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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Oberst Amen, ich nehme an, daß der Angeklagte etwas über die anderen Dokumente sagen will. Das eine hat er schon beantwortet, nicht wahr?

OBERST AMEN: Ich weiß nicht, ob er schon fertig war, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Sind Sie fertig mit dem Affidavit oder der Erklärung von Karwinsky?

KALTENBRUNNER: Euer Lordschaft, ich bin noch nicht ganz fertig.

VORSITZENDER: Dann fahren Sie fort!

KALTENBRUNNER: Das Dokument selbst liegt mir nicht mehr vor. Ich bitte, mir das Dokument noch einmal zu geben.

OBERST AMEN: Ja, es ist hier.

KALTENBRUNNER: Es ist das Dokument, welches mir in der Voruntersuchung nicht gezeigt worden ist; es wäre von mir dort mit der Bitte erwidert worden, den Vetter dieses Zeugen Karwinsky, den Leiter des Invalidenamtes in Linz gleichen Namens, als Zeugen darüber einzuvernehmen, daß er mir ausdrücklich davon erzählte, daß sich dieser Karwinsky in Dachau befunden hat und niemals in Mauthausen. Und ich darf ergänzend noch hinzufügen, daß auch der Zeuge Dr. Skubl, der hier ja noch in anderer Sache erscheinen wird, über diesen Sachverhalt wahrscheinlich wird Auskunft geben können und vor allem darüber, daß der Zeuge Karwinsky knapp an der Schweizer Grenze, bei seiner Flucht nach dem Anschluß in die Schweiz, festgenommen und von dort nach Dachau gebracht worden ist. Die Gründe, die für Dachau gesprochen haben damals, kenne ich nicht ganz genau, aber auch hierüber wird Dr. Skubl Auskunft geben können, vermutlich in der Richtung, jede Intervention aus Österreich heraus diesem ehemaligen österreichischen Regierungsmitglied gegenüber zu vereiteln, weil Himmler der Meinung gewesen ist, es könnte vielleicht von seiten der neuen österreichischen Regierung zugunsten von Karwinsky etwas unternommen werden. Auch aus diesem Grunde ist es unwahrscheinlich...

VORSITZENDER: Der Anwalt kann jeden Zeugen beantragen, den Sie zum Gegenbeweis wünschen. Er kann einen Antrag dafür stellen. Es ist nicht notwendig, jetzt darauf einzugehen.

KALTENBRUNNER: Zu den zwei anderen Dokumenten bitte ich folgendes äußern zu dürfen. Ich erkläre sie ihrem ganzen Inhalt nach für unwahr und unrichtig. Wären sie mir in der Voruntersuchung vorgehalten worden, hätte ich so, wie in anderen Fällen – ich verweise auf die Aussage des Zeugen Zutter – dringend und sofort darum gebeten, mir diesen Zeugen gegenüberzustellen. Ich habe hinsichtlich des Zeugen Zutter den Herrn Staatsanwalt neben dem Colonel Amen, im Majorsrange am Tisch dort, mindestens zwanzigmal gebeten, mir diesen Zeugen, der in einer solch schweren Belastung mir gegenüber auftrat, mir gegenüberzustellen. Auch der heutige Anklagevertreter, Colonel Amen, war bei dieser Bitte anwesend, als über Mauthausen gesprochen wurde. Die Herren haben sich zur Beratung zurückgezogen und haben sich englisch mit einem dritten Offizier unterhalten, ob Ziereis und Zutter nicht herbeigerufen werden könnten, beide seien ja ohnedies hier im Gefängnis. Alles dieses war unwahr.

VORSITZENDER: Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß Ihr Verteidiger jeden Zeugen beantragen kann, den Sie zum Gegenbeweis wünschen.

KALTENBRUNNER: Ich werde meinen Verteidiger bitten, einen Antrag auf Ladung dieser zwei Zeugen zu stellen.

OBERST AMEN: Angeklagter! Wer war kurz vor Ende des Krieges für den Befehl verantwortlich, alle Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen zu töten?

DR. KAUFFMANN: Darf ich zu diesen zwei Dokumenten einige Worte sagen? Sie sind erstmals in dieser Stunde in den Prozeß eingeführt worden. Es ist mir daher erst jetzt möglich geworden, über diese sehr schweren Vorwürfe mit dem Angeklagten zu sprechen. Er hat auch mir gegenüber in Abrede gestellt, daß die niedergelegten Behauptungen der Wahrheit entsprechen. Ich glaube, es würde eine Verletzung meiner Pflicht als Verteidiger sein, wenn ich nicht jetzt schon bitte, diese Zeugen zu hören. Es könnte sein, daß später die Staatsanwaltschaft...

VORSITZENDER: Dr. Kauffmann! Warum wollen Sie denn den Prozeß aufhalten? Ich habe soeben gesagt, Sie können einen Antrag stellen, und Sie wissen sehr gut, daß ein Antrag schriftlich gemacht werden muß.

Ich habe dem Zeugen zweimal gesagt, Dr. Kauffmann, daß Sie, sein Anwalt, Anträge auf alle Zeugen, die Sie zum Gegenbeweis wünschen, stellen können. Warum halten Sie denn den Prozeß dadurch auf, daß Sie jetzt aufstehen und den Antrag mündlich stellen?

DR. KAUFFMANN: Es liegt mir fern zu verzögern, aber ich wollte nur klarstellen, daß ich diese Zeugen zu beantragen wünsche, und ich werde den Antrag schriftlich machen.

OBERST AMEN: Haben Sie die Frage verstanden, Angeklagter?

KALTENBRUNNER: Ja. Sie haben mich gefragt, wer den Befehl auf Tötung der Häftlinge am Kriegsende in Mauthausen gegeben hat, und darauf antwortete ich, daß ein solcher Befehl mir unbekannt ist. Ich habe einen einzigen Befehl nach Mauthausen gegeben, der zum Inhalt gehabt hatte: Das gesamte Lager und alle Häftlinge sind ohne jede Mißhandlung dem Feind zu übergeben. Dieser Befehl ist in Gegenwart des Zeugen Dr. Höttl von mir diktiert worden und durch einen Offizierkurier nach Mauthausen geschickt worden. Ich verweise auf die Aussage des Dr. Höttl, wo er diese Tatsache bestätigt. Ein Fragebogen ist an einen zweiten Anwesenden gesandt worden durch meinen Verteidiger, und ich fragte ihn um die gleiche Erklärung, und dieser Fragebogen steht noch aus.

OBERST AMEN: Ich habe Sie nicht über diesen Befehl gefragt. Ich fragte Sie über einen Befehl, alle Insassen von Mauthausen kurz vor Ende des Krieges zu töten. Wer war für diesen Befehl verantwortlich? Sie?

KALTENBRUNNER: Nein.

OBERST AMEN: Kennen Sie den Mann, der dies erklärt hat, Ziereis?

KALTENBRUNNER: Jawohl, Ziereis kannte ich.

OBERST AMEN: Und Sie ließen sich zusammen mit ihm und Himmler photographieren, und das liegt hier dem Gerichtshof als Beweis vor. Erinnern Sie sich daran?

KALTENBRUNNER: Dieses Bild habe ich nicht gesehen. Es ist zu einer Zeit dem Gerichtshof vorgelegt worden, wo ich mich im Hospital befunden habe.

OBERST AMEN: Gut, lassen wir das Bild.

Ich bitte, dem Angeklagten das Dokument 3870-PS, das Beweisstück US-797 werden wird, vorzulegen.

Hoher Gerichtshof! Hier handelt es sich um ein ziemlich langes Dokument, das ich nicht ganz verlesen möchte, aber es ist eines der wichtigeren Dokumente für diesen Fall und darum hoffe ich, daß der Gerichtshof die ganze Erklärung lesen wird, wenn ich es heute, um Zeit zu sparen, nicht ganz vorbringe.

VORSITZENDER: Ist es ein neues Dokument?

OBERST AMEN: Ein neues Dokument, Herr Vorsitzender.

VORSITZENDER: Ist es in deutscher Sprache?

OBERST AMEN: Ja.

Sie sehen, Angeklagter, daß es sich um eine auf dem Sterbebett abgegebene Erklärung von Ziereis handelt, wie sie dem Aussteller des Affidavits berichtet wurde. Ich verweise Sie zunächst auf die beiden letzten Absätze der ersten Seite, die wir gemeinsam lesen wollen:

»Es kam 1 SS-Mann auf 10 Häftlinge. Die höchste Zahl der Häftlinge betrug ungefähr 17000, ausgenommen die Nebenlager. Die höchste Zahl des Lagers Mauthausen, das heißt samt Nebenlager, betrug ungefähr 95000 (fünfundneunzigtausend). Die Gesamtzahl der verstorbenen Häftlinge betrug 65000 (fünfundsechzigtausend). Die Besatzung bestand anfangs aus Totenkopf verbänden in Stärke von 5000 (fünftausend) Mann, die sich aus Wachtruppen und Kommandanturstab zusammensetzten.«

Dann, etwa in der Mitte der nächsten Seite; der Absatz beginnt:

»Dem Befehl des Reichsführers Himmler nach sollte ich alle Häftlinge im Auftrage des SS-Obergruppenführers Dr. Kaltenbrunner liquidieren, und zwar sollten die Häftlinge in die Stollen des Werkes Bergkristall in Gusen eingeführt werden, so daß nur ein Eingang offen blieb.«

KALTENBRUNNER: Ich habe die Stelle nicht gefunden.

OBERST AMEN: Es ist in der Mitte der Seite 2. Haben Sie es jetzt?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN:

»Hierauf sollte ich den Eingang in die Stollen mit irgendeinem Sprengstoff sprengen und somit den Tod der Häftlinge herbeiführen. Ich habe verweigert, diesem Befehl Folge zu leisten. Es handelte sich dabei um die Vernichtung der Häftlinge im sogenannten Mutterlager Mauthausen und in den Lagern Gusen 1 und Gusen 2. Näheres hierüber ist den Herren Wolfram und SS-Obersturmführer Eckermann bekannt.

Im KZ-Lager Mauthausen wurde auf Anordnung des ehemaligen Standortarztes Dr. Krebsbach eine Vergasungsanstalt gebaut unter der Tarnung eines Baderaumes. In diesem getarnten Baderaum wurden Häftlinge vergast. Außerdem verkehrte von Mauthausen nach Gusen und umgekehrt ein besonders konstruiertes Auto, in dem während der Fahrt Häftlinge vergast wurden. Die Konstruktionsidee des Autos stammt von Apotheker SS-Untersturmführer Dr. Wasiczki. Ich selbst habe in das betreffende Auto nie Gas hineingetan, ich habe lediglich das Auto geführt, allerdings habe ich gewußt, daß Häftlinge vergast wurden. Das Vergasen der Häftlinge geschah auf Drängen des Arztes SS-Hauptsturmführer Krebsbach.

All das, was wir exekutiert haben, wurde vom Reichssicherheitshauptamt, Himmler oder Heydrich, weiter von SS-Obergruppenführer Müller oder Dr. Kaltenbrunner, der letzte war der Chef der Sicherheitspolizei, angeordnet.«

Dann gehe ich über zu Seite 5, gerade unterhalb der Mitte des Absatzes 2. Der Absatz beginnt mit den Worten: »Im Frühsommer 1943...«

Haben Sie die Stelle?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN:

»Im Frühsommer 1943 besuchte das KZ Mauthausen der SS-Obergruppenführer Dr. Kaltenbrunner. In seiner Begleitung befand sich der Lagerkommandant Ziereis, Gauleiter Eigruber, erster Schutzhaftlagerführer Bachmeyer und andere mehr. Ich habe Dr. Kaltenbrunner samt seiner Begleitung mit eigenen Augen gesehen. Laut Aussagen der damaligen Leichenträger, ehemalige Häftlinge Albert Tiefenbacher, zur Zeit wohnhaft Salzburg, und Johann Polster, zur Zeit wohnhaft Pottendorf bei Wiener-Neustadt/Österreich, wurden damals beim Besuch Dr. Kaltenbrunners von dem Leiter des Arrestes, Unterscharführer Winkler, ungefähr 15 Häftlinge vom Arrest ausgesucht, um dem Dr. Kaltenbrunner drei Exekutionsarten, Genickschuß, Aufhängen, Vergasen, zu zeigen. Unter den Exekutierten befanden sich auch Frauen, denen die Haare geschoren wurden, und diese wurden durch Genickschuß getötet. Die obenangeführten Leichenträger waren bei der Exekution anwesend und mußten die Leichen ins Krematorium schaffen. Dr. Kaltenbrunner begab sich nach der Exekution ins Krematorium und ging später in den Steinbruch.

Im Herbst 1944 besuchte das KZ Mauthausen Baldur von Schirach«

OBERST AMEN: Sagen Sie immer noch, daß Sie mit dem erwähnten Befehl oder den in dem Affidavit angeführten Dingen nichts zu tun hatten?

KALTENBRUNNER: Ich behaupte dies mit aller Entschiedenheit und möchte vor allem darauf hinweisen, daß Sie, Herr Ankläger, erklärt haben, daß diese Aussagen am Sterbebett von Ziereis abgegeben wurden, aber nicht gesagt haben, daß das, was Sie auf Seite 7 bis 8 verlesen haben, wiederum nicht von diesem Ziereis stammt, sondern von jenem Hans Marsalek, der überhaupt den Rahmen für diese Aussagen abgibt. Dieser Hans Marsalek, den ich selbstverständlich nie im Leben gekannt habe, ist, wie die beiden anderen Zeugen, ein Schutzhäftling in Mauthausen gewesen. Über den Wert der Aussage eines Konzentrationslagerhäftlings über mich und über die Unmöglichkeit selbst, diesem gegenübergestellten Zeugen ins Gesicht sprechen zu können, habe ich mich kurz geäußert. Mein Antrag wird durch meinen Verteidiger gestellt werden. Ich muß auch hier bitten, ihm gegenübergestellt zu werden. Marsalek kann von einem solchen Befehl überhaupt nichts wissen. Trotzdem behauptet er, er wußte von diesem Befehl.

OBERST AMEN: Angeklagter! Marsalek ist lediglich der Mann, der die Erklärung Ziereis' auf dem Sterbebett entgegengenommen hat. Verstehen Sie das?

KALTENBRUNNER: Nein, das verstehe ich nicht, weil es bisher neu war, daß die Anklagebehörde Konzentrationslagerhäftlinge zur Vernehmung des durch drei Bauchschüsse tödlich verwundeten Ziereis verwandt hat. Ich habe gedacht, daß solche Einvernahmen wenigstens von einem juristisch soweit vorgebildeten Anklagevertreter geführt werden, daß er solche Zeugenaussagen auch bewerten kann.

OBERST AMEN: Wenn Sie, Angeklagter, die Anklage führen würden, dann würden Sie es vielleicht anders machen. Jedenfalls, Sie behaupten, daß alles in dem Ihnen vorgelesenen Affidavit falsch ist. Stimmt das?

KALTENBRUNNER: Es ist falsch. Ich habe niemals nach Mauthausen einen Befehl gegeben, mit Ausnahme dieses einen Befehls, zu dem ich besondere Vollmacht hatte, und für den ich, und zwar für seinen Inhalt und die Beförderungsart restlos ausreichende Zeugenschaft angeboten habe. Es ist niemals Mauthausen mir in irgendeiner Weise anders unterstanden. Ich konnte solche Befehle nicht geben. Die Anklagebehörde weiß ganz genau und muß durch Dutzende von Zeugenaussagen erwiesen haben und in Händen haben, daß niemals eine Befehlsinstanz zwischen mir und Mauthausen bestanden hat.

VORSITZENDER: Angeklagter! Sie scheinen nicht zu verstehen, was dieses Dokument ist. Es ist ein Affidavit von Hans Marsalek, und aus Absatz 2 geht die Tatsache hervor, daß er den sterbenden Ziereis verhörte, und zwar in Gegenwart des Kommandanten einer Panzerdivision, und dann setzt er auseinander, was Ziereis gesagt hat, und dann gibt er noch eine Erklärung ab, zusätzlich, die in Absatz 3 enthalten ist. Es ist dem Gerichtshof vollkommen klar, daß Absatz 3 nicht die Aussage Ziereis' enthält, sondern was Marsalek gesagt hat, der das Affidavit gemacht hat.

KALTENBRUNNER: Euer Lordschaft! Ich kann hierzu nur äußern, daß Marsalek selbstverständlich nie wissen konnte – als Häftling ist er ja im Lager gewesen –, daß Ziereis niemals mir unterstanden hat, und schon aus diesem Grunde liegt es nahe, daß dieser Marsalek bei der Einvernahme Ziereis' die Zusammenhänge ja gar nicht kennen konnte, und ich habe doch dem Gerichtshof nachgewiesen und dem Ankläger nachgewiesen, daß ich eine Vollmacht am 9. April erst bekommen habe.

VORSITZENDER: Ja, ich weiß; das ist eine Sache des Argumentierens. Ich habe Sie nur auf die Tatsache aufmerksam gemacht, daß aus dem Dokument selbst vollkommen klar hervorgeht, daß das, was Oberst Amen verlesen hat, eine Erklärung Marsaleks ist und nicht eine Erklärung von Ziereis, was der Punkt war, auf den Sie hinwiesen.

OBERST AMEN: Angeklagter! Erinnern Sie sich, dem Kommandanten des KZ Mauthausen am 27. April 1945 einen Befehl erteilt zu haben, daß täglich mindestens tausend Gefangene in Mauthausen umgebracht werden sollten? Ist das wahr oder nicht?

KALTENBRUNNER: Ich habe niemals einen solchen Befehl gegeben. Sie wissen...

OBERST AMEN: Kannten Sie den SS-Oberst Ziereis? Den Mann, von dem wir gerade gesprochen haben?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Und Sie kannten Kurt Becher oder Becker, einen früheren Obersten in der SS?

KALTENBRUNNER: Nein.

OBERST AMEN: Ich bitte, dem Angeklagten Dokument 3762-PS vorzulegen, das Beweisstück US-798 wird.

KALTENBRUNNER: Herr Ankläger, Sie sagten, ob ich einen SS-Oberst Becker kenne. Ich antwortete nein. Der Mann heißt Kurt Becher.

OBEBST AMEN: Um so besser. Sie kennen ihn also, nicht wahr?

KALTENBRUNNER: Den kenne ich, jawohl.

OBERST AMEN: Sehr gut.

VORSITZENDER: Oberst Amen, sind diese Dokumente in alle Sprachen übersetzt worden?

OBERST AMEN: Ich glaube, sie sind alle übersetzt, jawohl. – Nein, es wird mir gesagt, nicht alle, sondern nur einige. Dieses hier ist ins Englische und ins Deutsche übersetzt, Herr Vorsitzender. Wir haben keine Zeit gehabt, sie ins Französische und Russische zu übersetzen, aber sie werden jetzt angefertigt.

VORSITZENDER: Ja, dann geschieht es noch?

OBERST AMEN: Jawohl, es geschieht, jawohl.

VORSITZENDER: Sehr gut.

KALTENBRUNNER: Darf ich dazu antworten?

VORSITZENDER: Damit das Protokoll vollständig ist, wünscht der Gerichtshof, daß die Anklagebehörde mitteilt, wann die Übersetzung fertig ist, so daß die Sache vollkommen in Ordnung ist.

OBERST AMEN: Gewiß.

Angeklagter, wir werden nun das Dokument zusammen lesen:

»Ich, der ehemalige SS-Standartenführer Kurt Becher, geboren am 12. September 1909 in Hamburg, erkläre hiermit unter Eid folgendes:

1. Etwa zwischen Mitte September und Mitte Oktober 1944 erwirkte ich beim Reichsführer-SS Himmler folgenden Befehl, den ich in zwei Originalen, je eines für die SS-Obergruppenführer Kaltenbrunner und Pohl bestimmt, und einer Kopie für mich, erhielt:

Ich verbiete mit sofortiger Wirkung jegliche Vernichtung von Juden und befehle im Gegenteil die Pflege von schwachen und kranken Personen. Ich halte Sie (damit war er, Kaltenbrunner und Pohl gemeint) persönlich dafür verantwortlich, auch wenn dieser Befehl von untergeordneten Dienststellen nicht strikt befolgt wird.

Ich überbrachte Pohl das für ihn bestimmte Exemplar persönlich in Berlin in seiner Dienststelle und gab das Exemplar für Kaltenbrunner in seinem Sekretariat in Berlin ab. Meines Erachtens tragen nach diesem Zeitpunkt deswegen Kaltenbrunner und Pohl die Verantwortung für noch erfolgte Tötungen von jüdischen Häftlingen.

2. Anläßlich meines Besuches im Konzentrationslager Mauthausen am 27. April 1945, morgens 9.00 Uhr, teilte mir der Lagerkommandant, SS-Standartenführer Ziereis, unter strengster Verschwiegenheit folgendes mit:

Kaltenbrunner hat mir die Weisung gegeben, daß in Mauthausen noch täglich mindestens tausend (1000) Menschen sterben müßten.

Die oben angeführten Tatsachen entsprechen der Wahrheit. Diese Erklärungen sind von mir freiwillig und ohne jeden Zwang abgegeben worden. Ich habe sie durchgelesen, unterschrieben und mit meinem Eide bekräftigt.«

Stimmt das oder stimmt das nicht, Angeklagter?

KALTENBRUNNER: Das stimmt zum Teil und zum Teil stimmt es nicht. Ich werde es Satz für Satz erklären.

OBERST AMEN: Nein, sagen Sie uns nur, was Sie für falsch erklären, denn wir müssen damit vorwärtskommen.

KALTENBRUNNER: Ich glaube es Ihnen, daß Sie Zeit sparen wollen. Es geht aber darum, die Schuld hierfür für mich oder nicht für mich zu erklären und aufzuklären, und dazu muß ich eingehend Stellung nehmen können, und sonst können Sie nicht die Wahrheit erfahren und nicht das Gericht, und darum soll es doch hoffentlich hier gehen. Ich bin sehr froh, daß dieser Zeuge Becher gefunden ist, und daß dieses Statement vorhanden ist, denn es beweist erstens, daß Himmler im September oder Oktober 1944 gezwungen war, einen solchen Befehl herauszugeben; jener Himmler, von dem feststeht, daß er seit 1939 oder 1940 in größtem Stile sich mit dem Verbrechen beladen hat, Juden zu ermorden.

Es muß die Frage untersucht werden: Warum gibt Himmler im September oder Oktober 1944 einen solchen Befehl heraus? Ich habe, bevor ich dieses Dokument gekannt habe, gestern und heute erklärt, daß dieser Befehl bei Hitler durch meine Vorstellungen erwirkt worden ist, und offensichtlich geht dieser Befehl Himmlers auf einen Befehl, den er von Hitler bekommen hat, zurück.

Zweitens ist für mich klar, daß Himmler einen solchen Befehl an Pohl als den Zuständigen für jene Konzentrationslager gibt, in welchen sich die Juden befinden, und

drittens mir hiervon Kenntnis gibt, als demjenigen, dessen Widerpart – Kaltenbrunner contra Himmler – dieser Kaltenbrunner ist.

Was die Person Becher anlangt, muß ich etwas weiter zurückgreifen. Über Becher hat Himmler die übelsten Sachen getan, die hier vorkommen und zutage kommen können. Sie bestehen darin, daß er über Becher und das Joint-Komitee in Ungarn und in der Schweiz zuerst gegen Rüstungsartikel, zweitens später gegen Rohstoffe und drittens gegen Devisen Juden freigelassen hat. Ich habe von dieser Aktion im Nachrichtendienst erfahren und habe sofort dagegen Stellung genommen, und zwar nicht bei Himmler, bei dem es vergeblich gewesen wäre, sondern bei Hitler.

In diesem Augenblick war jeder persönliche Kredit Himmlers gegenüber Hitler untergraben, weil diese Aktion auf das allerschwerste das Ansehen des Reiches im Auslande zu schädigen geeignet war. Gleichzeitig schon ist damals meine Aktion zu Burckhardt gelaufen, und jetzt verstehen Sie auch, warum der Zeuge Schellenberg erklärt hat, daß ihm Himmler sagte: Ich fürchte mich, nun hat Kaltenbrunner mich ganz in der Hand! Daß heißt so viel, er, dieser Kaltenbrunner, hatte nunmehr auch alle seine Machinationen in Ungarn vollkommen klar aufgedeckt und Hitler gesagt und sich dagegen gewandt, und mit diesem Befehl wollte er es nun verschleiern und wollte sich aus der Affäre ziehen, indem er so tut, dieser Himmler, als ob die Verantwortlichkeit ja ohnedies bei Pohl oder Kaltenbrunner liegt. Verantwortlich ist und bleibt auch nach diesem Dokument Himmler, Pohl; und Kaltenbrunner muß beteiligt werden, um davon Kenntnis zu bekommen, weil er sonst ununterbrochen jeden Tag bei Hitler vorstellig werden kann. Das ist der Sinn des Dokuments.

Ich bitte Sie, Herr Ankläger, diesen Zeugen Becher, ich weiß es, daß er sich in Nürnberg hier befindet, unbedingt mir hier gegenüberzustellen. Ich bin ganz und gar in der Lage an Hand dieses Zeugen der Öffentlichkeit zu zeigen, wie von der Übernahme der sogenannten Weiß A.G. in Ungarn angefangen bis zu diesem Tage, Himmler mit Pohl und Becher und den beiden Komitees in Ungarn und in der Schweiz diese Geschäfte betrieben hat, und wie ich mich dagegen aufgelehnt habe.

Es ist aber noch ein Vorwurf in diesem Dokument enthalten, ich hätte nämlich am 27. April, strengst geheim, Ziereis den Befehl gegeben, nunmehr täglich 1000 Juden zu vernichten. Ich bitte Sie, den ebenfalls hier anwesenden Zeugen Höttl möglichst sofort nach hier zu holen und ihn zu fragen, an welchem Tage ich diesen Befehl schriftlich diktiert und durch Offizierkurier nach Mauthausen habe überbringen lassen, daß das gesamte Lager mit allen seinen Insassen dem Feinde zu übergeben sei. Dieser Zeuge wird Ihnen darauf bestätigen, daß dieser Befehl Tage vor dem 27. April gegeben war und ich am 27. April daher nicht das Gegenteil befohlen haben kann.

Ich bitte, mir doch nicht einfach Situationen überraschenderweise hier vorzuhalten, über die ich wahrscheinlich zusammenbrechen würde. Herr Ankläger, ich breche nicht zusammen, ich schwöre es Ihnen und habe es geschworen, ich will Ihnen hier helfen, die Wahrheit zu ergründen.

OBERST AMEN: Angeklagter! Sie haben bei diesem Prozeß Beweise über die Bedeutung des Ausdruckes »Sonderbehandlung« gehört. Stimmt das? Haben Sie das in diesem Gerichtssaal gehört?

KALTENBRUNNER: Der Ausdruck »Sonderbehandlung« ist von der Voruntersuchungsbehörde täglich einige Male mir gegenüber gebraucht worden, jawohl.

OBERST AMEN: Wissen Sie, was er bedeutet?

KALTENBRUNNER: Es ist nur anzunehmen, ich kann mir den Ausdruck auch nicht näher erklären, als daß es eine Verurteilung zum Tode nicht durch ein öffentliches Gericht, sondern durch einen Befehl Himmlers ist.

OBERST AMEN: Nun, der Angeklagte Keitel sagte aus, glaube ich, es sei allgemein bekannt gewesen. Haben Sie nicht schon immer gewußt, was mit »Sonderbehandlung« gemeint war? Ja oder nein, bitte!

KALTENBRUNNER: Ja, ich habe Ihnen schon erklärt, ein Befehl Himmlers – ich verweise auf den Befehl Hitlers von 1941 – also auch Hitlers, ohne Gerichtsverfahren Hinrichtungen zu vollziehen...

OBERST AMEN: Haben Sie jemals mit Gruppenführer Müller vom Amt IV die Anwendung von »Sonderbehandlung« für bestimmte Leute besprochen? Ja oder nein, bitte!

KALTENBRUNNER: Nein, ich weiß, daß der Zeuge Schellenberg behauptet...

OBERST AMEN: Ich ersuche, dem Zeugen jetzt das Dokument 3839-PS vorzulegen, das Beweisstück US- 799 sein wird.

Übrigens, kannten Sie einen Josef Spacil?

VORSITZENDER: Beantworten Sie die Frage!

OBERST AMEN: Kannten Sie einen Josef Spacil?

KALTENBRUNNER: Spassel, nein.

OBERST AMEN: Er ist der Mann, der das Affidavit abgibt, das Ihnen vorliegt.

KALTENBRUNNER: Der Name, der hier steht, heißt Josef Spacil, den kenne ich.

OBERST AMEN: Sehen Sie jetzt auf der Mitte der ersten Seite, da ist ein Absatz, der mit den Worten beginnt:

»Bezüglich der ›Sonderbehandlung‹...« Haben Sie die Stelle?

KALTENBRUNNER: Ich muß, um dieses Dokument erfassen zu können, erst das ganze Dokument lesen.

OBERST AMEN: Gut, Angeklagter. Wenn Sie diese Dokumente alle erst durchlesen wollen, kommen wir niemals durch, denn der erste Teil hat weder mit dem Teil, der mich interessiert, noch mit Ihnen etwas zu tun.

KALTENBRUNNER: Herr Ankläger! Ich glaube es Ihnen, daß Sie für eine äußerste Beschleunigung eintreten, und die Angeklagten sind mit Ihrer Verteidigung ja ohnedies ebenso bemüht, das Verfahren nicht zu verzögern, aber was zu meiner Verteidigung notwendig ist, ist doch mindestens jener Umstand, daß ich ein Dokument, zu dem ich mich äußern muß, auch lesen darf.

OBERST AMEN: Ihr Rechtsbeistand erhält Abschriften aller dieser Dokumente, Angeklagter, und ich bin dessen sicher, daß er sich darum kümmern wird, daß alles, was für Sie vorgebracht wird, zur rechten Zeit vorgebracht wird. Und das nach Beendigung aller meiner Fragen an Sie. Ist das nicht zufriedenstellend?

KALTENBRUNNER: Nein, es ist nicht genügend für mich, denn ich muß ja auf jeden Fall wissen, was in diesem Dokument steht, wenn ich Ihnen jetzt sofort darauf antworten muß.

OBERST AMEN: Gut, gehen Sie vorwärts und lesen Sie es durch.

VORSITZENDER: Angeklagter! Nicht nur Ihr eigener Verteidiger wird sich um Ihre Interessen kümmern, auch der Gerichtshof bewacht Ihre Interessen, und Sie müssen die Fragen beantworten, bitte.

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Sehr gut, lesen wir jetzt von der Mitte der Seite, beginnend mit:

»Bezüglich der ›Sonderbehandlung‹ habe ich folgende Kenntnisse: Anläßlich der Amtschefssitzungen erwähnte des öfteren Gruppenführer Müller an Kaltenbrunner, ob der und der Fall ›sonderbehandelt‹ werden soll oder ›Sonderbehandlung‹ in Frage käme. Die Redewendungen waren zum Beispiel folgende:

Müller: Obergruppenführer, Fall B bitte ›Sonderbehandlung‹ oder nicht?

Kaltenbrunner: Ja, oder Vorlage an RF SS zur Entscheidung machen.

Oder:

Müller: Obergruppenführer, über Fall A ist auf die Vorlage wegen ›Sonderbehandlung‹ vom RF SS noch kein Bescheid eingegangen.

Kaltenbrunner: Reklamieren.

Oder:

Müller gab Kaltenbrunner ein Schriftstück in die Hand und erbat dann Weisungen, wie vor geschildert.

Wenn Müller mit Kaltenbrunner ein solches Gespräch führte, so nannte er immer nur den Anfangsbuchstaben, so daß die am Tische Sitzenden nie erfuhren, um wen es sich handelt.«

Und nun noch die beiden letzten Absätze:

»Sowohl Müller wie Kaltenbrunner haben in meinem Beisein für gewisse Fälle... ›Sonderbehandlung‹ bezw. Vorlage an den RF SS zwecks Genehmigung der Sonderbehandlung vorgeschlagen. Meines Erachtens nach wurde ungefähr in 50 % der Fälle Sonderbehandlung genehmigt.«

Stimmt der Inhalt dieses Affidavits, oder nicht, Angeklagter?

KALTENBRUNNER: Dieser Inhalt stimmt in der Auslegung, wie Sie, Herr Ankläger, es hier vom Dokument geben, nicht. Sie werden sofort sehen, daß sogar der tragische Ausdruck »Sonderbehandlung« in diesem Falle in eine ausgesprochene humoristische Art und Weise verändert wird. Wissen Sie, was »Walsertraum« im Walsertal, und wissen Sie, was »Winzerstube« in Godesberg sind? Wohin diese Fälle Ihrer behaupteten sogenannten »Sonderbehandlung« zu bringen sind?

»Walsertraum« ist das eleganteste fashionabelste Alpinistenhotel des gesamten Deutschen Reiches, und die »Winzerstube«, Godesberg, ist das hochberühmte Hotel, das sich dem Namen nach in Godesberg befindet, welches zu vielen internationalen Tagungen verwendet worden ist. In diesen beiden Hotels sind besonders qualifizierte, besonders angesehene Persönlichkeiten, ich nenne hier M. Poncet und M. Herriot und so weiter untergebracht gewesen, und zwar bei dreifacher Diplomatenverpflegung, das ist die 9fache Nahrungsmittelzuteilung des normalen Deutschen während des Krieges, bei täglicher Verabreichung einer Flasche Sekt, bei freier Korrespondenz mit der Familie, bei freiem Paketverkehr mit der Familie in Frankreich, bei mehrmaligem Besuch dieser Häftlinge und Erkundigung nach ihren Wünschen an allen ihren Orten. Das ist das, was wir unter »Sonderbehandlung« verstehen.

Ich erkläre hier nur folgendes: Es kann sein, daß mir Müller davon gesprochen hat, weil es mich außenpolitisch und nachrichtendienstlich auf das allerhöchste interessiert hat, daß das Reich nunmehr auf meine Tendenz eingeht, nämlich Ausländer humaner zu behandeln. In diesem Zusammenhang mag Müller mit mir gesprochen haben, aber Winzerstube und Godesberg, diese beiden Endziele dieser sogenannten »Sonderbehandlung«, sind die Unterbringungsstätten bevorzugter politischer Ehrenhäftlinge gewesen.

OBERST AMEN: Sind Sie oft mit Ihren Abteilungschefs zusammengekommen, einschließlich Müller, wie es in dem Dokument angedeutet ist?

KALTENBRUNNER: Herr Ankläger! Ich habe gestern und heute erklärt, ich habe mit Müller selbstverständlich, wenn wir beim Mittagstisch zusammengesessen sind, den wir nur deshalb gemeinsam einnehmen mußten, weil alle unsere 38 Gebäude in Berlin durch Bombardierung zerstört und beschädigt gewesen sind, gesprochen, aber nicht in dienstlichen Angelegenheiten des Amtes IV. Es geht gerade aus diesem Dokument hervor, daß es sich um Besprechungen gehandelt hat, die mich als Nachrichtenchef höchlichst interessiert haben. Ich darf Sie aber doch bitten, von diesem Dokument nicht sofort abzugehen, und zwar deshalb nicht, weil es doch gerichtsnotorisch werden muß, daß diese zwei Etablissements zu dieser von mir gewünschten bevorzugten besseren Behandlungsweise, als Deutschen gegenüber, gedient haben. Das ist doch eminent wichtig für mich. Ich bitte Sie daher, oder werde Sie durch meinen Anwalt bitten, über diese beiden Gaststätten die genauesten Erkundigungen einzuziehen, und ich bitte, als Führer der französischen Häftlinge Herrn Poncet über die ihm dort zuteilgewordene Behandlung zu fragen. Sein Glück ist dort so weit gegangen, daß er mit der Frau eines Kriminalbeamten französische Sprachstudien betrieb und ihr die französische Sprache beigebracht hat auf stundenlangen vollkommen unbewachten Spaziergängen.

OBERST AMEN: Angeklagter! Haben Sie oder haben Sie nicht Müller als Chef der Abteilung IV dahingehend Weisungen gegeben, daß gewisse Personen, die sich in Berlin in Haft befanden, nach Süddeutschland zu transportieren oder zu erschießen seien? Um Ihnen zu helfen, ich spreche vom Februar 1945, als die russischen Armeen sich Berlin näherten. Ja oder nein, wenn es Ihnen möglich ist.

KALTENBRUNNER: Nein, die russische Armee ist im Februar 1945 Berlin verhältnismäßig noch nicht nahe gestanden. Ich glaube, daß die Militärs hier genau Auskunft geben könnten, wo die Front damals verlaufen ist; ich glaube nicht, daß zu einer Verlagerung nach dem Süden damals schon Anlaß bestand.

OBERST AMEN: Kennen Sie Martin Sandberger, Gruppenführer VI A des RSHA?

KALTENBRUNNER: Ja, der erste Mitarbeiter jenes wiederholt genannten Schellenberg und der Vermittler hinsichtlich Nachrichten zwischen Himmler und Schellenberg.

OBERST AMEN: Ich lege dem Angeklagten Dokument 3838-PS vor, das US-800 wird. Ich mache Sie nur auf die ersten beiden Absätze dieses Affidavits aufmerksam:

»In meiner Eigenschaft als Gruppenleiter VI A im RSHA ist mir folgendes bekanntgeworden:

Im Februar 1945 erzählte mir der Gruppenleiter SS-Standartenführer Steimle, daß er Schellenberg bei der täglichen Amtschefsbesprechung vertreten mußte. Dabei habe Müller (Amtschef IV) Kaltenbrunner eine Liste von Personen vorgelegt, die in oder bei Berlin in Haft waren und bei denen Kaltenbrunner entscheiden sollte, ob sie nach Süddeutschland überführt werden sollten, oder erschossen werden sollten, da die russischen Armeen sich Berlin näherten. Steimle wußte nicht, um wen es sich handelte. Kaltenbrunner machte die Entscheidungen in äußerst flüchtiger und oberflächlicher Form und Steimle empörte sich mir gegenüber über die Leichtfertigkeit dieses Verfahrens. Daraus schloß ich, daß Kaltenbrunner eine Anzahl von Erschießungsbefehlen gegeben hat, denn wäre die Evakuierung angeordnet gewesen, dann wäre nicht von Leichtfertigkeit des Verfahrens gesprochen worden.«

Ist dieses Affidavit wahr oder falsch?

KALTENBRUNNER: Die Versicherung stimmt nicht, sie kann von mir sofort, obwohl sie mich überrascht, widerlegt werden. Ich bitte vielleicht auf folgende Punkte Rücksicht zu nehmen.

Erstens, das Dokument wurde gefertigt in Oberursel am 19. November 1945 vom Zeugen Sandberger. Er erzählt im zweiten Teil des ersten Paragraphen, daß er in England zusammen mit Schellenberg war – nein, nicht im ersten Paragraphen, sondern im zweiten Paragraphen sagt er das – »Wie ich von Schellenberg im Internierungslager in England anläßlich eines Spazierganges erfuhr...«

Es steht also aus dem zweiten Teil fest, daß er mit jenem Schellenberg im Untersuchungslager bei London, in welchem auch ich mich zehn Wochen befunden habe, eingehende Aussprachen gepflogen hat. Es ist deshalb sehr wichtig, weil hinsichtlich der Person Schellenbergs ja noch einiges gesagt werden muß. So, ob dieser Sandberger daher schon im Februar 1945 das von Steimle wußte, oder ob er es auf dem Umwege über Schellenberg in London in gemeinsamer Haft erfahren hat. Das kann nur durch eine unmittelbare Befragung dieses Sandberg hier durch meinen Verteidiger festgestellt werden. Bis dahin muß ich dieser Darstellung überhaupt widersprechen.

OBERST AMEN: Gut.

KALTENBRUNNER: Nein, ich bin noch lange nicht fertig, Herr Ankläger.

Zweitens behauptet hier Sandberger, von Steimle gehört zu haben, Steimle habe das gehört. Wenn ich schon persönlich einer solchen Mitteilung aus dritter oder vierter Hand nicht allzuviel Glaubwürdigkeit beizumessen vermag, muß ich eine solche Äußerung, wie sie Steimle behauptet, trotzdem striktest in Abrede stellen. Ich habe hierzu weder eine Vollmacht besessen, solche Entscheidungen zu treffen, noch war diesem Steimle oder Sandberger oder Schellenberg jemals der Tatbestand zweifelhaft, daß zu solchen Entscheidungen nur Himmler selbst befugt ist.

Drittens, ich habe von einer solchen Behandlung von Häftlingen überhaupt nur in einem einzigen Falle gehört, selbst interveniert und in diesem Kreise kundgegeben, und zwar betrifft das die Person Schuschniggs. Auch Schuschnigg hat sich in einer solchen, durch die russische Front gefährdeten Lage befunden. Ich habe am 1. Februar 1945, das Datum ist mir voll erinnerlich und kann hier durch einen anderen Angeklagten bezeugt werden, auf die Frage dieses anderen Angeklagten: Könnte man nicht für Schuschnigg etwas tun, damit er nicht den Russen in die Hände fällt? geantwortet: Wollen Sie oder soll ich dem Führer diesen Vorschlag machen, die Haft Schuschniggs aufzuheben, oder ihn mindestens dorthin zu verbringen, wo er nicht den Russen, sondern den Amerikanern in die Hände fällt?, worauf einer von uns, ich weiß nicht wer, vielleicht auch beide, Hitler diesen Vorschlag gemacht haben.

VORSITZENDER: Das ist bestimmt sehr weit von Ihnen hergeholt. Der Gerichtshof versteht vollkommen Ihren Hinweis darauf, daß das Zeugnis nur auf Hörensagen beruht, das ist offensichtlich. Die einzige Frage für Sie ist, ob Müller Ihnen bei dieser Gelegenheit eine Namensliste überreicht hat, und wie wir Sie verstehen, sagen Sie, daß er es nicht getan hat. Ein Argumentieren darüber wollen wir nicht hören.

KALTENBRUNNER: Nein, Euer Lordschaft, Müller hat mir ja auch eine solche Liste unterbreitet. Aber ich muß doch in irgendeiner Form dazu Stellung nehmen, denn das Dokument ist mir doch jetzt erst zum erstenmal gezeigt worden, und ich will dem Gericht nicht den Eindruck erwecken, daß ich erst nach stundenlangen Beratungen mit meinem Verteidiger mich zu wehren weiß, sondern ich will dem Ankläger sofort ins Gesicht sagen, daß es nicht so ist. Das will ich ja, ich muß doch hier um meine Glaubwürdigkeit kämpfen, in irgendeiner Form, ich kann doch nicht sofort auf etwas erwidern, und ich kann es doch dem Ankläger nicht leichter machen als dadurch, daß ich jetzt ihn bitte, diesen Zeugen Sandberger hierherzustellen, mit dem er sich inzwischen Dutzende Male besprechen kann, um ihm zu sagen, warum ich es nicht für glaubhaft halte. Ich muß dem Gericht vorher sagen, warum es unwahr ist.

OBERST AMEN: Angeklagter! Kennen Sie einen der sogenannten »Kugel«-Befehle, der an das Konzentrationslager Mauthausen gegeben wurde? Ja oder nein?

KALTENBRUNNER: Ich habe zu diesem »Kugel«- Befehl gestern ausführlich Stellung genommen. Ich habe erklärt, diesen Befehl nicht gekannt zu haben.

OBERST AMEN: Haben Sie jemals einen mündlichen Befehl gegeben, der den sogenannten »Kugel«- Befehl ergänzt? Sie selbst? Haben Sie jemals einen solchen Befehl herausgegeben?

KALTENBRUNNER: Nein.

OBERST AMEN: Ich bitte, dem Angeklagten 3844-PS zu zeigen, das Beweisstück US-801 wird.

OBERST AMEN: Kannten Sie Josef Niedermayer, Angeklagter? Josef Niedermayer?

KALTENBRUNNER: Nein, ich kann mich nicht erinnern, daß ich ihn kannte.

OBERST AMEN: Gut, vielleicht frischt das Ihr Gedächtnis auf. Absatz 1:

»1. Vom Herbst 1942 bis Mai 1945 ist mir der sogenannte Zellenbau des Konzentrationslagers Mauthausen unterstanden.

2. Anfangs Dezember 1944 sind mir in der politischen Abteilung des Konzentrationslagers Mauthausen die sogenannten ›Kugel-Erlasse‹ gezeigt worden. Es waren zwei Erlasse, von denen jeder die Unterschrift Kaltenbrunners trug. Ich habe beide Unterschriften selbst gesehen. In dem einen Erlaß war angeordnet, daß ausländische Zivilarbeiter, die wiederholt aus Arbeitslagern geflüchtet waren, bei Wiederergreifung in das Konzentrationslager Mauthausen unter Aktion ›Kugel‹ gebracht werden sollen.

Im zweiten Erlaß stand, daß mit kriegsgefangenen Offizieren und Unteroffizieren, ausgenommen britische und amerikanische, ebenso verfahren werden sollte, wenn sie wiederholt aus Kriegsgefangenenlagern entwichen. Auch diese Kriegsgefangenen sollten in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht werden.

3. Auf Grund der ›Kugel-Erlasse‹ und der dazu ergangenen mündlichen Weisungen Kaltenbrunners wurden 1300 ausländische Zivilarbeiter, Offiziere und Unteroffiziere in das Konzentrationslager Mauthausen ge bracht. Hier wurden sie auf Block 20 untergebracht und befehlsgemäß so schlecht genährt, daß sie verhungern mußten. 800 von ihnen sind an Hunger und Krankheit gestorben. Die schlechte Ernährung und die Unterlassung ärztlicher Fürsorge erfolgte auf persönlichen mündlichen Befehl Kaltenbrunners.«

Ist die Erklärung richtig oder falsch, Angeklagter?

KALTENBRUNNER: Nein, das stimmt nicht, ich glaube, daß ich jetzt sofort dieses Dokument entkräften kann. Ich darf Ihr Augenmerk auf Seite 2 lenken. Auf Seite 2 im Paragraphen 3 in der dritten Zeile steht: »...wurden 1300 ausländische Zivilarbeiter, Offiziere und Unteroffiziere und so weiter...« Aus diesen Worten »Zivilarbeiter...«

OBERST AMEN: Angeklagter, mich interessiert hauptsächlich Absatz 2, der die Tatsache enthält, daß der Aussteller des Affidavits zwei »Kugel«-Befehle sah, die Ihre Unterschrift trugen. Stimmt das Ihres Wissens nach, oder stimmt das nicht?

KALTENBRUNNER: Nein, ich habe es gestern erklärt und ich wiederhole es heute unter meinem Eid wieder, daß mir diese »Kugel«-Befehle nicht bekannt gewesen sind. Um auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Beweiskraft des Dokuments eingehen zu können, muß ich persönlich meine Argumentation dort einsetzen, wo die Anklage am augenfälligsten Unrecht hat, und dies ist etwa in der dritten Zeile des Paragraphen 3. Dort hat dieser Zeuge, der eine ganz andere Unterschrift hat, als die übrige Erklärung geschrieben ist – ich darf das Gericht auf diesen Umstand besonders hinweisen – der Zeuge hat ganz vergessen, daß dieser »Kugel«-Befehl, es ist ja sein Wortlaut hier oft verlesen worden, sich auf Offiziere und Unteroffiziere bezieht, und nicht auf Zivilarbeiter. Wie konnte daher mit einer falschen Befehlsunterlage ein solcher Vorgang überhaupt zustande kommen? Ich kann ja nicht mit dem Zivil-Paragraphen 820 des BGB ein Todesurteil wegen Mord zum Beispiel fällen, und ich kann auch nicht auf Grund eines »Kugel«-Befehls Zivilarbeiter in ein Lager einsperren lassen. Das hat dieser Zeuge in der Eilfertigkeit, gefällig zu sein, vergessen.

Ich glaube auch nicht, daß dieser Mann jemals ein Dokument gesehen hat, welches meine Unterschrift getragen hat. Es ist mir auch niemals ein solches Dokument vorgelegt worden.

Wiederum muß ich bitten, diesen Zeugen – und ich bin überzeugt, es kommen noch mehrere aus dem Komplex Mauthausen – alle diese Zeugen hier vorzuweisen und darüber zu befragen, wie ihre Erklärungen zustande gekommen sind.

OBERST AMEN: Angeklagter! Wissen Sie noch, was der Zeuge Wisliceny ausgesagt hat in Bezug auf Ihre Beteiligung an dem Zwangsarbeiterprogramm an den Verteidigungsanlagen bei Wien?

KALTENBRUNNER: Ich bin noch nicht fertig gewesen mit der letzten Frage. Entschuldigen Sie, ich muß aber noch etwas Wesentliches zu dieser Sache nachtragen.

OBERST AMEN: Ich dachte, Sie wären damit fertig?

KALTENBRUNNER: Ich dachte es zunächst auch, aber es ist mir noch etwas Wichtiges eingefallen.

OBERST AMEN: Gut.

KALTENBRUNNER: Es ist noch sehr erheblich, darauf zu verweisen, was ich gestern hinsichtlich des »Kugel«-Befehls gesagt habe. Ich habe erklärt, daß sie im Dezember oder Januar 1944/45 mir bekanntgeworden sind, und wie ich dazu und dagegen Stellung genommen habe. Auch diese Umstände machen es erklärlich, daß ich nicht kurz vorher sie selbst habe unterschreiben können, es ist aber auch vollkommen unmöglich, daß ein Kaltenbrunner einen »Kugel«-Befehl unterschreibt, von dem hier für die Anklage feststeht, daß er seit 1941 bereits von Hitler unterschrieben war. Aus diesem Grunde wollte ich noch abschließend hierzu Stellung nehmen.

Und jetzt bitte ich, mir nunmehr die nächste Frage zu wiederholen.

OBERST AMEN: Ich verweise Sie auf die Aussage von Wisliceny in Bezug auf Ihre Beteiligung an dem Zwangsarbeiterprogramm an den Verteidigungsanlagen bei Wien. Sind Sie damit, was er diesem Gerichtshof sagte, vertraut?

KALTENBRUNNER: Nein.

OBERST AMEN: Nun, dann will ich es Ihnen verlesen, es ist ganz kurz:

»Frage: Was geschah mit den in Budapest verbliebenen Juden?

Antwort: Im Oktober, November 1944 wurden von diesen Juden etwa 30000, vielleicht noch ein paar tausend mehr, herausgenommen und nach Deutschland verbracht. Sie sollten beim Bau des sogenannten Südostwalles, einer Verteidigungsstellung in der Nähe von Wien, als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Es handelte sich meistens dabei um Frauen... Ein großer Teil dieser Menschen ist dann in den sogenannten Arbeitslagern in Niederdonau an Entkräftung und Seuchen gestorben. Ein geringer Prozentsatz, etwa 12000, wurde nach Wien und die Umgebung von Wien gebracht, und ein Transport von ungefähr 3000 ging nach Bergen-Belsen und von da in die Schweiz. Das waren Juden, die im Zuge der Verhandlungen mit dem Joint aus Deutschland herausgelassen wurden.«

Nun, Angeklagter, erinnern Sie sich, daß Sie mit dem Bürgermeister der Stadt Wien einen Briefwechsel hatten, der sich auf die Zuteilung dieser Zwangsarbeiter in der Stadt Wien bezog?

KALTENBRUNNER: Ich habe niemals einen Brief an den Bürgermeister von Budapest geschrieben. Ich würde sehr darum bitten, mir einen solchen Brief zu zeigen.

OBERST AMEN: Ich habe nicht Budapest gesagt, ich sagte der Bürgermeister der Stadt Wien, wenigstens wollte ich das, wenn ich es nicht tat.

KALTENBRUNNER: Ich erinnere mich auch nicht, mit dem Bürgermeister von Wien korrespondiert zu haben, sondern ich glaube sagen zu können, daß die Grenzbefestigungen, um die es sich hier handeln muß, nicht der Stadt Wien, sondern dem Gau Niederdonau unterstanden sind. Denn ich weiß nicht, daß Wien eine gemeinsame Grenze mit Ungarn hatte.

OBERST AMEN: Schön, Sie haben schon ausgesagt, daß Sie mit einer Beteiligung an diesem Zwangsarbeiterprogramm nichts zu tun hatten, nicht wahr?

KALTENBRUNNER: Ja.

OBERST AMEN: Gut.

Ich bitte, dem Angeklagten das Dokument 3803-PS, das die Nummer US-802 erhält, vorzulegen.

Ich verweise Sie auf die ersten drei Absätze. Sie werden bemerken, daß der Brief von Ihnen selber stammt und wie folgt lautet:

»An den Herrn Bürgermeister der Stadt Wien, SS-Brigadeführer Blaschke.

Betrifft: Zuteilung von Arbeitskräften für kriegswichtige Arbeiten der Stadt Wien.

Bezug: Dein Schreiben vom 7. Juni 1944.

Lieber Blaschke! Aus den von Dir – in gleicher Angelegenheit hat mir übrigens SS-Brigadeführer Dr. Dellbruegge geschrieben – angeführten besonderen Gründen habe ich inzwischen angeordnet, einige Evakuierungstransporte nach Wien/Straßhof zu leiten.

Es handelt sich zunächst um 4 Transporte mit etwa 12000 Juden, die bereits in den nächsten Tagen in Wien eintreffen. Nach den bisherigen Erfahrungen werden bei diesen Transporten schätzungsweise etwa 30 % (im vorliegenden Fall etwa 3600) an arbeitsfähigen Juden anfallen, die unter Vorbehalt ihres jederzeitigen Abzuges zu den in Rede stehenden Arbeiten herangezogen werden können. Daß nur ein gut bewachter, geschlossener Arbeitseinsatz und eine gesicherte lagermäßige Unterbringung in Betracht kommen kann, liegt auf der Hand und ist unbedingte Voraussetzung für die Bereitstellung dieser Juden.

Die nichtarbeitsfähigen Frauen und Kinder dieser Juden, die sämtlich für eine Sonderaktion bereitgehalten und deshalb eines Tages wieder abgezogen werden, müssen auch tagsüber in dem bewachten Lager verbleiben.

Weitere Einzelheiten bitte ich mit der Staatspolizei stelle Wien – SS-Obersturmbannführer Dr. Ebner und SS-Obersturmbannführer Krumey vom Sondereinsatzkommando Ungarn, der sich zur Zeit in Wien aufhält – zu besprechen.

Ich hoffe, daß Dir diese Transporte bei Deinen vordringlichen Arbeitsvorhaben eine Hilfe sein werden und verbleibe mit