HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Nebenbei, kannten Sie Kurt Lindow, der dieses Affidavit vom 2. August 1945 ausstellte?

KALTENBRUNNER: Nein.

OBERST AMEN: Obwohl er ein Beamter im Reichssicherheitshauptamt bis 1944 war?

Lassen Sie uns zusammen den zweiten und vierten Absatz lesen. Ich möchte die Zeit des Gerichtshofs nicht dazu in Anspruch nehmen, den ersten und dritten Absatz zu verlesen. Absatz 2 lautet, wie Sie finden werden, folgendermaßen:

»Auf Grund allgemeiner Erfahrungen sowie einzelner Vorfälle kann ich bestätigen, daß die Geheime Staatspo lizei (Amt IV) Berichte über die Gepflogenheiten der Verwaltungen in den Konzentrationslagern verfaßt hat und daß diese über den Amtschef IV zur Unterschriftsleistung durch den Chef der Sicherheitspolizei dem Reichsführer Himmler vorgelegt worden sind.«

KALTENBRUNNER: Darf ich mich gleich hierzu äußern? Es wäre vielleicht doch wichtig, auch den Punkt 1 zu verlesen.

OBERST AMEN: Aber bitte, fassen Sie sich so kurz wie möglich.

KALTENBRUNNER: Es ist der Punkt 1 deshalb zu lesen wichtig, weil in diesem Punkt 1 enthalten ist, daß dieser Zeuge Lindow sich 1938 bis 1940 in diesem Referat, in welchem solche Berichte geschrieben worden sind, befunden hat. 1940/41 war er in der Spionageabwehr tätig. 1942 bis 1943 im Referat zur Bekämpfung des Kommunismus. Später im Referat über das Unterrichtswesen. Ich glaube daher, daß seine Äußerung im Punkt 2, daß er von dieser Gepflogenheit der Staatspolizei Kenntnis hatte, daß nämlich über den Amtschef IV durch den Chef der Sicherheitspolizei an Himmler Berichte vorgelegt wurden über Vorkommnisse in Konzentrationslagern sich nur auf die Zeit zwischen 1938 und 1940 beziehen kann. In der späteren Zeit hat er aus seiner eigenen Angabe keine persönlichen Erfahrungen.

OBERST AMEN: Mit anderen Worten, er sagt nicht die Wahrheit darüber, wie die Verhältnisse waren zur Zeit, als Sie im Reichssicherheitshauptamt tätig waren. Ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Ich habe nichts davon gelesen. Er behauptet, daß nicht...

OBERST AMEN: Ich wollte Ihre Aufmerksamkeit auf zwei Absätze richten. Wir haben bereits Absatz 2 besprochen und wir wollen jetzt Absatz 4 lesen:

»Meines Wissens war kein Amtschef oder sonst ein zeichnungsberechtigter Beamter des RSHA ermächtigt, in irgendwelchen grundsätzlichen Dingen oder Angelegenheiten von besonderer politischer Bedeutung ohne Zustimmung des Chefs der Sicherheitspolizei zu zeichnen – auch nicht während dessen vorübergehender Abwesenheit. Aus eigener Erfahrung kann ich darüber hinaus bestätigen, daß gerade der Amtschef IV, Müller, hinsichtlich der Unterschriftsleistung in Fragen allgemeiner Art und von gegebenenfalls größerer Tragweite sehr zurückhaltend war und Vorgänge solcher Art meist bis zur Rückkehr des Chefs der Sicherheitspolizei liegen ließ, wodurch oft leider längere Zeit verloren ging.

gezeichnet Kurt Lindow.«

KALTENBRUNNER: Ja, dazu sind zwei Bemerkungen zu machen:

Erstens, diese Behauptung widerspricht restlos der Zeugenaussage verschiedener Zeugen, die von der außergewöhnlichen und stets gehandhabten ungeheueren Vollmacht und Selbständigkeit Müllers gesprochen und Zeugnis gegeben haben.

Zweitens, diese Beschreibung Lindows trifft auf die Zeit zu, in welcher Heydrich tätig gewesen ist, also, in welcher Lindow zwischen 1938 und 1940 Erfahrungen sammeln konnte. Sie trifft nicht zu auf die Zeit, in welcher sich Himmler unmittelbare Befehlsgebung an Müller vorbehalten hatte, weil mein Aufgabengebiet so überwältigend groß gewesen ist, daß es allein zu schaffen für einen Menschen fast unmöglich war.

OBERST AMEN: Ich will jetzt nicht zuviel Zeit dazu verwenden, Angeklagter, aber die Absätze, die ich Ihnen vorgelesen habe, stimmen mit der Zeugenaussage Ohlendorfs vor diesem Gerichtshof überein, nicht wahr?

KALTENBRUNNER: Die Aussagen Ohlendorfs in dieser Richtung sind mir gestern von meinem Verteidiger vorgehalten worden. Aber auch aus den Aussagen von Ohlendorf glaube ich klar zu entnehmen, daß jeder exekutive Befehl, also auch Schutzhaftbefehl, er hat das gekennzeichnet mit den Worten »bis zur letzten Waschfrau«, der unmittelbaren Zustimmung Himmlers, der ja nur an Müller delegieren konnte, vorbehalten geblieben sind. Er hat allerdings hinzugefügt, er weiß nicht, ob eine solche Vollmachtsbeschränkung bei mir eingetreten sei und ob ich nicht doch auch solche Befugnisse gehabt habe. Aber mit Bestimmtheit kann er das nicht sagen und sein übriges Zeugnis spricht dagegen, daß ich sie gehabt hätte.

OBERST AMEN: Wir wissen alle, was Ohlendorf ausgesagt hat. Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie die Aussage Ohlendorfs als richtig anerkennen. Sie haben uns bei Verhören gesagt, daß Sie mit Ohlendorf den meisten Kontakt hatten und daß Sie ihm mehr als allen Ihren anderen Mitarbeitern trauen, daß er die Wahrheit sprechen wird, stimmt das nicht?

KALTENBRUNNER: An diese letzte Bemerkung kann ich mich nicht erinnern. Die erste Behauptung, daß er einer meiner Hauptmitarbeiter gewesen ist, ist schon dadurch gerechtfertigt und bewiesen, daß er Chef des innerdeutschen Nachrichtenwesens gewesen ist, welches ein Teil meines Meldeapparates geworden ist, also alle Nachrichten innerpolitischer Natur und über die gesamten deutschen Lebensgebiete habe ich, und zwar zum größten Teil aus diesem Amt III bezogen, abgesehen von jenem von mir dann selbst und persönlich aufgebauten Zusatzapparat.

OBERST AMEN: Kurz nach Ostern 1934 waren Sie im Anhaltelager Kaisersteinbruch in Haft?

KALTENBRUNNER: In welchem Jahr sagten Sie bitte?

OBERST AMEN: 1934.

KALTENBRUNNER: Jawohl, vom 14. Jänner bis Anfang Mai.

OBERST AMEN: Haben Sie jemals in Begleitung von anderen SS-Beamten das Lager Mauthausen besichtigt?

KALTENBRUNNER: Mit anderen SS-Beamten, nein. Ich bin meines Wissens allein hingefahren und hatte mich dort bei Himmler zu melden, der, wie ich gestern schon erzählt habe, auf einer Besichtigungsfahrt in Süddeutschland war.

OBERST AMEN: Und Sie sind nur in den Steinbruch gegangen. Ist das richtig?

KALTENBRUNNER: Jawohl.

OBERST AMEN: Kannten Sie Karwinsky, der im Kabinett Dollfuß und Schuschnigg vom September 1933 bis Oktober 1935 Staatssekretär war, Karwinsky?

KALTENBRUNNER: Ich habe Karwinsky einmal gesehen. Ich glaube, er hatte damals während unseres Hungerstreikes im Anhaltelager Kaisersteinbruch uns besucht. Sonst habe ich ihn nie gesehen. Es kann aber auch sein, daß es einer seiner Vertreter war, das weiß ich nicht.

OBERST AMEN: Ich bitte, dem Angeklagten Dokument 3843-PS zur Einsicht zu geben, das nun Beweisstück US-794 wird. Ich möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß dieses Beweisstück in nicht einwandfreier Sprache gehalten ist, aber in Anbetracht der gegen den Angeklagten erhobenen Anschuldigung halte ich es dennoch für meine Pflicht, es zu verlesen.

Wollen Sie Seite 3 aufschlagen Angeklagter.

KALTENBRUNNER: Auf Seite 3 sind es nur noch wenige Zeilen. Darf ich das ganze Dokument vorher lesen, bitte?

OBERST AMEN: Dies würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen, Angeklagter. Ich bin nur an dem Absatz interessiert, der sich auf Seite 3 des englischen Textes befindet und mit den Worten beginnt: »Kurz nach Ostern...« Haben Sie die Stelle gefunden?

KALTENBRUNNER: Jawohl.

OBERST AMEN:

»Kurz nach Ostern 1934 erhielt ich die Meldung, daß die Häftlinge im Anhaltelager Kaisersteinbruch in den Hungerstreik getreten seien. Ich begab mich darauf selber hin, um mich über die Lage zu informieren. Wäh rend in den meisten Baracken verhältnismäßig Ruhe und Disziplin herrschte, ging es in einer Baracke sehr wüst zu, wobei mir ein hochgewachsener Mann als der sichtliche Anführer des Widerstandes auffiel. Es war dies der damalige Rechtsanwaltsanwärter Kaltenbrunner, der wegen seiner illegalen Betätigung in Oberösterreich in Haft war. Während alle übrigen Baracken nach einer Aussprache, die ich mit Vertretern der Häftlinge hatte, den Hungerstreik aufgaben, verharrte die unter Kaltenbrunner stehende Baracke weiter im Streik. Kaltenbrunner habe ich dann im Lager Mauthausen, als ich in schwerkrankem Zustand auf faulem Stroh mit vielen 100 anderen schwerkranken Personen, die sich zum Teil in sterbendem Zustand befanden, lag, wiedergesehen. Die an Hungerödem und schwersten Darmerkrankungen leidenden Häftlinge lagen im strengen Winter in ungeheizten Baracken. Es fehlten die primitivsten sanitären Vorkehrungen. Die Klosettanlagen und die Waschräume waren durch Monate unbenutzbar. Die Schwerkranken mußten ihre Notdurft auf kleinen Marmeladeeimern verrichten. Das verunreinigte Stroh wurde durch Wochen nicht erneuert, so daß sich eine stinkende Jauche bildete, in der Würmer und Maden herumkrochen. Ärztliche Pflege und Medikamente gab es nicht. Die Zustände waren so, daß 10 bis 20 Personen pro Nacht starben. Kaltenbrunner ist mit einem glänzenden Gefolge hoher SS-Funktionäre durch die Baracke durchgegangen, hat alles gesehen, mußte alles sehen. Wir haben die Illusion gehabt, daß diese unmenschlichen Zustände sich nunmehr ändern werden, aber sie haben offenbar die Billigung Kaltenbrunners gefunden, denn es geschah nichts.«

Stimmt das oder stimmt das nicht?

KALTENBRUNNER: Dieses Dokument, welches mir offensichtlich zur Überraschung vorgelegt worden ist, kann von mir restlos widerlegt werden.

OBERST AMEN: Ich frage Sie zunächst, sagen Sie, ist es richtig oder falsch?

KALTENBRUNNER: Es stimmt nicht und kann von mir in allen mir vorgehaltenen Einzelheiten restlos widerlegt werden.

OBERST AMEN: Fassen Sie sich möglichst kurz.

KALTENBRUNNER: Ich kann es unmöglich kürzer machen, als Sie es selbst, Herr Ankläger, vorgetragen haben. Ich muß auf jedes einzelne Wort, das mich belastet, ja eingehen. Hier behauptet Karwinsky...

OBERST AMEN: Einen Augenblick bitte. Vielleicht wollen Sie warten, bis ich Ihnen zwei weitere Beweisstücke über ungefähr dasselbe vorgelesen habe. Sie können dann vielleicht Ihre Erklärungen zu allen dreien gleichzeitig abgeben. Sind Sie damit einverstanden?

KALTENBRUNNER: Wie Sie wünschen.

OBERST AMEN: Ich bitte, dem Angeklagten Dokument 3845-PS zu zeigen, welches nun Beweisstück US-795 wird.

Ich glaube, Sie haben bereits bestritten, jemals das Krematorium in Mauthausen besichtigt zu haben oder durchgegangen zu sein. Stimmt das?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Kennen Sie Tiefenbacher, Albert Tiefenbacher?

KALTENBRUNNER: Nein.

OBERST AMEN: Wenn Sie das Dokument haben, werden Sie daraus feststellen können, daß er von 1938 bis 1. Mai 1945 im Konzentrationslager Mauthausen war, und daß er als Leichenträger im Krematorium von Mauthausen drei Jahre lang beschäftigt war. Haben Sie das gefunden?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Auf der unteren Hälfte der ersten Seite werden Sie folgende Frage finden:

»Frage: Erinnern Sie sich an Eigruber?

Antwort: Eigruber und Kaltenbrunner waren aus Linz.

Frage: Haben Sie sie jemals in Mauthausen gesehen?

Antwort: Ich habe Kaltenbrunner sehr oft gesehen.

Frage: Wie oft?

Antwort: Er kam von Zeit zu Zeit und ging durchs Krematorium.

Frage: Wie oft ungefähr?

Antwort: Drei- oder viermal.

Frage: Hörten Sie ihn einmal, wenn er durchkam, irgend etwas zu jemandem sagen?

Antwort: Wenn Kaltenbrunner ankam, mußten die meisten Gefangenen verschwinden, nur bestimmte Leute wurden ihm vorgestellt.«

Ist das richtig oder falsch?

KALTENBRUNNER: Das ist restlos falsch.

OBERST AMEN: Ich will Ihnen jetzt das dritte Dokument zeigen, und sodann können Sie eine kurze Erklärung abgeben. Ich bitte dem Angeklagten Dokument 3846-PS zu zeigen, welches damit Beweisstück US-796 wird.

Ich möchte Sie fragen, Zeuge, ob Sie sich erinnern, jemals in Mauthausen einer Vorführung von drei verschiedenen Arten von Hinrichtungen zur gleichen Zeit beigewohnt zu haben? Drei Arten von Hinrichtungen?

KALTENBRUNNER: Nein, das stimmt nicht.

OBERST AMEN: Kennen Sie Johann Kanduth, von dem dieses Affidavit stammt?

KALTENBRUNNER: Nein.

OBERST AMEN: Sie werden aus diesem Affidavit ersehen, daß er in Linz wohnte und vom 21. März 1939 bis 5. Mai 1945 Häftling im Konzentrationslager Mauthausen war. Weiterhin, daß er neben seiner Arbeit in der Küche auch vom 9. Mai ab im Krematorium arbeitete und daß er die Heizung zur Verbrennung der Leichen bediente. Wenn Sie die zweite Seite aufschlagen, so finden Sie dort oben:

»Frage: Haben Sie jemals Kaltenbrunner bei einem Besuch in Mauthausen gesehen?

Antwort: Ja.

Frage: Können Sie sich erinnern, wann das war?

Antwort: Im Jahre 1942 und 1943.

Frage: Können Sie genauere Angaben darüber machen, vielleicht den Monat?

Antwort: Ich weiß das Datum nicht mehr.

Frage: Entsinnen Sie sich nur eines Besuches im Jahre 1942 oder 1943?

Antwort: Ich erinnere mich, daß Kaltenbrunner dreimal dort war.

Frage: In welchem Jahre?

Antwort: Zwischen 1942 und 1943.

Frage: Erzählen Sie uns kurz, was Sie über die Besuche Kaltenbrunners dachten, die Sie beschrieben haben, das heißt, was haben Sie gesehen, was haben Sie getan, und wann sahen Sie, daß er bei solchen Verbrennungen zugegen war, oder war er nicht zugegen?

Antwort: Kaltenbrunner war begleitet von Eigruber, Schulz, Ziereis, Bachmeyer, Streitwieser und einigen anderen Leuten. Kaltenbrunner ging lachend in die Gaskammer, dann wurden die Leute aus den Bunkern zur Hinrichtung herausgebracht und dann fanden alle drei Arten von Hinrichtungen statt; Erhängen, Erschießung durch Schuß in den Hinterkopf und Vergasen wurden vorgeführt. Nachdem der Staub verschwunden war, mußten wir die Leichen wegschaffen.

Frage: Wann haben Sie die drei verschiedenen Arten von Hinrichtungen gesehen? Waren das nur Vorführungen oder richtige Hinrichtungen?

Antwort: Ich weiß nicht, ob es richtige Hinrichtungen oder nur Vorführungen waren. Während dieser Hinrichtungen waren außer Kaltenbrunner die Bunkerführer, Hauptscharführer Seidel und Düssen zugegen. Der letztere führte die Leute hinunter.

Frage: Wissen Sie, ob diese Hinrichtungen für diesen Tag angesetzt waren, oder ob sie nur Vorführungen waren, oder ob die Hinrichtungen nur zum Vergnügen der Besucher vorgeführt wurden?

Antwort: Ja, die Hinrichtungen waren für diesen Tag angesetzt.

Frage: Woher wissen Sie, daß sie für diesen Tag angesetzt waren? Hat jemand mit Ihnen über diese angesetzten Hinrichtungen gesprochen?

Antwort: Hauptscharführer Roth, der Leiter des Krematoriums, rief mich immer in sein Zimmer und sagte mir: ›Kaltenbrunner kommt morgen, und wir müssen alles für die Hinrichtungen in seiner Gegenwart vorbereiten.‹ Dann hatten wir die Öfen zu heizen und zu reinigen.«

KALTENBRUNNER: Kann ich jetzt antworten?

OBERST AMEN: Ist das wahr oder falsch, Angeklagter?

KALTENBRUNNER: Unter Berufung auf den von mir abgelegten Eid erkläre ich feierlichst, daß nicht ein einziges Wort dieser Behauptungen wahr ist. Ich darf vielleicht beim ersten Dokument nun beginnen.

OBERST AMEN: Angeklagter! Haben Sie beobachtet, daß nicht ein einziges dieser Affidavits in Nürnberg aufgenommen worden ist, daß sie alle außerhalb Nürnbergs offenbar im Zusammenhang mit ganz anderen Verfahren oder Untersuchungen aufgenommen wurden. Haben Sie das bemerkt?

KALTENBRUNNER: Nein, ist aber ja auch für die Aussage an sich vollkommen irrelevant. Darf ich nun auf dieses Dokument eingehen?

OBERST AMEN: Ja, Sie können nun sprechen.

KALTENBRUNNER: Der Zeuge Karwinsky erklärt, er habe mich gesehen im Jahre 1934, anläßlich eines Hungerstreiks im Anhaltelager Kaisersteinbruch. Er bezeichnet die Baracke, in der es verhältnismäßig wüst zugegangen sei, als diejenige, wo ein hochgewachsener Mann, nämlich ich, sich aufhielt. Ich sei wegen meiner illegalen Betätigung in Österreich in Haft gewesen. Was diese bisherigen Behauptungen anlangt, so sind sie restlos falsch.

Erstens war ich nicht wegen nationalsozialistischer Betätigung in diesem Anhaltelager, sondern in dem Anhaltebescheid, der uns schriftlich zugestellt worden ist, und der Herrn Karwinsky, dem damaligen Staatssekretär des Sicherheitswesens in Österreich bekannt sein mußte, stand wörtlich drinnen: »zur Vorbeugung nationalsozialistischer Tätigkeit«. Also, keineswegs war in diesem Augenblick irgendeine Betätigung, die verboten gewesen wäre, mir angelastet gewesen. Ferner, als Karwinsky kam, befand sich der Hungerstreik am neunten Tage. Wir hatten...

OBERST AMEN: Darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen, Angeklagter. Es genügt mir vollkommen, wenn Sie aussagen, daß diese Erklärungen unrichtig sind. Wenn es Ihnen genügt, so genügt auch nur diese Antwort. Ich brauche keine weitere Erklärung zu all diesen Absätzen, wenn wir keine Möglichkeit haben, die Wahrheit Ihrer Aussage festzustellen.

KALTENBRUNNER: Herr Ankläger! Ich kann damit nicht zufrieden sein. Wenn Sie dem Hohen Gericht und der gesamten Weltöffentlichkeit vorerst seitenlange Tatsachen- und Zeugenaussagen verlesen, von denen Sie behaupten, daß sie die Wahrheit seien, und die mich in der ungeheuerlichen Art belasten. Ich muß doch die Möglichkeit hierzu haben, mit mehr als mit Ja oder Nein darauf zu antworten. Ich kann doch nicht einfach, wie irgendein verstockter Verbrecher allein...

VORSITZENDER: Lassen Sie ihn weitersprechen. Wir wollen darüber nicht argumentieren. Fahren Sie fort. Geben Sie Ihre Erklärungen zu dem Dokument.

KALTENBRUNNER: Karwinsky kam, nachdem der Hungerstreik am achten Tage sich nach seinem Ausbruch befand. Er kam nicht in unsere Baracke, sondern wir wurden auf Krankenbahren in das Verwaltungsgebäude dieses österreichischen Anhaltelagers getragen. Es war keiner mehr fähig, überhaupt zu gehen. Dafür gibt es eine ungeheure Anzahl von Zeugen, nämlich 490 Häftlinge, die gleichzeitig mit mir in diesem Lager konfiniert waren. In dieser Verwaltungsbaracke hat Karwinsky mit uns gesprochen und hat erklärt, wenn der Hungerstreik abgebrochen würde, dann würde die Regierung einer Entlassung aller Häftlinge nähertreten. Die Regierung hatte dieses Versprechen, uns zu entlassen, weil wir restlos, ohne jedes Delikt, in Haft genommen waren, bereits dreimal früher gegeben und dreimal früher nicht eingehalten gehabt. Weshalb wir bei diesem Besuch Karwinskys ihm erklärt haben, wir bäten doch darum, eine schriftliche Erklärung, sei es mit seinem Namen, sei es mit dem Namen des Bundeskanzlers selbst gefertigt, zu überreichen, damit wir endlich glauben könnten, wir seien ohne weiteres bereit, den Streik dann abzubrechen. Er hat dies verweigert. Darauf ging der Hungerstreik weiter und wir wurden in Wiener Krankenhäuser gebracht. Am elften Tag ist der Hungerstreik dort damit eingestellt worden, daß uns auch die Verabreichung von Wasser verboten worden ist. Das ist der wahre Sachverhalt und nicht die Behauptung, daß wir dort wüsten Lärm...

VORSITZENDER: Wenn ich sagte, daß Sie Erklärungen abgeben können, so habe ich damit nicht gemeint, daß Sie uns alle Einzelheiten über den Hungerstreik erzählen können.

KALTENBRUNNER: Euer Lordschaft! Ich wollte doch damit nur widerlegen, daß es unrichtig ist, was dieser Zeuge behauptet, daß dort, daß ich der Anführer des Widerstandes gewesen sei, und daß ich mich noch in meiner Baracke befunden hätte. Ich mußte, ja auf einer Krankenbahre über das gesamte Gelände getragen werden. Es konnte ja keiner von uns mehr gehen.

Zweitens habe ich mit dem Vetter dieses Karwinsky wiederholt nachher gesprochen; sein Vetter war der Leiter des Invalidenamtes in Linz. Dieser hat mir gesagt, daß sein Vetter, dieser Zeuge hier, niemals in Mauthausen, sondern vom ersten Tage seiner Haft angefangen, in Dachau gewesen ist. Es ist ein Unterschied, ob Dachau oder Mauthausen, denn eingewiesen ist er als ehemaliges österreichisches Regierungsmitglied, welches sich Verbrechen gegen Nationalsozialisten hat zuschulden kommen lassen, durch das RSHA, das damals, glaube ich, schon bestanden hat, durch Heydrich in Berlin, und nicht durch irgendeine österreichische Dienststelle. Ich habe diesen Mann auch nachher nie mehr gesehen. Dachau selbst habe ich ja auch nicht besucht. Es könnte daher leicht festgestellt werden, ob dieser Mann vom ersten Tage seiner Haft angefangen sich in Dachau oder in Mauthausen befunden hat. Trifft meine Behauptung zu, Dachau, dann ist alles erlogen. Trifft Mauthausen zu, muß erst erwiesen werden, ob er mich damit nicht mit einem anderen Mann verwechseln kann. Den ersten Beweis, ob er mich verwechselt oder nicht, habe ich aber gar nicht zu erbringen. Wenn sich die Hohe Staatsanwaltschaft der Mühe unterzieht und feststellt, ob der Mann nicht überhaupt, vom ersten Tage angefangen, in Dachau war – ich weiß nämlich, daß er in Dachau gewesen ist, weil er auf seiner Flucht in die Schweiz in Innsbruck verhaftet worden ist, was mir durch seinen Vetter mitgeteilt wurde, der mich gebeten hat, ich möchte doch sofort zugunsten seines Vetters intervenieren, und ich konnte nicht mehr intervenieren, weil der Mann unmittelbar über Innsbruck- Mittenwald nach Dachau transportiert worden war und damit meinem Zugriff und meiner Zuständigkeit als damaliger Staatssekretär für das Sicherheitswesen der österreichischen Landesregierung entzogen gewesen ist.

VORSITZENDER: Wir wollen die Sitzung jetzt unterbrechen