu verneinen, ob auf Ihre Intervention hin in Konstanz am Bodensee eine besondere Verbindungsstelle mit dem Roten Kreuz errichtet wurde zum Zweck der Erleichterung und weiteren Durchführung dieses Programms?

KALTENBRUNNER: Ich habe eine Verbindungsstelle mit dem Roten Kreuz in Lindau und in Konstanz eingerichtet.

DR. KAUFFMANN: Das genügt. Die Anklage macht Sie verantwortlich für einen angeblich von Ihnen an Fegelein abgegebenen Funkspruch. In diesem Funkspruch heißt es:

»Ich bitte Sie dem RF SS zu melden, und dem Führer vorzutragen, daß alle Vorkehrungen gegenüber Juden, politischen und Konzentrationslagerhäftlingen im Protektorat von mir heute persönlich getroffen wurden.«

Ich frage Sie, ist ein solcher Funkspruch von Ihnen abgegangen?

KALTENBRUNNER: Er ist nicht zur Absendung gekommen, weil die technische Verbindung nicht wiederhergestellt worden war.

VORSITZENDER: Welche Nummer hat das Dokument?

DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Ich habe keine Nummer genannt. Sie wurde dem Gericht nicht vorgelegt, ist aber in dem Anklage-Schriftsatz auf Seite 14 zu finden.

VORSITZENDER: Ich glaube, es ist 2519-PS und ist dem Gerichtshof vorgelegt worden.

KALTENBRUNNER: Es ist dieser Funkspruch geplant gewesen, der Text stammt wahrscheinlich von meinem mich begleitenden Adjutanten. Er wurde von mir nicht persönlich verfaßt: er kam, wie gesagt, nicht mehr zur Absendung.

Ich hatte am 19. April 1945 die Vollmacht bekommen, im Sinne der Besprechungen mit Burckhardt freihändig zu verfügen, und zwar über ausländische Zivilinternierte und hinsichtlich des Betretens aller Lager durch das Rote Kreuz. Ich habe bei dieser Gelegenheit erklärt, und zwar in Gegenwart Hitlers und Himmlers, daß mich mein Weg über Prag-Linz nach Innsbruck führe und daß ich dabei an Theresienstadt vorbeikäme. Ich sagte, dort befänden sich aber nicht nur jüdische Häftlinge, die der Betreuung durch das Rote Kreuz zugeführt werden sollen, sondern auch tschechische politische Häftlinge. Ich regte an, daß auch hier die Entlassung erfolgen möge, und auf das bezieht sich der Funkspruch. Ich hatte hierzu ausdrücklich aber erst am 19. April, abends um 6.00 Uhr, Vollmacht bekommen.

DR. KAUFFMANN: Die Anklage könnte daraus zunächst mit Recht herleiten, daß Sie auch für Konzentrationslagerfragen zuständig seien. Ich frage Sie, und bitte Sie mit Ja oder Nein zu antworten: Ist es richtig, daß die eben von Ihnen genannte Vollmacht vom 19. April 1945 die erste Vollmacht war auf diesem Gebiet überhaupt?

KALTENBRUNNER: Ja. Ich hätte sonst einer neuerlichen Vollmacht überhaupt nicht bedurft, wenn ich sie bis dorthin gehabt hätte.

DR. KAUFFMANN: In einer Rede Himmlers vom 3. Oktober 1943 in Posen vor den Höheren SS- und Polizeiführern werden Sie als Nachfolger Heydrichs bezeichnet. Die Anklage sieht darin eine Bestätigung für die gesamten Exekutiv- und für Ihre außerordentlichen Machtbefugnisse auf diesem Gebiet. Ist dieser formelle Ausdruck, der sicherlich so gefallen ist, der Sachlage gerecht geworden oder nicht?

KALTENBRUNNER: Nein. Ich wehre mich schärfstens – ich habe es auch in der gesamten Voruntersuchung getan – als ein Nachfolger Heydrichs bezeichnet zu werden. Wenn mich Himmler in meiner Abwesenheit so bezeichnet hat, oder wenn er auch schon früher einmal in die Presse eine derartige Notiz oder Bekanntmachung lanciert hatte, so ist dies ohne mein Wissen und ohne meinen Willen geschehen, und ist das erste Mal hinsichtlich der Pressenotiz auf eine heftige Abwehr meinerseits gegenüber Himmler gestoßen. Ich bin an dem Tage, von dem Sie sprachen, an einer Venenentzündung in Berlin krank gelegen, im Gipsverband, und bin deshalb nicht zu dieser Besprechung gekommen. Ich habe zu Heydrich weder im Vollmachtsumfang noch in allen Äußerlichkeiten auch nicht die geringste Vergleichsmöglichkeit. Ich will hier ganz kurz sagen, daß ich bis zum letzten Tage meiner Tätigkeit von dem Gehalt eines Generals der Ordnungspolizei mit 1.320 Mark zu leben hatte, daß Heydrich in seinem Amt Bezüge über 30.000 Mark hatte, nicht als Honorierung eines höheren Dienstranges, sondern in Anerkennung seiner ganz anderen Position, die er hatte; ein Vergleich ist überhaupt unbillig.

DR. KAUFFMANN: Ich frage Sie weiter: Ist es richtig, daß Himmler Heydrich fürchtete, und zwar deshalb, weil ihm Heydrich zu sehr mit Machtvollkommenheiten ausgestattet war, und daß er deshalb in Ihrer Berufung gerade den Mann glaubte gefunden zu haben, der ihm, Himmler, völlig ungefährlich war?

Die Anklagebehörde hat Sie in diesem Zusammenhang in eine Parallele gestellt mit Heydrich, und, wie ich eben schon sagte, Sie als den zweiten Heydrich bezeichnet.

KALTENBRUNNER: Das Verhältnis zwischen Himmler und Heydrich ist vielleicht folgendermaßen ganz kurz zu charakterisieren. Heydrich war der weitaus intelligenteste von beiden. Er war zuerst ein außergewöhnlich gefügiges und gehorsames...

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann, wir wollen nichts über Heydrichs Intelligenz hören. Der Zeuge hat immer wieder gesagt, daß er nicht sein Nachfolger war.

DR. KAUFFMANN: Dann darf ich die Frage, die bereits vorher gestellte, wiederholen. Sie lautet: Wollte Himmler durch Ihre Berufung einen Mann haben, der ihm, Himmler, völlig ungefährlich war?

KALTENBRUNNER: Er wollte niemals mehr eine solche Exekutivgewalt, wie sie in der Hand Heydrichs zusammengeballt war, aus der eigenen Hand weggeben. Im Augenblick, in welchem Heydrich tot gewesen ist, hat Himmler das gesamte Amt übernommen und niemals mehr den Exekutivapparat aus seiner Hand gelassen. Er hat einmal die Erfahrung gemacht, wie gefährlich ihm ein Chef der Sicherheitspolizei werden kann, in der Person Heydrichs. Ein zweites Mal wollte er das nicht riskieren.

DR. KAUFFMANN: Sie wollen also damit im Endergebnis sagen, daß nach dem Tode Heydrichs Himmler die gesamte Exekutive in seiner Hand halten wollte und gehalten hat?

KALTENBRUNNER: Jawohl.

DR. KAUFFMANN: Nun zu einer anderen Frage. Sie haben gestern bekundet, den Begriff der sogenannten Endlösung erst später erfahren zu haben. Tatsächlich liefen derartige Aufträge von Himmler an Heydrich und an Eichmann bereits im Jahre 1941 oder 1942. Ist es richtig, daß Sie öfter mit Himmler zusammenkamen? Waren Sie mit Himmler befreundet?

KALTENBRUNNER: Es ist vollkommen falsch, ein Verhältnis zwischen mir und Himmler als freundschaftlich zu bezeichnen. Ich habe von ihm, so wie jeder andere Beamte, eine äußerst kühle und zurückhaltende Behandlung erfahren. Er war nicht der Mann, der irgendein persönliches Verhältnis zu jemandem hat herstellen können.

DR. KAUFFMANN: Es liegt nahe, wenn ich mich in die Situation der Anklage versetze, daß Sie Kenntnis über die Endlösung und deren Begriff gehabt haben müssen, wenn Sie öfter mit Himmler zusammenkamen. Ich frage Sie deshalb noch einmal: Hat Ihnen Himmler nicht einmal über diese Endlösung reinen Wein eingeschenkt?

KALTENBRUNNER: Nein, in dieser Form nicht. Ich habe gestern hier erklärt, daß sich auf Grund aller Unterlagen, die sich bei mir im Sommer und Herbst 1943 angesammelt hatten, auch Feindfunk, auch Auslandsmeldungen, die Überzeugung durchgesetzt hatte, daß die Behauptung von Vernichtung jüdischen Menschenlebens richtig sei, und daß ich mit dieser nunmehr in mir gereiften Überzeugung sofort zu Hitler gegangen bin, und 24 Stunden später zu Himmler, und ihnen dies vorgehalten und erklärt habe, daß ich hierzu auch nicht eine Minute meine Hand reichen könne. Ich habe von diesem Zeitpunkt an...

DR. KAUFFMANN: Sie haben das schon gestern gesagt. Sie brauchen es nicht mehr zu wiederholen.

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann, er hat das schon früher gesagt, und Sie haben uns erklärt, Sie würden in einer Stunde fertig sein; Sie haben jetzt schon fast eineinhalb Stunden gebraucht.

DR. KAUFFMANN: Ich habe noch zwei oder drei Fragen.